hervor. Sie sah aus wie eine im Sterben liegende Krebskranke. Ihr Mund bewegte sich. Ich horte schwache Worte, kaum mehr als ein Hauchen. Ich beugte mich vor, hielt mein Ohr dicht an ihren Mund.

»Jack«, flusterte sie. »Er frisst mich auf.«

Ich sagte: »Ich wei?.«

Ihre Stimme war nur noch ein Flustern. »Du musst was tun.«

»Ich wei?.«

»Jack ... die Kinder.«

»Ja.«

Sie flusterte: »Ich ... hab sie ... gekusst ...«

Ich sagte nichts. Ich schloss blo? die Augen.

»Jack . Rette meine Kleinen . Jack .«

»Ja«, sagte ich.

Ich blickte zu den Wanden auf und sah uberall um mich her-um Julias Gesicht und Korper, uberdehnt und dem Raum angepasst. Die Partikel behielten Julias Au?eres bei, waren aber jetzt flach an die Wande gepresst. Und sie bewegten sich nach wie vor, im Einklang mit den Bewegungen ihrer Lippen, dem Blinzeln ihrer Augen. Wahrend ich hinsah, trieben sie plotzlich zu ihr zuruck, wie ein Nebel in der Farbe von Julias Haut.

Von drau?en horte ich Ricky rufen: »Julia! Julia!« Er trat zweimal gegen die Tur, aber er kam nicht herein. Ich wusste, er wurde sich nicht trauen. Ich hatte eine ganze Minute gewartet, sodass die Kondensatoren geladen waren. Er konnte mich jetzt nicht daran hindern, den Magnet wieder einzuschalten. Ich konnte es jederzeit tun - zumindest bis die Kondensatoren entladen waren. Ich wusste nicht, wie lange das dauern wurde.

»Jack .«

Ich blickte sie an. Ihre Augen waren traurig, flehend.

»Jack«, sagte sie. »Ich wusste nicht ...«

»Schon gut«, sagte ich. Die Partikel kamen zuruck, setzten ihr Gesicht vor meinen Augen erneut zusammen. Julia nahm wieder eine feste Form an und wurde schon.

Ich rammte das Knie gegen den Knopf.

Wumm!

Die Partikel schossen weg, flogen wieder an die Wande, doch diesmal nicht so schnell. Und ich hatte erneut die ausgezehrte Julia in den Armen, ihre tief liegenden Augen flehten mich an.

Ich griff in meine Tasche und zog eins von den Phagen-Rohrchen hervor. »Trink das hier«, sagte ich.

»Nein ... nein ...« Sie war aufgewuhlt. »Zu spat ... fur ...«

»Trink«, bat ich. Ich hielt ihr das Rohrchen an die Lippen. »Komm, Schatz. Bitte versuch es.«

»Nein . bitte . Nicht wichtig .«

Ricky schrie: »Julia! Julia!« Er hammerte gegen die Tur. »Julia, ist alles in Ordnung?«

Die Leichenaugen drehten sich in Richtung Tur. Ihr Mund bewegte sich. Ihre Skelettfinger zogen an meinem Hemd, kratzten am Stoff. Sie wollte mir etwas sagen. Ich drehte den Kopf, damit ich sie horen konnte.

Sie atmete flach, schwach. Ich konnte die Worte nicht verstehen. Und dann plotzlich waren sie ganz deutlich.

Sie sagte: »Sie mussen dich jetzt toten.«

»Ich wei?«, sagte ich.

»Lass das nicht zu . Kinder .«

»Das werde ich nicht.«

Ihre knochige Hand beruhrte meine Wange. Sie flusterte. »Ich habe dich immer geliebt, Jack. Ich wurde dir niemals wehtun.«

»Ich wei?, Julia. Ich wei?.«

Die Partikel losten sich erneut von den Wanden. Jetzt schienen sie zusammenzugleiten, um dann zu Julias Gesicht und Korper zuruckzukehren. Wieder druckte ich den Notknopf, wollte noch mehr Zeit mit ihr haben, doch es kam nur ein trages, mechanisches Klonk.

Die Kondensatoren waren leer.

Und mit einem Wuusch kehrten alle Partikel zuruck, und Julia war wieder so kraftig und schon und stark wie zuvor, und sie stie? mich mit einem verachtlichen Blick von sich weg und sagte mit lauter, fester Stimme: »Tut mir Leid, dass du das sehen musstest, Jack.«

»Mir auch«, sagte ich.

