Murph, aber eine jener geheimnisvollen Existenzen, wie sie eben nur in Paris moglich sind. Aber befassen wir uns doch mit den Nachweisen, wie ich sie nach Badinots Berichten zu Papier gebracht habe.« – »Gewi?, lieber Baron!« erwiderte Murph, »ich bin ganz Ohr.« – Und Exzellenz von Graun las, wie folgt:

» Ausweis uber Marienblumchen. – Zu Anfang des Jahres 1827 hat ein gewisser Peter Tournemine, im Bagno zu Rochefort als Falscher interniert, der unter dem Spitznamen »Eule« bekannten Frau Gervais gegen eine einmalige Vergutung von eintausend Franks ein Madchen im Alter von 5–6 Jahren in Pflege gegeben. Das Kind blieb zwei Jahre bei der Frau, ist aber dann, weil es die schlimme Behandlung der bosen Frau nicht mehr ertragen konnte, spurlos verschwunden. Erst vor etwa sechs Wochen hat es ein Zufall gefugt, da? die Eule den Aufenthalt des Madchens entdeckte. Unter dem Namen Schalldirne fand sie es in einer Winkelschenke von Alt-Paris wieder. Kurz vorher hatte besagter Tournemine, der mit dem anderen Bagnostrafling Bakel in Rochefort bekannt geworden war, einem Manne namens Rotarm, der mit allen Straflingen Verkehr unterhalt, ein ausfuhrliches Schreiben uber das Kind behandigt, woraus hervorgeht, da? Tournemine im Auftrage einer Frau Seraphim, Haushalterin eines Notars Jules Ferrand, die Eule als Kinderpflegerin ausfindig gemacht hat. Rotarm sollte nun diese Frau Seraphim tuchtig schropfen. Hierbei trat jedoch zu Tage, da? sie lediglich vorgeschobene Person von besser und hoher gestellten Leuten gewesen ist. Rotarm hatte nun die Eule, die seit langem Genossin Bakels war, von dem Inhalte des Schreibens unterrichtet. Durch Bakel war nun die Kenntnis davon zu Rudolf gelangt, und dieser hatte Erkundigungen uber Frau Seraphim und den Notar Ferrand einziehen lassen. Man hatte festgestellt, da? letzterer in der Rue du Sentier Nr. 14 seine Wohnung hatte, als sittenstrenger, au?erst sparsamer und frommer Mann galte, und da? Frau Seraphim noch immer bei ihm in Dienst ware, wie auch, da? er ohne Frage Auskunft uber die Geburt des unter dem Namen der Schalldirne bekannten Madchens durfte geben konnen.«

»Sehr schon, Herr Baron«, sagte Murph, als Exzellenz Graun hiermit schlo?, »ich bezweifle nicht, da? Tournemines Aussagen auf Wahrheit beruhen. Wie aber steht es mit Bakels Sohne?« – Baron Graun gab nun nachstehende Mitteilungen uber Francois Germain: »Vor etwa anderthalb Jahren kam ein junger Mensch, Francois Germain mit Namen, aus Nantes, wo er in der Bankfirma Noel & Co. angestellt gewesen war, nach Paris. Hier hatte er, wie dem Leser schon bekannt ist, durch einen Mitschuldigen Bakels zu dem Zwecke Anstellung gefunden, den beiden Raubern als Spion zu gelten. Solches Ansinnen hatte der Jungling aber mit Entrustung zuruckgewiesen, vielmehr seinen Chef von den Planen, die gegen ihn geschmiedet wurden, unterrichtet und Nantes in aller Stille den Rucken gewandt, um sich vor der Rache der beiden Verbrecher in Sicherheit zu bringen. Sobald diese von Germains Verhalten Lunte bekommen, hatten sie Rotarm zu Rate gezogen und mit dessen Hilfe Germains habhaft zu werden gesucht, weil sie durch ihn weiteren Verrat furchteten. Zwar war es ihnen gelungen, Germains Aufenthalt zu ermitteln, Germain hatte aber vom Fenster aus Bakels Mitschuldigen vor seinem Hause auf und ab gehen sehen und es fur geraten gehalten, den beiden Schurken zuvorzukommen. Das war ihm gegluckt, und so hatten die Schurken abermals das Nachsehen.

