Mit jeder Stunde, die verging, wurde die Vernichtung der Schwarme schwieriger werden.
»Okay«, sagte ich zu David. »Wenn die Schwarme wiederkommen, sollten wir uns allmahlich auf sie vorbereiten.« Ich stand auf, verzog vor lauter Kopfschmerzen das Gesicht und ging zur Tur.
»Was hast du vor?«, fragte David.
»Was glaubst du wohl, was ich vorhabe?«, erwiderte ich. »Wir mussen die Dinger umbringen, kaltblutig. Wir mussen sie von der Erdoberflache tilgen. Und wir durfen keine Zeit verlieren.«
David rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Von mir aus gern«, sagte er. »Aber Ricky wird das gar nicht gefallen.«
»Wieso nicht?«
David zuckte die Achseln. »Er ist eben dagegen.«
Ich wartete und sagte nichts.
David wurde immer zappeliger, immer verlegener. »Die Sache ist die, Julia und er sind, ah, in dem Punkt einer Meinung.«
»Sie sind einer Meinung.«
»Ja. Sie ziehen an einem Strang. In der Sache, meine ich.«
Ich sagte: »Was willst du mir eigentlich sagen, David?«
»Nichts. Nur was ich gerade gesagt habe. Sie sind beide der Meinung, dass die Schwarme am Leben bleiben sollen. Ich glaube, Ricky wird sich dir entgegenstellen, mehr nicht.«
Ich musste unbedingt mit Mae sprechen. Ich fand sie in ihrem Labor, vor einem Computermonitor, auf dem sie sich Bilder vom Wachstum wei?er Bakterien auf dunkelrotem Nahrboden ansah. Ich sagte: »Mae, hor zu, ich hab mit David gesprochen, und ich muss - ahm, Mae? Hast du ein Problem?« Sie blickte starr auf den Bildschirm.
»Ich glaube, ja«, sagte sie. »Ein Problem mit der Bakterienzufuhr.«
»Was fur ein Problem?«
»Die neuesten Theta-d-Stamme wachsen nicht richtig.« Sie deutete auf ein Bild in der oberen Ecke des Monitors, wo Bakterien zu sehen waren, die in glatten, wei?en Kreisen wuchsen. »Das da ist normales Coliform- Wachstum«, sagte sie. »So sollte es aussehen. Aber hier ...« Sie holte ein weiteres Bild auf die Mitte des Bildschirms. Die runden Formen sahen mottenzerfressen, ausgefranst und unformig aus. »Das ist kein normales Wachstum«, sagte sie kopfschuttelnd. »Ich furchte, es ist eine Phagenkontamination.«
»Du meinst, ein Virus?«, sagte ich. Ein Phage war ein Virus, das Bakterien angriff.
»Ja«, sagte sie. »Coli-Bakterien sind anfallig fur eine sehr gro?e Anzahl von Phagen. Der T4-Phage ist naturlich der gewohnlichste, aber Theta-d musste so konstruiert sein, dass es T4-resistent ist. Ich nehme also an, dass da ein neuer Phage im Spiel ist.«
»Ein neuer Phage? Du meinst, er hat sich gerade entwik-kelt?«
»Ja. Vermutlich der Mutant eines bestehenden Stamms, der die konstruierte Resistenz irgendwie umgeht. Aber das ist eine Katastrophe fur die Herstellung. Wenn unser Bakterienmaterial infiziert ist, mussen wir die Produktion einstellen. Sonst spukken wir nur Viren aus.«
»Offen gestanden«, sagte ich, »ware es vielleicht gar nicht schlecht, die Produktion einzustellen.«
»Mir bleibt wahrscheinlich keine andere Wahl. Ich versuche, ihn zu isolieren, aber er sieht aggressiv aus. Kann sein, dass ich ihn nicht loswerde, wenn ich nicht alles vernichte. Mit frischem Material ganz von vorn anfange. Das wird Ricky gar nicht gefallen.«
»Hast du ihm schon davon erzahlt?«
»Noch nicht.« Sie schuttelte den Kopf. »Ich denke, schlechte Nachrichten hat er schon genug. Und au?erdem ...« Sie brach ab, als hatte sie es sich anders uberlegt.
