Schlupfloch abgeholt hatten. Wir mussen mindestens hundert Personen gewesen sein, als wir uber das Forum marschierten und schlie?lich in die Versammlungshalle der Tribunen einzogen. Mit etwas Abstand folgte uns Timarchides mit seiner Truppe. Angesichts unserer gro?en Zahl konnte er uns jedoch nichts anhaben, und in der Basilika, das wusste er genau, wurde er nichts unternehmen konnen, ohne selbst in Stucke gerissen zu werden.

Die zehn Volkstribunen sa?en auf ihrer Bank. Die Halle war voll. Palicanus erhob sich und verlas den Antrag, dass nach Meinung des Volkstribunats die Verfugung der Verbannung aus Rom auf Sthenius nicht anzuwenden sei. Dann trat Cicero vor die Tribunen. Sein Gesicht war wei? vor Anspannung. Im ersten Teil seiner Rede sagte er mehr oder weniger das Gleiche, was er schon im Senat gesagt hatte - mit dem einen Unterschied, dass er seinen Klienten diesmal nach vorn rufen und auf ihn zeigen konnte, wenn er es fur angebracht hielt, an das Mitleid der Richter zu appellieren. Und zweifellos war noch nie ein vollkommeneres Abbild eines gebrochenen Opfers vor einem romischen Gericht aufgetreten als Sthenius an diesem Tag. Der Schluss von Ciceros Ausfuhrungen hatte jedoch nichts mehr gemein mit seinen sonstigen Reden vor Gericht, er war etwas vollig Neues und bezeichnete eine entscheidende Verschiebung seines politischen Standorts. Als er diesen Punkt erreichte, war seine Nervositat verflogen und sein Vortrag voller Feuer.

»Die Handler in den Markthallen, ihr Tribunen, kennen ein altes Sprichwort: Der Fisch stinkt vom Kopf. Und wenn im Rom dieser Tage etwas stinkt -und wer wurde das bezweifeln? -, dann sage ich euch, dieser Gestank kommt vom Kopf. Er kommt von oben, er kommt vom Senat.« Laute Beifallsrufe und trampelnde Fu?e. »Und es gibt nur eins, sagen die Handler, was man mit einem stinkenden, verrottenden Fischkopf machen kann: abschneiden. Man muss den Kopf abschneiden und auf den Mull werfen!« Noch mehr Beifall. »Aber fur so einen Kopf braucht man ein scharfes Messer, das ist schlie?lich ein aristokratischer Kopf, und wie die sind, das wissen wir ja!« Gelachter. »Die sind aufgeschwollen vom Gift der Korruption, aufgedunsen von Hochmut und Arroganz. Und fur so ein Messer braucht es eine kraftige Hand. Und Ausdauer, denn diese Aristokraten, die haben Kopfe aus Eisen, das kann ich euch sagen, Eisenkopfe, allesamt!« Gelachter. »Aber so ein Mann wird kommen. Er ist nicht mehr weit. Tribunen, eure Macht wird wiederhergestellt werden, das verspreche ich euch, egal, wie hart der Kampf auch sein wird.« Ein paar ganz Schlaue fingen an, Pompeius' Namen zu rufen. Cicero hob die Hand, wobei er drei Finger in die Luft streckte. »Ihr Tribunen musst euch der gewaltigen Prufung dieses Kampfes wurdig erweisen. Zeigt Mut. Macht heute den ersten Schritt. Versetzt der Tyrannei einen Hieb. Befreit meinen Klienten. Und dann befreit Rom!«

