Ohne lange zu zogern, sprang er aus dem Bett, packte und erwurgte sie. Noch viel spater war ihm ihr unglaubiger Blick im Gedachtnis, wahrend sie um sich schlug und sich loszurei?en versuchte, und schlie?lich das stille, verzweifelte Flehen in ihren Augen, kurz bevor sie das Bewu?tsein verlor. Mit klinisch distanziertem Interesse stellte er fest, da? das Toten ihm in keinster Weise Probleme machte.

Er blieb eiskalt, wagte seelenruhig seine Chancen ab und stellte fest, da? das Risiko, gefangen zu werden, gleich null war. Im Bus hatten die beiden nicht nebeneinander gesessen, sie hatten sich uberhaupt noch nicht gekannt. Da? jemand sie auf dem Weg von der Bushaltestelle beobachtet hatte, war unwahrscheinlich. Beim Betreten des Hauses und im Aufzug zum vierten Stock war ihnen niemand begegnet.

In aller Ruhe wischte er mit einem Tuch die Stellen ab, auf denen er moglicherweise Fingerabdrucke hinterlassen hatte. Schlie?lich wickelte er sich ein Taschentuch um die Hand, loschte alle Lichter und verlie? die Wohnung. Die Tur lie? er hinter sich ins Schlo? fallen.

Er vermied den Aufzug und benutzte die Nottreppe. In der Eingangshalle sah er sich um, und als er merkte, da? sie menschenleer war, durchquerte er sie und verlie? das Haus.

Am nachsten und an den folgenden Tagen suchte er in den Lokalzeitungen nach Berichten uber das tote Madchen. Doch es dauerte fast eine Woche, bis die bereits teilweise verweste Leiche gefunden wurde, und als es in den folgenden zwei oder drei Tagen keine neuen Entwicklungen und offensichtlich auch keine weiterfuhrenden Hinweise gab, verloren die Zeitungen das Interesse an der Geschichte.

Soweit uberhaupt Ermittlungen angestellt worden waren, hatten sie ihn nicht in Verbindung mit dem Mord an dem Madchen gebracht.

Wahrend seiner Zeit in Berkeley totete Miguel noch zweimal - in San Francisco, auf der anderen Seite der Bucht. Beide Opfer waren Fremde. Er mordete nur des Nervenkitzels wegen und weil er darin eine gute Ubung sah, um seinen sich entwickelnden Fahigkeiten als Soldner den letzten Schliff zu geben. Das war ihm offensichtlich gut gelungen, den in keinem der Falle wurde er verdachtigt oder auch nur von der Polizei verhort.

Von Berkeley nach Kolumbien zuruckgekehrt, suchte Miguel Anschlu? an die eben entstehende Allianz der Drogenkonige. Er hatte einen Pilotenschein und flog mehrmals Kokapaste von Peru zur Weiterverarbeitung nach Kolumbien. Durch die Freundschaft mit der beruchtigten aber einflu?reichen Familie Ochoa wurden ihm jedoch bald andere Turen geoffnet. Schlie?lich kam die M-19 mit ihren Mordorgien. Miguel war an allen gro?en und vielen kleineren Blutbadern beteiligt, und schon bald konnte er die Leichen, die er hinterlie?, nicht mehr zahlen. Allmahlich wurde sein Name international bekannt, doch dank seiner fast pedantischen Vorsicht gab es sonst kaum Informationen uber ihn.

Im Lauf der Jahre baute Miguel - oder Ulises Rodriguez -seine Beziehungen zum Medellin-Kartell, zur M-19 und schlie?lich zum Sendero Luminoso standig aus. Er blieb aber immer unabhangig und wurde so zu einem internationalen Verbrecher, einem kauflichen Terroristen und Killer, der wegen seiner Effektivitat sehr gefragt war.

Naturlich spielte bei der ganzen Sache auch die Politik eine gewisse Rolle. Miguel war rein gefuhlsma?ig Sozialist, der den Kapitalimus von Grund auf ha?te und die seiner Meinung nach heuchlerischen und korrupten Vereinigten Staaten verachtete. Doch eigentlich stand er Politik in jeder Form skeptisch gegenuber und geno? einfach die Gefahren, das Risiko und die Dramatik des Lebens, das er fuhrte, wie andere ein Aphrodisiakum.

Ebendiese Art von Leben hatte ihn vor eineinhalb Monaten in die Vereinigten Staaten gefuhrt, wo er versteckt und heimlich eine Operation vorbereitete, die nun in wenigen Stunden uber die Buhne gehen und die Weltoffentlichkeit schockieren sollte.

Seine ausfuhrlich geplante Reiseroute war umstandlich, aber sicher gewesen: von Bogota, in Kolumbien, uber Rio de Janeiro nach Miami. In Rio hatte er Papiere und Identitaten wechseln wollen, um in Miami als brasilianischer Verleger auf dem Weg zu einer Buchmesse in New York einzutreffen. Aber ein Spitzel im amerikanischen Au?enministerium hatte das Medellin-Kartell gewarnt, da? die Einwanderungsbehorde in Miami dringend alle verfugbaren Informationen uber Miguel erbeten habe, vor allem solche uber die diversen Identitaten, die er, soweit bekannt, in der Vergangenheit benutzt hatte.

