Funkgerats. »Leute, wir haben alle drei. Und sie sind ganz nah.«

Sie waren sogar so nah, dass die Bodenkamera sie nicht erfassen konnte. Ricky schaltete auf die Dachkameras um. Ich sah drei schwarze Wolken, die sich alle seitwarts an dem Gebaude entlangbewegten. Ihr Verhalten wirkte ausgesprochen zielbewusst.

»Was haben die vor?«, fragte ich.

»Die wollen ins Gebaude«, sagte Ricky.

»Wieso?«

»Das musst du sie schon selbst fragen. Gestern hat einer von ihnen .«

Plotzlich kam aus einer Gruppe Kakteen nicht weit vom Gebaude ein Wildkaninchen geschossen und flitzte uber den Wustensand. Sofort machten die drei Schwarme kehrt und nahmen die Verfolgung auf.

Ricky wechselte zu einer anderen Kamera. Wir hatten jetzt die ebenerdige Perspektive. Die drei Wolken naherten sich dem verangstigten Kaninchen, das jetzt noch schneller lief, ein unscharfer wei?licher Fleck auf dem Bildschirm. Die Wolken rauschten mit verbluffender Geschwindigkeit hinter ihm her. Das Verhalten war eindeutig: Sie jagten.

Einen kurzen Moment lang spurte ich einen irrationalen Stolz. predprey funktionierte einwandfrei! Die Schwarme dort hatten genauso gut Lowinnen sein konnen, die eine Gazelle hetzten, so zielgerichtet war ihr Verhalten. Die Schwarme machten einen jahen Schwenk, teilten sich dann auf und schnitten dem Kaninchen links und rechts den Fluchtweg ab.

Das Verhalten der drei Wolken wirkte eindeutig koordiniert. Jetzt umzingelten sie ihre Beute und waren ganz nah.

Und plotzlich stie? einer der Schwarme herab und hullte das Kaninchen ein. Die anderen beiden sturzten sich Sekunden spater auf das Tier. Die entstandene Partikelwolke war jetzt so dicht, dass das Kaninchen kaum noch zu erkennen war. Offenbar hatte es sich auf den Rucken gedreht, denn ich sah, wie die Hinterlaufe krampfhaft in die Luft traten, oberhalb der Wolke.

Ich sagte: »Sie toten es ...«

»Ja«, sagte Ricky und nickte. »Stimmt.«

»Ich dachte, es ware ein Kameraschwarm.«

»Ja, klar.«

»Wie toten sie es dann?«

»Das wissen wir nicht, Jack. Aber es geht schnell.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Dann hast du das schon mal gesehen?«

Ricky zogerte, biss sich auf die Lippe. Antwortete nicht, starrte blo? auf den Bildschirm.

Ich sagte: »Ricky, hast du das schon mal gesehen?«

Er stie? einen langen Seufzer aus. »Ja. Gestern das erste Mal. Gestern haben sie eine Klapperschlange getotet.«

Ich dachte, gestern haben sie eine Klapperschlange getotet. Ich sagte: »Herrgott, Ricky.« Ich dachte an die Manner im Hubschrauber, die uber die vielen toten Tiere gesprochen hatten. Ich fragte mich, ob Ricky mir alles erzahlte, was er wusste.

»Ja.«

Das Kaninchen trat nicht mehr mit den Hinterlaufen. Eine einzelne vorstehende Pfote erbebte mit kleinen Zuckungen und blieb dann reglos. Die Wolke wirbelte tief uber dem Boden um das Tier herum, hob und senkte sich leicht. So ging es fast eine Minute.

Ich sagte: »Was machen die da?«

Ricky schuttelte den Kopf. »Ich wei? nicht. Aber das haben sie gestern auch schon gemacht.«

»Sieht fast so aus, als wurden sie das Kaninchen fressen.«

»Ich wei?«, sagte Ricky.

Naturlich war es absurd. predprey war doch blo? eine biologische Analogie. Wahrend ich der pulsierenden Wolke zuschaute, kam mir der Gedanke, dass dieses Verhalten vielleicht ein Programmhanger war. Ich erinnerte mich nicht genau, welche Regeln wir fur einzelne Einheiten geschrieben hatten, was sie tun sollten, nachdem das Ziel erreicht war. Reale Raubtiere wurden ihre Beute naturlich fressen, aber fur diese Mikroroboter gab es kein analoges Verhalten. Es konnte also durchaus sein, dass die Wolke einfach nur verwirrt herumwirbelte. Falls dem so war, musste sie bald wieder weiterziehen.

