Pilot sein Signal verstand und sofort startete.

Minh stand in der Tur der Maschine und filmte. Er hatte Partridge mit dem Zoom in Gro?aufnahme herangeholt und naturlich auch den Treffer und Partridges Sturz eingefangen. Der Kopilot stand neben ihm.

»Es hat ihn erwischt!« rief Felipe ins Innere der Kabine. »Sieht schlimm aus. Er winkt uns zu. Ich glaube, er will, da? wir starten.«

Sloane schob sich zur Tur. »Wir mussen ihn holen!«

»Ja! Oh ja!« rief Jessica.

»Bitte fliegt nicht ohne Harry!« flehte nun auch Nicky.

Es war Minh, der kriegserfahrene Realist, der sagte: »Wir konnen ihn nicht holen. Dazu ist keine Zeit mehr.«

Durch seine Kamera hatte Minh das Vorrucken der SenderoLeute beobachtet. Einige der Manner hatten den Rand der Piste bereits erreicht und liefen ununterbrochen feuernd vorwarts. Schon trafen einige Kugeln das Flugzeug.

»Ich starte«, sagte Zileri. Die Klappen waren bereits in Startposition, nun druckte er die Gashebel nach vorn. Minh sprang hastig in die Kabine, Felipe zog die Tur hoch und verriegelte sie.

Sobald die Startgeschwindigkeit erreicht war, zog Zileri die Steuersaule zuruck. Die Cheyenne verlie? die Piste und stieg in die Luft. Jessica und Nicky hielten sich in den Armen und weinten. Sloane hatte die Augen fest geschlossen und schuttelte langsam den Kopf, als konne er nicht glauben, was er eben gesehen hatte.

Minh hatte die Kamera schon wieder am Auge und filmte durch ein Fenster die Szene unter ihnen.

Partridge sah die Cheyenne abfliegen.

Und er sah noch etwas anderes. Im Nebel seiner Schmerzen tauchte an der Tur der startenden Maschine eine lachelnde Gestalt in einer Uniform der Alitalia auf. Sie winkte.

Partridges Tranen, die er so lange zuruckgehalten hatte, begannen nun wieder zu flie?en. Dann starb er im Kugelhagel der heransturmenden Verfolger.

20

Miguel sah hinunter auf Harry Partridges Leiche und schwor sich, da? er ein solches Fiasko nie wieder zulassen wurde.

Im ersten, dem komplizierten und schwierigen Abschnitt der Entfuhrung, war er au?ergewohnlich erfolgreich gewesen. Aber im zweiten, der eigentlich einfach und unkompliziert hatte sein sollen, hatte er vollkommen versagt.

Die Lektion war eindeutig: Einfach und unkompliziert war nie etwas. Das hatte er eigentlich wissen mussen.

Von nun an wurde er es nie mehr vergessen.

Aber was kam jetzt?

Als erstes mu?te er Peru verlassen. Sein Leben war verspielt, wenn er blieb; der Sendero Luminoso wurde dafur sorgen.

Er konnte nicht einmal mehr nach Nueva Esperanza zuruckkehren.

Glucklicherweise hatte er auch keinen Grund dafur. Da er ein Scheitern des Unternehmens einkalkuliert hatte, hatte er vor der Abfahrt sein gesamtes Bargeld - darunter auch den Gro?teil der funfzigtausend Dollar, die Jose Antonio Salaverry ihm bei dem letzten Treffen in den Vereinten Nationen ubergeben hatte - in seinen Geldgurtel gesteckt. Jetzt spurte er ihn - unbequem, aber beruhigend.

Das Geld war mehr als genug, um ihn von Peru nach Kolumbien zu bringen. Zunachst wollte er im Dschungel untertauchen. In etwa funfundzwanzig Kilometern Entfernung gab es eine Landepiste, die haufig von kolumbianischen Drogenkurieren benutzt wurde. Er wu?te, da? er sich dort einen Flug nach Kolumbien kaufen konnte. Und Kolumbien bedeutete fur ihn Sicherheit.

Falls ihn einer der Manner aus Nueva Esperanza aufhalten wollte, wurde er ihn toten. Aber er glaubte nicht, da? es uberhaupt einer versuchen wurde. Von den sieben, mit denen er aufgebrochen war, lebten nur noch vier. Ramon und zwei andere waren von dem gringo getotet worden, der jetzt zu Miguels Fu?en lag - ein Unbekannter, aber ein guter Schutze.

Zwar wurde sogar sein Ruf in Kolumbien unter dem Debakel in Nueva Esperanza leiden, doch nicht fur lange. Im Gegensatz zum Sendero Luminoso waren die kolumbianischen Drogenkartelle keine Fanatiker. Skrupellos waren sie, aber auch pragmatisch und geschaftsbewu?t. Und Miguels anarchistisch terroristische Talente waren sehr gefragt. Die Kartelle brauchten ihn.

