unverdiente Gluck, zwischen deiner Frau und deinem Sohne zu sterben, zu Teil werden zu lassen ...«

Rudolfs Stimme war bei diesen letzten Worten weich geworden. Mit unsagbarer Wehmut schuttelte er das Haupt und sprach zu dem Negerarzte: »David! Gehen Sie ans Werk! Moge, wenn ich irre, Gott mich allein strafen und nicht Sie!« Er verbarg das Gesicht hinter seinen Handen.

Zwei schwarz gekleidete Manner traten in das Zimmer. Der Doktor zeigte auf ein ansto?endes Kabinett. Dorthin rollten sie den Stuhl, auf dem der Rauber so fest gebunden war, da? er kein Glied ruhren konnte... »Bindet ihm, so da? die Stirn frei liegt, den Kopf mit einem Tuch am Stuhle fest und ein anderes Tuch steckt ihm in den Mund!« befahl David, mit in das Kabinett tretend. – »Sie wollen mich morden. Gnade, Gnade!« rief Bakel. – Dann wurde es auf ein paar Sekunden still, und dann vernahm man nichts als ein dumpfes Gemurmel.

»Herr Rudolf«, nahm darauf Schuri das Wort, der leichenbla? geworden war, mit zitternder Stimme, »ich furchte mich – Was geht vor? Sagen Sie es mir, Herr Rudolf! Oder liege ich in Traumen? Was macht der Schwarze mit Bakel? ... Herr Rudolf, man hort nichts, und um dieser Stille willen furchte ich mich noch mehr.«

Nun trat David wieder aus dem Kabinett. Wenn auch auf seinem Gesichte keine Blasse nach unserer Vorstellung zu sehen war, so war doch von seinen Lippen alle Farbe gewichen. – Auf sein Klingeln rollten die beiden Manner den Rollstuhl herein und nahmen den Knebel aus Bakels Munde ... »Soll ich gefoltert werden?« rief Bakel, mehr von Zorn erfullt, als von Schmerz geplagt; »warum haben Sie mir an den Augen herumgestochen? Sie haben mir weh getan! Und warum bringen Sie mich in einen stockfinstern Raum? Soll ich im Finstern gefoltert werden?«

Eine kurze Weile herrschte grauenvolle Stille ... Endlich sagte David mit tiefbewegter Stimme: »Du bist nicht im Finstern, sondern bist blind!« – »Das kann nicht sein,« erwiderte Bakel, indem er sich anstrengte, seiner Fesseln frei zu werden; »Sie haben blo? kunstliche Finsternis geschaffen, um mich zu schrecken.« – »Nehmt ihm die Fesseln ab«, befahl Rudolf, »er mag aufstehen und gehen.« – Sein Befehl wurde ausgefuhrt. – Bakel sprang schnell auf die Beine, machte ein paar Schritte, die Hande vorstreckend, und sank im nachsten Augenblicke, die Arme gen Himmel erhebend, auf den Rollstuhl nieder. – »David, geben Sie ihm die Brieftasche!« – Als auch dieser Befehl ausgefuhrt worden, fuhr Rudolf fort: »In der Brieftasche findest du Geld genug, um bis zu deinem Lebensende an irgend einem kleinen, einsamen Orte Obdach und Unterkunft zu finden. Du bist jetzt frei. Geh und bereue! Der allgutige Gott ist barmherzig.«

