Gustavo scho? davon und war wenige Augenblicke spater zuruck. »Sie sind uber den Flu? geflohen«, berichtete er. »Einige Boote sind verschwunden, andere versenkt!«
Wutentbrannt lief Miguel zum Landungssteg. Die Verwustung, die er vorfand - Halteleinen zerschnitten, Boote und Motoren verschwunden, andere Boote im seichten Wasser auf Grund -, trieb ihn fast zur Raserei. Doch er wu?te, da? er nichts erreichte, wenn er sich nicht wieder beruhigte und seinen Zorn beherrschte. Er zwang sich deshalb, rational zu denken.
»Ich will die zwei besten Boote, die noch da sind, jedes mit zwei Motoren«, befahl er Gustavo in Spanisch. »Aber nicht erst in zehn Minuten, sondern sofort! Nimm dir jeden Mann! Ich will niemand rumstehen sehen! Und dann la?t du die Manner mit Waffen und Munition am Landungssteg antreten!«
Er versuchte, die Flucht zu rekonstruieren. Die Befreier waren hochstwahrscheinlich mit dem Flugzeug in die Gegend gekommen; es war die schnellste und praktischste Transportmoglichkeit. Sie wurden deshalb den Dschungel auf dem gleichen Weg wieder verlassen, wobei es allerdings unwahrscheinlich war, da? sie das bereits geschafft hatten.
Ramon hatte eben berichtet, da? Vincente ihn kurz nach 1 Uhr abgelost hatte. Zu der Zeit waren die Gefangenen noch sicher in ihren Zellen. Auch wenn es kurz danach zu der Befreiung gekommen war, hatten die Fluchtenden maximal zwei Stunden Vorsprung. Doch Miguels Instinkt sagte ihm, da? es bedeutend weniger war. Gestutzt wurde seine Vermutung durch die Tatsache, da? Socorros und Vincentes Leichen noch warm waren, als er sie fand.
Er uberlegte weiter: Vom Flu? aus konnten sie zwei Landepisten erreichen. Die eine, die etwas naher lag, hatte keinen Namen, sie wurde ausschlie?lich zum Drogentransport benutzt. Die zweite war Sion, wo er und die anderen vor mehr als vierzehn Tagen mit den Gefangenen gelandet waren. Sion war fast doppelt so weit entfernt wie die erste Piste.
Da Miguel sich Grunde fur die Benutzung jeder der beiden Pisten vorstellen konnte, beschlo? er, ein Boot mit bewaffneten Mannern zu der naheren zu schicken und eins nach Sion. Er selbst wollte in dem Boot nach Sion mitfahren.
Wahrend er noch nachdachte, wurde am Landungssteg bereits hektisch gearbeitet. Zwei der versenkten Boote wurden ans Ufer gezogen und ausgeleert. Die Dorfbewohner halfen Miguels Mannern, denn sie alle wu?ten, da? der Sendero Luminoso auch die Einheimischen bedenkenlos abschlachten wurde, wenn sie nicht kooperierten. Ahnliches war schon mehrfach passiert.
Trotz der Eile dauerte es langer, als es Miguel recht sein konnte, bis sie aufbrachen. Doch wenige Minuten vor vier stie?en die zwei Boote vom Steg ab und jagten mit Vollgas flu?abwarts. Miguels Boot war um einiges schneller und lie? das andere bald hinter sich. Gustavo stand am Steuer.
Miguel spielte mit seiner Beretta, die er zusatzlich zur Makarow mitgenommen hatte, und spurte, wie die Wut wieder in ihm hochstieg. Er hatte noch immer keine Ahnung, wer die Gefangenen befreit hatte. Aber wenn er sie fand und zuruckbrachte - lebend, wie er vorhatte -, wurde er sie mit langsamen und schrecklichen Folterungen dafur bu?en lassen.
18
Wahrend die Cheyenne II der Aerolibertad in Lima vom Boden abhob, fiel Crawford Sloane eine Zeile aus einer langst vergangenen Zeit ein: ...
Tags zuvor, am Sonntag, hatten sie sich schon einmal auf den Schwingen des Morgens in die Luft erhoben, nicht hinaus aufs Meer, sondern ins Landesinnere, doch ohne Ergebnis. Auch jetzt ging es wieder ins Landesinnere - wieder in den Dschungel.
Rita sa? neben Sloane in der zweiten Sitzreihe der Maschine. Vor ihnen sa?en der Pilot, Oswaldo Zileri, und ein junger Kopilot, Felipe Guerra.
Bei ihrem dreistundigen Flug am Vortag hatten sie alle drei Treffpunkte uberflogen. Obwohl Sloane immer rechtzeitig informiert wurde, hatte er Schwierigkeiten, die Pisten zu erkennen, so endlos und undurchdringlich wirkte die Selva aus der Luft. »Es ist wie in bestimmten Gegenden von Vietnam«, sagte er zu Rita, »nur sehr viel dichter.«
Wahrend sie uber den einzelnen Treffpunkten kreisten, suchten alle vier den Boden nach Signalen oder Anzeichen fur Bewegung ab. Aber es war nirgends etwas zu entdecken.
