Zartlichkeit. Du hast es gestern abend noch versucht, aber du warst zu mude. Bist einfach eingeschlafen.«

In diesem Augenblick empfand Partridge mehr Dankbarkeit fur Vivien als je zuvor. Sie war wie ein Fels in der Brandung, ein sicherer Hafen. In der Nacht zuvor hatte sie im Flughafen geduldig auf seine verspatete Ankunft gewartet und ihn dann in die Wohnung gebracht.

»Mu?t du denn nicht arbeiten?« fragte er.

»Ich habe mir ab heute Urlaub genommen. Eine andere Schwester wird mich vertreten.«

»Vivien, du bist unersetzlich.«

Nachdem Vivien gegangen war und Partridge sie in der Kuche herumhantieren horte, kehrten seine Gedanken zum vergangenen Tag zuruck.

Noch in der Abfertigungshalle hatte ihn ein Anruf von Crawford Sloane erreicht, der ihm gratulieren wollte.

Crawf hatte verlegen geklungen, wie so oft, wenn sie miteinander sprachen. Es gab Zeiten, da hatte Partridge ihm am liebsten gesagt: »Hor mal, wenn du glaubst, da? ich dir wegen irgendwas bose bin, wegen Jessica oder dem Job oder sonstwas, vergi? es. Ich bin's nicht und war's auch nie.« Aber er wu?te, da? eine solche Bemerkung ihre Beziehung nur noch mehr belasten wurde, und wahrscheinlich wurde Crawf ihm sowieso nicht glauben.

In Vietnam hatte Partridge sehr wohl gewu?t, da? Sloane sich nie weit von Saigon entfernte, um so oft wie moglich in den CBA News auftreten zu konnen. Doch es war ihm damals ebenso gleichgultig wie jetzt. Er hatte seine eigenen Prioritaten. Eine davon war fast als Sucht zu bezeichnen - die Sucht nach den Bildern und den Gerauschen des Krieges.

Der Krieg... das blutige Schlachtgetummel... das Donnern und Blitzen schwerer Artillerie, das schrille Pfeifen und furchterregende Krachen fallender Bomben, das uberlaute Knattern der Maschinengewehre, wenn man nicht wu?te, wer scho?, und von wo und auf wen... die beinahe sinnliche Erregung des Angegriffenwerdens, obwohl man vor Angst zitterte... dies alles faszinierte Partridge, es brachte sein Blut in Wallung.

Er hatte dieses Gefuhl in Vietnam entdeckt, seiner ersten Kriegserfahrung. Seitdem wurde er es nicht mehr los. Mehr als einmal hatte er sich gesagt: Gib's doch zu - du bist verruckt danach; und sich dann eingestanden: Ja, ich bin's, ich gottverdammter Trottel.

Ob nun Trottel oder nicht, er hatte sich nie gewehrt, von CBA an Kriegsschauplatze geschickt zu werden. Er wu?te, da? manche Kollegen ihn »Pang-pang« nannten, eine leicht verachtliche Bezeichnung fur einen Fernsehreporter, den die Kriegssucht gepackt hatte, eine schlimmere Sucht, so hie? es manchmal, als die nach Heroin und Kokain, aber mit einem fast ebenso vorhersehbaren todlichen Ausgang.

Doch in der Zentrale von CBA News wu?te man auch, da? Harry Partridge fur diese Art der Berichterstattung der Beste war, und das war schlie?lich das wichtigste.

Es hatte ihm deshalb nicht allzuviel ausgemacht, als Sloane zum Chefsprecher der National Evening News befordert wurde. Wie jeder andere Korrespondent hatte auch Partridge mit dem Gedanken ge spielt, eines Tages in diesem Stuhl an der Spitze zu sitzen, als aber dann Sloane das Gluck hatte, fuhlte Partridge sich in seiner Position so wohl, da? es ihm gleichgultig war.

Doch nun war die Frage nach dem Job des Chefsprechers plotzlich und unerwartet wieder aufgetaucht. Vor zwei Wochen hatte Chuck Insen ihn in einer »streng vertraulichen Unterhaltung«, wie der Sendeleiter es nannte, wissen lassen, da? es innerhalb der National Evening News zu gro?eren Veranderungen kommen konne. »Falls das passiert«, hatte Insen ihn gefragt, »hattest du Lust, aus der Kalte der gro?en Welt zuruckzukommen und Chefsprecher der National Evening News zu werden? Du kannst das verdammt gut.«

Partridge war so uberrascht gewesen, da? er nicht wu?te, wie er reagieren sollte. Doch dann hatte Insen hinzugefugt: »Du mu?t nicht gleich antworten. Ich will nur, da? du daruber nachdenkst, falls ich spater noch einmal darauf zuruckkomme.«

Uber seine eigenen Kanale hatte Partridge dann von dem Machtkampf zwischen Chuck Insen und Crawford Sloane erfahren. Aber auch falls Insen gewinnen sollte, was eher unwahrscheinlich schien, war sich Partridge ganz und gar nicht sicher, ob ihm der Job des Chefsprechers zusagte und ob er ihn uberhaupt ertragen konnte. Vor allem, so sagte er sich halb im Spa?, solange noch an so vielen Orten der Welt Gewehrschusse krachten.

