bedauernswerten Einzelpersonen. Vierhundert Fasser Honig. Neunzig Ballen auslandisches Tuch.« Er drehte sich um und schaute den unseligen Vibius wutend an. »Das ist eine ganze Ladung, stimmt's? Dein Statthalter Verres hat ein ganzes Schiff gestohlen.«

Der arme Vibius hatte keine Chance. Er warf einen nervosen Blick in den Garten zu seinen besturzten Gasten, die mit offenem Mund dastanden und in unsere Richtung schauten. Er bestatigte, dass es sich tatsachlich um eine komplette Schiffsladung gehandelt und dass man ihn angewiesen habe, nie wieder Steuern auf irgendwelche Exporte des Statthalters zu erheben.

»Wie viele solcher Lieferungen hat Verres noch abgewickelt?«, fragte Cicero.

»Das wei? ich nicht genau.«

»Ungefahr.«

»Zehn«, sagte Vibius angstlich. »Vielleicht zwanzig.«

»Und bei keiner Ladung wurde Zoll bezahlt? Oder irgendetwas schriftlich festgehalten?«

»Nein.«

»Und woher hatte Verres die Ware?«, bohrte Cicero weiter.

Vibius war vor Angst einer Ohnmacht nahe. »Senator, bitte ...« »Ich werde dich festnehmen lassen«, sagte Cicero. »Ich werde dich in Ketten nach Rom schaffen lassen, im Zeugenstand auf dem Forum Romanum vor tausend Zuschauern in Stucke rei?en und deine Uberreste an die Hunde im Tempel der Kapitolinischen Trias verfuttern.«

»Von Schiffen, Senator«, sagte Vibius mit piepsender Stimme. »Die Guter stammten von Schiffen.«

»Was fur Schiffen? Woher kamen die?«

»Von uberall, Senator. Aus Asia, Syrien, Tyros, Alexandria.«

»Und was ist mit den Schiffen passiert? Hat Verres sie beschlagnahmen lassen?«

»Ja, Senator.«

»Mit welcher Begrundung?«

»Spionage.«

»Spionage, naturlich, was sonst?«, sagte Cicero zu mir. »Hat wohl jemals ein Mann so viele Spione aufgestobert wie unser wachsamer Statthalter Verres? Weiter«, sagte er und wandte sich wieder an Vibius. »Was ist aus den Mannschaften dieser Spionageschiffe geworden?«

»Man hat sie in die Steinbruche gebracht, Senator.«

»Und was ist da mit ihnen passiert?«

Vibius antwortete nicht.

Die Steinbruche waren das furchterregendste Gefangnis Siziliens, wahrscheinlich der ganzen Welt -jedenfalls habe ich von keinem schlimmeren gehort. Es war auf etwa einhundertachtzig Schritten Lange und sechzig Schritten Breite in den massiven Fels gehauen und befand sich nordlich von Syrakus auf der befestigten Hochebene von Epipolae, von der man die ganze Stadt uberblicken konnte. In diesem Hollenloch, aus dem kein Schrei nach au?en dringen konnte, der sengenden Sommerhitze und den kalten Winterschauern schutzlos ausgeliefert, litten Verres' Opfer sowohl unter der Grausamkeit der Wachen wie den niederen Instinkten ihrer Mitgefangenen und starben einen qualvollen Tod.

Wegen seiner allseits bekannten Abneigung gegen alles Militarische ist Cicero von seinen Feinden oft Feigheit vorgeworfen worden, und sicher hatte er nicht die starksten Nerven und war etwas verzartelt, aber an diesem Tag, dafur kann ich mich verburgen, zeigte er Mut. Er ging zuruck zu Flavius' Haus und holte Lucius ab, wahrend Frugi dort blieb und weiter die Steuerunterlagen durchforstete. Dann machten wir uns auf den Weg nach Epipolae. Mit der uns inzwischen uberallhin folgenden Menge Syrakuser Burger und lediglich bewaffnet mit unseren Spazierstocken und Glabrios Vollmacht, stiegen wir den steilen Pfad hinauf. Wie immer waren die Nachricht von Ciceros Anmarsch und der Grund seines Kommens uns schon vorausgeeilt. Cicero drohte dem Hauptmann der Wachmannschaft in einer vernichtenden Tirade die schrecklichsten Konsequenzen an, sollte er seinen Forderungen nicht nachkommen, worauf dieser das Festungstor offnete und uns auf das Plateau lie?. Als wir erst mal drin waren, verlangte Cicero, die Steinbruche personlich zu inspizieren - trotz allen Warnungen unsererseits, dass dies zu gefahrlich sei.