»Blind!« wiederholte Bakel, mechanisch nach der Brieftasche greifend. »Also doch wahr?« – »Du bist frei«, sagte Rudolf, »du hast Geld – also geh!« – »Ich kann doch nicht«, erwiderte Bakel, von Schauder geschuttelt, »wie soll ich gehen? Ich sehe ja nicht mehr.« – »Fur deinen Unterhalt ist ja gesorgt. Wende deinen Ueberschu? von Kraft, den du nur brauchtest, Verbrechen zu uben, dazu an, eine Unterkunft zu finden. Fur Geld bekommt der Mensch ja alles.« – »O, man wird es mir stehlen«, schrie Bakel. – »Stehlen?« wiederholte Rudolf, »und wieviel hast du gestohlen? Empfinde nun, was die empfanden, denen du ihr Gut und Eigentum stahlest!« – »Um Gottes willen«, bat Bakel flehentlich, »lassen Sie mich von jemand fuhren. Wie soll ich uber die Stra?e kommen? Bringen Sie mich lieber um!« – »Nein!« rief Rudolf streng, »du sollst bereuen, und die Reue wird nicht ausbleiben.« – »Ich will nicht bereuen, nun und nimmer«, versetzte Bakel trotzig, »aber rachen will ich mich, rachen an allen, die mich geblendet haben!« Und wei?er Gischt trat ihm auf die Lippen; die Fauste ballend, mit den Zahnen knirschend, sprang er vom Stuhle auf. Aber schon beim ersten Schritte stolperte er ... »Es geht nicht«, jammerte er, au?er sich vor Wut; »ich kann nicht laufen; wohin soll ich die Fu?e setzen? Kein Mensch hat Mitleid mit mir.« – »Und mit wem hattest du es?« fragte Rudolf. – Da trat Schuri zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. – Bakel zuckte zusammen ... »Wer fa?t mich an?« rief er; »wer legt die Hand an mich?« – »Ich«, sagte Schuri. – »Wer bist du?« – »Schuri.« – »Willst du mich in eine Falle locken?« – »Ich bin kein schlechter Kerl, das wei?t du«, versetzte Schuri, »und werde dein Ungluck nicht ausnutzen. Komm mit! Wir wollen gehen. Es wird Tag.«

Rudolf konnte nicht langer Zeuge der weiteren Vorgange sein, sondern begab sich mit dem Negerarzte in ein anderes Zimmer, und auch die beiden Diener verschwanden. Schuri und Bakel blieben zusammen allein. – »Ists wahr, da? in der Brieftasche Geld ist?« fragte Bakel nach einer Weile. – »Ja, ich selbst habe funftausend Franks hineingelegt. Du sollst dich irgendwo in Pension geben und dein Leben in Ruhe und Reue beschlie?en. Naturlich kanns nur irgendwo auf dem Lande, bei bescheidenen Bauern, sein; oder soll ich dich zur Wirtin des Wei?en Kaninchens fuhren?« – »Nein. Die mauste mir doch alles und lie?e mich dann im Elend sitzen.« – »Oder zu Rotarm?« – »Da ware ich noch schlechter dran als bei der Wirtin, denn der Kerl vergiftete mich in wenigen Tagen, um sich meines Geldes zu bemachtigen.« – »Wohin aber dann?« – »Ich kanns nicht sagen,« erwiderte Bakel, »Schuri, du warst nie ein Dieb. Komm und steck mir die Brieftasche unter die Jacke, so da? ich sie nicht verlieren kann; da? die Eule sie auch nicht sieht, denn sie wurde mich ebenfalls plundern bis aufs Hemd!« – »Die Eule?« wiederholte Schuri, »die liegt im Spital, mit einem Denkzettel von mir, an dem sie zu knabbern haben wird.« – »Schuri! Was aber soll aus mir werden, was soll aus mir werden, nachdem ich geblendet bin? Und wenn ich nun hinter dem schwarzen Schleier, der mir vor die Augen gehangt ist, die Gestalten all derer sehe ..« – Und wieder schauderte es ihn. – »Schuri«, fragte er plotzlich, »was ist aus dem Manne von gestern abend geworden?« – »Er lebt.« – »So!« sagte Bakel dumpf, »also einer weniger! Schade, schade!« – Dann stutzte er sich auf Schuris Arm und verlie? das Haus in der Allee des Veuves.

Achtes Kapitel.

Isle Adam.

