»Wann essen wir denn?«

»In einer halben Stunde.« Bobby Lembeck lachte. »Ich koche.«

Das erinnerte mich daran, dass ich um die Abendessenszeit zu Hause anrufen wollte, also ging ich in mein Zimmer und wahlte die Nummer.

Ellen meldete sich. »Hallo? Was ist denn!« Sie klang gehetzt. Im Hintergrund horte ich Amanda schreien und Eric Nicole anbrullen. Ellen sagte: »Nicole, lass deinen Bruder in Ruhe!«

Ich sagte: »Hi, Ellen.«

»Oh, Gott sei Dank«, sagte sie. »Du musst mit deiner Tochter sprechen.«

»Was ist denn los?«

»Moment. Nicole, dein Vater.« Ich sah im Geiste, wie sie ihr den Horer entgegenstreckte.

Dann eine Pause. »Hi, Dad.«

»Was ist denn bei euch los, Nic?«

»Nichts. Eric benimmt sich unmoglich.« Sachlich.

»Nic, ich mochte wissen, was du mit deinem Bruder gemacht hast.«

»Dad.« Sie senkte die Stimme zu einem Flustern. Ich wusste, dass sie die hohle Hand uber den Horer hielt. »Tante Ellen ist nicht sehr nett.«

»Das hab ich gehort«, sagte Ellen im Hintergrund. Aber wenigstens schrie Amanda nicht mehr; sie war hochgenommen worden.

»Nicole«, sagte ich. »Du bist die Alteste, ich erwarte von dir, dass du dich mit deinem Bruder vertragst, wenn ich nicht da bin.«

»Will ich ja auch, Dad. Aber er ist ein Riesenaffenarsch!«

Aus dem Hintergrund: »Bin ich nicht! Blode Sau!«

»Dad. Da horst du, was ich durchmache.«

Eric: »Du kannst mich mal, Pissnelke.«

Ich blickte auf den Monitor vor mir. Er zeigte die Wuste drau?en, rotierende Bilder von allen Uberwachungskameras. Eine Kamera zeigte das Motorrad, das vor der Tur zur Energiestation auf der Seite lag. Eine andere das Depot von au?en, wo die Tur auf- und zuklappte und drinnen die Umrisse von Rosies Leichnam zu erkennen waren. Zwei Menschen waren heute gestorben. Ich auch beinahe. Und meine Familie, die gestern noch das Wichtigste in meinem Leben gewesen war, kam mir jetzt weit weg und unbedeutend vor.

»Es ist ganz einfach, Dad«, sagte Nicole jetzt, in ihrer vernunftigsten Erwachsenenstimme. »Ich komme mit Tante Ellen vom Einkaufen nach Hause, ich hab eine tolle Bluse fur die Theatervorfuhrung gekriegt, und auf einmal kommt Eric in mein Zimmer und schmei?t meine ganzen Bucher auf die Erde. Ich hab naturlich gesagt, er soll alles wieder aufraumen. Er sagt, nein, und hat mich F., du wei?t schon, genannt, also hab ich ihn in den Hintern getreten, nicht sehr fest, und ihm seinen G.I. Joe weggenommen und versteckt. Mehr nicht.«

Ich sagte: »Du hast ihm seinen G.I. Joe weggenommen?« G.I. Joe war Erics Ein und Alles. Er sprach mit G.I. Joe, und wenn er schlief, lag G.I. Joe auf dem Kopfkissen neben ihm.

»Er kann ihn wiederhaben«, sagte sie, »wenn er meine Bucher wieder aufgehoben hat.«

»Nic .«

»Dad, er hat das Wort mit F zu mir gesagt.«

»Gib ihm seinen G.I. Joe zuruck.«

Auf dem Monitor erschienen jetzt nacheinander die Bilder von den verschiedenen Kameras. Jede Aufnahme war ein oder zwei Sekunden zu sehen. Ich wartete, dass das Bild vom Depot wieder eingeblendet wurde. Ich hatte so ein ungutes Gefuhl. Irgendwas stimmte da nicht.

