aussieht, hat Harry sein Geld in samtlichen Steueroasen auf der ganzen Welt angelegt. Dem Testament ist eine Liste beigefugt.«

Wahrend des Gesprachs hatte Minh Jessica und Nicky gefilmt, ohne da? sie es bemerkten. Rita sah, da? er die Kamera auf Nickys bandagierte rechte Hand gerichtet hatte. Das erinnerte sie an etwas, das sie aus Lima mitgebracht hatte. Sie griff in ihre Aktenmappe und zog ein Telegramm heraus, das bei Entel Peru fur sie eingetroffen war.

»Bevor Harry losflog«, sagte sie den anderen, »hat er mich gebeten, ein Telegramm an einen Freund zu schicken - an einen Chirurgen aus Oakland in Kalifornien. Harry meinte, er sei einer der fuhrenden Experten fur Handverletzungen. In dem Telegramm ging es um Nicholas. Und das ist die Antwort.«

Sie gab das Telegramm Sloane, der es laut vorlas.

HABE DEINE INFO UND ZEITUNGSBERICHT UBER HAND DEINES JUNGEN FREUNDES GELESEN. PROTHESEN NICHT EMPFEHLENSWERT, DA KEINE HILFE BEI KLAVIERSPIELEN, SIND HOECHSTENS IM WEG. MOEGLICHE ALTERNATIVE: SOLLTE LERNEN, HAND ZU DREHEN, BIS FINGERSTUEMPFE IN KONTAKT MIT KLAVIERTASTEN KOMMEN. HAT UEBRIGENS GLUECK, DA DIESES VORGEHEN BEI VERLUST ANDERER FINGER NICHT MOEGLICH. FUNKTIONIERT NUR BEI ZEIGEFINGER UND KLEINEM FINGER.

ERLERNUNG DER DREHTECHNIK ERFORDERT GEDULD UND BEHARRLICHKEIT, IST ABER BEI ENTSPRECHENDER MOTIVATION MACHBAR. HABE PATIENTIN, DIE GLEICHE FINGER VERLOR UND JETZT KLAVIER SPIELT. WUERDE MICH FREUEN, DIE BEIDEN ZUSAMMENZUBRINGEN, WENN DU WILLST.

PASS GUT AUF DICH AUF, HARRY. VIELE GRUESSE JACK TUPPER, M. D.

Nach kurzem Schweigen sagte Nicky: »Darf ich das mal sehen, Dad?« Sloane gab ihm das Blatt.

»Verlier es nicht!« ermahnte Jessica Nicky. »Es ist ein Erinnerungsstuck an Harry.« Die spontane, enge Kameradschaft zwischen Harry und Nicky war nur sehr kurz gewesen, dachte sie, aber in dieser Zeit sehr schon.

Jetzt fielen ihr wieder Nickys verzweifelte Worte ein, die er in Nueva Esperanza zu Harry gesagt hatte: »Sie haben meinen Opa getotet und mir zwei Finger abgeschnitten, und jetzt kann ich nie mehr Klavier spielen.« Naturlich konnte Nicky jetzt kein Konzertpianist mehr werden, wie er es sich ertraumt hatte. Aber er wurde weiterhin Klavier spielen und seine Freude an der Musik auf andere Arten ausleben.

Nicky las das Telegramm, er hielt es in der linken Hand, und allmahlich erhellte ein Lacheln sein Gesicht. Er versuchte die Drehbewegung bereits mit der bandagierten Hand.

»Harry hat so viel fur uns getan, da? wir ihm ewig dankbar sein werden«, sagte Crawford Sloane.

»Und auch Fernandez«, erganzte Jessica. Sie hatten bereits uber die Opferbereitschaft des Kontaktmannes gesprochen. Jetzt berichtete sie Crawford und Rita von dem Versprechen, das Harry ihm gegeben hatte.

Fernandez hatte von seiner Frau und seinen vier Kindern erzahlt und gebeten, da? man sich um sie kummere, worauf Harry ihm versprach: »Du arbeitest fur CBA, und CBA wird dafur sorgen. Ich gebe dir mein Wort, das ist ein offizielles Versprechen. Die Ausbildung der Kinder - alles.«

»Wenn Harry das versprochen hat«, sagte Crawf, »dann hat er es als Vertreter von CBA getan. Gleich nach unserer Ruckkehr werde ich dafur sorgen, da? alles in diesem Sinne geregelt wird.«

»Die Sache hat nur einen Haken«, gab Rita zu bedenken. »Harry hat das gesagt, als er schon entlassen war, obwohl er es nicht wu?te.«

Minh, der zugehort hatte, sah uberrascht auf, und Rita wurde plotzlich wieder klar, da? kaum jemand etwas von Chippinghams Entlassungsschreiben wu?te.

»Das ist gleichgultig«, erwiderte Sloane. »Harrys Versprechen wird respektiert.«

»Da ist aber noch etwas«, sagte Rita. »Sollen wir Harrys Entlassung in unserem heutigen Bericht erwahnen?«

»Nein«, antwortete Sloane entschieden. »Das ist interne

Schmutzwasche. Die werden wir nicht in der Offentlichkeit waschen.«

Es wird aber trotzdem herauskommen, dachte Rita. Fruher oder spater.