Miguel war wirklich schon einmal unter dem Namen des brasilianischen Verlegers aufgetreten, und obwohl er davon ausging, da? diese Identitat noch nicht aufgedeckt war, schien es ihm sicherer, Miami zu meiden. Er nahm deshalb eine gewisse Verzogerung in Kauf und flog von Rio nach London, wo er sich eine vollkommen neue Identitat und einen druckfrischen, offiziellen britischen Pa? zulegte.

Die Prozedur war hochst einfach.

Ach, diese unschuldigen Demokratien! Wie dumm und naiv sie doch waren! Wie einfach es war, ihre hochgeruhmte Freiheit und das liberale System zu unterlaufen und zum Vorteil derer zu nutzen, die, wie Miguel, an keins von beiden glaubten.

Kurz bevor er London erreichte, hatte er erfahren, wie es gemacht werden mu?te.

Zunachst ging er zum St. Catherine's House an der Kreuzung von Kingsway und Aldwych, wo Geburten, Heiraten und Todesfalle fur England und Wales registriert werden. Dort beantragte Miguel drei Geburtsurkunden.

Wessen Geburtsurkunden? Von beliebigen Personen, deren Geburtsdatum genau oder zumindest annahernd mit dem seinen ubereinstimmte.

Ohne jemanden zu fragen und ohne aufgehalten zu werden, nahm er funf leere Antragsformulare und ging damit zu einer Reihe von Regalen, auf denen gro?formatige, mit Jahreszahlen versehene Bande standen. Miguel suchte sich das Jahr 1951 heraus. Der Band war in vierteljahrliche Abschnitte unterteilt. Er blatterte zum vierten Quartal und den Buchstaben M bis R.

Sein Geburtsdatum war der 14. November dieses Jahres. Beim Durchblattern stie? er auf den Namen »Dudley Martin«, geboren am 13. November in Keighley, Yorkshire. Der Name schien geeignet, er war weder zu ungewohnlich noch so auffallend alltaglich wie etwa Smith. Perfecto! Miguel trug die Angaben in das rotgedruckte Antragsformular ein.

Nun brauchte er noch zwei Namen. Er hatte vor, drei Passe zu beantragen, wobei ihm zwei nur als Sicherheit dienten, falls mit dem ersten etwas schiefging. Es war ja immerhin moglich, da? auf den Namen Dudley Martin bereits ein gultiger Pa? ausgegeben worden war. In diesem Fall wurde kein neuer ausgestellt werden.

Er fullte zwei weitere Antragsformulare aus. Bewu?t wahlte er zwei Familiennamen, deren Anfangsbuchstaben im Alphabet weit von »M« wie Martin entfernt waren; der eine begann mit »B«, der andere mit »Y«. Miguel wu?te, da? im Meldeamt verschiedene Angestellte verschiedene Buchstabengruppen bearbeiteten. Die weite Streuung der Buchstaben sorgte dafur, da? die drei Antrage von verschiedenen Personen bearbeitet wurden und so keine Ahnlichkeiten festgestellt werden konnten.

Wahrend des Schreibens achtete Miguel darauf, da? er keines der Formulare, die er ausfullte, beruhrte. Deshalb hatte er funf Formulare mitgenommen; die beiden au?eren schutzten die anderen drei vor seinen Fingerabdrucken, er wurde sie spater vernichten. Seit Berkeley hatte er gelernt, da? nichts, auch das sorgfaltigste Wischen nicht, Fingerabdrucke vollkommen ausloschen konnte - mit modernsten Verfahren, dem Ninhydrin-Test oder dem Ion-Argon-Laser etwa, waren sie trotzdem zu identifizieren.

Als nachstes kam ein kurzer Gang zur Zahlstelle. Dort legte er seine Antrage vor, wobei er es auch weiterhin vermied, die drei ausgefullten Blatter zu beruhren. Der Kassierer verlangte funf Pfund fur jede Geburtsurkunde, die Miguel bar bezahlte. Er erfuhr, da? die Dokumente in zwei Tagen fertig seien.

In dieser Zeit verschaffte er sich drei Postadressen.

Aus Kelly's London Business Directory, dem Londoner Branchenbuch, schrieb er sich verschiedene Buroagenturen heraus, uber deren unauffallige Adressen er seine Post laufen lassen konnte. Er besuchte nun eine dieser Agenturen und zahlte funfzig Pfund, wiederum in bar. Eine Deckgeschichte hatte er sich bereits zurechtgelegt: Er eroffne eben ein kleines Geschaft und konne sich kein eigenes Buro oder eine Sekretarin leisten. Wie sich zeigte, stellte man keine weiteren Fragen. Er wiederholte den Vorgang noch bei zwei anderen Agenturen, und auch bei denen zeigte man sich alles andere als wi?begierig. Nun hatte er drei verschiedene Adressen fur seine drei Pa?antrage, und keine konnte zu ihm selbst zuruckverfolgt werden.

Ein Fotoautomat lieferte ihm drei verschiedene Satze Pa?fotos, wobei er jedesmal sein Aussehen veranderte. Bei einem klebte er sich einen Vollbart an, beim zweiten war er glattrasiert und trug das Haar gescheitelt, und fur das dritte setzte er sich eine dicke, auffallende Brille auf.

Tags darauf holte er seine drei Geburtsurkunden von St. Catherine's House ab. Wie schon beim

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