»Dad, das ist ungerecht.«

»Nic, du bist nicht seine Mutter .«

»Ach so, ja, die war ja auch mindestens funf Sekunden hier.«

»Sie war zu Hause? Mom war da?«

»Aber dann, wer hatte das gedacht, musste sie gleich wieder weg. Sie musste einen Flug kriegen.«

»Aha. Nicole, hor bitte auf Ellen ...«

»Dad, ich sage dir, sie ist einfach ...«

»Weil sie die Verantwortung hat, bis ich wiederkomme. Also, wenn sie dir sagt, was du tun sollst, dann tust du es.«

»Dad. Ich finde das unzumutbar.« Ihre Geschworenenstimme.

»Tja, Mauschen, aber so wird's gemacht.«

»Aber mein Problem .«

»Nicole. So wird's gemacht. Bis ich wieder da bin.«

»Wann kommst du denn?«

»Wahrscheinlich morgen.«

»Okay.«

»Also. Haben wir uns verstanden?«

»Ja, Dad. Ich krieg hier wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch .«

»Ich besuch dich auch in der Nervenheilanstalt, sobald ich zuruck bin, versprochen.«

»Sehr witzig.«

»Gib mir mal Eric.«

Ich hatte ein kurzes Gesprach mit Eric, der mehrmals betonte, dass das alles gemein sei. Ich sagte, dass er Nicoles Bucher aufheben solle. Er erwiderte, er habe sie gar nicht runtergeschmissen, es sei ein Versehen gewesen. Ich sagte, er solle sie trotzdem aufheben. Dann sprach ich kurz mit Ellen. Ich munterte sie auf, so gut ich konnte.

Wahrend des Gesprachs erschien plotzlich wieder ein Bild von der Uberwachungskamera, die auf das Depot gerichtet war. Und wieder sah ich die pendelnde Tur und die Au?enseite des Gebaudes. Es lag auf einer kleinen Erhohung; vier Holzstufen fuhrten von der Tur nach unten auf die ebene Erde. Aber alles sah ganz normal aus. Ich wusste nicht, was mich gewurmt hatte.

Und dann merkte ich es.

Davids Leichnam war nicht da. Er war nicht im Bild. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie David zur Tur hinausgerutscht war, au?er Sicht, er musste also drau?en liegen. Bei dem leichten Gefalle konnte er ein paar Meter von der Tur weggerollt sein, aber mehr nicht.

Keine Leiche.

Aber vielleicht tauschte ich mich ja. Oder vielleicht gab es doch noch Kojoten. So oder so, das Kamerabild hatte sich schon wieder geandert. Ich wurde eine weitere Runde abwarten mussen, um es noch mal zu sehen. Ich beschloss, nicht zu warten. Wenn Davids Leichnam verschwunden war, dann musste ich mich eben damit abfinden.

Es war kurz vor sieben, als wir uns in der kleinen Kuche im Wohnmodul zum Essen an den Tisch setzten. Bobby stellte Teller mit Ravioli und gemischtem Gemuse auf den Tisch. Da ich lange genug Hausmann gewesen war, erkannte ich die Tiefkuhlkostsorten, die er verwendet hatte. »Ich finde ja, die Ravioli von Contadina sind besser.«

Bobby zuckte die Achseln. »Ich geh zum Kuhlschrank und guck, was da ist.«

Ich war uberraschend hungrig. Ich a? meinen Teller leer.

»So schlecht kann's ja nicht geschmeckt haben«, sagte Bob-by.

Mae war beim Essen schweigsam, wie immer. Vince neben ihr a? gerauschvoll. Ricky sa? am anderen Ende des Tisches, weit von mir weg, blickte auf sein Essen, um mir nicht in die Augen schauen zu mussen. Mir war das nur recht. Niemand wollte uber Rosie und David Brooks sprechen. Doch die leeren Hocker am Tisch waren nicht zu ubersehen. Bobby sagte zu mir: »Und, wollt ihr heute Abend los?«

»Ja«, sagte ich. »Wann wird es dunkel?«

»Die Sonne musste gegen halb acht untergehen«, sagte Bob-by. Er knipste einen Monitor an der Wand an. »Ich geb dir die genaue Uhrzeit.«

Ich sagte: »Drei Stunden spater konnen wir dann aufbrechen. Irgendwann nach zehn.«

Bobby sagte: »Und du glaubst, ihr findet die Schwarme?«

»Bestimmt. Charley hat einen von ihnen ja ganz ordentlich eingespruht.«

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