Vier Wochen waren verstrichen. In dem Stadtchen Isle-Adam, das freundlich am Ufer der Oise, ziemlich mitten im Walde gelegen ist, zerbrachen sich die Leute den Kopf, wer wohl das beste Metzgergeschaft im Orte gekauft habe, das bisher von der verwitweten Frau Dumont gefuhrt worden war. Es mu?te ein reicher Mann sein, hatte er doch den Laden vollstandig neu restaurieren lassen. Drei Wochen lang waren dort Arbeiter beschaftigt gewesen; quer durch den Laden ging ein messingnes Gitter, den Verkaufsstand vom Publikum scheidend; rechts und links vom Gitter standen gro?e Saulen, die zwei machtige Stierhaupter trugen, als Stutzen fur das Gesims, an dem die Firma befestigt wurde, die in gro?er Goldschrift auf schwarzem Grunde die Zeile zeigte:

Francoeur, Metzgermeister,

Verschlei? von Fleisch- und Wurstwaren.

Zwei Stunden nach Ladeneroffnung fuhr ein zierliches Korbwagelchen, von kraftigem Rappen gezogen, vor. Zwei Manner stiegen aus: Murph, der wieder hergestellt war, aber noch immer kreidebleich aussah, und Schuri, in dem anstandigen Anzuge, den er jetzt trug, gegen fruher gar nicht wiederzuerkennen. Auch sein Gesicht hatte sich ganz verandert: von der fruheren Roheit war keine Spur mehr darauf zu sehen.

Die beiden Manner traten in eine hubsche, mit Nu?baummobeln ausgestattete Stube, hinter dem Laden gelegen, deren Fenster auf den Hof hinaus gingen. Murph nahm eine Flasche aus dem Schranke und sagte: »Heute morgen ists frisch, Schuri, vielleicht ein Schnapschen gefallig?« – »Mit Verlaub, Herr Murph, ich werde keinen Schnaps trinken. Mich warmt die Freude uber diese gluckliche Wandlung meines Schicksals. Gestern haben Sie mich vom Flo?platze geholt, wo ich ja derb schuften mu?te, aber doch den Tagelohn redlich verdiente, den ich zu meinem Lebensunterhalte brauchte. Und dann holten Sie mich und gingen mit mir in einen Kleiderladen, kauften mir die schonen Sachen und bestellten mich vor das Tor Saint-Denis. Dort hielten Sie mit Ihrem Wagen, und nun sind wir hier!« sagte Schuri, in die Hande klatschend; »aber hier wohnt doch ein Metzger? Drau?en hackt doch ein Geselle Fleisch? Und was fur schones Fleisch liegt im Schaufenster und hangt im Laden? Wie erinnert mich das alles an meine Jugend! Ach, hatte ich werden konnen, wonach mir das Herz stand, dann ware ich nichts anderes im Leben geworden als Schlachter.«

Murph fuhrte ihn durch den Laden in den Stall, in welchem drei stattliche Ochsen und etwa zwei Dutzend Schafe standen. Dann in den Pferdestall, in den Schuppen, ins Schlachthaus, auf den Boden, kurz uberall im Hause umher. Ueberall herrschte die peinlichste Sauberkeit, uberall leuchtete der Wohlstand in die Augen; Murph fragte Schuri, ob er auch die oberen Stockwerke besichtigen wolle. – »Noch wei? ich nicht, was ich hier soll«, erwiderte Schuri, indem er sich scheu umsah; »soll ich hier als Gesell eintreten? Wenn dies der Fall ware, Herr Murph«, setzte er leise hinzu, »dann ware es doch notwendig, dem Meister ...« – »Nun, was meinen Sie?« fragte Murph, als Schuri stockte. – »Dann ware es doch notig«, wiederholte Schuri, »dem Meister zu sagen, da? ...« – »Nun, was denn?« fragte Murph wieder, »der Mann, der Ihnen Arbeit geben will, ist gerade oben.« – »Nun, ich mu?te ihm doch sagen – denn wenn es nachher herauskame, stunde ich doch als Lugner da – da? ich im Bagno – gesessen

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