zerstreuten sich nicht. Stattdessen kam die Wolke jeden Tag wieder. Wieso?

»Wir glauben«, sagte Ricky, »sie versteckt sich nachts.«

»Sie versteckt sich?«

»Ja. Wir glauben, sie sucht sich irgendeinen geschutzten Bereich, vielleicht einen Uberhang oder ein Loch in der Erde, irgendwas in der Art.«

Ich deutete auf die Wolke, die auf uns zugewirbelt kam. »Du glaubst, der Schwarm da ist in der Lage, sich zu verstecken?«

»Ich glaube, er ist anpassungsfahig. Genauer gesagt, ich wei? es.« Er seufzte. »Und uberhaupt, es gibt nicht nur einen Schwarm, Jack.«

»Nicht nur einen?«

»Mindestens drei. Vielleicht mehr, inzwischen.«

Im ersten Moment war mein Kopf wie leer, und eine Art trage, graue Fassungslosigkeit spulte uber mich hinweg. Ich konnte plotzlich nicht mehr denken, verstand gar nichts mehr. »Was willst du damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass er sich vermehrt, Jack«, erwiderte er. »Der verdammte Schwarm vermehrt sich.«

Die Kamera zeigte jetzt ein ebenerdiges Bild von der Staubwolke, die wirbelnd auf uns zukam. Doch bei genauerem Hinsehen merkte ich, dass sie gar nicht wie ein Sandteufel wirbelte. Stattdessen drehten sich die Partikel in einer schlangelnden Bewegung mal zur einen, mal zur anderen Seite.

Sie schwarmten eindeutig.

»Schwarmen« nannte man das Verhalten bestimmter Staaten bildender Insekten wie Ameisen oder Bienen, die immer dann schwarmten, wenn sie sich einen neuen Stock suchten. Eine Wolke Bienen flog immer wellenformig zuerst in die eine, dann in die andere Richtung, wie ein dunkler Fluss in der Luft. Wenn der Schwarm Pause machte, hangte er sich wie eine Traube an einen Baum, fur eine Stunde, vielleicht auch uber Nacht, und setzte dann seinen Weg fort. Und sobald die Bienen einen neuen Platz fur ihr Volk gefunden hatten, horten sie auf zu schwarmen.

Seit einigen Jahren schrieben Informatiker Programme, die dieses Insektenverhalten simulierten. Schwarmintelligenz-Algorithmen waren ein wichtiges Werkzeug bei der Computerprogrammierung geworden. Fur Programmierer war ein Schwarm eine Population von Computeragenten, die mithilfe verteilter Intelligenz gemeinsam an der Losung eines Problems arbeiteten. Schwarmen wurde eine verbreitete Methode, Agenten so zu organisieren, dass sie interagierten. Wissenschaftliche Gesellschaften und Kongresse widmeten sich diesem Thema. In jungster Zeit war es gar eine Art Verlegenheitslosung geworden - wer nichts Originelles codieren konnte, lie? eben seine Agenten schwarmen.

Doch jetzt sah ich auf dem Bildschirm, dass die Wolke nicht im ublichen Sinne schwarmte. Das Schlangeln, das Hin und Her, war offenbar nur ein Teil der Fortbewegung. Ich erkannte auch ein rhythmisches Ausdehnen und Zusammenziehen, ein Pulsieren, fast wie Atmung. Und es gab auch vertikale Bewegungen. Die Wolke schien dunner zu werden und hoher zu steigen, dann zusammenzufallen, sodass sie gedrungener war. Diese Veranderungen geschahen kontinuierlich und rhythmisch - oder besser gesagt, in einer Reihe sich uberlagernder Rhythmen.

»Schei?e«, sagte Ricky. »Ich seh die anderen nicht. Und ich wei?, dass er nicht allein ist.« Wieder schaltete er das Funkgerat ein. »Vince? Sehen Sie einen von den anderen?«

»Nein, Ricky.«

»Wo sind die anderen? Leute? Ich will was horen!«

Funkgerate knisterten in der gesamten Anlage. Bobby Lembeck: »Ricky, er ist allein.«

»Er kann nicht allein sein.«

Mae Chang: »Ricky, da drau?en ist sonst nichts zu entdek-ken.«

»Nur ein Schwarm, Ricky.« Das kam von David Brooks.

