aus dem Hauschen.«

»Zu dem Zeitpunkt war es ungefahrlich, zu dem Schwarm rauszugehen?«

»Ja, vollig ungefahrlich. Er war eine harmlose Partikelwolke.« David zuckte die Achseln. »Jedenfalls, nach ein oder zwei Tagen beschloss Julia, einen Schritt weiterzugehen und den Schwarm systematisch zu testen. Verstehst du? Wie eine Kinderpsychologin ein Kind testen wurde.«

»Du meinst, ihm was beibringen«, sagte ich.

»Nein. Sie wollte ihn testen.«

»David«, sagte ich. »Der Schwarm ist eine verteilte Intelligenz. Er ist ein gottverdammtes Netzwerk. Egal, was du mit ihm anstellst, er lernt. Testen ist dasselbe, wie ihm was beibringen. Was genau hat sie mit ihm gemacht?«

»Blo? irgendwelche Spiele und so. Sie hat zum Beispiel drei farbige Klotze auf den Boden gelegt, zwei blaue und einen gelben, um zu sehen, ob er den gelben aussuchen wurde. Dann was mit Quadraten und Dreiecken. So was eben.«

»Aber David«, sagte ich. »Ihr habt alle gewusst, dass das ein au?er Kontrolle geratener Schwarm ist, der sich au?erhalb des Labors langsam weiterentwickelt. Ist denn keiner von euch auf die Idee gekommen, einfach da rauszugehen und ihn zu vernichten?«

»Doch. Das wollten wir alle. Aber Julia nicht.«

»Wieso?«

»Sie wollte ihn am Leben erhalten.«

»Und keiner hat ihr das ausgeredet?«

»Sie sitzt im Management, Jack. Sie hat gesagt, der Schwarm ware ein glucklicher Zufall, dass wir da auf etwas wirklich Gro?es gesto?en waren, dass er moglicherweise die Firma retten konnte und wir ihn nicht zerstoren durften. Sie war, wie soll ich sagen, richtig vernarrt in ihn. Ich meine, sie war stolz auf ihn. Als hatte sie ihn erfunden. Sie wollte ihn blo? >im Zaum haltenc. Ihre Worte.«

»Was du nicht sagst. Wie lange ist das her, dass sie das gesagt hat?«

»Gestern, Jack.« David zuckte die Achseln. »Sie ist doch erst gestern Nachmittag von hier weg.«

Ich brauchte einen Augenblick, bis ich begriff, dass er Recht hatte. Erst ein einziger Tag war vergangen, seit Julia hier gewesen war, und dann hatte sie den Unfall gehabt. Und in dieser kurzen Zeit hatte der Schwarm schon enorme Fortschritte gemacht.

»Wie viele Schwarme waren gestern da?«

»Drei. Aber wir haben nur zwei gesehen. Einer wird sich wohl versteckt haben.« Er schuttelte den Kopf. »Wei?t du, einer von den Schwarmen war so was wie Julias Liebling. Er war kleiner als die anderen. Er hat immer gewartet, dass sie rauskommt, und er ist ihr nicht von der Seite gewichen. Manchmal, wenn sie kam, ist er um sie herumgewirbelt, als wurde er sich freuen, sie zu sehen. Sie hat auch mit ihm geredet, wie mit einem Hund oder so.«

Ich presste die Finger auf meine pochenden Schlafen. »Sie hat mit ihm geredet«, wiederholte ich. Oh Gott. »Erzahl mir nicht, die Schwarme haben auch einen Gehorsinn.«

»Nein. Haben sie nicht.«

»Dann war das Reden also Zeitverschwendung.«

»Ahm, na ja ... wir glauben, die Wolke war so nahe an ihr dran, dass Julia mit ihrem Atem ein paar von den Partikeln in Schwingung versetzt hat. In einem rhythmischen Muster.«

»Dann war also die ganze Wolke wie ein riesiges Trommelfell?«

»In gewisser Weise, ja.«

»Und sie ist ein Netzwerk, also hat sie gelernt .«

»Genau.«

Ich seufzte. »Willst du mir jetzt erzahlen, die Wolke hatte auch geredet?«

»Nein, aber sie hat angefangen, komische Gerausche zu machen.«

Ich nickte. Diese komischen Gerausche hatte ich gehort. »Wie macht sie das?«

»Wir wissen es nicht genau. Bobby meint, das Gerausch ware sozusagen das Gegenteil der akustischen Schwingung, durch die sie hort. Die Partikel pulsieren in einer koordinierten Front und erzeugen so eine Schallwelle. Ungefahr so wie ein Lautsprecher.«

Irgendwas in der Art musste es sein, dachte ich. Obwohl es unwahrscheinlich schien, dass der Schwarm dazu in der Lage war. Im Grunde war er doch eine Sandwolke aus Minipartikeln. Die Partikel hatten weder die Masse noch die Energie, eine Schallwelle zu erzeugen.

