allem daran gelegen, da? die allabendlichen Nachrichten diese Antworten lieferten.

Er hatte inzwischen mehr als genug von der besserwisserischen, moralinsauren Einstellung des Chefsprechers zur Auswahl der Nachrichten, und deshalb wurde es morgen auch zu einer knallharten Auseinandersetzung zwischen den beiden kommen, in der er, Insen, Sloane offen sagen wollte, was er dachte, ohne an die Konsequenzen zu denken.

Zu welchen Konsequenzen konnte es uberhaupt kommen? In der Vergangenheit hatte bei einem Streit zwischen dem Nachrichtensprecher und dem Chefproduzenten einer Sendeanstalt immer der Sprecher gewonnen, und der Produzent mu?te sich nach einer neuen Arbeit umsehen. Doch inzwischen hatte sich vieles verandert. Es herrschte ein anderes Klima in den Sendeanstalten, und es war durchaus moglich, da? jetzt einmal der Produzent blieb und der Sprecher gehen mu?te. Schlie?lich gibt es fur alles ein erstes Mal.

Mit dieser Moglichkeit im Hinterkopf hatte Insen vor einigen Tagen am Telefon ein streng vertrauliches Sondierungsgesprach mit Harry Partridge gefuhrt. Ob Partridge, wollte der Chefproduzent wissen, Interesse habe, aus der Kalte der gro?en Welt zuruckzukommen, um sich in New York niederzulassen und Chefsprecher der National Evening News zu werden? Harry konne in dieser Position Autoritat ausstrahlen und sei au?erdem genau der richtige Mann dafur - wie er als Urlaubsvertreter fur Sloane schon oft genug bewiesen habe.

Partridges Antwort war eine Mischung aus Uberraschung und Unsicherheit gewesen, aber zumindest hatte er nicht nein gesagt. Crawf Sloane wu?te naturlich nichts von dieser Unterhaltung.

Insen war uberzeugt, da? er und Sloane sich nicht weiter so bekriegen konnten, ohne bald zu einer Losung zu kommen, gleichgultig, wie diese aussah.

4

Es war 19 Uhr 40, als Crawford Sloane in einem Buick Somerset die Garage von CBA News verlie?. Er fuhr wie gewohnt einen Dienstwagen, der ihm aufgrund seines Vertrags jederzeit zur Verfugung stand, sogar mit Chauffeur, wenn er wollte. Doch meistens wollte er nicht. Wahrend er von der Third Avenue in die Fifty-ninth Street einbog und in ostlicher Richtung auf den FDR Drive zufuhr, dachte er weiter uber die eben abgeschlossene Sendung nach.

Zunachst drehten sich seine Gedanken um Insen, doch dann beschlo? er, die Sache mit dem Chefproduzenten bis zum nachsten Morgen ruhen zu lassen. Sloane hatte nicht den geringsten Zweifel daran, da? er mit Insen fertigwerden und ihn loswerden konnte. Vielleicht sollte man ihm den Posten eines Vizeprasidenten anbieten, was fur Insen, trotz des wohlklingenden Titels, eine Degradierung bedeutet hatte. Sloane dachte keinen Augenblick daran, da? auch das genaue Gegenteil passieren konnte. Hatte es jemand auch nur angedeutet, er hatte gelacht.

So wandte er seine Gedanken statt dessen Harry Partridge zu.

Partridges schneller und hervorragender Bericht, das wu?te Sloane, war ein weiteres Beispiel solider Arbeit in einer ganz au?ergewohnlichen Karriere gewesen. Sloane hatte Partridge telefonisch gratuliert und ihn gebeten, Rita, Minh und O'Hara seine Gluckwunsche auszurichten. Vom Chefsprecher wurde so etwas erwartet - noblesse oblige -, doch bei Partridge tat Sloane es ohne gro?e Begeisterung. Dieses Gefuhl war auch der Grund fur Sloanes unterschwellige Verlegenheit bei dem Gesprach mit Partridge, eine Verlegenheit, die er in dessen Gegenwart oft empfand. Partridge dagegen hatte ungezwungen gewirkt, wenn auch etwas mude.

Nun, in der Abgeschlossenheit des fahrenden Autos, fragte sich Sloane in einem Augenblick der Ehrlichkeit vor sich selbst: Wie fuhle ich mich im Umgang mit Harry Partridge? Und er mu?te sich mit ahnlicher Offenheit eingestehen: Er macht mich unsicher. Frage und Antwort hatten ihre Wurzeln in der jungeren Geschichte.

Die beiden kannten sich bereits seit uber zwanzig Jahren, so lange wie sie bei CBA News arbeiteten, denn beide waren fast gleichzeitig in den Sender eingetreten. Von Anfang an waren sie beruflich erfolgreich, doch sehr entgegengesetzt in ihren Personlichkeiten gewesen.

Sloane war pedantisch, anspruchsvoll und makellos in Sprache und Kleidung; er geno? es, Autoritat zu besitzen, die ihn auch wie eine naturliche Aura umgab. Jungere neigten dazu, ihn mit »Sir« anzureden und lie?en ihm an der Tur den Vortritt. Bei Leuten, die er nicht kannte, konnte er kuhl, sogar leicht distanziert sein, und doch gab es in jeder Art von zwischenmenschlichem Kontakt kaum etwas, das ihm entging, ob es nun ausgesprochen wurde oder nur angedeutet.

