lassen, als Warnung fur jeden, der versucht sein sollte, den Mund zu weit aufzumachen.«

»Gibt es Zeugen fur die Kreuzigung?«

»Sicher. Hunderte.«

»Auch romische Burger?«

»Ja.«

»Hast du welche erkannt?«

Er zogerte. »Gaius Numitorius, ein romischer Ritter aus Puteoli. Dann die Cottius-Bruder aus Tauromenium. Lucceius ... aus Regium. Es gibt sicher noch mehr.«

Ich notierte die Namen. Spater nahm Cicero ein Bad, und wir sa?en um die Wanne herum und besprachen die Entwicklung. »Vielleicht war dieser Gavius wirklich ein Spion«, sagte Lucius.

»Das wurde ich eher glauben, wenn Verres gegen Sthenius nicht genau den gleichen Vorwurf erhoben hatte«, sagte Cicero. »Aber der ist genauso wenig ein Spion wie du oder ich. Nein, das ist einfach die bevorzugte Methode, nach der dieses Monster vorgeht: Er fingiert eine Anschuldigung, nutzt seine Stellung als oberster Richter der Provinz, um einen Prozess anzustrengen, und verkundet dann das Urteil. Die Frage ist: Warum gerade Gavius?«

Keiner wusste darauf eine Antwort. Und die Zeit, um in Messana zu bleiben und sie zu finden, hatte wir auch nicht. Wir mussten am nachsten Morgen in aller Fruhe die Stadt verlassen, um in Tyndaris an der Nordkuste der Insel unseren ersten offiziellen Termin wahrzunehmen. So wie dieser Besuch ablief, sollten noch viele andere ablaufen. Erst wurde Cicero vom Stadtrat mit allen Ehren empfangen, dann wurde er auf den Hauptplatz gefuhrt. Man zeigte ihm die Standardversion der Verres-Statue, die die Burger gezwungenerma?en auf ihre Kosten hatten aufstellen mussen und die jetzt zerstort im Staub lag. Dann hielt Cicero eine kurze Rede uber die romische Rechtsprechung. Nachdem man einen Stuhl fur ihn aufgestellt hatte, horte er sich die Klagen der einheimischen Bevolkerung an und suchte die Falle aus, die am aufsehenerregendsten oder am leichtesten zu beweisen waren - in Tyndaris war dies die Geschichte von Sopater, der so lange nackt an eine Statue gefesselt aushalten musste, bis die Stadt ihre Bronzestatute des Merkur herausgab. Der letzte Punkt war immer der, dass ich oder einer meiner beiden Assistenten die Aussagen aufnahmen und dann beglaubigen und unterschreiben lie?en.

Von Tyndaris reisten wir nach Thermae, in die Heimatstadt von Sthenius, dessen Frau wir in seinem leeren Haus antrafen und die unter Tranen die Briefe ihres ins Exil gezwungenen Ehemannes entgegennahm. Zum Ende der Woche erreichten wir den Festungshafen Lilybaeum an der westlichsten Spitze der Insel. Cicero kannte die Stadt gut, wahrend seiner Zeit als Quastor in Sizilien war dies sein Amtssitz gewesen. Wie fruher schon des Ofteren wohnten wir im Haus seines alten Freundes Pamphilius. Am ersten Abend beim Essen bemerkte Cicero, dass der Tisch nicht wie sonst dekoriert war - der prachtige Krug und diverse Pokale, allesamt Familienerbstucke, fehlten. Als er fragte, was damit geschehen sei, sagte man ihm, dass Verres sie beschlagnahmt habe. Es stellte sich schnell heraus, dass den anderen Gasten Ahnliches widerfahren war. Dem jungen Gaius Cacurius war sein gesamtes Mobiliar abgepresst worden und Lutatius ein Tisch aus Zitrusholz, an dem Cicero regelma?ig gegessen hatte. Lyso war seine wertvolle Apollo-Statue und Diodorus ein Satz ziselierter Silberbecher von Mentor gestohlen worden. Die Liste war endlos, und ich muss es ja wissen, schlie?lich hatte Cicero mich beauftragt, alles festzuhalten. Nachdem ich die Aussagen aller Gaste und danach auch noch die ihrer Freunde aufgenommen hatte, beschlich mich der Gedanke, dass Cicero jetzt langsam nicht mehr recht bei Verstand sei. Wollte er etwa jeden Loffel und jedes Sahnetopfchen, die man auf der Insel gestohlen hatte, katalogisieren? Aber naturlich war er, wie sich erweisen sollte, schlauer als ich.

