aber gegen einen Feind einen Streich ausuben wollen. Der junge Fant ist ihr Feind, und gegen den sollst du was unternehmen. Zweitausend Franks, Bakel, das lohnt doch einiger Muhe.« »Meine Frau wird kommen«, sagte Bakel, »ihr konnen Sie sagen, was gemacht werden soll. Ich wills mir uberlegen.« »Einverstanden. Also morgen fruh Punkt sechs.« »Sie sollen das Geld fur die Brieftasche haben, und eine Anzahlung auf das, was wir weiter von Euch wollen.« »Gut! Nun aber gehen Sie rechts, wir gehen links, und – lassen Sie uns ungeschoren, verstanden? Sonst ...«
Bakel und Eule entfernten sich geschwind. Aber ungesehen von irgend einem der an diesem Auftritt beteiligten Personen war ein Mann Zeuge desselben gewesen, und zwar kein anderer als der Schuri, der hinter einem Schutthaufen Schutz vor dem prasselnden Regen gesucht hatte. Was Sarah Bakeln uber Rudolf gesagt hatte, fesselte seine Aufmerksamkeit im hochsten Ma?e, denn die Gefahren, die jetzt seinem neuen Freunde drohten, beangstigten ihn, und er beklagte lebhaft, nichts zu seinem Schutze tun zu konnen, denn wie und wo sollte er Rudolf finden? Die Wohnung, die ihm der Fachermaler genannt, hatte er ja im Weinrausche schon langst vergessen. Nun, es blieb ihm weiter nichts ubrig, als abzuwarten, ob Rudolf den Weg zur Kaschemme wiederfinden werde.
Unwillkurlich war er, von seinen Gedanken beherrscht, hinter Tom und Sarah hergegangen und sah sie jetzt in einen Fiaker steigen. Flugs sprang er hintenauf. Bis um ein Uhr dauerte die Fahrt, dann hielt der Fiaker auf dem Boulevard de l'Observatoire. Dort stiegen Tom und Sarah aus, um in einem der Ga?chen zu verschwinden, die auf diese breite Stra?e ausmunden. Es war eine rabenfinstere Nacht. Es war dem Schurimann nicht moglich, sich irgend ein Zeichen zu suchen, an welchem sich die Stelle hatte wiedererkennen lassen, wo das Paar verschwunden war. Mit dem Scharfsinn eines Indianers zog er sein Messer aus der Tasche und schnitt in einen der Baume, neben denen der Fiaker gehalten, eine tiefe Kerbe. Dann machte er kehrt und suchte seine urwuchsige Schlafstelle auf, von der er sich eine gar tuchtige Strecke entfernt hatte.
Achtes Kapitel.
Eine Spazierfahrt.
Am andern Tage strahlte die hellste Herbstsonne an dem reinen blauen Himmel. Der Sturm hatte sich gelegt. Gegen elf Uhr vormittags trat Rudolf, der entweder ein neues Zusammentreffen mit dem Paare, das ihn gesucht hatte, nicht mehr scheute oder gar nicht mehr erwartete, an die Rue des Poix und schritt auf die Kaschemme zu. Er war noch immer in seiner Arbeitertracht, aber eine gewisse Eleganz in seinem Wesen, wie allem was er auf dem Leibe trug, lie? sich nicht verkennen. Unter einer neuen, vorn offnen Bluse trug er ein rotes Wollhemd mit blanken Knopfen. Ueber dem schwarzseidnen Tuche, das er um den Hals geschlungen hatte, guckte ein wei?er Hemdkragen freundlich hervor.
Auf der Schwelle sa? die Wirtin. Im Nu war sie auf den Beinen ... »Ah, junger Herr, gehorsamste Dienerin! Sie wollen doch gewi? das Geld haben, was Ihnen von den zwanzig Franks gehort, die Sie gestern mir auf den Tisch warfen? Es sind 17 Livres 10 Sous, die Sie herausbekommen. Aber ich kann vom Preise nichts herunterlassen, denn Sie haben ja vom Besten verlangt, und ich habe wirklich nichts Besseres in meinem Keller, als was ich Ihnen aufgetischt. Und nun noch eins! Es ist gestern stark nach Ihnen gefragt worden, gerade als Sie weg waren, von einem langen Herrn in sehr vornehmer Tracht und einer kleinen Dame, die aber in Mannertracht ging.« »So? Die beiden Leutchen haben sich Wohl zum Schuri gesetzt und sich mit ihm unterhalten?« »Jawohl, uber dies und das mogen sie gesprochen haben, ich horte den Rotarm nennen.« »Einerlei. Deswegen komme ich nicht wieder.« »Sondern wegen Ihres Geldes – nicht wahr?« »Ja, und mit dem Madel, das hier die Schalldirne hei?t, mochte ich einen Gang in die Umgegend machen.« »Das kann nicht sein, Herr, denn sie mochte vielleicht der Weg nicht wieder zu mir herfuhren.« »Und warum nicht?« »Nun, was sie auf dem Leibe tragt, gehort mir, und fur Essen, Trinken und Wohnen ist sie mir au?erdem 220 Franks schuldig.«
