»Von allen Einsatzen fur uns Cops«, meinte Detective Charlie Thurston, »sind Observationen garantiert die beschissensten.«
»Ich steh' auch nicht drauf«, bestatigte Bradford Andrews. »Und dieser verdammte Regen macht's nicht besser.«
Thurston von der Mordkommission und Andrews aus dem Raubdezernat sa?en zur Tarnung in einem Servicewagen des Stromkonzerns Florida Power & Light. Sie hatten den Auftrag, Carlos Quinones zu uberwachen - einen der insgesamt sechs wegen der Serienmorde verdachtigten Manner, deren Namen der Computer ausgespuckt hatte.
Die Polizei besa? zahlreiche Fahrzeuge fur Uberwachungszwecke. Dazu gehorten Taxis, Servicewagen von Telefongesellschaften, Werkstattfahrzeuge von Gas-, Wasser-und Stromversorgern, Lieferwagen und sogar Paketwagen. Manche hatte sie den jeweiligen Betreibern abgekauft oder von ihnen gespendet bekommen. Andere Fahrzeuge, die bei Razzien gegen Drogenhandler beschlagnahmt worden waren, hatten Gerichte ihr zugesprochen. Der bei Uberwachungen wie im Fall Quinones eingesetzte Fahrzeugtyp wechselte taglich.
Die beiden Kriminalbeamten, beide Anfang Drei?ig, parkten seit fast drei Stunden vor Quinones' Apartment in einem heruntergekommenen Wohnblock in dem inoffiziell als Liberty City bekannten Stadtteil.
Es war schon fast neunzehn Uhr, und Brad Andrews gahnte vor Langeweile. Andrews hatte eine Vorliebe fur Action, aber Observationen boten haufig genau das Gegenteil. Man mu?te stundenlang in geparkten Wagen herumhocken und aus dem Fenster starren, ohne da? etwas passierte. Auch bei gutem Wetter war es schwer, sich auf den Auftrag zu konzentrieren, ohne in Gedanken bei anderen Dingen zu sein: was es heute zum Abendessen geben wurde, Sport, Sex, eine uberfallige Hypothekenzahlung...
Starker Regen, der vor einer Stunde eingesetzt hatte, erschwerte es den Kriminalbeamten, deutlich zu sehen, was drau?en vor sich ging, aber das Einschalten der Scheibenwischer hatte nur verraten, da? hier jemand beobachtet wurde. Auch das monotone Gerausch der Regentropfen auf dem Wagendach war nicht gerade motivierend; es war ein einschlaferndes Trommeln, das die Manner sanft einlullte.
»Wach auf, Mann!« sagte Thurston warnend, als er Andrews' Gahnen sah.
»Ich versuch's schon«, sagte Brad Andrews und setzte sich auf. Als erfahrener Kriminalbeamter gehorte er zu den Leuten, die das Raubdezernat fur Observationen abgestellt hatte. Um sein Familienleben etwas zu stabilisieren, hatte Andrews, der fruher bei der Mordkommission gewesen war, sich zum Raubdezernat versetzen lassen, wo weniger Uberstunden anfielen. Jetzt arbeitete er vorubergehend wieder mit den alten Kollegen zusammen.
Die Sonderkommission bestand aus vierundzwanzig Personen: den Sergeants Ainslie und Greene, ihren beiden Teams aus je vier Kriminalbeamten und zwolf weiteren Beamten aus dem Raubdezernat. Dazu kamen zwei Ermittler der Staatsanwaltschaft, die sich ebenfalls an Observationen beteiligten.
»Hey, da ist unser Mann!« sagte Andrews. »Kaum zu glauben, aber er kammt sich schon wieder.«
Quinones, ein stammiger Hispanic mit dunklem Teint, hatte ein breites Grinsen und dichtes, gewelltes Haar, das er sich in den zweieinhalb Tagen, in denen Thurston und Andrews ihn nun schon beobachteten, mindestens drei Dutzend Male gekammt haben mu?te. Sein Strafregister enthielt zahlreiche Vorstrafen wegen Korperverletzung, Vergewaltigung und Raububerfallen mit Gewaltanwendung.
Jetzt stieg er mit einem vollbartigen Unbekannten in seinen verbeulten gelben 78er Chevrolet und fuhr davon. Die beiden Kriminalbeamten folgten ihnen mit ihrem Werkstattwagen der Florida P & L, in dem Andrews am Steuer sa?.
Quinones fuhr ohne Umweg zum Highway 836, einer verkehrsreichen Schnellstra?e. Auf dem nach Westen in Richtung Miami International Airport fuhrenden Streckenteil rammte er nacheinander mehrere Wagen vo n hinten - offenbar mit der Absicht, ihre Fahrer zum Anhalten zu provozieren, um sie dann auszurauben.
»Schei?e!« sagte Thurston unwillig, wahrend sie das beobachteten. »Am liebsten wurd' ich die beiden Dreckskerle verhaften.«
Andrews nickte. »Yeah, vielleicht mussen wir das sowieso noch.«
Die beiden Kriminalbeamten steckten in einem Dilemma. Sie sollten Quinones als moglichen Serienmorder beschatten, aber falls eines der gerammten Autos stehenblieb, waren sie verpflichtet, zum Schutz der Insassen einzugreifen. Allerdings hielt keiner der Fahrer an - zweifellos wegen der vielen von der Polizei und den Medien verbreiteten Warnungen vor genau dieser Gefahr.
