entschuldigte sich und nahm Lucius, den jungen Frugi und mich beiseite. Die Botschaft war von seinem Bruder Quintus und enthielt gewichtige Neuigkeiten. Es schien ganz so, als hatte Hortensius wieder in seine Trickkiste gegriffen. Der Gerichtshof fur Erpressungen hat uberraschend eine Klage gegen einen ehemaligen Statthalter von Achaea zugelassen. Der Anklager Dasianus, ein allseits bekannter Verres-Intimus, war schon nach Griechenland abgereist und wurde mit seinem Beweismaterial zwei Tage vor der fur Ciceros Ruckkehr festgesetzten Frist wieder in Rom sein. Quintus ersuchte seinen Bruder dringend, so schnell wie moglich nach Rom zuruckzukehren, um die Situation zu retten.
»Das ist eine Falle«, sagte Lucius sofort. »Er will dich in Panik versetzen, damit du die Reise vorzeitig abbrichst.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, stimmte Cicero zu. »Aber das Risiko kann ich nicht eingehen. Wenn das Gericht diesen anderen Fall vor unserem aufruft und Hortensius das Verfahren nach bewahrter Manier in die Lange zieht, dann konnte unser Fall bis hinter den Wahltermin hinausgeschoben werden. Und dann sind Hortensius und Quintus Metellus die designierten Konsuln. Der jungste von den Metellus-Brudern ist der zukunftige Prator, und der dritte ist immer noch Statthalter hier in Sizilien. Was glaubst du, wie es dann um unsere Chancen steht?«
»Also, was machen wir?«
»Wir haben schon viel zu viel Zeit mit den kleinen Fischen verschwendet«, sagte Cicero. »Wir mussen den Krieg ins Lager des Feindes tragen und denen die Zungen lockern, die wirklich wissen, was da gespielt wurde - den Romern selbst.«
»Du hast recht«, stimmte Lucius ihm zu. »Die Frage ist nur, wie?«
Cicero schaute sich vorsichtig um und sagte dann mit sehr leiser Stimme: »Wir veranstalten eine kleine Durchsuchung. Und zwar in den Geschaftsraumen der Steuerpachter.«
Lucius wurde ganz blass, als er das horte. Au?er dem Versuch, in den Palast des Statthalters zu marschieren und Metellus selbst zu verhaften, war das so ziemlich das Gewagteste an Provokation, was Cicero sich leisten konnte. Die Steuerpachter bildeten ein Syndikat aus Mannern mit besten Verbindungen. Sie standen im Ritterrang, operierten unter dem Schutz des Gesetzes, und zu ihren Geldgebern gehorten einige der reichsten Senatoren Roms. Cicero selbst hatte sich als Spezialist in Handelsrecht ein Netzwerk aus Forderern aufgebaut, das exakt aus dieser Klasse von Geschaftsleuten stammte. Die Strategie war riskant, das wusste er. Trotzdem lie? er sich nicht davon abbringen. Er war davon uberzeugt, dass das Zentrum von Verres' morderischen
Machenschaften sich hier vor Ort befand. Noch in derselben Nacht schickte er den Kurier mit einem Brief zuruck nach Rom, in dem er Quintus mitteilte, dass er nur noch eine einzige Sache zu erledigen habe und die Insel in den nachsten Tagen verlassen werde.
