hatte. Einen Augenblick lang hatte der instinktma?ige Blutdurst, das tierische Element uber den Menschen in Schuri gesiegt. dann aber hatte die Reue den Sieg uber den Instinkt errungen. Das galt Rudolf als eine ideale, hehre Lehre. Er wandte sich an Schuri mit den Worten:

»Hatten Sie mein Anerbieten angenommen, lieber Francoeur, so waren Sie Herr uber dies Haus und diesen Hof und dieses eintragliche Geschaft gewesen; ich hatte damit eine Schuld getilgt, die mich mein Leben lang verfolgt hatte, ware sie auf mir lasten geblieben. Aber ich sehe ein, da? jeder Anblick von Blut Sie an das Verbrechen erinnert, das Ihre Seele bedruckt, denn noch ist die Reue nicht in Ihrem Herzen erstorben, und darum meine ich auch jetzt, ein solches Gewerbe, wie ich es Ihnen als Belohnung bieten zu sollen meinte, ware Ihnen zur schlimmen Strafe geworden. Darum will ich Ihnen einen anderen Vorschlag machen. Ein Grundherr in Algier hat mir ein gro?es Stuck Land abgetreten, auf welchem eine Meierei mit Viehzucht errichtet werden soll. Der Grund und Boden ist sehr fruchtbar, der Mann aber, der das Unternehmen betreiben will, mu? sowohl Soldat als Landwirt sein, denn das Stuck Land liegt an der Grenze des von Frankreich besetzten Gebietes. Zurzeit wird es im Auftrag des Besitzers von einem Manne verwaltet, der Ihnen uber alles, was Ihnen dortzulande zu wissen not tut, die notige Aufklarung geben wird. Es ist ein braver, resoluter Mann, den Sie so lange bei sich behalten konnen, als Ihnen notwendig erscheint. Dort werden Sie, wenn Sie sich erst einmal eingerichtet haben, schnell zu Wohlstand gelangen, au?erdem Ihrem Vaterlande durch Ihren Mut und Ihre Starke von gro?em Nutzen sein konnen, denn bei Ihren Kenntnissen als Soldat wird es sich sozusagen von selbst fugen, da? Sie an die Spitze der an der Grenze liegenden Pachthofe treten und aus ihrer Bewohnerschaft eine Truppe bilden, die Ihr tapferer Sinn bald zu heroischen Taten elektrisieren wird. Wenn Ihnen mein zweites Anerbieten willkommener ist als das erste, so kann schon morgen alles in Ordnung sein. Die Urkunden, die Sie als Besitzer des Stuckes Land in Algier legitimieren, brauchen nur unterzeichnet zu werden; die Meierei bringt jetzt dreitausend Franks Reingewinn, den Sie durch Arbeit und Sparsamkeit leicht auf das Doppelte bringen konnen; also sagen Sie mir, wie Sie uber diesen weiteren Vorschlag denken.«

Die Freude Schuris, uber dessen Charakter und Neigungen der Leser ja nicht mehr im Zweifel ist, brauche ich nicht zu schildern. Am andern Tage schon war er unterwegs nach Algier.

Neuntes Kapitel.

Nachforschungen.

Rudolfs standige Wohnung war nicht das Haus in der Allee des Veuves, sondern einer der vornehmsten Palaste in der Vorstadt Saint-Germain am Ausgange der Rue Plumet. Bei seiner Ankunft in Paris hatte er, um den ihm als Souveran zustehenden Ehren aus dem Wege zu gehen, durch seinen Geschaftstrager bei dem franzosischen Hofe die Erklarung abgeben lassen, da? er als Graf von Duren zu leben beabsichtige. Aber dieses ubrigens ziemlich durchsichtige Inkognito schlo? nicht aus, da? er ein ziemlich gro?es Haus fuhrte.

