Besprechungen versaumt.«

»Jesus, das passiert doch jedem mal! Bei uns gibt's keinen, der das nicht kennt - ein Notruf, auf den man reagiert, wahrend das Buro warten mu?. Ich kann mich nicht mal an einzelne Falle erinnern.«

»Ernst hat sich daran erinnert und die entsprechenden Unterlagen gefunden.« Leon sah auf seinen Zettel. »Ich hab' dir gesagt, da? ihre Grunde trivial sind. Willst du noch mehr horen?«

Ainslie schuttelte den Kopf. Beweglichkeit, schnelle Entscheidungen und flexible Reaktionen auf das Unerwartete gehorten zum Dienstalltag der Polizei, vor allem der Mordkommission. Vom Verwaltungsstandpunkt aus waren die Ergebnisse nicht immer vorschriftsma?ig, aber das gehorte zu diesem Job. Das wu?te jeder, naturlich auch Cynthia.

Aber auch Ainslie wu?te etwas - namlich da? er nichts dagegen unternehmen konnte. Cynthia hatte den Dienstgrad und vor allem den notigen Einflu?; sie hielt alle Trumpfe in der Hand. Er erinnerte sich an ihre Drohung beim Abschied. Nun, sie hatte ihr Versprechen gehalten.

»Verdammt«, murmelte Ainslie und starrte trubsinnig auf die Stra?e hinaus.

»Tut mir leid, Malcolm. Das ist wirklich Pech.«

Ainslie nickte. »Ich bin dir dankbar, da? du's mir erzahlt hast, Ralph. Von diesem Gesprach erfahrt niemand etwas.«

Leon betrachtete die karierte Tischdecke. »Das kommt mir jetzt nicht mehr so wichtig vor.« Er hob den Kopf. »Bleibst du trotzdem dabei?«

»Ich denke schon.« Vor allem wegen der fehlenden Alternativen, sagte er sich.

Und letztlich blieb er auch dabei.

Nach diesem Gesprach mit Ralph Leon fiel Ainslie eine andere Unterhaltung ein: Er erinnerte sich an ein kurzes, unerwartetes Gesprach, das Mrs. Eleanor Ernst, Cynthias Mutter, vor einigen Monaten mit ihm gefuhrt hatte.

Im allgemeinen verkehren Polizeisergeants nicht in Kreisen, in denen sie den Spitzen der Stadtverwaltung oder ihren Ehepartnern begegnen; zu dieser Begegnung kam es jedoch, als ein Vorgesetzter Ainslies, der in den Ruhestand trat, ein Abschiedsessen gab, an dem auch Commissioner Ernst mit seiner Frau teilnahm. Ainslie kannte Mrs. Ernst vom Sehen; sie war ihm immer als sehr zuruckhaltend erschienen - sehr elegant, aber etwas schuchtern. Deshalb war er uberrascht, als sie beim Stehempfang vor dem Dinner mit einem Weinglas in der Hand auf ihn zukam.

Sie fragte mit leiser Stimme: »Sie sind Sergeant Ainslie, nicht wahr?«

»Ja, der bin ich, Ma'am.«

»Soviel ich wei?, sind Sie und meine Tochter nicht mehr -wie soll ich's ausdrucken? - miteinander befreundet. Ist das richtig?« Als sie sah, da? Ainslie zogerte, fugte sie hinzu: »Oh, keine Angst, ich erzahle nichts weiter. Aber Cynthia ist manchmal nicht sehr verschwiegen.«

Er wu?te nicht recht, was er sagen sollte. »Ich sehe Cynthia praktisch gar nicht mehr.«

»Aus dem Mund einer Mutter mag das ungewohnlich klingen, Sergeant, aber es hat mir leid getan, das zu horen. Ich glaube, Sie haben einen guten Einflu? auf Cynthia gehabt. Sagen Sie, haben Sie sich freundschaftlich oder anders getrennt?«

»Anders.«

»Schade.« Mrs. Ernst sprach noch leiser. »Ich sollte das vermutlich nicht sagen, aber ich mochte Ihnen etwas erzahlen, Sergeant Ainslie. Glaubt Cynthia, ihr sei Unrecht geschehen, vergi?t sie niemals, verzeiht niemals. Nur eine Warnung, die Sie beherzigen sollten. Guten Abend.«

Mrs. Ernst verschwand mit ihrem Weinglas in der Hand zwischen den anderen Gasten.

Nun hatten Eleanor Ernsts prophetische Worte ihre Bestatigung gefunden. Captain Ralph Leon war der Unglucksbote gewesen, und Ainslie wurde - anscheinend fur immer - Cynthias Preis bezahlen mussen.

Nach so langer Zeit, so vielen Ereignissen, so vielen Intrigen und so vielen Veranderungen fur sie beide sa?en Malcolm Ainslie und Cynthia Ernst sich jetzt in Lieutenant Newbolds Buro gegenuber.