»Au?erdem ...?«
»Fur Ricky hangt unheimlich viel vom Erfolg dieser Firma ab.« Sie blickte mich an. »Bobby hat ihn neulich am Telefon gehort, wie er uber seine Aktienoptionsrechte gesprochen hat. Und da hat er besorgt geklungen. Ich denke, Ricky sieht Xymos als seine letzte gro?e Chance. Er ist seit funf Jahren hier. Wenn es hier nicht hinhaut, ist er zu alt, um in einer anderen Firma noch mal neu anzufangen. Er hat eine Frau und ein kleines Kind; er kann nicht noch einmal funf Jahre investieren, in der Hoffnung, dass es in einer anderen Firma klappt. Also will er das hier um jeden Preis schaffen und hangt sich richtig in die Sache rein. Er arbeitet sogar die Nachte durch, zermartert sich das Hirn. Er schlaft hochstens drei, vier Stunden. Ehrlich gesagt, ich furchte, er kann schon nicht mehr vernunftig denken.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich. »Der Druck muss entsetzlich sein.«
»Vor lauter Schlafmangel ist er unberechenbar geworden«, sagte Mae. »Ich wei? nie, was er machen wird oder wie er reagiert. Manchmal hab ich den Eindruck, dass er die Schwarme gar nicht loswerden will. Oder vielleicht hat er Angst.«
»Vielleicht«, sagte ich.
»Jedenfalls, er ist unberechenbar. Ich ware an deiner Stelle also vorsichtig«, sagte sie, »wenn du die Schwarme vernichten willst. Denn das hast du doch vor, nicht? Sie vernichten?«
»Ja«, sagte ich. »Das habe ich vor.«
Sie hatten sich alle im Freizeitraum, dem mit den Videospielen und Flipperautomaten, versammelt. Niemand spielte jetzt damit. Sie sahen mich aus angstlichen Augen an, wahrend ich erklarte, was wir zu tun hatten. Der Plan war ganz einfach - der Schwarm selbst diktierte, was wir tun mussten, obgleich ich diese unangenehme Wahrheit aussparte.
Im Grunde, so sagte ich ihnen, hatten wir es mit einem au?er Kontrolle geratenen Schwarm zu tun. Und der Schwarm lie? selbst organisiertes Verhalten erkennen. »Eine hohe SO-Komponente bedeutet, der Schwarm kann sich selbst wieder zusammenfugen, wenn er beschadigt oder auseinander gerissen wurde. So war das ja auch, als ich ihn zerstreut habe. Deshalb muss der Schwarm vollstandig zerstort werden. Das hei?t, die Partikel mussen Hitze, Kalte, Saure oder hohen Magnetfeldern ausgesetzt werden. Und nachdem ich sein Verhalten erlebt habe, wurde ich sagen, die beste Chance, ihn zu vernichten, haben wir nachts, wenn der Schwarm Energie verliert und zu Boden sinkt.«
Ricky klagte: »Aber Jack, wir haben dir doch schon gesagt, dass wir ihn nachts nicht finden konnen.«
»Stimmt, das konnt ihr nicht«, sagte ich, »weil ihr ihn nicht sichtbar markiert habt. Mann, da drau?en ist eine gro?e Wuste. Wenn ihr ihn in seinem Versteck aufspuren wollt, musst ihr ihn mit irgendwas markieren, was so deutlich ist, dass ihr seine Spur uberallhin verfolgen konnt.«
»Mit was denn markieren?«
»Das ist meine nachste Frage«, sagte ich. »Was fur Agenten haben wir hier, die sich zum Markieren eignen wurden?« Ich erntete leere Blicke. »Kommt schon, Leute. Wir sind hier in einer Industrieanlage. Ihr werdet doch wohl
Weitere leere Blicke. Kopfschutteln.
»Na ja«, sagte Mae, »wir haben naturlich Radioisotope.«
»Ja, wunderbar.« Endlich kamen wir weiter.
»Die verwenden wir, um nach undichten Stellen im System zu suchen. Der Hubschrauber bringt einmal pro Woche welche.«
»Was fur Isotope habt ihr?«
»Selen-72 und Rhenium-186. Manchmal auch Xenon-133. Ich wei? nicht genau, was wir zurzeit dahaben.«
»Wie sieht's mit der Halbwertszeit aus?« Bestimmte Isotope verlieren die Radioaktivitat sehr rasch, binnen Stunden oder Minuten. Mit solchen konnte ich nichts anfangen.
»Die Halbwertszeit betragt im Durchschnitt etwa eine Woche«, sagte Mae. »Selen acht Tage. Rhenium vier Tage. Xenon-133 funf Tage. Funf ein Viertel.«
»Okay. Dann konnten wir sie alle fur unsere Zwecke einsetzen«, sagte ich. »Es reicht, wenn die Radioaktivitat eine Nacht halt, sobald wir den Schwarm markiert haben.«
Mae sagte: »Wir verwenden die Isotope normalerweise in FDG. Das ist flussige Glukose. Man konnte sie spruhen.«