In einem gro?en Zimmer des Erdgeschosses sa? um die zehnte Stunde Murph an einem Sekretar und versiegelte verschiedene Depeschen. Da ri? ein schwarzkostumierter Huissier, der eine silberne Kette um den Hals trug, die beiden Flugel der aus dem Vorzimmer zu diesem Privatkabinett Rudolfs fuhrenden Tur auf und meldete Seine Exzellenz den Herrn Baron von Graun. – Murph begru?te, ohne sich in seiner Arbeit storen zu lassen, den eintretenden Herrn durch einen kordialen Handedruck ... »Warmen Sie sich ein bi?chen, Herr Botschafter«, sagte er verbindlich, »ich bin im Moment zu Ihren Diensten.« –

»Sir Walter Murph, Geheimsekretar Seiner durchlauchtigsten Hoheit«, erwiderte frohgelaunt der Baron, ein Mann im funfzigsten Jahre, mit dunnem, grauem, leicht gepudertem Haar, dessen Gesicht Schlauheit, dessen Haltung den vornehmen Herrn verriet, »soll ich warten, bis Hoheit aufgestanden sind? Oder soll ich ihm die Nachrichten, die ich fur ihn habe, auf der Stelle ubermitteln?« – »Nein, mein lieber Baron«, erwiderte Murph, »Hoheit haben befohlen, ihn vor zwei Uhr nachmittags nicht zu wecken. Sagen Sie mir also, was fur Nachrichten Sie bringen. Sobald Hoheit aufgestanden sind, werde ich sie ausrichten.« – »Die letzten Depeschen, die ich Seiner Hoheit uberbringen konnte«, begann Exzellenz Graun – ... »meldeten«, fiel Murph ihm ins Wort, »da? druben alles gut gehe.« –

»Es ist auch in der Tat nur eine Stimme uber die kluge, feste Verwaltung unseres interimistischen Regenten. Freilich liegen auch die Dinge recht einfach«, bemerkte der Baron, »war doch das Uhrwerk ausgezeichnet und von unserm Herrn und Gebieter ausgezeichnet geregelt, brauchte also nur regelma?ig aufgezogen zu werden, um tagtaglich Stunde fur Stunde anzuzeigen.« – »Und hier, lieber, Baron, gibts gar nichts Neues?« fragte Murph; »ist wirklich nichts ruchbar geworden? All unsre geheimnisvollen Abenteuer ...« – »... sind nach wie vor fur jedermann Geheimnis«, erganzte Exzellenz den Satz; »man hat sich seit der Ankunft von Hoheit am Pariser Hofe daran gewohnt, ihn nur selten zu sehen, und glaubt, er liebe die Einsamkeit, mache vielleicht auch recht viel Ausfluge in unsere schone Umgebung. Niemand als die Grafin Sarah Mac Gregor und ihr Bruder Tom Seyton of Halesbury und Charles wei? etwas von den Verkleidungen Seiner Hoheit. Aber keine von diesen drei Personen hat das geringste Interesse, etwas daruber verlauten zu lassen.« – »Ein recht, recht gro?es Ungluck, lieber Baron«, sagte Murph, »da? diese liebe Grafin jetzt Witwe geworden.« – »Sie hatte sich doch 1827 verheiratet?« – »Ganz recht, kurz nach dem Tode des unglucklichen Madchens, das jetzt sechzehn oder siebzehn Jahre alt ware, und das Seine Hoheit noch immer beweint, wenn auch nicht mehr von ihm gesprochen wird.« »Die Trauer uber diesen Verlust la?t sich um so leichter erklaren, als Seiner Hoheit Ehe kinderlos geblieben ist.« – »Daher erklart sich wohl auch das Interesse, das Seine Hoheit an dem armen Madchen nimmt, das unter dem Namen Schalldirne von ihm aufgefunden wurde, und das mit seiner so schmerzlich beklagten Tochter im gleichen Alter steht.« – »Es ist wirklich eine ungluckliche Schicksalsfugung, da? jene Sarah, von der man fur alle Zeit befreit zu sein glaubte, gerade anderthalb Jahre nach dem Tode der trefflichen Gemahlin Seiner Hoheit wieder auftaucht. Die Grafin sieht sicher diesen doppelten Witwenstand fur eine Gunst des Schicksals an.« – »Und ihre ma?losen Hoffnungen leben von neuem auf, trotzdem sie recht gut wei?, welch tiefe Abneigung Seine Hoheit gegen sie im Herzen fuhlen. Gott gebe, da? sie nicht neues Ungluck uber uns bringe! Stehen wir doch gerade in jenem grauenvollen Monate und nicht mehr weit vom 13. Januar. An diesem gra?lichen Tage beschleicht mich immer Furcht, da? unserm gutigen Herrn ..«