Immer wenn Partridge uber seine personliche Beziehung zu Crawford Sloane nachdachte, kam unausweichlich die Erinnerung an Jessica. Doch es blieb immer nur eine Erinnerung, weil keine Beziehung, nicht einmal mehr ein gelegentlicher Kontakt, zwischen ihnen bestand, und auf gesellschaftlicher Ebene sahen sie sich hochstens ein- oder zweimal im Jahr. Partridge hatte auch nie Sloane die Schuld am Verlust Jessicas gegeben, denn er wu?te, da? seine eigene torichte Haltung der Grund dafur gewesen war. Als er Jessica hatte heiraten konnen, hatte er sich dagegen entschieden, und so war Sloane an seine Stelle getreten, der zu der Zeit ganz offensichtlich der Klugere und Weitsichtigere von beiden gewesen war...

Vivien kam wieder ins Schlafzimmer und brachte ihm sein Fruhstuck, das aus mehreren Gangen bestand. Es war, wie sie versprochen hatte, eine sehr nahrhafte Mahlzeit: frischgepre?ter Orangensaft und dicker, hei?er Porridge mit Milch und braunem Zucker, gefolgt von pochierten Eiern auf Vollkorntoast zu starkem, schwarzen Kaffee aus frischgemahlenen Bohnen, und schlie?lich wieder Toast und Honig aus Alberta.

Da? sie an den Honig gedacht hatte, ruhrte Partridge. Er erinnerte ihn, und das hatte sie auch beabsichtigt, an seine Heimatprovinz, wo er bei einem lokalen Radiosender auch seine Journalistenlaufbahn begonnen hatte. Nun fiel ihm wieder ein, da? er Vivien einmal von seiner Arbeit bei einem sogenannten 20/20 Sender erzahlt hatte. Das Kurzel bedeutete, da? das ubliche Rock'n'Roll-Programm alle zwanzig Minuten von ein paar laut herausgeschrienen Schlagzeilen aus dem AP-Telegramm unterbrochen wurde. Ein junger Harry Partridge war damals der Schreihals gewesen. Er lachelte bei dieser Erinnerung; es schien schon so lange her.

Als er nach dem Fruhstuck noch im Pyjama durch die Wohnung streifte, sagte er plotzlich: »Das wird ja immer schabiger hier. Ein neuer Anstrich und neue Mobel waren dringend notwendig.«

»Ich wei?«, gab Vivien zu. »Ich hab' auch schon die Hausbesitzer wegen einer Renovierung gefragt. Aber da hie? es, fur diese Wohnung seien noch keine Investitionen vorgesehen.«

»Die konnen mich doch mal! Wir machen das ohne die Besitzer. Such dir einen Maler und bestell, was du brauchst. Ich la? dir genugend Geld da, bevor ich wieder verschwinde.«

»Du bist bei solchen Sachen immer so gro?zugig«, sagte sie und fugte dann hinzu: »Hast du eigentlich immer noch dieses einmalige Privileg, keine Einkommensteuer zahlen zu mussen?«

Er grinste. »Aber klar doch.«

»An niemand und nirgends?«

»Keinen Cent, und das ist vollkommen legal und ehrlich. Ich gebe keine Steuererklarung ab, weil ich nicht mu?. Spart 'ne Menge Zeit und Geld.«

»Ich hab' nie verstanden, wie du das schaffst.«

»Dir kann ich's ja ruhig erzahlen«, erwiderte er, »obwohl ich sonst nicht daruber rede. Leute, die Einkommensteuer zahlen, werden neidisch; man ist im Elend eben nicht gern allein.«

Entscheidend dafur sei, so erklarte er nun, da? er als kanadischer Staatsburger mit einem kanadischen Pa? im Ausland arbeite.

»Die meisten Leute wissen nicht, da? die Vereinigten Staaten als einziges gro?es Land der Welt ihre Burger besteuern, gleichgultig wo sie leben. Auch wenn Amerikaner au?erhalb der Vereinigten Staaten wohnen, mussen sie an Uncle Sam Steuern zahlen. In Kanada ist das anders. Kanadier, die das Land verlassen, sind in Kanada nicht mehr steuerpflichtig, und sobald das Finanzamt davon uberzeugt ist, da? du nicht mehr da bist, hat es kein Interesse mehr an dir. Die Briten machen das genauso.«

»Bei mir lauft das nun so«, fuhr er fort, »da? CBA News mein Gehalt monatlich auf mein Konto bei der Chase Manhattan einzahlt. Von dort uberweise ich das Geld auf Konten in anderen Landern - auf den Bahamas, in Singapur, auf den Kanalinseln, wo das Geld steuerfrei Zinsen bringt.«

»Was ist mit Steuern in den Landern, in denen du arbeitest?«

»Als Fernsehjournalist bleibe ich nie lange genug, um dort steuerpflichtig zu werden. Das trifft sogar auf die USA zu, vorausgesetzt, da? ich mich nie langer als 120 Tage im Jahr dort aufhalte, und du kannst sicher sein, da? ich nie so lange bleibe. Und in Kanada habe ich ja keinen offiziellen Wohnsitz, nicht einmal den hier. Das ist ganz allein deine Wohnung, Viv, wie wir beide wissen.«

Schlie?lich fugte er hinzu: »Wichtig ist nur, da? man keine Steuern hinterzieht. Das ist nicht nur illegal, sondern auch dumm und das Risiko nicht wert. Steuern umgehen ist etwas ganz anderes...« Er hielt inne. »Moment mal. Ich hab' da was.«

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