Spater war Cicero diese ausgesprochen demagogische Rede so peinlich, dass er mich anwies, die einzige Niederschrift zu vernichten. Ich muss also gestehen, dass ich sie hier aus dem Gedachtnis wiedergebe. Aber ich erinnere mich klar und deutlich an sie - an die Wucht der Worte; an die Leidenschaft des Vortrags; an die Erregung der von Cicero aufgepeitschten Menge; an Ciceros Augen, als er Palicanus beim Verlassen des Podiums zuzwinkerte; an die vollig regungslose Terentia, die starr geradeaus schaute, wahrend um sie herum das gemeine Volk in Jubel ausbrach. Timarchides, der ganz hinten gestanden hatte, verschwand, noch bevor der Applaus sich gelegt hatte. Sicher machte er sich so schnell wie moglich auf den Ruckweg nach Sizilien, um seinem Herrn zu berichten. Denn der Antrag, was wohl kaum noch der Erwahnung wert ist, wurde mit zehn zu null

Stimmen angenommen, und Sthenius' Sicherheit war fur die Dauer seines Aufenthalts in Rom

KAPITEL IV

Eine andere von Ciceros Maximen lautete: Wenn du etwas Unpopulares zu erledigen hast, dann erledige es grundlich, denn der Eindruck von Halbherzigkeit kommt deinem Ansehen sicher nicht zugute. Obwohl er sich vorher noch nie zu Pompeius oder den Volkstribunen geau?ert hatte, gab es in den folgenden sechs Monaten niemanden, der sich mit mehr Begeisterung fur deren Sache eingesetzt hatte. Die Pompeianer jedenfalls waren entzuckt, in ihren Reihen einen derart fahigen Rekruten begru?en zu durfen. Der romische Winter in jenem Jahr war lang und kalt, vor allem fur Terentia, nehme ich an. Ihr personlicher Ehrenkodex verlangte es, dass sie ihrem Mann beistand gegen die Feinde, die in ihr Haus eingedrungen waren. Nicht nur, dass sie sich inmitten all dieser ubel riechenden armen Menschen Ciceros Tiraden gegen ihre eigene Klasse hatte anhoren mussen, jetzt belagerten seine neuen politischen Kumpane auch noch zu jeder Tageszeit ihren Salon und ihr Speisezimmer: Manner aus dem primitiven Norden, die mit absto?endem Akzent sprachen, die Fu?e auf ihre Mobel legten und bis spat in die Nacht Ranke schmiedeten. Palicanus war ihr Wortfuhrer. Bei seinem zweiten Besuch im Januar brachte er einen der neuen Pratoren mit, Lucius Afranius, einen Senatskollegen aus Pompeius' Heimat Picenum. Cicero bemuhte sich mit besonderer Liebenswurdigkeit um ihn, und in fruheren Jahren ware es auch Terentia eine Ehre gewesen, einen Prator in ihrem Haus begru?en zu durfen. Aber Afranius stammte weder aus einer ehrbaren Familie, noch verfugte er uber jedwede Kinderstube. Er besa? doch tatsachlich die Unverschamtheit, sie zu fragen, ob sie gern tanze. Und als sie entsetzt zuruckwich, erklarte er, dass er selbst nichts lieber tate. Dann zog er seine Toga hoch, entblo?te seine Beine und wollte von ihr wissen, ob sie schon jemals ein stattlicheres Paar Waden gesehen habe.

Das waren Pompeius' Reprasentanten in Rom, und ihnen haftete immer etwas vom Geruch und den Manieren eines Feldlagers an. Sie waren ungeschlacht bis zur Brutalitat - aber vielleicht musste man das sein, wenn man vorhatte, was sie vorhatten. Palicanus' Tochter Lollia - ein schlampiges junges Ding, eine Zumutung in Terentias Augen - begleitete die Gruppe gelegentlich, da sie mit Aulus Gabinius verheiratet war. Auch er gehorte zu Pompeius' Parteigangern aus Picenum und diente damals unter dem General in Spanien. Gabinius war das Verbindungsglied zu den Legionskommandeuren, die ihn mit Informationen uber die Loyalitat in der Truppe versorgten. Das war entscheidend, denn es hatte keinen Sinn, wie Afranius sich ausdruckte, zur Wiederherstellung der Macht des Volkstribunats eine ganze Armee nach Rom zu schaffen, nur um schlie?lich festzustellen, dass die Legionen freudig zu den Aristokraten uberliefen, wenn nur die Hohe der Bestechungssumme stimmte.

