»Wei?t du die Namen?«
»Der schwarze Kerl ist Kermit der Frosch. Sieht mit seinen komischen Glupschaugen wie'n Frosch aus. Er ist gefahrlich, zieht immer gleich seine Knarre.«
»Und die Frau?«
»Die hei?t Maggie, ist immer mit Kermit zusammen. Die beiden sind oft im Diner in der Eighth Street, und ich hab' mitgekriegt, wie sie wegen Heroinbesitz verhaftet worden sind.«
»Wurdest du sie identifizieren, wenn ich mit ein paar Fotos vorbeikomme?«
»Klar, Su?er, fur dich tu' ich alles.« Ernestine beruhrte seine Wange. »Irgendwie gefallst du mir.«
Jorge lachelte, dann fragte er weiter. »Was ist mit Flame? Hilft die uns auch?«
»Das mu?t du ihn selbst fragen.«
Jorge war verblufft, »ihn?«
»Flame ist ein Kerl«, sagte Ernestine. »Hei?t in Wirklichkeit Jimmy McRae.«
Ainslie achzte. »Nicht als Zeuge. Ausgeschlossen!«
Jorge nickte. Transsexuelle, die vor einer Geschlechtsumwandlung als Frau lebten, waren in der sexorientierten Unterwelt haufig, aber Flame schien au?erdem als Prostituierte zu arbeiten. Einen schragen Vogel wie ihn konnte man unmoglich in den Zeugenstand rufen, weil er die Geschworenen nur verstort hatte; deshalb kam Flame nicht in Frage. Ernestine wurde eine gute Zeugin sein, und vielleicht fanden sich noch weitere.
»Stellt sich alles als richtig heraus«, erklarte Jorge Ernestine, »bringen wir in ein paar Tagen das Geld vorbei.«
Fur solche Zahlungen an Informanten stand Kriminalbeamten ein Spesenkonto zur Verfugung.
In diesem Augenblick horte Ainslie in seinem Sprechgerat seine Dienstnummer: 1910.
»QSK«, sagte er nur. Das war die Q-Gruppe fur »Fahren Sie mit der Sendung fort«.
»Rufen Sie Ihren Lieutenant an.«
Das Gerat war auch ein Mobiltelefon, so da? Ainslie nur Leo Newbolds Kurzwahlnummer einzutippen brauchte.
»Im Fall Niehaus tut sich was«, sagte Newbold. »Die State Police hat den geklauten Wagen sichergestellt und zwei Verdachtige festgenommen. Die beiden werden jetzt hergebracht.«
»Augenblick, Sir«, sagte Ainslie und sah rasch in seine Notizen. »Ein Schwarzer namens Kermit und eine Wei?e, die Maggie hei?t?«
»Richtig! Das sind sie. Woher wissen Sie das?«
»Jorge Rodriguez hat eine Zeugin - eine Prostituierte. Sie ist bereit, die beiden zu identifizieren.«
»Sagen Sie Jorge, da? er das gut gemacht hat. Und seht zu, da? ihr schnell zuruckkommt. Wir mussen die Ermittlungen vorantreiben.«
Allmahlich kam Licht in die Sache. Ein aufmerksamer State Trooper, der sich das in der Fahndungsmeldung der Miami Police vom Vortag genannte Autokennzeichen gemerkt hatte, hatte den Cadillac angehalten und die beiden Insassen festgenommen: einen Schwarzen, Kermit Kaprum, neunzehn, und eine Wei?e, Maggie Thorne, dreiundzwanzig. Beide waren mit je einem Revolver Kaliber 38 bewaffnet, die zur Untersuchung ins Ballistiklabor geschickt wurden.
Sie erklarten den Uniformierten, sie hatten den Wagen erst vor einigen Minuten leer und mit dem Zundschlussel im Schlo? aufgefunden und zu einer Spritztour benutzt. Das war offensichtlich gelogen, aber die State Police vernahm sie nicht weiter, weil das eigentliche Verhor von Beamten der Mordkommission durchgefuhrt werden wurde.
