Rauber erblickte. Es war von blaulichen Narben der Kreuz und Quere zersetzt; durch das Vitriol waren die Lippen dick aufgetrieben, die Nase war quer durchschnitten so da? an ihrer Stelle blo? zwei ha?liche Locher sichtbar waren. Ueber ihnen funkelten zwei hellgraue, kleine, runde Augen wie ein Paar Luchsaugen. Eine flache, tigerartige Stirn war uber die Halfte verdeckt von einer fuchsroten, langhaarigen Pelzmutze.
Bakel war nur weniges uber funf Fu? hoch. Sein uberma?ig dicker Kopf steckte zwischen breiten, machtigen Schultern. Lange, muskulose Arme, kurze, bis an die Fingerspitzen behaarte Hande und auswarts gebogene Beine vollendeten die Ha?lichkeit dieses Menschen. – Das Weib, das an seiner Seite die Kaschemme betrat, war schon alt, ziemlich reinlich gekleidet, hatte ein grunes, rundes Auge, eine Hakennase, schmale Lippen, vorspringendes Kinn und ein Gesicht von ma?loser Bosheit und Pfiffigkeit. Es weckte unwillkurlich die Erinnerung an das einer Eule. Rudolf sah sie scharf von der Seite an. Mit stummem Entsetzen hatte die Schalldirne dies Weib gesehen. Zitternd vor Angst ruckte sie zu Rudolf und flusterte: »Die Eule! – Mein Jesus! die Eule! Die Einaugige!«
Bakel trat an den Tisch, an dem Rudolf mit der Schalldirne und Schuri im Gesprach sa?en, und mit rauher, hohler Stimme, die wie ein Tigergeheul sich anhorte, sagte er zu dem Madchen: »Heda, Blondchen, la? die beiden allein mit sich fertig werden und ruck zu mir heran!« –
Das Madchen gab keine Antwort, sondern ruckte noch naher an Rudolf heran. Die Zahne schlugen ihr vor Angst aufeinander ... »Ich – ich werde nicht eifersuchtig werden«, sagte die Eule, indem sie das Gesicht zu einer schrecklichen Fratze verzog. Noch hatte sie ihr einstiges Opfer, »den Balg«, nicht wiedererkannt. – »Na, Dirndl«, rief der schreckliche Mensch, »hast keine Ohren? He?« Und er trat ihr um einen Schritt naher ... »Kommst Du nicht gutwillig, so schlag ich dir ein Auge aus dem Kopfe, da? du aussehen sollst wie meine Eule hier. Und du, Schlankerl mit dem schneidigen Schnauzer, langst du mir die Dirne nicht auf der Stelle uber den Tisch heruber, so kriegst du es mit mir zu tun!« Die Hande vor das Gesicht schlagend, rief das Madchen: »Ach Gott, Herr Rudolf, schutzen Sie mich! Schutzen Sie mich!« – »Nur ruhig, Kind, nur ruhig!« versetzte Rudolf, dem ha?lichen Kerl unerschrocken in die Augen starrend; »wenn dir der Mensch da so zuwider ist, werde ich ihn zum Tempel hinausschmei?en.«
Bakel ma? Rudolf mit einem Blicke ma?loser Verachtung ... »Du?« fragte er, den Ton langziehend. – »Ja, ich«, versetzte Rudolf und stand, der Bemuhungen des Madchens, ihn zuruckzuhalten, nicht achtend, vom Tische auf.
