»Das kannst du laut sagen«, erwiderte ich.

Ich wartete auf eine Erklarung, warum sie nicht nach Hause gekommen war. Doch sie sagte nur: »He, ich muss Schluss machen, Jack, bis spater dann ...«

»Julia«, sagte ich. »Moment noch.«

»Was denn?«

Ich zogerte, suchte nach Worten. Ich sagte: »Ich hab mir gestern Nacht deinetwegen Sorgen gemacht.«

»Wirklich? Warum?«

»Weil du nicht nach Hause gekommen bist.«

»Schatz, ich hab dich doch angerufen. Ich war drau?en im Fertigungswerk und kam nicht mehr weg. Hast du denn deine Nachrichten nicht abgehort?«

»Doch .«

»Und von mir war keine dabei?«

»Nein. Keine.«

»Tja, das versteh ich nicht. Ich hab dir eine Nachricht hinterlassen, Jack. Ich hab zuerst zu Hause angerufen und hatte Maria am Apparat, aber sie konnte nicht, du wei?t schon, es war zu kompliziert . Also hab ich dich anschlie?end auf dem Handy angerufen und dir eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, dass ich bis heute Morgen im Werk festsitzen wurde.«

»Na ja, ich hab sie jedenfalls nicht bekommen«, sagte ich, bemuht, nicht beleidigt zu klingen.

»Tut mir Leid, Schatz, aber uberpruf das mal. Ich muss jetzt wirklich Schluss machen. Wir sehen uns heute Abend, ja? Kusschen.«

Und sie legte auf.

Ich uberprufte mein Handy noch einmal. Es war keine Nachricht angezeigt. Ich sah in der Rufliste nach. Ich hatte gestern Abend keinen Anruf erhalten.

Julia hatte mich nicht angerufen. Niemand hatte mich angerufen.

Mutlosigkeit uberkam mich, ich spurte wieder das Abrutschen in eine depressive Stimmung. Und ich fuhlte mich mude, konnte mich kaum bewegen. Ich starrte die Produkte auf den Supermarktregalen an. Ich wusste nicht mal mehr, warum ich hier war.

Gerade hatte ich beschlossen, wieder zu gehen, als das Handy in meiner Hand klingelte. Ich klappte es auf. Es war Tim Bergman, mein Nachfolger bei MediaTronics. »Sitzt du gerade?«, fragte er.

»Nein. Wieso?«

»Ich hab ziemlich seltsame Neuigkeiten. Pass auf.«

»Okay .«

»Don will dich anrufen.«

Don Gross war mein ehemaliger Boss, der Mann, der mich gefeuert hatte. »Weswegen?«

»Er will dich wieder einstellen.«

»Er will was?«

»Ja. Ich wei?. Ganz schon verruckt. Dich wieder einstellen.«

»Wieso?«, fragte ich.

»Wir haben ein paar Probleme mit den verteilten Systemen, die wir an Kunden verkauft haben.«

»Welche?«

»Na ja, predprey.«

»Das ist doch eins von den alteren«, sagte ich. »Wer hat das gekauft?« predprey war ein System, das wir vor uber einem Jahr entworfen hatten. Wie die meisten unserer Programme basierte es auf biologischen Modellen. predprey war ein zielorientiertes Programm, das auf der Rauber-Beute-Dynamik beruhte. Aber von der Struktur her war es ausgesprochen einfach.

»Na ja, Xymos wollte was ganz Einfaches«, sagte Tim.

»Ihr habt predprey an Xymos verkauft?«

»Genau. Genauer gesagt, die Lizenz. Mit einem SupportVertrag. Wir sind schon am Rande des Wahnsinns.«

»Wieso?«

»Es lauft einfach nicht richtig. Die Zielsuche ist vollig aus den Fugen geraten. Die meiste Zeit scheint das Programm sein Ziel zu verlieren.«

»Das uberrascht mich nicht«, sagte ich, »wir haben keine Reinforcer spezifiziert.«

Reinforcer waren Programmelemente, die das Streben nach dem Ziel unterstutzten. Sie sollten verhindern, dass die vernetzten Agenten, die ja lernfahig waren, etwas lernten, das sie vom Weg abbringen konnte. Man brauchte eine Moglichkeit, das eigentliche Ziel zu speichern, damit es nicht verloren ging. Agentenprogramme lie?en sich namlich im Grunde mit Kindern vergleichen. Sie verga?en Dinge, verloren Dinge, lie?en Dinge fallen.