Wenn ein Programm fur verteilte Intelligenz hangen blieb, war das zumeist ein vorubergehendes Phanomen. Fruher oder spater wurden willkurliche Umwelteinflusse so viele Einheiten aktivieren, dass die wiederum alle anderen zum Handeln anstie?en. Dann wurde das Programm weiterlaufen. Die Einheiten wurden die Zielsuche wieder aufnehmen.

Ein ahnliches Verhalten konnte man in einem Saal im An-schluss an einen Vortrag beobachten. Die Zuhorer standen eine Weile herum, streckten sich, unterhielten sich mit den Leuten drum herum oder begru?ten Freunde, nahmen ihre Mantel und sonstigen Sachen. Nur ein paar gingen sofort, und der Gro?teil der Zuhorer achtete nicht auf sie. Doch sobald ein gewisser Prozentsatz des Publikums verschwunden war, hatten die Ubrigen es plotzlich ebenfalls eilig. Eine Art Fokuswechsel vollzog sich.

Falls ich Recht hatte, dann wurde sich etwas Ahnliches am Verhalten der Wolke beobachten lassen. Die Wirbel mussten ihre koordinierte Form verlieren; einzelne Partikelfetzen mussten sich losen und in die Luft aufsteigen. Erst dann wurde sich die Hauptwolke bewegen.

Ich blickte auf die Uhr in der Ecke des Monitors. »Wie lang geht das jetzt schon?«

»Etwa zwei Minuten.«

Das war nicht besonders lang fur einen Hanger, dachte ich. Irgendwann wahrend der Arbeit an predprey simulierten wir koordiniertes Agentenverhalten am Computer. Nach jedem Hanger starteten wir den Computer neu, doch schlie?lich beschlossen wir, einfach abzuwarten, ob das Programm tatsachlich abgesturzt war. Wir stellten fest, dass es manchmal bis zu zwolf Stunden lang hangen blieb und plotzlich wieder zum Leben erwachte. Das Verhalten interessierte sogar die Neurowissenschaftler, weil ...

»Sie starten wieder«, sagte Ricky.

Und tatsachlich. Die Schwarme erhoben sich vom toten Kaninchen. Ich sah sofort, dass meine Theorie falsch war. Es gab keine losen, vereinzelten Fetzen. Die drei Wolken stiegen zusammen auf, flie?end. Das Verhalten wirkte vollig gezielt und kontrolliert. Die Wolken drehten sich einen Moment lang einzeln, verschmolzen dann wieder zu einer. Sonnenlicht blitzte auf schimmerndem Silber. Das Kaninchen lag reglos auf der Seite.

Und dann machte sich der Schwarm rasch davon, flirrte hinein in die Wuste. Er wurde zum Horizont hin immer kleiner. Bald darauf war er verschwunden.

Ricky sah mich an. »Was meinst du?«

»Ihr habt einen selbststandigen Roboter-Nanoschwarm am Hals. Der sich dank irgendeines Idioten selbst mit Energie versorgen und erhalten kann.«

»Meinst du, wir kriegen ihn zuruck?«

»Nein«, sagte ich. »Nach dem, was ich gesehen hab, ist das vollig ausgeschlossen.«

Ricky seufzte und schuttelte den Kopf.

»Aber ihr konnt ihn euch auf jeden Fall vom Hals schaffen«, sagte ich. »Ihr konnt ihn toten.«

»Im Ernst?«

»Naturlich.«

»Wirklich?« Seine Miene hellte sich auf.

»Mit Sicherheit.« Und das war mein voller Ernst. Ich war uberzeugt, dass Ricky das Problem ubertrieb, mit dem er es zu tun hatte. Er hatte es nicht richtig durchdacht. Er hatte nicht alles getan, was er tun konnte.

Ich war uberzeugt, dass ich den fluchtigen Schwarm vernichten konnte. Ich ging davon aus, dass die Sache am nachsten Morgen bei Tagesanbruch erledigt sein wurde - spatestens.

Aber da ahnte ich ja noch nicht, mit was fur einem Gegner ich es zu tun hatte.

6. Tag, 10.11 Uhr

Ruckblickend hatte ich in einem Punkt tatsachlich Recht: Es war von entscheidender Bedeutung herauszufinden, wie das Kaninchen gestorben war. Naturlich wei? ich das inzwischen. Ich wei? auch, warum das Kaninchen angegriffen wurde. Aber an jenem ersten Tag im Labor hatte ich nicht die leiseste Ahnung, was geschehen war. Und die Wahrheit hatte ich niemals erraten konnen.

Keiner hatte das gekonnt, zu diesem Zeitpunkt.

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