»Aber ich sagte Ihnen doch schon, da? Grafin Sarah die torichtsten Plane verfolgt, seitdem der Tod jenes armen Madchens das letzte Band zerrissen hat, das unsern Herrn noch an sie fesseln konnte. Verharrt sie bei ihren Hoffnungen, so mu? sie tatsachlich von Sinnen sein.« – »Und wenn sie es ist, dann ist sie nur um so gefahrlicher«, erwiderte Murph, »ihr Bruder teilt, wie Ihnen ja bekannt ist, die ehrgeizigen Neigungen der Schwester, trotzdem wohl Ursache genug vorhanden ware, beide davon zu bekehren.« – »Es war doch ein bitteres Ungluck, das vor achtzehn Jahren durch den teuflischen Abbe Polidori angezettelt wurde.« – »Seit einem Jahre soll sich der Schurke in gro?er Armut befinden, wieder hierherum sich aufhalten und den Lebensunterhalt durch den Betrieb einer hochst verwerflichen Industrie gewinnen.« – »Welch ein tiefer Fall fur einen Mann von so umfassenden Kenntnissen, von solchem Geist und solcher Klugheit!« – »Aber mit einem so bosen Herzen! – Gebe Gott, da? er der Grafin Wege nicht kreuzt, denn von einer Verbindung dieser beiden bosen Geister hatten wir die gro?ten Gefahren zu befurchten. Ein Gluck, da? Sie mir, wie Sie sagen, beruhigende Nachrichten bringen – Nachrichten, die auf den von dem Rauber Bakel und seiner Genossin, der Eule, gegebenen Auskunften beruhen.«

»Hier sind die diesbezuglichen Papiere«, sagte der Baron, »die uns uber die Herkunft des unter dem Namen der Schalldirne bekannten Madchens unterrichten, wie auch uber den dermaligen Aufenthalt von Francois Germain, dem Sohne des unter dem Namen Bakel bekannten Raubers.« – »Es ware mir lieb, wenn Sie mir diese Auskunfte vorlesen wollten«, sagte Murph, »ich wei?, welche Absichten Seine Hoheit verfolgt, vermag also zu beurteilen, ob die Auskunfte, die Sie bringen, ausreichend sind oder nicht. Mit Ihrem Geschaftstrager sind Sie doch noch immer zufrieden?« – »Er ist ein verstandiger und verschwiegener Mann«, erklarte der Baron, »hin und wieder ist es gut, ihm einen Dampfer aufzusetzen, denn gewisse Aufklarungen – das wissen Sie ja – behalt sich unser Herr selbst vor.« – »Und welchen Anteil Seine Hoheit an dem allen nimmt, beziehungsweise hat, ist ihm noch immer nicht bekannt?« – »Nein. Meine diplomatische Stellung dient mir als guter Vorwand fur die Erkundigungen, mit denen ich ihn beauftrage. Sein Name ist Badinot. Er hat viele Unteragenten und ist mit fast allen Klassen der Gesellschaft in enger Beziehung. Er war fruher Rechtsanwalt, bu?te aber seine Praxis wegen verschiedener Unregelma?igkeiten in seinen Amtsgeschaften ein, ist aber naturlich noch immer uber die finanziellen und gesellschaftlichen Verhaltnisse der meisten seiner Klienten unterrichtet. Er ist ja kein schlimmer Mensch, lieber

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