Vor sechs Wochen hatten sie aber ausgekundschaftet, da? er in der Rue du Temple Nr. 17 seine Wohnung hatte, und wenig fehlte, so fiel er ihnen eines Abends auf dem Nachhausewege in die Hande. Hiervon hatte Bakel nichts gesagt, als Rudolf ihn verhorte. Germain wu?te, von welcher Seite dieser abermalige Angriff gegen ihn erfolgt war, und wechselte abermals seine Wohnung. So standen nun die Dinge, als Bakel durch Rudolf seine Strafe erhielt. Hier hatten nun die von Rudolf angeordneten Nachforschungen eingesetzt, die folgendes ergeben hatten:

In der Rue du Temple habe Germain etwa ein Vierteljahr gewohnt und sich in der ganzen Nachbarschaft eines sehr guten Leumunds erfreut. Aber wo er sich jetzt aufhalte, daruber konnte allein ein junges Madchen, »Lachtaube« genannt, eine niedliche Grisette, die mit Germain auf bestem Fu?e stande und mit »Marienblumchen« zusammen im Gefangnisse gesessen habe, Auskunft geben.« – Als der Baron hier eine Pause machte, nahm Murph das Wort ... »Wir sind noch immer nicht zu Ende, Exzellenz«, sagte er, »wissen Sie schon, wie es sich mit dem Marquis von Harville verhalt?« – »Ja«, antwortete der Baron, »und wenigstens in finanzieller Hinsicht sind die Befurchtungen Seiner Hoheit grundlos. Badinot behauptet, die Verhaltnisse Harvilles seien nie besser und geordneter gewesen als momentan.« – »Hoheit meinte, das Gegenteil musse der Fall sein, und ware dem Marquis in diesem Falle mit dem Ihnen ja bekannten Zartgefuhl naher getreten. Nun wird er sich freilich darein finden mussen, davon Abstand zu nehmen; aber bedauern wird er es, dessen seien Sie versichert.« – »Dessen brauchen Sie mich doch wahrlich nicht zu versichern«, antwortete der Baron, »hat doch Hoheit nie vergessen, was sein Vater dem Marquis zu verdanken gehabt hat. Sie wissen, da? mein Vater 1815, als die politischen Verhaltnisse der europaischen Machte neu geordnet wurden, nahe daran war, seines Landes verlustig zu gehen, und da? der Marquis, der sehr viel bei dem Zaren Alexander galt, meinem Vater die wichtigsten Dienste leistete, um ihm Land und Herrschaft zu erhalten.« – »Seltsam, wie sich gute Handlungen zuweilen aneinanderfugen! Harvilles Vater war 1792 des Landes verwiesen worden und fand nun beim Vater Seiner Hoheit die gastfreundlichste Aufnahme, reiste nach dreijahrigem Aufenthalt an unserm Hofe nach Ru?land und konnte durch Alexanders Gunst dem Fursten den Dank fur dessen Freundschaft sehr schnell abstatten.« – »Aus dem Jahre 1815 datiert wohl auch die Freundschaft zwischen dem damaligen Prinz Rudolf und dem jungen Harville?« – »Ganz recht, und beide erinnern sich der glucklichen Zeit ihrer Jugend mit lebhafter Freude. Aus dem Grunde hat auch die arme Madame Georges sich des Wohlwollens Seiner Hoheit in so gro?em Ma?e zu erfreuen.« – »Madame Georges? Duresnels Frau?« rief der Baron verdutzt, »die Frau des als Bakel bekannten Verbrechers? Ist die Frau denn mit Harville verwandt?« – »Sie ist die Cousine seiner Mutter und war mit ihr eng befreundet, geno? auch das Wohlwollen des alten Marquis.« – »Aber wie konnten Harvilles in eine Heirat mit solchem verbrecherischen Menschen wie diesem Duresnel willigen?