habe!« – »Sie haben recht«, erwiderte Murph, »nun, so kommen Sie. Ich bin mit dem Manne bekannt und werde fur Sie bei ihm ein gutes Wort einlegen.«
Sie gingen zusammen die Treppe hinauf. Eine Tur offnete sich. Sie standen vor Rudolf ... »Murph, mein ewig getreuer Freund, la? uns ein paar Augenblicke allein!« – Dann wandte sich Rudolf an Schuri: »Nicht wahr, Murph hat dich uberall im Hause herumgefuhrt?« – »Jawohl, Herr Rudolf, es ist ein stattliches Haus und ein prachtiger Laden. Und das alles so nett und sauber! Herr Murph sagt, ich solle hier auf einen Tagesverdienst von vier Franks kommen. Nun, ich werde mir schon nichts zu schulden kommen lassen, um mir solche Gelegenheit nicht zu verscherzen.« – »Nun, lieber Schuri«, erwiderte Rudolf, »ich mochte Ihnen noch etwas anderes vorschlagen. Alles, was Sie hier in dem Hause sehen, auch das Haus selbst, soll Ihnen gehoren, und dazu noch die tausend Livres, die sich hier in der Brieftasche befinden.«
Auf Schuris Gesicht trat ein dummes Lacheln; er schob den langhaarigen Filzhut zwischen den Handen hin und her, ohne fur Rudolfs Worte, trotzdem sie an Deutlichkeit kaum zu wunschen lie?en, Verstandnis zu finden. Rudolf nahm wieder freundlich das Wort: »Ich sage Ihnen, da? alles, was Sie hier sehen, Haus und Inventar, Ihr Eigentum sein soll. Verstehen Sie? Ich habe dies alles fur Sie gekauft und mache es Ihnen zum Geschenk.«
Schuri kratzte sich verlegen hinter den Ohren und schlug die Augen nieder. Es war ihm nicht moglich, eine Antwort zu finden, denn wenn er auch recht gut horte, was Rudolf zu ihm sagte, so konnte er doch nicht fassen, da? so etwas moglich sein konnte, hatte er doch zeitlebens im Zustande der tiefsten Erniedrigung gelebt, und sich so im Handumdrehen in solch vollig andere Lebensverhaltnisse zu finden, war ihm ein Unding, wofur ihm auch als Gegenleistung fur den unendlich gro?en Dienst, den er Rudolf geleistet, der richtige Begriff abhanden blieb.
»Wie gesagt, Schuri, von jetzt ab sollen Sie hier Herr sein«, nahm Rudolf von neuem das Wort, »sollen hier schalten und walten als alleiniger Besitzer. Ich erwarte von Ihnen nichts weiter dafur, als da? Sie bestrebt sein werden, sich eines ehrenvollen Lebens als stadtischer Burger zu beflei?igen. Im ubrigen sind Sie mir durchaus nicht zu Dank verpflichtet, denn ich gebe Ihnen einzig und allein nach Verdienst.« – Schuri fand endlich die Sprache wieder ... »Wie, Herr Rudolf«, sprach er tief ergriffen, »weil Sie mich schlugen, ich wollte sagen, mich besiegten, was noch keinem, selbst dem Bakel, nicht gelungen war, erzahlte ich Ihnen, wie es mir in meinem Leben ergangen; und warum tat ich es? Weil ich Sie in Ihrem Arbeitskittel als einen von unsersgleichen hielt; und weil ich ferner zu Ihnen, was mir auch noch nie passiert war, eine aufrichtige Neigung im Herzen fuhlte, habe ich mich ein bi?chen getummelt, Ihnen, als Sie in gro?ter Lebensgefahr schwebten, beizuspringen. Das hatte ich ja schlie?lich fur einen andern Kameraden wohl auch getan, denn elend ersaufen la?t man doch kaum jemand! Und nun wollen Sie sich bei mir so nobel dafur abfinden? Wollen mir Haus und Hof und ein schones Schlachtergeschaft und obendrein bares Geld – und solch eine gro?e Summe – schenken? Das geht doch nicht an, Herr Rudolf! Das geht auf keinen Fall an!