Ein paar Tage spater brachen wir wieder auf. Uber unbefestigte Wege holperte unser Wagen von Lilybaeum zur Tempelstadt Agrigent und von dort in das gebirgige Inselinnere. Die Landschaft und der Himmel in diesem ungewohnlich strengen Winter waren stahlgrau. Cicero hatte sich eine schlimme Erkaltung eingefangen und sa? eingewickelt in seinen Umhang hinten im Wagen. In Henna, einer Stadt, die sich an eine steile Felswand schmiegte und von Seen und Waldern umgeben war, kamen uns die wehklagenden Priester zur Begru?ung entgegen. Sie waren in reich verzierte Gewander gehullt und trugen geweihte Zweige und fuhrten uns gleich zum Tempel der Ceres, aus dem Verres die Statue der gleichnamigen Gottin geraubt hatte. Hier kam es zu ersten kleineren Reibereien zwischen unserer Eskorte und den Liktoren des neuen Statthalters Lucius Metellus. Diese brutalen Kerle mit ihren Ruten und Beilen standen auf der anderen Seite des Marktplatzes und brullten Drohungen, dass jeder, der es wagen sollte, gegen Verres auszusagen, aufs Harteste bestraft wurde. Trotzdem konnte Cicero drei prominente Burger Hennas - Theodorus, Numenius und Nicasio - dazu uberreden, die Reise nach Rom auf sich zu nehmen, um dort auszusagen.

Schlie?lich wandten wir uns wieder dem Meer zu und fuhren nach Sudosten in die fruchtbaren Ebenen unterhalb des Aetna. Das Land dort befand sich in Staatsbesitz und wurde im Auftrag der romischen Staatskasse von einer Privatfirma verwaltet, die die Steuern eintrieb und dafur als Gegenleistung Pachtvertrage an einheimische Bauern vergab. Bei Ciceros erstem Aufenthalt in Sizilien waren die Ebenen von Leontini die Kornkammer Roms gewesen. Jetzt fuhren wir an verlassenen Hofen und grauen, brachliegenden Feldern vorbei. Braune Rauchsaulen markierten die Stellen, wo ehemalige, jetzt obdachlose Pachtbauern unter freiem Himmel lebten. Verres und die mit ihm befreundeten Steuerpachter waren wie eine plundernde Armee uber die gesamte Region ausgeschwarmt, hatten die Ernten und das Vieh fur einen Bruchteil ihres Wertes requiriert und Pachtsatze erhoben, die die Grenze dessen, was die meisten zahlen konnten, weit uberschritten. Ein Bauer, Nymphodorus aus Centuripae, hatte zu protestieren gewagt. Dafur wurde er von Apronius, der fur Verres bei den Bauern den Zehnten eintrieb, auf dem Markplatz von Aetna an einem Olivenbaum aufgehangt. Solche Geschichten versetzten Cicero in Wut und lie?en ihn nur noch hartnackiger arbeiten. Ich denke immer noch gern an die Szene zuruck, als dieser stadtischste aller Stadtmenschen mit geraffter Toga, die feinen roten Schuhe in der einen, die Vollmacht in der anderen Hand, bei stromendem Regen mit zogerlichen Schritten durch ein schlammiges Feld stakste, um die Aussage eines pflugenden Bauern einzuholen. Als wir schlie?lich nach drei?ig beschwerlichen Tagen, in denen wir quer durch die ganze Provinz gereist waren, in Syrakus eintrafen, hatten wir die Aussagen von fast zweihundert Zeugen.