« – »Ihr Vater, ein Herr von Lagny, war vor dem Ausbruch der Revolution in Languedoc Verwalter der Staatsmagazine und im Besitz eines sehr bedeutenden Vermogens. Es gelang ihm, sich der Landesverweisung, die uber den gesamten Adel von Frankreich verhangt wurde, zu entziehen. Als im Lande wieder einigerma?en Ruhe herrschte, hielt Duresnel um die Hand von Lagnys Tochter an. Lagny wollte seine Tochter versorgen, und da Duresnel einer sehr guten Familie entstammte, auch ein gro?es Vermogen besa?, schien der Tochter das gro?te Gluck zu winken. Aber sehr bald offenbarte sich der wahre Charakter dieses Menschen, der ein Verschwender und leidenschaftlicher Spieler war und die arme Frau in das tiefste Ungluck sturzte. Binnen wenigen Jahren hatten die ma?losen Ausschweifungen des Mannes sein und seiner Frau Vermogen verschlungen; Duresnel verfiel, um Geld zu machen, dem Verbrechen in die Arme, beging erst Falschungen, dann Diebstahle und Raubereien und wurde zuletzt zum Morder. Der Krug ging auch bei ihm nur solange, bis er zerbrach. Er wurde verhaftet und zu lebenslanglichem Bagno verurteilt, wahrend seine arme Frau in Not und Elend geriet.« – »In dieser traurigen Lage wendete sie sich doch an die Marquise von Harville, ihre beste Freundin und Blutsverwandte?« – »Die Marquise war schon einige Zeit vor Duresnels Verurteilung dahingeschieden. Zu ihren Angehorigen zuruckzukehren, litt des armen Weibes Scham nicht, aus diesem Grunde nahm sie auch den Namen Georges an. Dagegen offenbarte sie sich dem Herrn Harville als dem Sohne ihrer besten Freundin, und durch ihn lernte unsre Hoheit ihn kennen. Dabei erfuhr Hoheit das verwandtschaftliche Verhaltnis, in welchem Frau Georges zu der Familie Harville steht?« – »Jawohl. Hoheit lernte die Frau bald recht gut kennen und nahm sich ihrer aufs edelste an, kaufte die Meierei Bouqueval fur sie, hat aber, weil er seine Wohltaten, wie Sie wissen, nicht gern an die gro?e Glocke hangt, mit Herrn Harville bis jetzt noch kein Wort daruber gesprochen. In Bouqueval lebt jetzt auch das unter den Namen Marienblume und Schalldirne bekannte Madchen.« – »Nun finde ich Verstandnis fur das doppelte Interesse, das Seine Hoheit an der Auffindung des Sohnes dieser armen Frau hat.« – »Wie steht es denn eigentlich um diese Grafin Mac Gregor?« – »Vor etwa siebzehn Jahren fuhrte ein unglucklicher Zufall den Vater des Marquis mit Sarah Seyton of Halesbury zusammen in eine Gesellschaft, die beim englischen Botschafter gegeben wurde. Der alte Herr gab ihr, als sie mit ihrem Bruder Tom Deutschland bereiste, Empfehlungsschreiben an den Vater Seiner Hoheit mit, mit dem er in Korrespondenz stand. Ware dieser Fall nicht eingetreten, so ware wohl manches Ungluck erspart geblieben, denn Hoheit hatten dann dieses Weib uberhaupt nicht kennen gelernt. – Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich der Depesche, jenes andere teuflische Geschopf betreffend: Cecily, die unwurdige Gattin des ehrenwerten David.« – »Unter uns gesagt, lieber Murph,« erwiderte der Baron, »diese verwegene Mestize hatte langst dieselbe Strafe verdient, die Hoheit an Bakel hat vollstrecken lassen.« – »Ja, sie hat Blut genug vergossen, diese ausgefeimte und doch so schone, verfuhrerische Sunderin! Mich packt immer ein ma?loser Schauder, wenn ich in einem schonen Korper eine verderbte Seele finde.« – »Hoheit bestehen also noch immer darauf, da? wir ihr zur Flucht aus der Feste verhelfen, in der sie auf Lebenszeit interniert worden?« – »Ja, und die Depesche, die ich heute fruh, kurz vor Ihrem Eintritt erhielt, befiehlt, Cecilys Flucht so rasch wie moglich zu bewirken, uberhaupt alles so einzurichten, da? sie in knapp vierzehn Tagen hier sein kann.« – »Ich verstehe das nicht. Durchlaucht zeigen doch immer so gro?e Abneigung vor ihr.« – »Vermindert hat sie sich bestimmt nicht.« – »Und doch soll sie

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