Zur Erleichterung der Kriminalbeamten horten diese Rammversuche nach einiger Zeit wieder auf, als habe Quinones sein Vorhaben aufgegeben.
Der gelbe Chevy fuhr an der Northwest 57th Avenue von der Schnellstra?e ab, bog in den Westen von Little Havana ab und hielt vor einem 7-Eleven Store, wo der Vollbartige ausstieg. Danach fuhr Quinones allein zum Miami- Dade Community College zwischen Southwest 107th Avenue und 104th Street weiter. Das war eine lange, eintonige Fahrt, die fast eine Stunde dauerte, und Andrews, der weiter am Steuer ihres getarnten Wagens sa?, blieb so weit zuruck, wie es moglich war, ohne den Chevy aus den Augen zu verlieren.
Inzwischen war es 20.30 Uhr. Quinones stand in Sichtweite der junge n Manner und Frauen, die aus Abendvorlesungen kamen oder zu welchen gingen, auf dem Collegeparkplatz. Die Kriminalbeamten beobachteten, wie einige Studentinnen sich abrupt umdrehten, als sie an dem gelben Chevy vorbeikamen.
Quinones hatte ihnen offenbar etwas zugerufen, aber keine der Frauen blieb stehen.
Thurston beugte sich nach vorn und murmelte: »Dieser Kerl hat Vorstrafen wegen Korperverletzung und Vergewaltigung. Ob er hier... «
Wahrend er das sagte, stieg Quinones aus und folgte einer jungen Blondine in einen anderen Teil des Parkplatzes.
»Los, hinterher!« Thurston und Andrews sprangen aus ihrem Wagen.
Quinones war bis auf sieben, acht Meter an die junge Frau herangekommen, als sie ihren roten Honda erreichte, hineinsprang, den Motor anlie? und davonfuhr. Quinones lief zu seinem eigenen Wagen zuruck, ohne die Kriminalbeamten zu sehen, die ebenfalls zu ihrem Fahrzeug zuruckrannten.
Als die Blondine mit ihrem Auto an Quinones Chevy vorbeikam, fuhr er ebenfalls an. Die Kriminalbeamten folgten jetzt beiden Wagen.
»Pa? blo? auf, da? der Hundesohn uns nicht abhangt«, warnte Thurston seinen Kollegen. »Falls er unser Mann ist, darf er nicht wieder zuschlagen.«
Andrews nickte wortlos. Er blieb jetzt dichter hinter dem gelben Chevy, weil er vermutete, da? Quinones sich bestimmt auf den roten Honda vor ihm konzentrierte. Die drei Fahrzeuge waren bei schwachem Verkehr auf der Southwest 107th Avenue nach Norden unterwegs, als der Honda plotzlich ohne Blinker nach rechts auf die Southwest Eighth Street, den Tamiami Trail, abbog. Quinones, den dieses Abbiegemanover uberraschte, bremste scharf, rutschte weit in die Kreuzung hinein und nahm mit quietschenden Reifen die Verfolgung auf.
»Sie wei?, da? der Kerl sie verfolgt«, sagte Thurston.
Quinones wurde erneut aufgehalten, als ein anderer Wagen vor ihm auf die Eighth Street einbog. Er mu?te bremsen, gab dann sofort wieder Gas und raste weiter. Andrews, der inzwischen ebenfalls abgebogen war, blieb hinter ihm.
Dann sahen die Kriminalbeamten die Blondine aus ihrem Honda steigen, der jetzt auf dem Parkplatz eines Apartmenthochhauses stand. Sie lief zum Haupteingang, dessen Tur sie mit ihrem Schlussel offnete. Im nachsten Augenblick trat sie in die Eingangshalle, und die Glastur fiel hinter ihr zu.
Fast gleichzeitig hielt Quinones' gelber Chevy in der Nahe des Hondas. Andrews bog auf den Parkplatz ab und hielt an einer Stelle, von der aus die Kriminalbeamten Quinones, der weiter in seinem Auto sa?, und das Apartmentgebaude beobachten konnten. Nach einigen Minuten sahen sie in einer Wohnung in einem der unteren Stockwerke Licht aufflammen, das ihnen die Blondine an einem Fenster zeigte. Jedoch nur kurz, weil sie dabei war, die Vorhange zu schlie?en.
»Sie wei?, da? er hier drau?en lauert«, stellte Thurston fest.
»Yeah, und vielleicht hat er sie schon mal verfolgt. Vielleicht wei? er, in welchem Apartment sie wohnt.«
»Schei?e!« rief Thurston plotzlich. »Er ist weg!«
Wahrend sie zu dem Fenster hinaufgesehen hatten, war Quinones ausgestiegen und hatte den Haupteingang erreicht, dessen Tur er jetzt hinter einem Hausbewohner passierte.
Die Kriminalbeamten sprangen aus dem Auto und spurteten zum Haupteingang. Andrews ruttelte an der