eine Maschine uberhaupt je ihre eigene Funktionsweise verstehen kann. Manche sagen, auch das sei unmoglich. Die Maschine kann sich selbst aus dem gleichen Grund nicht erkennen, aus dem man sich nicht selbst in die Zahne bei?en kann. Und es scheint auch wirklich unmoglich: Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste Gebilde im bekannten Universum, und dennoch wissen selbst Gehirne sehr wenig uber sich selbst.
In den vergangenen drei?ig Jahren hat man sich nur so zum Spa? beim Bier nach Feierabend mit solchen Fragen beschaftigt. Richtig ernst genommen hat das niemand. Doch in letzter Zeit haben diese philosophischen Fragen an Bedeutung gewonnen, da bei der Nachbildung bestimmter Gehirnfunktionen rapide Fortschritte erzielt wurden. Vor meinem Rausschmiss benutzte mein Team zum Beispiel Multi-Agenten-Systeme, um Computer dazu zu befahigen, Datenmuster zu erkennen, naturliche Sprachen zu verstehen, Prioritaten zu setzen und Aufgaben zu wechseln. Entscheidend an den Programmen war, dass die Maschinen regelrecht lernten. Sie wurden besser, je mehr Erfahrung sie sammelten. Was mehr ist, als manche Menschen von sich behaupten konnen.
Das Telefon klingelte. Es war Ellen. »Hast du deinen Anwalt angerufen?«
»Noch nicht. Herrgott noch mal.«
»Ich nehme die um 14.10 Uhr nach San Jose. Gegen funf musste ich bei euch sein.«
»Hor zu, Ellen, das ist wirklich nicht notwendig ...«
»Das wei? ich. Ich muss ohnehin mal raus. Ich brauch eine Pause. Bis spater, Jack.« Und sie legte auf.
Jetzt kummerte sie sich also um mich.
Auf jeden Fall sah ich keinen Sinn darin, schon heute einen Anwalt anzurufen. Ich hatte zu viel zu erledigen. Ich musste Sachen von der Reinigung abholen, also machte ich das erst mal. Auf der anderen Stra?enseite war ein Starbuck's, und ich ging ruber, um mir einen Cappuccino zum Mitnehmen zu holen.
Und da sah ich Gary Marder, meinen Anwalt, mit einer sehr jungen Blondine in einer knappen Huftjeans und einem kurzen Top, das ihren Bauch zeigte. Sie knutschten in der Schlange vor der Kasse. Sie sah nicht alter aus als eine CollegeStudentin. Es war peinlich, und ich wollte gerade wieder gehen, als Gary mich sah und winkte.
»Hallo, Jack.«
»Hi, Gary.«
Er streckte mir die Hand entgegen, und ich schuttelte sie. Er sagte: »Das ist Melissa.«
Ich sagte: »Hi, Melissa.«
»Oh, hi.« Sie schien leicht verargert uber die Unterbrechung, obwohl ich mir nicht ganz sicher war. Sie hatte diesen leeren Blick, den manche Frauen im Beisein von Mannern bekamen, Mir schoss durch den Kopf, dass sie hochstens sechs Jahre alter als Nicole sein konnte. Was hatte sie mit einem Typen wie Gary zu schaffen?
»Na, wie lauft's denn so, Jack?«, sagte Gary und legte einen Arm um Melissas nackte Taille.
»Gut«, sagte ich. »Ziemlich gut.«
»Ja? Schon zu horen.« Aber er legte die Stirn in Falten.
»Tja, ahm, also dann ...« Ich stand da, zogernd, kam mir albern vor im Beisein des Madchens. Sie wunschte mich unubersehbar zum Teufel. Aber ich stellte mir vor, was Ellen sagen wurde:
Also sagte ich: »Gary, kann ich dich mal kurz sprechen?«
»Ja, klar.« Er gab Melissa Geld fur den Kaffee, und wir stellten uns etwas abseits.
Ich senkte die Stimme. »Hor zu, Gary«, sagte ich, »ich glaube, ich brauche einen Scheidungsanwalt.«
»Weswegen?«
»Weil ich glaube, dass Julia eine Affare hat.«
»Glaubst du es? Oder wei?t du es genau?«
»Nein. Ich wei? es nicht genau.«
»Dann hast du also nur den Verdacht?«
»Ja.«
Gary seufzte. Er warf mir einen viel sagenden Blick zu.