Syrakus ist die bei weitem gro?te und angenehmste Stadt Siziliens. Eigentlich sind es vier Stadte, die zu einer einzigen verschmolzen sind. Drei davon - Achradina, Tycha und Neapolis -gruppieren sich um den Hafen herum. Die vierte, der alte Konigssitz, befindet sich mitten in der gro?en Bucht und wird einfach nur »die Insel« genannt. Sie ist mit den drei anderen Stadtteilen durch eine Brucke verbunden. In dieser Stadt in der Stadt, die von einer Mauer umschlossen ist und bei Nacht von Siziliern nicht betreten werden darf, befindet sich in unmittelbarer Nahe der gro?artigen Tempel der Diana und der Minerva der Palast des romischen Statthalters. Da es hie?, Syrakus rangiere in ihrer Loyalitat zu Verres gleich hinter Massana und ihr Senat hatte ihm erst vor kurzem eine Lobpreisung gewidmet, hatten wir mit einem feindseligen Empfang gerechnet. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Kunde von Ciceros Redlichkeit und Eifer war uns vorausgeeilt, und so wurden wir von einer jubelnden Menge durch das Agrigentinische Tor in die Stadt geleitet. (Ein Grund fur Ciceros Popularitat war, dass er wahrend seiner Zeit als Quastor auf dem uberwucherten stadtischen Friedhof das seit einhundertdrei?ig Jahren verschollene Grab des Mathematikers Archimedes, des bedeutendsten Mannes in der Geschichte von Syrakus, ausfindig gemacht hatte. Er hatte irgendwo gelesen, dass das Grab mit einem Zylinder und einer Kugel gekennzeichnet sei. Als er es schlie?lich fand, hatte er aus eigener Tasche dafur gezahlt, dass das Unkraut und Gestrupp entfernt wurde. Dann hatte er stundenlang neben dem Grab gesessen und uber die Verganglichkeit menschlichen Ruhmes sinniert. Seine Gro?zugigkeit und Rucksichtnahme waren von der einheimischen Bevolkerung nicht vergessen worden.)

Aber zuruck zu unserer Geschichte: Wir nahmen Quartier im Haus eines romischen Ritters namens Lucius Flavius, eines alten Freundes von Cicero, der unserer ohnehin schon prallen Materialsammlung noch jede Menge neuer Berichte uber Verres' korruptes und grausames Treiben hinzufugte. Etwa die Geschichte des Piratenkapitans Heracleo, der es geschafft hatte, an der Spitze eines Geschwaders von vier kleinen Galeeren bis in den Hafen von Syrakus vorzudringen, die Lagerhauser auszuraumen und wieder zu verschwinden, ohne auf den geringsten Widerstand zu treffen. Als man ihn ein paar Wochen spater ein Stuck weiter nordlich in Megara fasste, wurden weder er noch seine Manner als Gefangene prasentiert, was zu Geruchten fuhrte, dass man ihn gegen eine gro?e Losegeldsumme freigelassen hatte. Oder die Horrorgeschichte uber den romischen Bankier aus Spanien, Lucius Herennius, den man eines Morgens aufs Forum von Syrakus geschleift, kurzerhand als Spion denunziert und auf Verres' Befehl gekopft hatte - trotz der flehentlichen Bitten von Freunden und Geschaftspartnern, die sofort zum Forum geeilt waren, als man ihnen davon erzahlt hatte. Die Parallelen zwischen Herennius' Fall und dem von Gavius in Messana waren augenfallig: Beide waren Romer, beide aus Spanien, beide im Handelsgeschaft tatig, beide der Spionage beschuldigt und beide hingerichtet ohne Anhorung oder ordentlichen Prozess.

Nach dem Essen an jenem Abend brachte ein Kurier aus Rom einen Brief fur Cicero. Er las ihn schnell durch,

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