« – »Schuri«, versetzte Rudolf, »Sie erzahlten mir die Geschichte Ihres Lebens ungeschminkt, ohne mir die verbrecherischen Momente darin zu verhehlen oder nur zu beschonigen. Und das weckte Vertrauen bei mir, da? Sie noch fur die menschliche Gesellschaft nicht ganz verloren seien, da? Sie im Gegenteil noch als ein nutzliches Glied derselben gelten konnten, sobald Sie jemand fanden, der sich Ihrer mit Eifer und gutem Willen annahme. Ich habe Sie weiter beobachtet und aus verschiedenen Umstanden ersehen, da? meine Ansicht die richtige gewesen sei, und darum will ich Sie auch belohnen fur die edle Tat, die Sie an mir vollbracht haben, will Sie in die Lage setzen, als ehrlicher Burger und angesehener Handwerksmeister Ihr Leben zu beschlie?en. Aber was ich Ihnen sagen will, ist damit noch immer nicht erschopft.« –
»Und welche Loblieder«, fragte Schuri, der nun seinen Humor wiederfand, scherzend, »wollen Sie mir schlechtem Kerl noch weiter singen?« – »Schuri«, erwiderte Rudolf, »warest du wirklich ein schlechter Kerl, dann wurden wir jetzt einander nicht so gegenuberstehen, wie es der Fall ist. Du hast nicht blo? mir das Leben gerettet, sondern auch dem liebsten Freunde, den ich auf der Welt habe, Murph. Und weiter hast du aus Mitleid mit dem Unglucke desjenigen Menschen, der auch dir nach dem Leben gestellt hat, ihm Hilfe und Beistand angeboten und ihn in deine eigene armliche Wohnung, Notre-Dame Nr. 9, aufgenommen, hast ihn von dort nach Saint-Mande gebracht!«–»Allerdings, Herr Rudolf. Er bat mich, ihm einen Gurt zu kaufen, worin er sein Geld verwahren konne, und ihm alles Papiergeld in Silbergeld umzuwechseln. Den Gurt habe ich ihm auf den Leib genaht. In Saint-Mande hat er fur sein Leben taglich drei?ig Sous zu bezahlen, und den Leuten, bei denen er Unterkunft gefunden hat, ist es auch eine kleine Hilfe.«– »Freund Schuri, Sie mussen mir noch einen Gefallen tun«, sagte Rudolf.–»Und welchen, Herr Rudolf?« rief Schuri; »bitte, sprechen Sie, sprechen Sie!« – »Gehen Sie nach einigen Tagen zu ihm mit dem Attest hier und fuhren Sie ihn ins Spital zum heiligen Krispin. Dort wird er Aufnahme finden. Es ist bereits alles fur ihn ausbedungen gegen eine einmalige Einzahlung von 4500 Franks, die ihm Unterkunft auf Lebenszeit sichert. Dort braucht er also nur mit Reue und Bu?e sich zu befassen ... Nun aber tritt in deinen neuen Beruf, mein Lieber, und eroffne deine Metzgerei!«
Schuri stand ein paar Minuten lang da, wie vom Donner geruhrt. Er konnte das Gluck, das jetzt Wirklichkeit war, nicht fassen. Endlich sagte er mit tiefer Bewegung: »Herr Rudolf, ich danke Ihnen. Ein armer Mensch wie ich kann nicht viel Worte machen. Drum kann und mag ich nichts weiter sagen als: Nie im Leben werde ich hinfort einem Unglucklichen Hilfe und Beistand versagen, denn Not und Hunger sind wie die alten Weiber, die die arme Schalldirne verfuhrten, und nicht jeder besitzt, wenn er in den Schlamm gesunken ist, Kraft genug, sich wieder daraus emporzuarbeiten.« – »Schuri, du kannst deiner Dankbarkeit nicht bessern Ausdruck geben«, erwiderte Rudolf, »tritt naher! In diesem Sekretar findest du den Kaufvertrag uber dies Grundstuck und die darin seit uber vierzig Jahren betriebene Metzgerei. Der Kaufvertrag lautet auf den Namen Francoeur.« – »Francoeur?« wiederholte Schuri, indem er Rudolf wieder wie verblufft angaffte. – »Schuri,« erwiderte Rudolf, »du tragst keinen burgerlichen Namen mehr. Darum gebe ich dir den neuen Namen Francoeur. Ich bin uberzeugt davon, da? du ihm Ehre machen wirst.