mogliche Todesursache erkennen. Das starre Auge sah rosa und gesund aus.
Mae sagte: »Bobby? Aufnahmebereit?«
Uber das Headset horte ich Bobby Lembeck sagen: »Schwenk deine Kamera nach unten.«
Mae beruhrte die Kamera, die an ihrer Sonnenbrille befestigt war.
»Noch ein bisschen . noch ein bisschen. Gut so. Das genugt.«
»Okay«, sagte Mae. Sie drehte den Korper des Kaninchens mit den Handen, nahm ihn von allen Seiten in Augenschein. Sie diktierte rasch: »Au?erlich macht das Tier einen ganz normalen Eindruck. Keine angeborene Missbildung oder Erkrankung feststellbar, das Fell ist dicht und sieht gesund aus. Die Nasenluftwege scheinen teilweise oder ganzlich verstopft. Ich sehe etwas Kot am Anus, vermute aber, dass es sich um eine normale Entleerung bei Eintritt des Todes handelt.«
Sie drehte das Tier auf den Rucken und spreizte die Vorderlaufe mit den Handen auseinander. »Du musst mir helfen, Jack.« Ich sollte die Pfoten fur sie festhalten. Der Kadaver war noch warm und nicht steif.
Sie nahm das Skalpell und schnitt rasch den Bauch auf. Ein roter Spalt klaffte auf, Blut floss. Ich sah Rippen und rosa Darmwindungen. Mae sprach ununterbrochen, wahrend sie schnitt, kommentierte Gewebefarbe und - textur. Sie wies mich an: »Halt das mal«, und ich bewegte eine Hand nach unten, um die glitschigen Eingeweide beiseite zu drucken. Mit einem einzigen Skalpellschnitt trennte sie den Magen auf. Trube, grune Flussigkeit quoll hervor, und eine breiige Masse, offenbar unverdaute Fasern. Die Innenwand des Magens sah aufge-raut aus, aber Mae meinte, das sei normal. Sie fuhr mit einem Finger gekonnt an der Magenwand entlang, hielt dann inne.
»Mmm. Sieh mal«, sagte sie.
»Was ist?«
»Dort.« Sie zeigte. An mehreren Stellen war der Magen rotlich, blutete leicht, als ware er wund gerieben worden. Ich sah schwarze Flecken in der Mitte der Blutung. »Das ist nicht normal«, sagte Mae. »Das ist pathologisch.« Sie nahm ein Vergro?erungsglas und sah genauer hin, diktierte dann: »Ich sehe dunkle Bereiche von zirka vier bis acht Millimeter Durchmesser, bei denen es sich vermutlich um Ansammlungen von Nanopartikeln in der Magenwand handelt«, sagte sie. »Im Zusammenhang mit den Ansammlungen ist eine leichte Blutung der Magenschleimhaut festzustellen.«
»Im Magen sind Nanopartikel?«, sagte ich. »Wie sind die da reingekommen? Hat das Kaninchen sie gegessen? Sie unabsichtlich geschluckt?«
»Das bezweifle ich. Ich wurde vermuten, sie sind aktiv eingedrungen.«
Ich runzelte die Stirn. »Du meinst, sie sind runter durch die ...«
»Speiserohre. Ja. Zumindest glaube ich das.«
»Wieso sollten sie so was tun?«
»Ich wei? nicht.«
Die ganze Zeit uber sezierte sie zugig weiter. Sie nahm die Schere und schnitt das Brustbein der Lange nach durch, druckte dann den Brustkorb mit den Fingern auseinander. »Jetzt hier festhalten.« Mit einer Hand zog ich die Rippen auseinander, wie sie es getan hatte. Die Knochenrander waren scharf. Mit der anderen spreizte ich die Hinterlaufe. Mae arbeitete zwischen meinen Handen.
»Die Lunge ist hell rosa und fest, au?erlich normal.« Sie schnitt einen Lungenlappen mit dem Skalpell auf, machte dann noch einen Schnitt und noch einen. Schlie?lich legte sie die Bronchien frei und schnitt sie auf. Sie waren innen dunkel.