Der riesige Kerker war schon vor uber dreihundert Jahren unter der Herrschaft von Dionysios, dem Tyrannen von Syrakus, erbaut worden. Wachmanner mit brennenden Fackeln schlossen ein Eisentor auf und fuhrten uns in einen Tunnel. Schimmel wucherte an dem glanzenden, von Kalk zerfressenen Fels, Ratten huschten im Dunkel hin und her, es stank nach Tod und Verwesung, das Schreien und Stohnen der verlorenen Seelen war zu horen - wahrhaftig, das war der Abstieg in die Unterwelt, in den Orcus. Schlie?lich kamen wir zu einer zweiten eisernen Tur, und als man auch diese aufgeschlossen und die Riegel zur Seite geschoben hatte, betraten wir das eigentliche Gefangnis. Was fur ein Anblick! Es war, als hatte ein Riese Hunderte gefesselter Gestalten in einen Sack gestopft und diesen dann uber einem Loch ausgeleert. Das Licht war trube, fast wie unter Wasser. Gefangene, wohin man auch schaute. Manche schlurften herum, andere standen in kleinen Gruppen zusammen, die meisten jedoch, gelblich bleiche Gerippe, lagen einfach auf dem Boden. Die Toten, die jeden Tag anfielen, waren noch nicht abtransportiert worden, aber es war ohnehin kaum moglich, die lebenden Skelette von den Toten zu unterscheiden.

Wir gingen ziellos zwischen den Korpern umher -den toten wie denen, die noch auf ihr Ende warteten, aber von den Toten nicht zu unterscheiden waren. Gelegentlich blieb Cicero stehen und fragte einen Mann nach seinem Namen, wobei er sich bucken musste, da er sonst die geflusterte Antwort nicht verstanden hatte. Wir fanden keinen einzigen Romer, nur Sizilier. »Wer von euch ist romischer Burger?«, rief er laut. »Ist irgendwer hier, den man von einem Schiff hierher gebracht hat?« Keine Antwort. Er drehte sich um, rief den Hauptmann der Wachen zu sich und verlangte die Gefangnisunterlagen zu sehen. Wie Vibius war auch er zwischen der Angst vor Verres und der Angst vor dem Sondererermittler hinund hergerissen, gab aber dem Druck Ciceros schlie?lich doch nach.

In die Felswande waren separate Zellen und Stollen geschlagen, in denen gefoltert und hingerichtet wurde und wo die Wachen a?en und schliefen. (Wie wir spater feststellten, war die bevorzugte Hinrichtungsart die mit dem Wurgeeisen.) Hier war auch die Gefangnisverwaltung untergebracht, falls man die als solche bezeichnen wollte. Man brachte uns Korbe mit feuchten, vermoderten Papyrusrollen, auf denen die Namen der Gefangenen sowie die Daten fur Anfang und Ende der Haftzeit verzeichnet waren. Manche Manner waren als entlassen aufgefuhrt, doch hinter den Namen der meisten stand das gekritzelte sizilische Wort edikaiothesan, was hie?: »Todesstrafe vollstreckt«.

»Ich will den Namen von jedem Zugang wahrend der drei Jahre, als Verres Statthalter war«, sagte er zu mir. Und zum Hauptmann: »Und du wirst mir hinterher mit deiner Unterschrift die Korrektheit der Angaben bestatigen.«

Wahrend ich mich mit meinen beiden Gehilfen an die Arbeit machte, suchten Cicero und Lucius in den Listen nach romischen Namen. Obwohl die meisten Gefangenen in den »Steinbruchen« wahrend Verres' Amtszeit offenbar Sizilier gewesen waren, fanden sich auch viele Namen von Mannern, die aus anderen Regionen des Mittelmeerraumes stammten: aus Spanien, Agypten, Syrien, Kilikien, Kreta, Dalmatien. Als Cicero nach dem Grund ihrer Einkerkerung fragte, hie? es, sie seien Piraten gewesen - Piraten und Spione. Alle waren als »zum Tode verurteilt« aufgefuhrt, darunter auch der beruchtigte Piratenkapitan Heraclio. Die romischen Burger unter den Gefangenen jedoch waren als »entlassen« verzeichnet - auch die beiden Manner aus Spanien, Publius Gavius und Lucius Herennius, von deren Hinrichtungen man uns erzahlt hatte.

»Diese Aufzeichnungen sind Unsinn«, sagte Cicero leise zu Lucius. »Sie konnen nur falsch sein. Kein Mensch hat gesehen, wie Heraclio hingerichtet worden ist, dabei ist die Kreuzigung eines Piraten ein Schauspiel, das sich niemand entgehen lasst. Die Hinrichtung der beiden Romer haben jede Menge Leute gesehen. Sieht ganz so aus, als hatte Verres die beiden einfach ausgetauscht - die Mannschaften der Schiffe hat er toten lassen und die Piraten gegen ein fettes Losegeld freigelassen. Wenn Gavius und Herennius ihm auf die Schliche gekommen sind, dann wurde das erklaren, warum Verres es so eilig damit hatte, sie hinzurichten.«

Lucius sah aus, als musste er sich gleich ubergeben. Den Sprung vom Studium philosophischer Bucher im sonnigen Rom zum Studium von Todeslisten beim Schein tropfender Kerzen zwischen nassen Felswanden funfundachtzig Fu? unter der Erde musste man erst einmal verkraften. Wir beendeten unsere Arbeit, so schnell wir konnten. Nie war ich erleichterter gewesen, einen Ort verlassen zu konnen, als in dem Augenblick, als wir durch den Tunnel nach oben stiegen und in die Welt der Menschen zuruckkehrten. Ich erinnere mich an diesen Nachmittag, als ware es gestern und nicht vor uber einem halben Jahrhundert gewesen. Eine leichte, von See hereinwehende Brise war aufgekommen, und wir stellten uns instinktiv mit dem Gesicht zum Wind und atmeten dankbar die kuhle, klare

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