Erst vor kurzem hatte Miguel von dem Plan erfahren, langfristig eine ganze Reihe kleinerer und mittlerer Staaten ahnlich wie Kolumbien unter die Herrschaft der Drogenkartelle zu bringen. Miguels spezielle Fahigkeiten wurden bei diesem Projekt sicher Verwendung finden.

Als Demokratie war Kolumbien inzwischen am Ende. Nur wenige demokratische Aushangeschilder waren noch vorhanden, doch auch davon gab es immer weniger, da die milliardenschweren Kartellbosse ihre Killerkommandos systematisch auf die verschwindend kleine Minderheit ansetzte, die noch an die althergebrachten Tugenden glaubte.

Was notig war, um auch andere Lander zu Kopien Kolumbiens zu machen, war die Korrumpierung ihrer Regierungskreise, eine Korrumpierung, die den Kartellen Turen aufstie? und Handlungsmoglichkeiten verschaffte. Heimlich und in aller Stille konnten sie dann ihren Einflu? ausdehnen, bis sie schlie?lich machtiger waren als die Regierungen selbst. War das erst einmal geschehen, gab es kein Zuruck mehr, was ja an Kolumbien deutlich zu sehen war.

Im Augenblick waren vier Lander als mogliche Ziele dieser »Kolumbianisierung« im Gesprach: Bolivien, El Salvador, Guatemala und Jamaica. Spater konnte die Liste erweitert werden.

Fur ihn mit seiner einzigartigen Erfahrung und der fast schon unheimlichen Fahigkeit zum Uberleben bedeutete das sicher fur lange Zeit Arbeit, dachte Miguel.

21

Einige Minuten lang brachte keiner in der Cheyenne II auch nur ein Wort heraus. Crawford Sloane druckte Jessica und Nicky eng an sich, und die drei schienen alles um sich herum vergessen zu haben.

Schlie?lich hob Crawford Sloane den Kopf und fragte Minh Van Canh: »Sag mal... als Harry da lag, hast du da noch Genaueres beobachten konnen?«

Minh nickte traurig. »Ich hatte ihn voll im Visier. Er wurde noch mehrmals getroffen. Es gibt keinen Zweifel mehr.«

Sloane seufzte: »Er war der Beste...«

Minh unterbrach ihn, und seine Stimme klang ungewohnlich fest. »Der Allerbeste. Als Korrespondent und als Mensch. Ich kenne eine ganze Menge, aber keinen, der Harry gleichkam.« Es klang fast wie eine Herausforderung. Minh kannte Sloane und Partridge gleich lang.

War es als Herausforderung gemeint, so ging Sloane nicht darauf ein. »Ja, du hast recht.«

Jessica und Nicky horten nur zu, sie waren beide mit eigenen Gedanken beschaftigt.

Rita war die erste, die wieder an ihre berufliche Verantwortung dachte. »Kann ich die Aufnahmen sehen?« fragte sie Minh. Sie wu?te, da? sie, trotz Harrys Tod, in einer knappen Stunde in Lima einen Bericht zusammenstellen mu?te.

Sie wu?te auch, da? sie eine weltweit exklusive Story besa?.

Minh spulte zuruck und gab Rita die Betacam. Durch den Sucher betrachtete sie die Aufnahmen. Wie immer, hatte Minh das Wesentliche jedes Ereignisses gefilmt. Die Bilder waren hervorragend. Einige der letzten - Harrys Verwundung, sein Tod im Kugelhagel - waren eindrucksvoll und bewegend. Als Rita die Kamera zuruckgab, waren ihre Augen feucht, doch sie wischte sich die Tranen mit dem Handrucken ab. Im Augenblick hatte sie keine Zeit, Harry zu beweinen oder um ihn zu trauern. Beides wurde spater kommen, wahrscheinlich in der Nacht, wenn sie allein war.

»Hatte Harry eigentlich jemand - eine Freundin?« fragte jetzt Sloane. »Ich wei? nur, da? er nach Gemma nicht wieder geheiratet hat.«

»Ja, da gibt es jemand«, antwortete Rita. »Vivien hei?t sie. Sie ist Krankenschwester und lebt in einem Ort namens Port Credit, au?erhalb von Toronto.«

»Wir sollten sie anrufen. Ich rede mit ihr, wenn du willst.«

»Ja, das ware gut«, sagte Rita. »Und wenn du anrufst, sag ihr, da? Harry ein Testament aufgesetzt hat und da? ich es habe. Er hat alles ihr hinterlassen. Vivien wei? es zwar noch nicht, aber sie ist jetzt reich. Wie's

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