Sloane hoffte verzweifelt, da? es heute anders sein wurde.
Bei Tagesanbruch stieg die Cheyenne II uber das Zentralmassiv der Kordilleren. Dahinter sank sie langsam auf die Selva und das obere Flu?tal des Huallaga zu.
19
Partridge wu?te, da? er sich verschatzt hatte. Sie waren viel zu spat dran.
Bei seiner Entscheidung fur Sion hatte er nicht eingerechnet, da? sie Schwierigkeiten mit dem Boot bekommen konnten. Es passierte etwa zwei Stunden nach der Abfahrt von Nueva Esperanza, eine Stunde vor der Ankunft an ihrem geplanten Landeplatz.
Bis dahin waren beide Motoren laut, aber gleichma?ig gelaufen. Dann plotzlich drang aus dem Backbordmotor ein schriller Pfeifton. Ken O'Hara nahm sofort das Gas weg, ging in den Leerlauf und schaltete ab. Das Pfeifen horte auf, und der Motor wurde still.
Der Steuerbordmotor lief weiter, doch das Boot kam nun deutlich langsamer vorwarts.
Partridge ging zum Heck und fragte O'Hara: »Kannst du das reparieren?«
»Ich furchte nicht.« O'Hara hatte die Schutzhaube abgenommen und untersuchte die Maschine. »Der Motor ist uberhitzt, deshalb der Pfeifton. Die Wasserzufuhr ist in Ordnung, also ist wahrscheinlich die Kuhlwasserpumpe kaputt. Auch wenn ich Werkzeug hatte, um den Motor zu zerlegen, brauchten wir Ersatzteile, und da wir beides nicht haben...« Er beendete den Satz nicht.
»Also nichts zu machen?«
O'Hara schuttelte den Kopf. »Tut mir leid, Harry.«
»Was passiert, wenn wir ihn einfach weiterlaufen lassen?«
»Dann lauft er noch kurze Zeit und erhitzt sich immer mehr. Irgendwann ist dann alles so hei?, da? Kolben und Zylinderblock verschmelzen. Danach ist er blo? noch Schrott.«
»La? ihn laufen«, sagte Partridge. »Wenn wir sonst nichts tun konnen, dann holen wir eben das Letzte aus ihm raus.«
»Du bist der Kapt'n«, erwiderte O'Hara, obwohl er nur ungern einen Motor ruinierte, den man unter normalen Umstanden hatte reparieren konnen.
Wie O'Hara vorausgesagt hatte, lief der Motor mit kreischendem Signalton und immer starker werdendem Brandgeruch noch ein paar Minuten, setzte dann aus und lie? sich nicht mehr starten. Das Boot wurde sofort wieder langsamer, und Partridge sah angstlich auf die Uhr.
Die Geschwindigkeit hatte sich schatzungsweise um die Halfte reduziert, und das bedeutete, da? sie fur den Rest der Strecke nicht eine, sondern zwei Stunden brauchen wurden.
Schlie?lich dauerte es zweieinviertel Stunden, bis um 6 Uhr 50 ihre Landestelle in Sicht kam. Partridge und Fernandez hatten sie anhand der Karte erkannt und auch an den Anzeichen einer fruheren Benutzung - Limonadedosen und anderem Abfall am Ufer. Nun mu?ten sie die drei Meilen des schwierigen Dschungelpfades nach Sion in einer Stunde zurucklegen. Das war viel weniger Zeit, als er geplant hatte. War das uberhaupt noch zu schaffen?
»Wir mussen es schaffen«, sagte Partridge und erklarte Jessica und Nicky ihr Problem. »Es wird sehr anstrengend werden, aber wir haben keine Zeit fur Ruhepausen, und wenn notig, werden wir uns gegenseitig helfen. Fernandez wird uns fuhren. Ich ubernehme die Ruckendeckung.«
Minuten spater setzte der Kiel auf dem Ufersand auf, und die Gruppe watete durch das seichte Wasser an Land. Direkt vor ihnen lag eine Offnung in der ansonsten undurchdringlichen Dschungelwand.
Hatten sie mehr Zeit gehabt, hatte Partridge versucht, das Boot zu verstecken oder es in die Flu?mitte zu sto?en und treiben zu lassen. So aber mu?ten sie es am Ufer liegenlassen.
Kurz vor Betreten des Dschungels blieb Fernandez plotzlich stehen und brachte die anderen mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er legte den Kopf schief und lauschte angestrengt in die stille Morgenluft. Er war vertrauter mit dem Dschungel als die anderen und konnte dessen Gerausche besser unterscheiden. »Hort ihr?« fragte er leise.
Partridge lauschte nun ebenfalls und glaubte, aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, ein leises