« – »Gnadigster Herr, ich gelobe es Ihnen«, antwortete Schuri, tief ergriffen. – »Ich werde mit Ihnen, lieber Herr Francoeur«, sagte Rudolf, »zu dem Burgermeister von Isle-Adam gehen, der Sie als Mitburger aufnehmen wird. Er ist ein ehrsamer Herr, ein Menschenfreund, der gern bereit sein wird, an meinem Werke mitzuarbeiten. Ich werde bei ihm fur Sie Burgschaft leisten und, um Sie gut im Orte einzufuhren, in Ihrem Namen eine Stiftung von tausend Franks monatlich fur die Ortsarmen auf zwei Jahre machen. Allmonatlich werde ich Ihnen diesen Geldbetrag einschicken, und im Verein mit dem Burgermeister und dem Ortsgeistlichen sollen Sie ihn zum Besten von Isle-Adam verwenden. Es wird also nur von Ihnen abhangen, sich die Achtung dieser beiden angesehensten Manner der Stadt und die Liebe ihrer Einwohner zu erwerben und zu sichern. Doch nun kommen Sie mit mir nach dem Schlachthause. Sie mussen mit Ihrem Gewerbe den Anfang machen, denn Ihr Laden will bedient sein, und Sie sollen mir zeigen, da? Sie Ihrem neuen Stande keine Unehre machen werden.« –
»Mohrenelement, Herr Rudolf«, rief Schuri, als sie zusammen den Stall betreten hatten, zog den Rock vom Leibe und streifte die Hemdsarmel auf. »Da werde ich ja wieder jung! Da sehe ich mich wieder als Gesell in dem Schlachthofe! Juchhe! Sie sollen sehen, wie mir die Arbeit von Handen geht!« Und er packte ein Schlachtmesser und ri? einen Hammel aus der Hurde. Rudolf verfolgte sein Verhalten mit angstlicher Spannung. Schuris Augen funkelten wild; mit einem Ruck hatte er das Tier in die richtige Stellung zwischen seine Beine gebracht, am Kopfe gepackt, ihm den Hals gestreckt und quer durchschnitten. Einen leisen Klageton von sich gebend, richtete das Tier sein brechendes Auge auf seinen Schlachter, wahrend sein Blut weit umher spritzte und des letzteren Gesicht traf. Der Eindruck, den das ihm von der Wange tropfende Blut auf Schuri machte, war furchtbar. Das Messer entfiel seiner Hand. Sein Gesicht gewann einen schrecklichen Eindruck. Die Augen traten aus ihren Hohlen. Das Haar stieg ihm zu Berge ... und mit einem Male sprang er entsetzt von dem verblutenden Tiere hinweg und schrie mit halberstickter Stimme: »Der Sergeant! der Sergeant!« wich, wie besessen, bis in den finstersten Winkel des Schlachthauses zuruck, stemmte sich mit Brust und Armen wider die Wand, wie wenn er sie in dem Bemuhen, einer grausigen Erscheinung zu entfliehen, einrennen mochte, und schrie in einem fort: »Der Sergeant! Der Sergeant!«
Es wurde Rudolf und Murph sehr schwer, ihn zu beruhigen, und erst nach einer langen Krisis fand er seine Ruhe wieder. Rudolf fuhrte ihn aus dem Schlachthause in die Wohnstube zuruck... »Herr Rudolf«, sagte hier Schuri zu seinem Wohltater, »soviel Liebe Sie mir auch erweisen wollen, so mu? ich doch sagen: Ich will lieber noch tausendmal elender und armer sein als ich war, statt ein Gewerbe zu betreiben wie das eines Schlachters. Ach, als ich das brechende Auge des armen Geschopfes auf mich gerichtet sah, da stieg mein Traumgesicht wieder vor mir auf; ich sah den Sergeanten und den jungen Rekruten vor mir, die meinem Dolche zum Opfer fielen und sich nicht verteidigen konnten. Heute habe ich es gespurt, da? ich den Anblick von Blut und Messer nicht mehr ertragen kann. Jedesmal, wenn ich ein Tier schlachten mu?te, kame dies Traumgesicht wieder uber mich, und wie lange mochte es dauern, so hatte ich all mein bi?chen Verstand eingebu?t! Nein, lieber blind wie Bakel, statt ein solches Gewerbe betreiben!«
Rudolf war tief ergriffen, aber froh des Eindrucks, den der Anblick von Blut auf seinen Schutzling gemacht