»Die Bronchien sind stark von Nanopartikeln befallen, die offenbar inhaliert wurden«, sagte sie diktierend. »Hast du alles, Bobby?«
»Ich hab alles. Videoauflosung gut.«
Sie schnitt weiter nach oben. »Ich folge jetzt dem Bronchialbaum hoch zur Kehle .«
Und sie schnitt weiter, in die Kehle, und dann von der Nase aus quer uber die Wange, offnete dann das Maul . Ich musste mich kurz abwenden. Aber Mae diktierte seelenruhig weiter. »Ich stelle einen starken Nanopartikelbefall aller Nasenluftwege und des Rachens fest. Das lasst auf eine teilweise oder vollstandige Atemwegsverstopfung schlie?en, was wiederum den Tod herbeigefuhrt haben konnte.«
Ich sah wieder hin. »Was?«
Der Kopf des Kaninchens war kaum noch zu erkennen, Mae hatte den Kiefer aufgeschnitten und blickte jetzt in den Rachen hinein. »Uberzeug dich selbst«, sagte sie, »es sieht aus, als wurde eine dichte Masse Partikel den Schlund verstopfen, und es ist eine Reaktion zu erkennen, entweder allergisch oder .«
Dann Ricky: »He, ihr beiden, wollt ihr noch lange drau?en bleiben?«
»So lange wie notig«, sagte ich. Ich fragte Mae: »Was fur eine allergische Reaktion?«
»Tja«, sagte sie, »siehst du den Gewebebereich da und wie geschwollen er ist, und siehst du, wie grau er geworden ist, was darauf hindeutet .«
»Ist euch klar«, sagte Ricky, »dass ihr schon vier Minuten drau?en seid?« »Wir sind nur hier, weil wir das Kaninchen nicht mit reinbringen durfen«, sagte ich.
»Stimmt, das durft ihr nicht.«
Mae schuttelte den Kopf, als sie das horte. »Ricky, du haltst uns nur auf .«
Bobby sagte: »Nicht den Kopf schutteln, Mae. Dabei schwenkst du die Kamera hin und her.«
»Tschuldigung.«
Aber ich sah, dass sie den Kopf hob, als wurde sie zum Horizont blicken, und wahrenddessen entkorkte sie ein Testrohr-chen und steckte ein Stuck Magenwand in das Glas. Sie schob es in ihre Tasche. Dann senkte sie wieder den Blick. Niemand, der am Monitor zuschaute, hatte sehen konnen, was sie getan hatte. Sie sagte: »Schon, jetzt nehmen wir Blutproben.«
»Blut ist aber auch das Einzige, was ihr hier reinbringt«, sagte Ricky.
»Ja, Ricky. Wissen wir.«
Mae nahm die Spritze, stach die Nadel in eine Arterie, zog etwas Blut auf, druckte es in ein Plastikrohrchen, entfernte die Nadel mit einer Hand, steckte eine neue auf und nahm eine zweite Probe. Alles im selben zugigen Tempo.
Ich sagte: »Ich hab den Eindruck, du hast so was schon mal gemacht.«
»Das hier ist noch gar nichts. In Sichuan haben wir immer in schweren Schneesturmen gearbeitet, da sieht man nicht, was man macht, die Hande sind eiskalt, das Tier ist hart gefroren, man kriegt keine Nadel rein ...« Sie legte die Rohrchen mit Blut beiseite. »Jetzt nehmen wir nur noch ein paar Kulturen, dann sind wir fertig ... « Sie drehte ihr Etui um, suchte. »So ein Pech.«
»Was ist denn?«, fragte ich.
»Die Tupfer fur die Kulturen sind nicht da.«
»Aber drinnen hattest du sie?«
»Ja, ganz sicher.«
Ich sagte: »Ricky, siehst du die Tupfer irgendwo?«
»Ja. Die liegen hier an der Luftschleuse.«
»Bringst du sie uns bitte?«
»Ja klar, Leute.« Er lachte rau. »Mich kriegen keine zehn Pferde da raus. Die musst ihr euch schon selbst holen.«
Mae sagte zu mir: »Willst du gehen?«
»Nein«, sagte ich. Ich hielt bereits das Tier auf; meine Hande waren an der richtigen Position. »Ich warte hier. Geh du.«
»Okay.« Sie stand auf. »Versuch, die Fliegen fern zu halten. Wir mussen jede uberflussige Verunreinigung vermeiden. Ich bin gleich wieder da.« Sie joggte los Richtung Tur.
Ich horte ihre Schritte leiser werden, dann das Klappern der Metalltur, die sich hinter ihr schloss. Danach Stille. Angelockt vom aufgeschlitzten Kadaver kamen die Fliegen massenhaft zuruck, schwirrten mir um den Kopf herum, versuchten, auf den freigelegten Gedarmen zu landen. Ich lie? die Hinterlaufe des Kaninchens los und verscheuchte sie mit einer Hand. Ich beschaftigte mich mit den Fliegen, um nicht daran denken zu mussen, dass ich hier drau?en allein war.
Ich blickte immer wieder in die Ferne, aber ich sah nichts. Wahrend ich weiter nach den Fliegen schlug, beruhrte ich ab und zu das Fell des Kaninchens, und auf einmal bemerkte ich, dass die Haut unter dem Fell leuchtend rot war.
Leuchtend rot - genau wie ein schlimmer Sonnenbrand. Schon bei dem Anblick uberlief es mich kalt.