»Aber das ist nun mal nicht zu andern. Wir verschwenden hier unsere Zeit. Ich will den Virus-Kanister, Jack. Und zwar auf der Stelle.«

In gewisser Weise machte es mir die Sache einfacher. Denn jetzt wusste ich, dass ich es nicht mehr mit Julia zu tun hatte. Ich musste mir keine Gedanken mehr darum machen, was ihr zusto?en konnte. Ich musste mir nur noch um Mae Gedanken machen - vorausgesetzt, sie lebte noch - und um mich.

Und vorausgesetzt, dass es mir gelang, die nachsten paar Minuten zu uberleben.

7. Tag, 7.18 Uhr

»Okay«, sagte ich zu ihr. »Okay. Ich hol dir das Virus.«

Sie runzelte die Stirn. »Du schaust wieder so ...«

»Nein«, sagte ich. »Ich kann nicht mehr. Ich bring dich hin.«

»Schon. Wir fangen mit den Rohrchen in deiner Tasche an.«

»Was, die hier?«, sagte ich. Ich griff in meine Tasche, um sie herauszuholen, als ich durch die Tur ging. Drau?en warteten Ricky und Vince auf mich.

»Wirklich sehr komisch«, sagte Ricky. »Du hattest sie beinahe umgebracht. Du hattest beinahe deine eigene Frau umgebracht.«

»Was sagt man dazu«, sagte ich.

Ich tastete noch immer in meiner Tasche herum, als hatten die Rohrchen sich im Stoff verfangen. Sie wussten nicht, was ich da tat, und packten mich erneut, Vince auf der einen Seite und Ricky auf der anderen.

»Jungs«, sagte ich, »das geht so nicht, wenn ihr mich .«

»Lasst ihn los«, sagte Julia, die hinter mir herkam.

»Von wegen«, sagte Vince, »der will uns reinlegen.«

Ich muhte mich noch immer ab, die Rohrchen aus der Tasche zu ziehen. Schlie?lich hatte ich sie in der Hand. Bei unserem Gerangel lie? ich eins fallen. Es zerplatzte auf dem Betonboden, und braune Bruhe spritzte hoch.

»Gott!« Sie sprangen alle drei zuruck, lie?en mich los. Sie starrten zu Boden und blickten auf ihre Fu?e, um sicherzugehen, dass sie nichts abbekommen hatten.

Und in diesem Augenblick rannte ich los.

Ich zog den Kanister aus seinem Versteck und lief weiter. Ich musste die ganze Produktionshalle durchqueren, um zu dem Aufzug zu gelangen, der mich bis unter die Decke bringen wurde, wo sich samtliche Versorgungssysteme befanden. Wo die Entluftung und die elektrischen Verteilerkasten waren -und der Tank der Sprinkleranlage. Wenn ich den Aufzug erreichte und zwei, zweieinhalb Meter in der Luft ware, konnten sie mir nichts mehr anhaben.

Wenn ich das schaffte, wurde mein Plan funktionieren.

Der Aufzug war gut funfzig Meter entfernt.

Ich rannte, so schnell ich konnte, sprang uber die tiefsten Arme des Kraken, duckte mich unter den brusthohen Teilen hindurch. Ich sah nach hinten und konnte sie durch das Gewirr von Armen und Maschinen nicht sehen. Aber ich horte die drei rufen, und ich horte sie rennen. Ich horte Julia: »Er will zu den Sprinklern!« Weiter vorn sah ich die offene Kabine des Aufzugs.

Ich wurde es schaffen, bestimmt.

Im selben Moment stolperte ich uber einen der Arme und schlug der Lange nach hin. Der Kanister rutschte uber den Boden, kam an einem Stutzbalken zum Stehen. Ich rappelte mich rasch wieder auf und griff nach ihm. Ich wusste, dass sie mir dicht auf den Fersen waren. Ich traute mich nicht, nach hinten zu schauen.

Ich rannte auf den Aufzug zu, zog an einem letzten Rohr den Kopf ein, doch als ich nach vorn schaute, war Vince bereits da. Er musste eine Abkurzung durch die Krakenarme gekannt haben; er war mir zuvorgekommen. Jetzt stand er in der offenen Kabine und grinste. Ich blickte nach hinten und sah, dass auch Ricky mich bald eingeholt haben wurde.

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