»Daran hab' ich gerade gedacht, Sergeant.« Er wandte sich an die Blondine. »Dulce, ich bin verpflichtet, Sie uber Ihre Rechte zu belehren. Sie haben das Recht...«
»Ich kenne meine Rechte genau«, unterbrach Gomez ihn gereizt. »Aber davon trifft nichts zu, weil der Schei?kerl bei mir eingedrungen ist und ich in Notwehr gehandelt habe.«
»Trotzdem mu? ich Sie daruber belehren. Horen Sie mir also bitte zu.«
Als Andrews fertig war, fugte Ainslie hinzu: »Das tun wir im allgemeinen nicht, Ms. Gomez, aber ich mochte Ihnen dringend raten, jetzt Ihren Anwalt anzurufen.«
»Warum?«
»Ich sage nicht, da? das passieren mu?, aber jemand konnte behaupten, Sie hatten diesen bereits kampfunfahig gemachten Mann nicht erschie?en mussen... «
»Bockmist!« wehrte Gomez ab. Dann wurde sie nachdenklich. »Ich verstehe, was Sie meinen, obwohl...«
»Ich rate Ihnen nur, einen Anwalt hinzuzuziehen.«
»Horen Sie, ich arbeite fur mein Geld, da kann ich keine gro?en Anwaltsrechnungen brauchen. Lassen Sie mich einen Augenblick in Ruhe, damit ich daruber nachdenken kann.«
Ainslie fragte Thurston leise: »Haben Sie einen Staatsanwalt angefordert?«
»Noch nicht.«
»Fordern Sie einen an. Wir brauchen in dieser Sache eine Entscheidung.«
Thurston nickte und griff nach seinem Funkgerat.
Die Spurensicherung traf ein. Wahrend sie mit der Arbeit begannen und als erstes die bei Dulce Gomez sichergestellte Pistole in einem Klarsichtbeutel verstauten, zog Ainslie sich mit seinen beiden Kriminalbeamten in eine Ecke des Wohnzimmers zuruck. Er deutete auf den toten Quinones, der jetzt mit einem Laken bedeckt war. »Was haltet ihr davon, die Blondine mitzunehmen, Jungs?«
»Personlich wurde ich mich ungern mit ihr anlegen«, sagte Thurston. »Die ist zah wie Leder. Trotzdem fande ich's ungerecht, wenn sie wegen Mordes an Quinones angeklagt wurde. Der Schweinehund hat's nicht anders verdient.«
Brad Andrews nickte. »Das finde ich auch.«
»Im Prinzip bin ich der gleichen Meinung«, stimmte Ainslie zu, »aber wir mussen bedenken, da? die Hande und Fu?e von Karatekampfern juristisch als todliche Waffe eingestuft werden. Daher konnte die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlassiger Totung erheben. Aber das stellt sich gleich heraus.« Er nickte zur Wohnungstur hinuber, wo eine zierliche kleine Frau aufgetaucht war, die jetzt den Tatort inspizierte.
Die Frau in dem blauen Le inenkostum mit knallgelber Bluse war Staatsanwaltin Mattie Beason. Ainslie schatzte ihr engagiertes Eintreten fur Polizeibeamte, die nach guter Ermittlungsarbeit vor Gericht aussagen mu?ten. Andererseits konnte sie im Vorfeld eines Prozesses grausam streng zu Kriminalbeamten sein, deren Beweismaterial schlampig zusammengestellt oder unvollstandig war.
»Also, was haben wir hier?« fragte Beason.
Thurston berichtete, wie Andrews und er Quinones beschattet, wie der Verdachtige Dulce Gomez verfolgt, wie sie diese Wohnung gesucht und Quinones in Apartment 323 tot aufgefunden hatten.
»Hat ganz schon lange gedauert, bis ihr hier raufgekommen seid, was?« Mit ihrem beruhmten Scharfblick hatte Beason sofort die schwache Stelle von Thurstons Bericht ausgemacht.
Er verzog das Gesicht. »Ja, das stimmt leider.«
»Wenigstens eine ehrliche Antwort. Und zu Ihrem Gluck kommen Sie nicht vor Gericht.«
»Kommt uberhaupt jemand vor Gericht?« fragte Andrews.