Bei dem schrecklichen Ausdruck, den Rudolfs Gesicht annahm, wich Bakel unwillkurlich einen Schritt zuruck; auch dem Madchen und dem Schuri fiel der ma?lose Ausdruck von Wut und Bosheit auf der Stelle auf, der die edeln Zuge ihres jungen Gefahrten plotzlich entstellte, und ihn ganz unkenntlich machte. Beim Kampfe mit Schuri hatte er nur Spott und Hohn gezeigt; Bakel gegenuber schien ihn jedoch ein so wilder Ha? zu packen, da? ihm die Pupillen schier aus den Hohlen traten. Rudolf besa? jenen magnetischen, durchdringenden Blick, der Entsetzen erregt und jeden, auf den er sich richtet, fasziniert, so da? er den Blick nicht abwenden kann. Bakel zitterte, wich einen weiteren Schritt zuruck und fuhr mit der Hand unter die Bluse. Er hatte das Vertrauen zu seiner Starke verloren und suchte Hilfe bei seinem Dolche ... Wahrscheinlich hatte ein Mord die Kaschemme mit Blut getrankt, ware die Eule nicht Bakel in den Arm gefallen ...
»Eine Sekunde, Morderchen! Eine Sekunde! Die bei ihm sitzt, ist, wei? der Teufel! mein Balg, meine Johre, die mir Gerstenzucker mauste, statt ihn zu verkaufen! ... Luderchen! Wo hast du denn gesteckt die lange Zeit uber? Na, siehst, du kommst mir doch immer unter die Finger, Krote! Aber angstige dich weiter nicht. Einen Zahn werde ich dir ja nicht wieder ausrei?en, aber Tranen will ich dir aus deinen schonen Augen locken, da? sie grun und blau werden sollen. Und schwarz argern sollst du dich uber mich! Denk dir, Johre, jetzt wei? ich, wer dich in die Welt gesetzt hat. Im Bagno hat Bakel den Kerl getroffen, der dich zu mir brachte, als du noch ein ganz klein Puppchen warst. Denk dir nur, Johre, Vater und Mutter von Dir sind reiche Leute.« – »Was? Ihr kennt meine Eltern?« rief das Madchen. – »Ja, mein Mann wei?, wer deine Mutter ist. Aber ehe ich leide, da? ers dir sagt, rei? ich ihm die Zunge aus. Er ist erst gestern noch mit dem zusammen gewesen, der dich zu mir brachte. Erst warst du bei seiner Frau, aber sie bekam kein Geld mehr fur dich. Deine Mama hat sich namlich nicht viel aus dir gemacht. Die hatts am liebsten gesehen, du warest schnell gestorben. Aber der Mann, der dich zu mir gebracht hat, hat alle Ausweise uber dich, sogar Briefe von deiner Mutter, und wenn er davon keinen Gebrauch macht, na, so hat er seine guten Grunde dazu. Aber flenne, soviel du willst, wer deine Mutter ist, erfahrst du ganz sicher nicht.«
»Besser auch«, sagte das Madchen, eine Trane aus den Augen wischend, »meine Mutter halt mich fur tot.«
Rudolf hatte Bakel ganz vergessen uber den Reden der Frau, und Bakel, als er sich nicht mehr unter der faszinierenden Gewalt von Rudolfs Blicken befand, war der Schwache, die ihn befallen hatte, wieder Herr geworden. Da? der schmachtige Mensch daran denken konnte, sich mit ihm im Kampfe zu messen, wollte ihm nicht in den Sinn kommen, und im Vertrauen auf seine Riesenkraft trat er wieder zu dem Madchen und rief der Eule grob zu: »Genug nun mit den Reden! Wenn du nicht herkommst, Madel, dann zerfetze ich deinem jungen Laffen seine Fratze, damit ich dir noch schoner vorkomme, als er.«