»Kommen Sie zur Sache«, hatte Cynthia in bezug auf die Ermordung ihrer Eltern verlangt. »Ich will horen, was Sie wirklich tun, und erwarte, da? Sie nichts zuruckhalten.«

»Wir haben eine Liste der Verdachtigen zusammengestellt, die uberwacht werden sollen. Ich sorge dafur, da? Ihnen ein Exemplar... «

»Ich habe sie bereits.« Cynthias Hand beruhrte einen vor ihr auf dem Schreibtisch liegenden Ordner. »Steht auf dieser Liste ein Hauptverdachtiger?«

»Robinson konnte in Frage kommen. Verschiedene Aspekte scheinen zu passen, aber fur einen konkreten Verdacht ist's noch zu fruh. Die Uberwachung mu?te uns weitere Hinweise liefern.«

»Sind Sie der Uberzeugung, da? diese Morde von einem einzigen Tater verubt worden sind?«

»Davon sind eigentlich alle uberzeugt.« Ainslie hielt seine eigenen Zweifel fur zu unwichtig, um sie zu erwahnen.

Weitere Fragen folgten, und Ainslie bemuhte sich, so gut es eben ging, Cynthia trotz ihrer Unnahbarkeit durch seine Antworten sein Mitgefuhl auszudrucken. Gleichzeitig war er sehr auf der Hut. Daran war Cynthia schuld, denn er wu?te aus leidvoller Erfahrung, da? sie jegliche Informationen so verwendete, wie es ihr gerade pa?te.

Gegen Ende dieser Befragung sagte sie: »Wie ich hore, haben Sie mehrere an den Tatorten aufgefundene Gegenstande mit Bibelzitaten in Verbindung gebracht.«

»Ja, uberwiegend aus der Offenbarung.«

»Uberwiegend?«

»Exakte Hinweise gibt es nicht. Es ist schwierig, sich in die Uberlegungen eines Taters hineinzuversetzen, die widerspruchlich sein konnen. Aber diese Hinweise haben uns auf die Spur der Leute gebracht, die wir jetzt uberwachen.«

»Ich wunsche, da? Sie mich uber alle neuen Entwicklungen auf dem laufenden halten. Sie erstatten mir taglich telefonisch Bericht.«

»Entschuldigung, Major, aber das mu?ten Sie erst mit Lieutenant Newbold klaren.«

»Das habe ich bereits getan. Er hat meine Anweisungen. Sie haben jetzt Ihre. Halten Sie sich bitte daran.«

Nun, sagte er sich, mit ihrem Dienstgrad kann Major Cynthia Ernst solche Anweisungen geben, auch wenn sie sich damit strenggenommen au?erhalb ihres Zustandigkeitsbereichs bewegt.

Aber daraus folgt noch langst nicht, da? sie absolut luckenlos informiert werden mu?, nicht einmal uber die Morde an ihren Eltern.

Ainslie stand auf, trat naher an den Schreibtisch und sah auf Cynthia herab. »Major, ich werde mein Bestes tun, um Sie auf dem laufenden zu halten, aber als Leiter der Sonderkommission habe ich vor allem die Pflicht, diese Mordserie aufzuklaren.« Er wartete, bis sie zu ihm aufsah, bevor er hinzufugte: »Nichts ist mir wichtiger als dieser Auftrag.«

Sie schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber doch. Ainslie trat wieder einen Schritt zuruck. Ja, Cynthia stand im Dienstgrad hoch uber ihm und konnte ihm dienstlich praktisch alles befehlen. Aber auf personlicher Ebene, das hatte er sich fest vorgenommen, wurde er sich nicht von ihr herumkommandieren lassen. Niemals.

Tatsache war, da? er Cynthia nicht traute und sie eigentlich kaum noch mochte. Er ahnte die Existenz von Dingen, die sie nicht preisgab, hatte aber keine Vorstellung davon, worum es sich dabei handelte und wie sie mit seinen Ermittlungen in bezug auf die Serienmorde zusammenhangen konnten. Aus zuverlassiger Quelle in ihrer Abteilung wu?te er, da? Cynthia wie fruher mit zweifelhaften Methoden arbeitete und mit dubiosen Gestalten verkehrte, vor allem mit dem Schriftsteller Patrick Jensen.

Jensen wurde weiterhin von der Miami Police uberwacht. Geruchte wollten von einer Verbindung zwischen Jensen und einer Drogenhandlerbande wissen, gegen die im Zusammenhang mit dem sogenannten Rollstuhlmord ermittelt wurde. Der Ermordete, ein Querschnittsgelahmter, dem die Polizei wertvolle Hinweise verdankte, war eines Nachts gefesselt und geknebelt in das einsame Wattengebiet sudlich von Homestead geschoben worden. Sein Rollstuhl war mit Ketten und Gewichten auf dem Meeresboden verankert worden, so da? der Mann bei hereinkommender Flut ertrunken war.

Das alles hatte naturlich nichts mit Major Cynthia Ernst zu tun...

Sie nickte leicht. »Das war's vorerst, Sergeant. Sie konnen gehen.«

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