Die Staatsanwaltin ignorierte seine Frage und sah zu Dulce Gomez hinuber, bevor sie sich an Ainslie wandte. »Sie haben sicher schon daran gedacht, da? die Hande und Fu?e von Karatekampfern todliche Waffen sein konnen.«
»Daruber haben wir diskutiert, als Sie gekommen sind.«
»Immer so grundlich, Malcolm!« Sie nickte Andrews zu. »Bevor ich Ihre Frage beantworte, Detective, mussen Sie mir eine andere beantworten. Was spricht Ihrer Ansicht nach fur Ms. Gomez, wenn ich sie als Karatekampferin wegen Totschlags anklage?«
»Okay, Counselor.« Andrews zahlte die Punkte an den Fingern auf. »Sie hat einen Job und belegt Abendkurse, um voranzukommen - eine strebsame Burgerin. Sie ist nichtsahnend von einem Ganoven verfolgt worden, der wegen Korperverletzung und Vergewaltigung vorbestraft war. Er ist hier eingedrungen und hat ihre Wohnungstur aufgebrochen; dann hat er sich entblo?t und wollte sich mit einem Messer bewaffnet auf sie sturzen. Sie ist in Panik geraten und hat in berechtigter Notwehr etwas zuviel getan. Aber bei dieser Sachlage wurde jedes Geschworenengericht sie sofort freisprechen.«
Die Staatsanwaltin lachelte schwach. »Nicht schlecht, Detective. Vielleicht sollten Sie Jura studieren.« Sie wandte sich an Ainslie. »Sind Sie der gleichen Meinung?«
Er nickte. »Klingt vernunftig.«
»Das finde ich auch. Mit einem Wort, Malcolm: Abhaken! Und furs Protokoll - entschuldbare Notwehruberschreitung.«
Zu Carlos Quinones' Tod gab es ein kleines Nachspiel.
Die polizeiliche Durchsuchung seiner Sozialwohnung ergab, da? er nicht der Serienmorder gewesen sein konnte: Quinones war zum Zeitpunkt dreier Morde gar nicht in Miami gewesen; auch sonst wies nichts auf eine mogliche Taterschaft hin.
So war Quinones der erste, der von der Uberwachungsliste gestrichen wurde.
Detective-Sergeant Teresa Dannelly und Detective Jose Garcia uberwachten in der zweiten Woche den Haitianer Alec Polite, der in Little Haiti in der Northeast 65th Street wohnte.
Sergeant Dannelly, eine vom Raubdezernat abgestellte Kriminalbeamtin, war eine stattliche funfunddrei?igjahrige Brunette mit zehn Dienstjahren. Ihr gro?er Busen hatte ihr den Spitznamen »Big Mamma« eingebracht, den sie sogar selbst benutzte. Dannelly und Jose »Pop« Garcia von der Mordkommission kannten sich seit acht Jahren und hatten schon oft zusammengearbeitet.
Alec Polite wurde auf seiner FIVO-Karte als Bibelzitierer mit Missionarseifer geschildert, der behauptete, mit Gott zu sprechen. Obwohl er nicht vorbestraft war, galt er als aggressiv und moglicherweise gewalttatig. In seinem einstockigen Haus aus unverputzten Hohlblocksteinen lebten vier Familien mit sechs oder sieben Kindern.
Heute hatten Dannelly und Garcia erstmals Polite zu uberwachen. Davor hatten sie Edelberto Montoya observiert, ohne etwas Verdachtiges feststellen zu konnen. Jetzt sa?en sie in ihrem Fahrzeug in der Nahe von Polites Haus in der Northeast 65th Street. Zum Arger der beiden Kriminalbeamten hatte ihr Wagen bereits die Aufmerksamkeit von Passanten erregt und Kinder angelockt, die sich in seiner Nahe herumtrieben.
Als »unauffalliges« Uberwachungsfahrzeug hatten Dannelly und Garcia heute einen metallicblauen GM Lumina-Minivan mit luxurioser Innenausstattung zugeteilt bekommen. Seine Scheiben waren dunkel getont, so da? niemand von au?en ins Wageninnere sehen konnte. Fur Uberwachungszwecke war ein so auffalliges Fahrzeug an sich nicht geeignet, aber an diesem Tag stand kein anderer Wagen zur Verfugung.
Der blaue Lumina erregte jetzt die Aufmerksamkeit zweier Manner, die aus dem zu beobachtenden Haus gekommen waren.
»Wir mussen abhauen«, sagte Garcia. »Diese Schei?kiste ist einfach zu auffallig.«
»Vielleicht la?t sich dagegen was machen.« Dannelly schaltete ihr Handfunkgerat ein, rief das Polizeiprasidium und gab ihre Dienstnummer an.
Eine Dispatcherin meldete sich. »QSK.«
»Schicken Sie einen Streifenwagen zu zwosechsfunf Northeast Sixtyfifth Street. Er soll ohne Blinklicht und Sirene kommen, aber die kleine Menschenansammlung vor dem Haus auflosen. Der in der Nahe geparkte blaue Lumina-Van ist dabei zu ignorieren.«
»QSL.« Wenig spater meldete die Dispatcherin: »Ich schicke Wagen zweizwovier zu Ihrem Standort.«
Zwei Manner aus dem Haus versuchten, ins Innere des Vans zu sehen, konnten aber offenbar nichts erkennen. Nun gesellte sich ein gro?er, muskuloser Mann mit Stirnglatze zu ihnen. Nach einem Blick auf ein zur Identifizierung dienendes Foto sagte Dannelly: »Der mit der Stirnglatze ist unser Mann.«
»Blod ist nur, da? er
Der erste Mann versuchte, die Schiebetur des Vans zu offnen. Als ihm das nicht gelang, zog er einen gro?en Schraubenzieher aus der Tasche. Im Wageninnern war undeutlich zu horen, wie er sagte: »Da is' keiner drin.« Die