Das alles war emergentes Verhalten. Es war nicht programmiert, aber es war das Ergebnis der Programmierung. Und genau das erlebte offenbar Xymos zurzeit.

»Also«, sagte Tim, »Don meint wohl, weil du damals das Team geleitet hast, als das Programm geschrieben wurde, bist du wie geschaffen dafur, es zu reparieren. Au?erdem ist deine Frau im Management von Xymos, es wird also fur die hohen Tiere eine Beruhigung sein, wenn du an Bord kommst.«

Ich war mir da nicht so sicher, aber ich sagte nichts.

»Jedenfalls, so sieht's aus«, fuhr Tim fort, »ich hab dich angerufen, um zu fragen, ob Don dich anrufen kann. Weil er sich keine Abfuhr einhandeln will.«

Wut stieg in mir hoch. Er will sich keine Abfuhr einhandeln. »Tim«, sagte ich. »Ich kann da nicht wieder arbeiten.«

»Oh, das wurdest du auch nicht. Du wurdest drau?en im Fertigungswerk von Xymos arbeiten.«

»Ach ja? Wie soll denn das gehen?«

»Don wurde dich als Berater im Au?endienst einstellen. So was in der Art.«

»Aha«, sagte ich mit meiner neutralsten Stimme. Alles an diesem Angebot horte sich falsch an. Ich hatte absolut keine Lust, wieder fur das Arschloch Don zu arbeiten. Au?erdem war es nie ratsam, in eine Firma zuruckzukehren, die einen rausgeschmissen hatte - in keinem Fall, egal, unter welchen Bedingungen. Das wusste jeder.

Aber andererseits ware ich mein Ladenhuterproblem los, wenn ich den Job als Berater annahm. Und ich kame endlich wieder aus dem Haus. Das waren mehrere Fliegen mit einer Klappe. Nach einer Pause sagte ich: »Hor zu, Tim, lass mich druber schlafen.«

»Rufst du mich an?«

»Okay. Ja.«

»Wann rufst du an?«, fragte er.

Die Anspannung in seiner Stimme war unuberhorbar. Ich sagte: »Ist die Sache so dringend ...«

»Na ja, ziemlich. Wie gesagt, dieser Vertrag treibt uns in den Wahnsinn. Funf Programmierer von deinem alten Team wohnen praktisch schon drau?en im Xymos-Werk. Und sie kriegen das Problem einfach nicht in den Griff. Wenn du uns also nicht helfen willst, dann mussen wir uns anderweitig umschauen, schnellstens.«

»Okay, ich ruf dich morgen an«, sagte ich.

»Morgen fruh?«, fragte er drangend.

»Okay«, sagte ich. »Ja, morgen fruh.«

Nach Tims Anruf hatte ich mich eigentlich besser fuhlen mussen, aber dem war nicht so. Ich ging mit dem Baby zum Spielplatz und setzte es auf die Schaukel. Amanda konnte vom Schaukeln nie genug kriegen. Manchmal lie? sie sich zwanzig oder drei?ig Minuten am Stuck von mir ansto?en und schrie jedes Mal, wenn ich sie wieder herunternahm. Spater sa? ich auf der Betonumrandung vom Sandkasten, wahrend Amanda herumkroch und sich an den Betonschildkroten und anderen Figuren auf die Beine zog. Einmal schubste eins von den gro?eren Kindern sie um, aber sie weinte nicht, sie stand einfach wieder auf. Es schien ihr Spa? zu machen, mit Alteren zusammen zu sein.

Ich sah ihr zu und dachte daruber nach, wie es ware, wieder zu arbeiten.

»Du hast doch hoffentlich Ja gesagt«, sagte Ellen zu mir. Wir waren in der Kuche. Meine Schwester war gerade angekommen, ihr schwarzer Koffer stand unausgepackt in der Ecke. Ellen wirkte genau wie immer,

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