Cicero musste jetzt schnell und unter gro?ter Geheimhaltung handeln. Den Termin fur die Durchsuchung hatte er mit Bedacht ausgewahlt: Sie wurde in zwei Tagen zur am wenigsten erwarteten Stunde stattfinden, kurz vor Morgengrauen an Terminalia, einem bedeutenden offentlichen Feiertag. Die Tatsache, dass dieser Tag Terminus geweiht ist, dem alten Gott der Grenzsteine und guten Nachbarschaft, machte ihn wegen seiner Symbolkraft in Ciceros Augen noch attraktiver. Unser Gastgeber Flavius erklarte sich bereit, uns zu den Geschaftsraumen der Steuerpachter zu fuhren. In der Zwischenzeit ging ich in den Hafen von Syrakus und machte den gleichen vertrauenswurdigen Bootsbesitzer ausfindig, den ich schon Vorjahren fur jene unbedachte Ruckreise Ciceros nach Italien angeheuert hatte. Von ihm mietete ich ein Schiff samt Mannschaft und wies ihn an, am Ende der Woche reisefertig zu sein. Die Beweismittel, die wir bislang gesammelt hatten, packten wir in Truhen und verstauten diese an Bord. Das Schiff wurde rund um die Uhr bewacht.
In der Nacht vor der Durchsuchung konnte keiner von uns gut schlafen. Es war noch dunkel, als wir mit unseren gemieteten Ochsenkarren beide Zufahrten in die Stra?e blockierten. Auf Ciceros Signal sprangen wir aus den Wagen. Der Senator hammerte gegen die Tur, trat, ohne auf eine Antwort zu warten, zur Seite, und zwei unserer kraftigsten Helfer machten sich mit Axten an die Arbeit. Als die Tur nachgab, quetschten wir uns hinein, stie?en den nicht mehr ganz jungen Nachtwachter zur Seite und begannen die Unterlagen abzutransportieren. Wir bildeten eine Menschenkette - Cicero inklusive - und reichten die Korbe mit den Wachstafeln und Papyrusrollen von Hand zu Hand hinaus auf die Stra?e und warfen sie auf die Karren.
Ich lernte eine kostbare Lektion an diesem Morgen: Wenn man auf Popularitat aus ist, dann funktioniert das am besten mit einer Durchsuchungsaktion bei einem Syndikat von Steuereintreibern. Als die Sonne aufging und sich im Viertel die Nachricht von unserer Aktion verbreitete, formierte sich um uns herum eine begeisterte Ehrenwache von Burgern. Es waren so viele, dass der Direktor der Firma, Carpinatius, der mit einem von Lucius Metellus bereitgestellten Trupp Legionare angeruckt war, das Gebaude nicht wieder in Besitz nehmen konnte. Carpinatius und Cicero lieferten sich mitten auf der Stra?e ein hitziges Wortgefecht. Carpinatius brullte, dass Steuerunterlagen der Provinzen per Gesetz vor Beschlagnahmung geschutzt seien, worauf Cicero erwiderte, dass seine Vollmacht des Gerichtshofes fur Erpressungen Vorrang habe vor derartigen Formalitaten. Tatsachlich, gestand Cicero hinterher ein, hatte Carpinatius Recht. »Aber«, fugte er hinzu, »wer die Stra?e kontrolliert, kontrolliert das Recht.« Und zumindest bei dieser Gelegenheit war es Cicero gewesen, der die Stra?e kontrolliert hatte.