Rudolf zahlte 11 Louisdor auf den Schenktisch ... »Da haben Sie, was Ihnen das Madel schuldet ... Und was bekommen Sie fur die Kleider, die Ihnen gehoren?« Die alte Zuchthauslerin war so verblufft, da? sie sich im ersten Augenblick nicht ruhren konnte. »Denkst doch nicht etwa«, sagte Rudolf, als sie endlich ein Goldstuck nach dem andern vom Tische aufnahm und scharf musterte, »da? ich dir falsches Geld aufhangen will? Sprich, was bekommst du fur die Lumpen, die das Madel auf dem Leibe tragt?« – Noch immer au?er stande, sich zu fassen angesichts einer solchen Summe Geldes, die von einem simplen Arbeiter ihr auf den Tisch geworfen wurde, und zwischen der Bange, ubervorteilt zu werden, wie der Sucht, recht viel Vorteil noch aus der gunstigen Gelegenheit fur sich herauszuschlagen, hin- und herschwankend, uberlegte sie einen Augenblick. Dann endlich fand sie Worte und sagte: »Nun, unter hundert Franks kann ich ihr die Kleider, die sie tragt, nicht lassen.« – »Frech, Weib, frech«, rief Rudolf, »fur solchen Plunder solche Summe zu begehren! Doch da hast du das Geld. Aber schnell. Schaff die Dirne zur Stelle!«
In der Meinung, der Arbeiter musse eine Erbschaft gemacht oder einen feinen Fang getan haben, knickste sie hoflich und sagte, wahrend sich ein gemeines Lacheln uber ihr Gesicht stahl: »Und warum will der schone Herr nicht selbst zum Dirndl gehen? Wird die eine Freude haben! Hab ich doch gestern gleich gesehen, da? sie sich einen Narren an ihm gefressen hat!« – »Ich sage Euch, geht und holt sie!« rief Rudolf barsch; »sagt ihr, ich wolle mit ihr einen Ausflug aufs Land machen. Kein Wort mehr! Vor allem nichts davon, da? ich bei Euch ihre Schulden bezahlt habe.« – »Jesus! Schneiden Sie blo? nicht solches Gesicht!« rief die Frau; »der Gottseibeiuns sei denen gnadig, die mit Euch anbinden! ... Jesus! Ich gehe ja schon! Ich gehe ja schon!«
Nach Verlauf weniger Minuten kehrte sie mit dem Madchen zuruck, das tief errotete, als sie Rudolfs ansichtig wurde, und verlegen die Augen niederschlug. – »Wollen Sie einen Tag mit mir aufs Land hinausfahren?« fragte Rudolf. – »Gern, Herr«, antwortete das Madchen, »sofern es meine Herrin erlaubt.« – »Hab nichts dawider«, erwiderte diese, worauf Rudolf, ohne weitere Worte zu machen, des Madchens Arm nahm und mit ihm uber die Schwelle schritt. Am Blumenkai wartete ein Fiaker. Rudolf forderte das Madchen auf, einzusteigen, und rief dem Kutscher zu: »Nach Saint-Denis. Wohin du dort fahren sollst, werde ich dir spater sagen.«
Der Wagen fuhr weg. An dem wolkenlosen Himmel stand die helle Herbstsonne. Durch die Wagenfenster strich die frische Luft ... Da erst sah die Sangerin, da? sie auf einem Kleidungsstucke sa? ... »Was? Ein Mantelett?« rief sie. »Ja, fur Sie!« erwiderte Rudolf, »damit Sie nicht frieren. Nehmen Sie es um!«
Marienblume, an derartige Zuvorkommenheit nicht gewohnt, sah Rudolf mit Verwunderung an. Es war ihr eigentumlich zumute. Rudolf flo?te ihr einerseits Furcht ein, anderseits fuhlte sie sich von gewisser Traurigkeit beschlichen, ohne da? sie imstande war, sich uber beide Empfindungen Rechenschaft zu geben ... »Aber, Herr Rudolf,« sagte sie, »Sie sind so lieb und nett gegen mich. Ich mu? mich ja schamen.« »Schamen? Weil ich manierlich gegen Sie bin?« »O, mir kommt es so vor, als wenn Ihre Art, mit mir zu sprechen, heut eine ganz andere ware als gestern?« »Na, welcher Rudolf hat Ihnen denn besser gefallen, der von heute oder der von gestern?« »So sehe ich Sie schon lieber, wie Sie heute sind«, sagte das Madchen, und doch war es mir gestern, als standen wir einander naher«; aber von Bange erfullt, da? sie Rudolf durch diese Worte gekrankt haben konne, lenkte sie gleich wieder ein und sagte: »Wenn ich sage, Herr Rudolf, es sei mir gewesen, als hatten wir einander naher gestanden, so wei? ich doch recht gut, da? so etwas nicht sein kann ...« »Aber, Madchen, Sie scheinen vollig zu vergessen, was Ihnen die alte Hexe gestern sagte, die Sie Eule nannten!« »Da? Sie meine Mutter kennen? O nein, das vergesse ich nicht, lieber Herr Rudolf, nein, nein! Habe ich doch die ganze Nacht daruber geweint und sinniert, aber ich glaube bestimmt, da? an der ganzen Sache kein wahres Wort ist, und da? die Eule das alles blo? ausgedacht hat, mich recht zu qualen.« »Es kann aber auch sein, da? die Eule mehr wei?, als Sie denken, Kind! ware es Ihnen nicht recht, wenn sich Ihre Mutter wiederfande?« »Ach, Herr Rudolf, was konnte es nutzen, da? ich meine Mutter fande, wenn sie doch nichts von mir hat wissen mogen? Und wenn sie mich lieb haben sollte, mochte sie sich wohl um der Schande willen, in der sie mich findet, zu Tode gramen!« – »Hat Ihre Mutter Sie geliebt, so wird sie Ihnen auch verzeihen und wird Sie auch lieben. Und wenn sie sieht, in welches Elend ihre Lieblosigkeit Sie gebracht hat, wird sie sich selbst schamen mussen, und das wird Rache genug fur Sie sein.«
In diesem Augenblicke fuhr der Wagen an der Stelle vor, wo sich die Stra?e von Saint-Denis mit