Partridge dagegen war lassig in seinem Auftreten und auch in seiner Kleidung eher salopp. Er bevorzugte alte Tweedsakkos und trug nur selten einen Anzug. Seine Ungezwungenheit gab den Leuten, mit denen er sprach, ein Gefuhl der Sicherheit und Gleichwertigkeit, und manchmal hatte es den Anschein, als wurde ihn nichts sonderlich interessieren. Doch das war eine bewu?te Tauschung. Schon fruh in seiner Journalistenkarriere hatte Partridge gelernt, da? er mehr herausfand, wenn er eher unbedeutend wirkte und seine scharfe, au?ergewohnliche Intelligenz versteckte.

Die beiden waren auch von der Herkunft verschieden.

Crawford war der Sohn einer Mittelschichtfamilie aus Cleveland, und in dieser Stadt erhielt er auch seine Fernsehausbildung. Harry Partridge absolvierte seine eigentliche Lehre als Fernsehreporter bei CBC - der Canadian Broadcasting Corporation - in Toronto, doch zuvor hatte er schon als Ansager, Nachrichtensprecher und Wettermann bei kleineren Radio- und Fernsehstationen im Westen Kanadas gearbeitet. Zur Welt gekommen war er in Alberta, in einem kleinen Dorf namens De Winton in der Nahe von Calgary, wo sein Vater eine Farm bewirtschaftete.

Sloane besa? ein Diplom der Columbia University. Partridge hatte nicht einmal die High School abgeschlossen, doch bei seiner Arbeit in der Welt der Nachrichten lernte er schnell und viel dazu.

Ihre Karrieren bei CBA verliefen lange Zeit parallel, und deshalb betrachtete man sie allgemein als Konkurrenten. Sloane selbst sah in Partridge wirklich einen Konkurrenten, ja eine Gefahr fur seinen Erfolg. Er war sich aber nicht sicher, ob Partridge ahnlich dachte.

Der Konkurrenzkampf zwischen ihnen spitzte sich zu, als sie beide als Kriegsberichterstatter in Vietnam arbeiteten. Der Sender schickte sie Ende 1967 offiziell als Team dorthin, und in gewisser Weise arbeiteten sie auch so. Doch Sloane betrachtete den Krieg nur als willkommene Gelegenheit fur einen Karrieresprung, denn schon damals hatte er den Moderatorensessel der National Evening News deutlich als Ziel vor Augen.

Sloane wu?te sehr wohl, wie wichtig es auf dem Weg dorthin war, so oft wie moglich in den Abendnachrichten zu erscheinen. Deshalb beschlo? er bald nach seiner Ankunft in Saigon, sich nie weit vom »Pentagon Ost«, dem Hauptquartier der amerikanischen Streitkrafte auf dem Luftwaffenstutzpunkt Tan Son Nhut, zu entfernen, und wenn er es doch tun mu?te, nie lange wegzubleiben.

Auch nach all den Jahren konnte sich Sloane noch gut an eine Unterhaltung mit Partridge erinnern, der eines Tages bemerkt hatte: »Crawf, du wirst diesen Krieg nie verstehen, wenn du immer nur zu den Saigon Follies gehst und im Caravelle herumhangst.« Ersteres war der Spitzname, den das Pressecorps fur militarische Einsatzbesprechungen verwandte, letzteres ein Hotel, in dem die internationale Presse, ranghohe Offiziere und das Zivilpersonal der amerikanischen Botschaft ihren Durst stillten.

»Falls du auf Risiken anspielst«, hatte Sloane verstimmt erwidert, »ich bin bereit, die gleichen einzugehen wie du.«

»Vergi? die Risiken. Mit denen mussen wir alle leben. Ich rede uber die Art der Berichterstattung. Ich will dieses Land verstehen, die Hintergrunde kennenlernen. Manchmal will ich unabhangig sein vom Militar, nicht nur von einem Scharmutzel zum anderen latschen und uber die Knallerei berichten, wie sie es gerne hatten. Das ist zu einfach. Und wenn ich von der Front berichte, dann will ich ganz vorne mit dabeisein, damit ich sehe, ob es wirklich stimmt, was die Pressefritzen vom Infodienst uns erzahlen.«

»Wenn du das willst«, erwiderte Sloane, »bist du tagelang, manchmal sogar wochenlang weg.«

Partridge schien amusiert uber die Bemerkung. »Dacht' ich mir, da? du da gleich draufkommst. Ich bin mir sicher, du hast auch schon gemerkt, da? die Art, wie ich arbeiten will, dir die Moglichkeit gibt, dein Gesicht fast jeden Abend in den Nachrichten zu zeigen.«

Sloane war es unangenehm, so leicht durchschaubar zu sein, zumal es letztlich genau darauf hinauslief.

Niemand konnte behaupten, da? Sloane in seiner Zeit in Vietnam nicht schwer gearbeitet hatte. Er arbeitete schwer, und er ging auch Risiken ein. Gelegentlich begleitete er Einheiten ins Operationsgebiet des Vietcong, stand manchmal mitten im hitzigsten Feuer, und in besonders gefahrlichen Augenblicken fragte er sich, wie jeder andere auch, ob er da je wieder lebendig herauskommen wurde.

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