Ende Januar traf Gabinius' Nachricht ein, dass die letzten Rebellenhochburgen in Uxama und Calagurris gefallen seien und Pompeius nun bereit sei, seine Armee in Richtung Heimat in Marsch zu setzen. Cicero hatte seit Wochen die pedarii unter den Senatoren bearbeitet, hatte sie in Senatspausen immer wieder beiseite genommen, um sie davon zu uberzeugen, dass die aufstandischen Sklaven im Norden Italiens eine zunehmende Gefahr fur ihre Geschafts- und Handelsinteressen darstellten. Seine Uberzeugungsarbeit sollte sich lohnen. Als das Thema im Senat diskutiert wurde, stimmte das Haus trotz des erbitterten Widerstands der Aristokraten und der Anhanger Crassus' mit knapper Mehrheit dafur, Pompeius' spanische Armee nicht aufzulosen, sondern sie ins Mutterland zuruckzubeordern, um Spartacus' Truppen im Norden zu zerschlagen. Mit diesem Votum hatte Pompeius das Konsulat so gut wie sicher, und Cicero kehrte am Abend jenes Tages mit einem Lacheln auf den Lippen nach Hause zuruck. Gewiss, er war von den Aristokraten, die ihn inzwischen mehr verachteten als jeden anderen Mann in Rom, bruskiert worden. Der prasidierende Konsul, der unglaublich hochnasige Publius Cornelius Lentulus Sura, hatte sogar seinen Versuch, sich zu Wort zu melden, absichtlich ignoriert. Aber was machte das schon? Er gehorte zum inneren Kreis von Pompeius Magnus, und jeder Idiot wei?, dass man in der Politik am schnellsten vorwartskommt, wenn man sich in der Nahe des Mannes an der Spitze einnistet.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass wir in diesen hektischen Monaten Sthenius aus Thermae vernachlassigt haben. Oft tauchte er schon morgens auf und druckte sich in der Hoffnung auf eine Unterredung den ganzen Tag in der Nahe des Senators herum. Er wohnte immer noch in Terentias verwahrloster Mietskaserne, und er hatte nicht viel Geld. Rom konnte er nicht verlassen, da seine Immunitat an den Stadtmauern endete. Seit Oktober hatte er sich nicht mehr rasiert, nicht mehr die Haare schneiden lassen und -nach seinem Geruch zu urteilen - auch nicht mehr die Kleidung gewechselt. Es war nicht direkt Wahnsinn, aber doch hochgradige Besessenheit, die er ausstrahlte, wenn er durch die Stra?en wanderte, unablassig Papyrusfetzen zu kleinen Kugelchen zusammenknullte, damit herumspielte und sie schlie?lich auf den Boden warf.

Cicero lie? sich immer neue Ausreden einfallen, um ihn nicht sprechen zu mussen. Zweifellos war er der Meinung, seiner Verpflichtung nachgekommen zu sein. Aber es war nicht nur das. Die Politik ist wie ein Hohlkopf vom Land: Sie kann sich jeweils nur auf eine Sache auf einmal konzentrieren. Der arme Sthenius war einfach unwichtig. Das im Augenblick einzig interessante Thema war die bevorstehende Auseinandersetzung zwischen Crassus und Pompeius. Im Spatfruhling hatte Crassus im Absatz Italiens die Hauptkrafte von Spartacus' Rebellen besiegt, Spartacus getotet und sechstausend Gefangene gemacht. Danach hatte er seine Truppen Richtung Rom in Marsch gesetzt. Kurz darauf uberschritt Pompeius die Grenze und beendete den Sklavenaufstand im Norden. Er schickte einen Brief nach Rom, der im Senat verlesen wurde und in dem er CrassusM Leistung nur am Rande wurdigte und stattdessen erklarte, dass allein ihm das Verdienst zukomme, den Sklavenaufstand »endgultig

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