Insgesamt hatten wir etwa vier Ochsenkarren voll Unterlagen zu Flavius' Haus transportiert. Wir verriegelten die Tore, postierten Wachen und machte uns dann an die beschwerliche Arbeit, die Akten zu durchforsten. Selbst heute noch, wenn ich an den schieren Umfang der Aufgabe zuruckdenke, spure ich, wie mir der Angstschwei? ausbricht. Die Unterlagen reichten Jahre zuruck und umfassten nicht nur den gesamten staatlichen Grundbesitz in Sizilien, sondern listeten auch von jedem Bauern jedes Stuck Weidevieh und dessen Qualitat sowie jede Feldfrucht auf, die er jemals angebaut hatte, wie viel er angebaut hatte und welchen Ertrag die Ernte gebracht hatte. Hier fand sich alles im Detail: Pachtvertrage, bezahlte Steuern, Briefwechsel. Schnell wurde klar, dass schon andere Hande diese Unmengen Material durchgegangen waren und dabei jede Spur von Verres getilgt hatten. Aus dem Palast des Statthalters traf eine Mitteilung ein, in der Cicero fur morgen, wenn die Gerichte wieder tagten, zu Metellus zitiert wurde, um zu Carpinatius' Verfugung auf Ruckgabe der Dokumente Stellung zu nehmen. Inzwischen hatte sich vor dem Haus wieder eine gro?e Menschenmenge versammelt, die laut Ciceros Namen skandierte. Ich musste an Terentias Prophezeiung denken, dass sie und ihr Ehemann aus Rom verbannt wurden und den Rest ihrer Tage als Konsul und sie als »Konsulin« von Thermae fristen mussten. Nie erschien mir eine Weissagung wahrscheinlicher als in diesem Augenblick. Nur Cicero behielt kuhlen Kopf. Er hatte genugend zwielichtige Steuereintreiber vertreten und kannte die meisten ihrer Tauschungsmanover. Als offensichtlich war, dass alle Akten mit Bezug auf Verres entfernt worden waren, grub er eine alte Namensliste mit allen hoheren Angestellten aus und suchte so lange, bis er auf den Namen des Mannes stie?, der wahrend Verres' Amtszeit auf Sizilien Finanzdirektor des Steuerpachtersyndikats gewesen war.
»Auf eins kann man sich immer verlassen, Tiro«, sagte er zu mir. »Ich habe noch keinen Finanzdirektor erlebt, der bei Ubergabe der Geschafte an seinen Nachfolger nicht ein paar ganz spezielle Unterlagen fur sich behalten hatte. Nur um sicherzugehen, verstehst du?«
Und damit nahmen wir die zweite Durchsuchung an diesem Morgen in Angriff.
Unser Opfer war ein Mann namens Vibius, der gerade mit seinen Nachbarn Terminalia feierte. Er hatte in seinem Garten einen Altar aufgestellt, auf dem Weizenahren und Honigwaben lagen und ein Krug Wein stand. Vibius hatte gerade ein Ferkel geopfert. (»Sind alles fromme Menschen, diese kriminellen Buchhalter«, bemerkte Cicero.) Als Vibius erkannte, dass der Senator direkt auf ihn zusteuerte, sah er selbst ein bisschen wie ein Ferkel aus, und als er dann auch noch die Vollmacht, auf dem das Siegel des Prators Glabrio prangte, gelesen hatte, war ihm klar, dass ihm nichts anderes ubrig blieb, als zu kooperieren. Er entschuldigte sich bei seinen verwirrten Gasten, bat uns ins Tablinum und offnete seinen Tresor. Zwischen Eigentumsurkunden, Rechnungsbuchern und Schmuckstucken lag ein kleines Briefbundel mit der Aufschrift »Verres«. Als Cicero das Bundel aufschnurte, spiegelte sich blankes Entsetzen in Vibius' Gesicht. Ich schatze, dass ihm Freunde schon des Ofteren empfohlen hatten, die Briefe zu vernichten, aber er hatte es entweder vergessen oder gedacht, dass sich damit irgendwann noch etwas Geld verdienen lie?e.
Auf den ersten Blick machten die Briefe nicht viel her - es schien sich lediglich um die Korrespondenz eines Steuerinspektors namens Lucius Canuleius zu handeln, der fur die Erhebung von Exportzollen auf alle Guter zustandig gewesen war, die den Hafen von Syrakus passiert hatten. In den Briefen war von einer bestimmten Schiffsladung die Rede, die Syrakus vor zwei Jahren verlassen und fur die Verres keine Steuern bezahlt hatte. Die Ladeliste war angeheftet. Es hatte sich um vierhundert Fasser Honig, funfzig Speisezimmerliegen, zweihundert Kronleuchter und neunzig Ballen Malteser Tuch gehandelt. Einem anderen Anklager ware das Besondere daran vielleicht nicht aufgefallen, Cicero bemerkte es sofort.
»Schau dir das mal an«, sagte er und gab mir die Liste. »Die Sachen stammen nicht von irgendwelchen