Crawf wu?te noch nichts von dem Hundesohn-Schreiben, das sie uber das Hufeisen an Chippingham gefaxt hatte. Innerhalb einer Woche wurde es wahrscheinlich in der Times oder der Washington Post auftauchen. Und wenn nicht dort, dann spater in der Columbia Journalism Review oder der Washington Journalism Review. Und wenn schon!

Dabei fiel Rita ein, da? sie, aufgrund ihres Briefes, wahrscheinlich ebenfalls bereits entlassen war. Schlie?lich hatte sie ja unter anderem auch mit »Ex-Produzentin« unterzeichnet. Aber wie sich die ganze Sache auch entwickelte, den augenblicklichen Auftrag wollte sie noch zu Ende bringen.

Jetzt meldete sich Jessica. »Da ist eine Sache, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Diese Piste, von der wir eben gestartet sind.«

»Sion«, erganzte Rita.

Jessica nickte. »Auf dem Dschungelpfad und dann auf der Piste hatte ich das Gefuhl, da? ich da schon einmal war. Ich glaube, die Entfuhrer haben uns zuerst dorthin gebracht, und dort sind wir auch aus der Bewu?tlosigkeit aufgewacht. Nur wu?te ich damals nicht, da? das eine Landepiste ist. Und dann noch etwas.«

»Erzahl«, sagte Rita. Sie hatte einen Block in der Hand und schrieb mit.

»Da war ein Mann in der Hutte, in der wir gefangengehalten wurden. Ich wei? nicht, wer oder was er war, aber ich bin sicher, da? er Amerikaner war. Ich habe ihn gebeten, uns zu helfen, er hat aber nicht darauf reagiert. Doch ich habe das hier.«

Am Tag zuvor hatte sie ihre Zeichnung unter der Matte in der Zelle hervorgeholt und in ihrem BH versteckt. Nun gab sie Rita die Skizze.

Es war das Portrat des Learjetpiloten Denis Underhill. »Heute abend«, sagte Rita, »werden wir das in den National Evening News bringen. Bei zwanzig Millionen Zuschauern sollte doch jemand dabeisein, der ihn identifizieren kann.«

Die Cheyenne gewann noch immer an Hohe und naherte sich dem Gebirgsmassiv der Kordilleren. Rita sah auf die Uhr. Es war wenige Minuten nach neun, noch vierzig Minuten bis zur Landung in Lima.

Es gab noch viel zu tun. Zuerst mu?te sie in Zusammenarbeit mit Crawf einen Plan fur den Rest des Tages aufstellen. Sie hatte bereits einige Vorkehrungen getroffen, da sie einen Gro?teil des Geschehens, wenn auch nicht alles, vorausgesehen hatte.

Im Augenblick besa? CBA die dramatische Geschichte der Rettung exklusiv. Bis zur ersten Nachrichtensendung, in Peru also bis 17 Uhr 30, mu?ten Jessica und Nicky deshalb vor dem Rest der Medien versteckt werden. Sie war sicher, da? Crawf das einsehen wurde.

Das bedeutete, da? man Jessica und Nicky weder ins Cesar's Hotel noch zur Entel Peru bringen konnte, denn an beiden Orten wimmelte es von Reportern und Kamerateams. Ahnliches traf auch auf alle anderen Hotels in der Innenstadt von Lima zu.

Rita hatte deshalb mit Oswaldo Zileri vereinbart, da? die beiden die Wartezeit in seinem Haus in den Au?enbezirken von Miraflores verbringen konnten. Nach 17 Uhr 30 war es dann gleichgultig, wann Presse und Fernsehen die befreiten Geiseln zu Gesicht bekamen, denn irgendwann mu?ten sich die beiden dieser Tortur sowieso stellen.

In der Zwischenzeit mu?te Rita zusammen mit dem Cutter Bob Watson einen Bericht fur die National Evening News zusammenstellen. Es wurde ein langer Bericht werden mit einer Auswahl von Minhs besten Aufnahmen - von der Rettung, Harrys Partridges Tod und dem traurigen Augenblick, als Fernandez im Dschungel zuruckgelassen werden mu?te.

Es war nicht notig, da? Rita New York um zusatzliche Sendezeit bat, denn sie wu?te, da? sie bei einem Anla? wie diesem so viel Zeit bekam, wie sie brauchte.

Rita war auch sicher, da? CBA fur die Hauptsendezeit einen Sonderbericht ansetzen wurde. Auch dafur hatte sie genug Material, etwa die Aufnahmen von Dolores, der Lebensgefahrtin des amerikanischen Arztes Hartley Gossage alias Baudelio, der seine medizinischen Kenntnisse beim Transport der Geiseln nach Peru auf eine so schandliche Weise mi?braucht hatte. Harry hatte diesen Bericht zusammengestellt und selbst kommentiert, er war sendebereit.

Die Moderation sowohl der Nachrichtenmeldung wie auch des Sonderberichts wurde naturlich Crawf ubernehmen. Vielleicht wurde es schwierig fur ihn, denn schlie?lich mu?te er uber den Tod seines Vaters, uber

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