Mit einem einzigen Satze war Rudolf uber den Tisch hinuber. Bakel stellte sich in Fechtpositur, den Oberkorper zuruckgeneigt und die beiden Arme vor sich hinstreckend, wahrend er sich auf das eine seiner wuchtigen Beine wie auf einen Pfeiler stutzte. Eben als Rudolf sich uber ihn hersturzen wollte, ging die Tur der Kaschemme auf, und der Kohlentrager, ein Mann von fast sechs Fu? Hohe, trat rasch herein, schob den Meister Bakel beiseite, trat zu Rudolf heran und sagte diesem auf englisch ins Ohr: »Gnadiger Herr! Tom und Sarah warten am Ende der Stra?e.« – Rudolf machte, als er die Worte horte, eine zornige Bewegung und warf einen Louisdor auf den Tisch. Dann rannte er zur Tur hin. Bakel wollte sich Rudolf in den Weg stellen. Rudolf aber versetzte ihm ein paar Faustschlage ins Gesicht, da? ihm Horen und Sehen verging. Wie betaubt wankte er zuruck und sturzte mit halbem Leibe uber den Tisch hin. Minuten vergingen, bis er sich wieder fassen konnte. Als er aber Rudolf hinter her rannte, war derselbe mit dem Kohlentrager schon im Stra?engewirr verschwunden. Von der anderen Stra?enseite her traten zwei Manner in die Kaschemme, fast au?er Atem, wie von langem und schnellem Laufe. Als Bakel zuruckkehrte, sah er noch, wie sich die beiden Manner in der Kaschemme verblufft umsahen. Dann sagte der eine: »Gra?lich! Gra?lich! Abermals ist er uns entgangen« – »Geduld, Geduld!« sagte der andere, »jeder Tag ist vierundzwanzig Stunden lang, und ein Menschenleben wahret, wenn auch nicht ewiglich, doch lange genug, um eine gestellte Aufgabe zu erfullen.« Die beiden Manner redeten in englischer Zunge.
Sechstes Kapitel.
Tom und Sarah
Der eine der beiden Manner, die einer weit hoheren Klasse angehorten, als die in der Kaschemme verkehrten, war gro? und lang, hatte fast wei?es Haar, aber schwarze Brauen und schwarzen Backenbart, dazu ein knochiges Gesicht und ein strenges, hartes Aussehen. An dem runden Hute, den er in der Hand hielt, war ein schwarzer Flor befestigt. Sein langer, schwarzer Rock war bis unter das Kinn zugeknopft. Ueber engen braunen Tuchhosen trug er lange Stiefel. An Haltung, Wuchs und zartem Korperbau erkannte man leicht eine Dame in Mannertracht.
»Tom,« sagte Sarah auf englisch, »fordern Sie etwas zu trinken und erkundigen Sie sich bei den Leuten nach ihm!« – »Jawohl, Sarah«, versetzte der Mann mit dem wei?en Haar und den schwarzen Brauen. In fast reinem Franzosisch ersuchte er sodann die Wirtin um einen guten Trunk.
Der Eintritt der beiden Personen hatte in der Gaststube gro?es Aufsehen erregt, lie?en doch ihre Kleidung und ihr Auftreten sofort erkennen, da? sie gemeinhin nicht an solchen Orten verkehrten, wahrend anderseits ihre unruhigen, besorgten Mienen mutma?en liehen, da? sie durch wichtige Grunde hierher gefuhrt worden waren. Schurt, Bakel und Eule lie?en keinen Blick von ihnen. Das unter dem Namen Schalldirne dem Leser bekannte Madchen, erschreckt durch die Begegnung mit der Eule, wie durch die Drohungen Bakels, sie mit sich zu nehmen, hatte die Zeit wahrgenommen, um unbemerkt durch die halboffene Tur zu verschwinden. – Die Wirtin stellte eine Flasche auf den Tisch. Tom warf ein Hundertsousstuck auf den Tisch, weigerte sich, das Geld zu nehmen, das ihm die Wirtin darauf herausgeben wollte und forderte statt dessen Mutter Ponisse auf, sich zu ihnen zu setzen. – »Sehr freundlich, mein Herr, sehr freundlich«, antwortete die Wirtin, einen verwunderten Blick auf Tom heftend. – »Geben Sie mir, bitte, Bescheid, liebe Frau«, erwiderte Tom, »auf eine Frage: wir wollten hier einen Bekannten treffen, einen gro?en, schmachtigen Herrn, der einen Schnurrbart tragt wie ich.« – »Ach, das ist doch der Herr, der eben noch hier gesessen hat«, sagte die Wirtin; »ein Kohlentrager rief ihn eben heraus, und mit ihm ist er