Mir kam ein Gedanke. »David«, sagte ich, »war Julia gestern drau?en, bei den Schwarmen?«

»Ja, am Morgen. Kein Problem. Die Schlange haben sie erst getotet, als Julia schon ein paar Stunden weg war.«

»Und hatten sie vorher schon irgendwas getotet?«

»Ah .... vielleicht einen Kojoten vor ein paar Tagen, ich wei? nicht genau.«

»Dann war die Schlange vielleicht nicht das erste Opfer?«

»Vielleicht .«

»Und heute haben sie ein Kaninchen getotet.«

»Ja. Die machen jetzt rasend schnell Fortschritte.«

»Danke, Julia«, sagte ich.

Ich war mir ziemlich sicher, dass die beschleunigte Veranderung des Schwarmverhaltens, die wir beobachten konnten, eine Folge von Lernen aus der Vergangenheit war. Dabei handelte es sich um ein typisches Merkmal von verteilten Systemen -und eigentlich auch um ein Merkmal jeder Evolution, die ja so gesehen durchaus eine Art des Lernens war. Wie auch immer, es bedeutete jedenfalls, dass Systeme eine lange, langsame Anfangsphase hatten, woraufhin sich die Entwicklung zunehmend beschleunigte.

Ein anschauliches Beispiel dafur ist die Evolution des Lebens auf der Erde. Erstes Leben entstand vor vier Milliarden Jahren in Form von einzelligen Lebewesen. In den nachfolgenden zwei Milliarden Jahren veranderte sich nichts. Dann tauchten Kerne in den Zellen auf. Das Tempo zog an. Nur einige hundert Millionen Jahre spater, vielzellige Organismen. Wieder ein paar hundert Millionen Jahre spater, eine explosionsartige Lebensvielfalt. Und die Vielfalt nimmt zu. Vor immerhin schon zweihundert Millionen Jahren gab es gro?e Pflanzen und Tiere, komplexe Lebewesen, Dinosaurier. Gemessen daran ist der Mensch ein Spatzunder: vor vier Millionen Jahren, aufrecht gehende Affen. Vor zwei Millionen Jahren, erste menschliche Vorfahren. Vor funfunddrei?igtausend Jahren, Hohlenmalereien.

Die Beschleunigung ist dramatisch. Wurde man die Geschichte des Lebens auf der Erde in vierundzwanzig Stunden zusammendrangen, dann entstanden vielzellige Organismen vor zwolf Stunden, Dinosaurier in der letzten Stunde, die ersten Menschen tauchten vor vierzig Sekunden auf, und den neuzeitlichen Menschen gibt es seit nicht mal einer Sekunde.

Zwei Milliarden Jahre dauerte es, bis in primitiven Zellen ein Kern entstand, der erste Schritt zur Komplexitat. Doch es brauchte nur zweihundert Millionen Jahre - ein Zehntel der Zeit -, bis sich vielzellige Tiere entwickelt hatten. Und es waren nur vier Millionen Jahre vom Menschenaffen mit kleinem Gehirn und groben Knochenwerkzeugen bis hin zum modernen Menschen und zur Gentechnologie. So rasant hatte sich das Tempo erhoht.

Das gleiche Muster zeigte sich im Verhalten von verteilten Agentensystemen. Es dauerte lange, bis Agenten »das Funda-ment gelegt« und die Anfangsarbeit geschafft hatten, doch sobald das erledigt war, ging es sehr schnell voran. Die Fun-damentlegung lie? sich nicht uberspringen, genauso wie ein Mensch seine Kindheit nicht uberspringen kann. Die vorbereitende Arbeit war unumganglich.

Doch auch die nachfolgende Beschleunigung war unvermeidlich. Sie war sozusagen in das System eingebaut.

Durch Unterricht verlief die Entwicklung noch zugiger, und dass Julia die Lehrerin gespielt hatte, war ein entscheidender Faktor fur das jetzige Verhalten des Schwarms, da war ich mir sicher. Allein schon durch die Interaktion mit ihm hatte sie einen Selektionsdruck in einen Organismus eingefuhrt, dessen emergentes Verhalten nicht kalkulierbar war. Das war sehr leichtsinnig gewesen.

Der Schwarm - der sich ohnehin schon rasch entwickelte -wurde sich in Zukunft noch rascher entwickeln. Und da es sich um einen vom Menschen geschaffenen Organismus handelte, fand diese Reifung nicht auf einer biologischen Zeitskala statt, sondern binnen Stunden.

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