Ich sagte: »Und da laufen auch noch andere Sachen. Sie hat behauptet, ich wurde die Kinder gegen sie aufbringen.«
»Entfremdung der Kinder«, sagte er nickend. »Die gro?e Mode im Augenblick. Wann hat sie das gesagt?«
»Im Streit.«
Wieder ein Seufzen. »Jack, Paare werfen sich im Streit allen moglichen Mist an den Kopf. Das muss nicht unbedingt was bedeuten.«
»Ich glaube aber, dass es was zu bedeuten hat. Ich befurchte es.«
»Beschaftigt dich das wirklich?«
»Ja.«
»Warst du bei der Eheberatung?«
»Nein.«
»Geh hin.«
»Wieso?«
»Aus zwei Grunden. Erstens, weil du es tun solltest. Du bist schon lange mit Julia verheiratet, und soweit ich wei?, habt ihr euch uberwiegend gut verstanden. Und zweitens, weil du damit demonstrierst, dass du versuchst, die Ehe zu retten. Was wiederum die Behauptung widerlegt, du wurdest die Kinder von ihr entfremden.«
»Ja, aber .«
»Wenn du damit Recht hast, dass sie schon dabei ist, Anklagepunkte gegen dich zu sammeln, musst du hollisch aufpassen, mein Freund. Gezielte Entfremdung der Kinder ist ein schwerer Vorwurf, den man nicht so leicht ausraumen kann. Die Kinder sind sauer auf Mom, und sie behauptet, du steckst dahinter. Wie willst du beweisen, dass das nicht stimmt? Das kannst du gar nicht. Au?erdem bist du viel zu Hause, es ist also noch leichter vorstellbar, dass da was dran sein konnte. Das Gericht wird in dir einen gefrusteten Ehemann sehen, der moglicherweise neidisch ist auf seine berufstatige Frau.« Er hielt eine Hand hoch. »Ich wei?, ich wei?, dass da nichts dran ist, Jack, aber man kann es leicht behaupten, mehr will ich nicht sagen. Und das
»Das ist ausgemachter Schwachsinn.«
»Naturlich. Das wei? ich doch.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Geh zu einem guten Eheberater. Wenn du keinen kennst, ruf bei mir in der Kanzlei an. Barbara kann dir ein paar gute Adressen nennen.«
Ich rief Julia an, um ihr zu sagen, dass Ellen fur ein paar Tage kommen wurde. Naturlich erreichte ich sie nicht, blo? ihre Mailbox. Ich hinterlie? ihr eine langere Nachricht, in der ich alles erklarte. Dann ging ich einkaufen, weil Ellen zu Besuch kam und wir ein paar Vorrate mehr brauchten.
Ich schob gerade meinen Einkaufswagen durch den Supermarkt, als ich einen Anruf aus dem Krankenhaus erhielt. Es war wieder der bartlose Assistenzarzt. Er wollte sich nach Amanda erkundigen, und ich sagte, dieser Bluterguss sei so gut wie verschwunden.
»Schon«, sagte er. »Freut mich zu horen.«
Ich fragte: »Was ist mit dem Kernspintomogramm?«
Der Arzt sagte, die Ergebnisse der Tomografie seien unerheblich, weil das Gerat defekt gewesen sei und Amanda gar nicht untersucht habe. »Wir sind sogar unsicher, was von den Ergebnissen der vergangenen Wochen zu halten ist«, sagte er. »Das Gerat war offenbar schon langer dabei, allmahlich den Geist aufzugeben.«
»Wie das?«
»Es ist korrodiert oder so. Jedenfalls sind samtliche Speicherchips pulverisiert.«
Ich dachte an Erics MP3-Player, und es lief mir kalt den Rucken runter. »Wie kann denn so was passieren?«, fragte ich.
»Die einleuchtendste Erklarung ist die, dass aus den Leitungen in der Wand Gas ausgetreten ist, vermutlich in der Nacht, und zu der Korrosion gefuhrt hat. Zum Beispiel Chlorgas, das konnte solche Schaden verursachen. Komisch ist blo?, dass nur die Speicherchips kaputt waren. Die anderen waren in Ordnung.«
Die Dinge wurden von Minute zu Minute seltsamer. Und kurz darauf steigerte sich das Ganze noch, als Julia anrief und heiter und beschwingt verkundete, sie komme schon nachmittags nach Hause, und zwar so fruhzeitig, dass sie mit uns zu Abend essen konne. »Ich freue mich auf Ellen«, sagte sie. »Warum kommt sie?«
»Ich glaube, sie braucht mal ein bisschen Tapetenwechsel.«
»Na, fur dich ist es bestimmt auch schon, dass sie fur ein paar Tage da ist. Eine Erwachsene im Haus.«