Als Ainslie und Rodriguez in die Dienststelle zuruckkamen, warteten Kaprum und Thorne bereits in getrennten Vernehmungsraumen. Eine Uberprufung per Computer hatte ergeben, da? beide seit ihrem achtzehnten Lebensjahr aktenkundig waren. Die junge Frau hatte wegen Diebstahls gesessen und war mehrmals als Prostituierte aufgegriffen worden. Kaprum war wegen Einbruchs und Erregung offentlichen Argernisses vorbestraft. Vermutlich waren beide schon als Jugendliche straffallig geworden.
Die Buros der Mordkommission in Miami hatten keine Ahnlichkeit mit vergleichbaren Dienststellen im Fernsehen, in denen stets laute, hektische Betriebsamkeit herrschte. Sie lagen im vierten Stock des festungsartigen Polizeiprasidiums und waren von der Eingangshalle aus mit dem Aufzug zu erreichen. Aber die Tur zum vierten Stock lie? sich nur mit einer speziellen Magnetkarte offnen, die lediglich die dort Beschaftigten und einige ihrer Vorgesetzten besa?en. Jeder andere Polizeibeamte sowie gelegentliche Besucher mu?ten von einem Kartenbesitzer begleitet werden.
Festgenommene und Verdachtige wurden mit einem Aufzug direkt aus der Tiefgarage in den vierten Stock hinaufgebracht. Das Ergebnis war eine normalerweise ruhige, unaufgeregte Arbeitsatmosphare.
Jorge Rodriguez und Malcolm Ainslie beobachteten durch von innen verspiegelte Scheiben die Verdachtigen, die in getrennten Vernehmungsraumen sa?en.
»Wir brauchen wenigstens ein Gestandnis«, sagte Ainslie.
»Uberlassen Sie das mir«, schlug Jorge vor.
»Sie wollen beide vernehmen?«
»Yeah. Zuerst die junge Frau. Was dagegen, wenn ich allein zu ihr reingehe?« Normalerweise wurden Verdachtige von zwei Kriminalbeamten vernommen, aber Jorge hatte sich bei Einzelvernehmungen als Uberredungskunstler erwiesen.
Ainslie nickte ihm zu. »Also los!«
Er verfolgte das Verhor der dreiundzwanzigjahrigen Maggie Thorne durch das verspiegelte Beobachtungsfenster. Die Festgenommene, die zerrissene Jeans und ein schmuddeliges Sweatshirt trug, war bla? und wirkte viel junger. Wurde sie sich das Gesicht waschen, dachte Ainslie, ware sie ganz hubsch. So erschien sie hart und nervos, wahrend sie auf dem Metallstuhl herumrutschte, an den sie gefesselt war. Als Jorge hereinkam, ri? sie an ihren Handschellen, da? sie klirrten, und kreischte: »Schei?e, warum mu? ich die tragen?«
Jorge lachelte freundlich und nahm sie ihr ab. »Wie geht's Ihnen uberhaupt? Ich bin Detective Rodriguez. Mochten Sie einen Kaffee oder eine Zigarette?«
Thorne rieb sich die Handgelenke und murmelte etwas von Milch und Zucker. Sie wirkte etwas entspannter, aber weiter mi?trauisch. Eine harte Nu?, dachte Ainslie.
Jorge hatte wie ublich eine Thermoskanne, zwei Plastikbecher und Zigaretten mitgebracht. Wahrend er den Kaffee eingo?, redete er wie ein Wasserfall weiter.
Am Beobachtungsfenster trat Ainslie von einem Fu? auf den anderen. Bring es hinter dich, dachte er, denn Jorge durfte erst weiterfragen, nachdem Thorne uber ihre Rechte - auch auf einen Anwalt - belehrt war. Naturlich wollten Ermittler in diesem kritischen Stadium nicht von einem Anwalt behindert werden, deshalb versuchten sie, ihre Belehrung so vorzubringen, da? die Antwort »Nein!« lautete.
Jorges Begabung dafur war sagenhaft.
Er begann vollig legal mit einem Vorgesprach, um sich Angaben zur Person der Verdachtigen zu notieren: Name, Geburtsdatum, Anschrift, Beruf, Sozialversicherungsnummer... Aber Jorge ging bewu?t langsam vor und nahm sich Zeit fur Kommentare.
Weil die junge Frau trotzdem mi?trauisch blieb, schwatzte Jorge weiter, ohne die ihr vorgeworfene Straftat bisher auch nur erwahnt zu haben.
Jorge machte seine Sache gut, aber ein Vorgesprach durfte nicht ewig dauern.