»Er kann nicht allein sein!« Ricky umklammerte das Funkge-rat so fest, dass seine Finger wei? wurden. Er druckte den Knopf. »Vince? Den Uberdruck rauf auf sieben.«

»Im Ernst?«

»Machen Sie schon.«

»Na schon, wenn Sie wirklich meinen ...«

»Sparen Sie sich die bloden Bemerkungen und tun Sie, was ich sage!«

Ricky wollte den Uberdruck innerhalb des Gebaudes auf sieben Pfund pro Quadratzoll erhohen lassen. In allen Betriebsanlagen, in denen extreme Sauberkeit erforderlich war, musste stets ein Uberdruck herrschen, damit kein Staub von drau?en eindringen konnte, falls es mal eine undichte Stelle gab; die Partikel wurden durch die entweichende Luft nach au?en geblasen. Aber dafur reichten ein oder zwei Pfund Uberdruck. Sieben Pfund waren sehr viel. Vollig unnotig, um passive Teilchen fern zu halten.

Aber diese Partikel waren naturlich nicht passiv.

Als ich die Wolke beobachtete, die wirbelnd und schlangelnd naher kam, sah ich, dass Teile von ihr hin und wieder das Sonnenlicht auffingen, sie glanzten und schillerten silbrig. Dann verblasste die Farbe, und der Schwarm wurde wieder schwarz. Das mussten die Piezo-Plattchen sein, die die Sonne spiegelten. Aber es zeigte deutlich, dass die einzelnen Mikroeinheiten enorm beweglich waren, denn nie wurde die ganze Wolke gleichzeitig silbern, immer nur teilweise oder in Streifen.

»Ich dachte, das Pentagon hatte den Vertrag mit euch gekundigt, weil ihr den Schwarm bei Wind nicht steuern konnt.«

»Richtig. Haben wir nicht hingekriegt.«

»Aber ihr musst in den letzten Tagen doch starken Wind gehabt haben.«

»Naturlich. Kommt meist am spaten Nachmittag auf. Gestern hatten wir zehn Knoten.«

»Wieso ist der Schwarm dann nicht weggeweht worden?«

»Weil er den Dreh rausgekriegt hat«, sagte Ricky duster. »Er hat sich angepasst.«

»Wie?«

»Schau genau hin, dann siehst du's. Immer, wenn eine Bo kommt, sinkt der Schwarm ab, schwebt dicht am Boden. Und er steigt wieder auf, sobald der Wind sich legt.«

»Ist das emergentes Verhalten?«

»Genau. Niemand hat es programmiert.« Er biss sich auf die Lippe. War das wieder gelogen?

»Du willst also damit sagen, dass er gelernt hat .«

»Ganz genau.«

»Wie kann er lernen? Die Agenten haben keinen Speicher.«

»Ah ... tja, das ist eine lange Geschichte«, sagte Ricky.

»Sie haben Speicher?«

»Ja, sie haben Speicher. Begrenzt. Wir haben ihn eingebaut.« Ricky druckte den Knopf an seinem Funkgerat. »Irgendwer was gehort?«

Die Antworten kamen, knisterten in seinem Gerat.

»Noch nicht.«

»Nichts.«

»Keine Gerausche?«

»Bisher nicht.«

Ich sagte zu Ricky: »Er macht Gerausche?«

»Wir sind nicht ganz sicher. Manchmal hort es sich so an. Wir haben versucht, es aufzunehmen . « Er tippte auf der Computertastatur, wechselte rasch zwischen den Monitorbildern hin und her, vergro?erte sie nacheinander. Er schuttelte den Kopf. »Das gefallt mir nicht. Er kann nicht allein sein«, sagte er. »Ich will wissen, wo die anderen sind.«

»Woher wei?t du, dass es noch andere gibt?«

»Weil sie immer dabei sind.« Er kaute angespannt auf seiner Lippe, wahrend er auf den Monitor blickte. »Ich frag mich, was er nun wieder vorhat .«

Wir mussten nicht lange warten. Augenblicke spater war der schwarze Schwarm bis auf wenige Meter an das Gebaude herangekommen. Urplotzlich halbierte er sich, und einer halbierte sich dann noch einmal. Jetzt waren es drei Schwarme, die nebeneinander wirbelten.

»Sauerei«, sagte Ricky. »Er hat die anderen in sich drin versteckt.« Er druckte wieder den Knopf seines

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