wo Geschaftsleute ihre Gewichte und Waagen uberprufen lassen mussten. Gabrio schaute uberrascht, als er Cicero mit seinen Anhangern im Schlepptau auf sich zukommen sah. Viele neugierige Passanten blieben stehen und verfolgten das Schauspiel. Der Prator wies seine Liktoren mit einer Handbewegung an, den Senator durchzulassen. Ich offnete die Aktentasche und gab Cicero das postutatus. An seinen Augen konnte ich Angst, aber auch Erleichterung daruber ablesen, dass die Zeit des Wartens endlich vorbei war. Er stieg die Stufen hinauf und drehte sich zu den Zuschauern um.

»Burger Roms«, sagte er. »Ich bin heute hierher gekommen, um mein Leben in den Dienst am romischen Volk zu stellen. Ich verkunde hiermit, dass ich mich um das Amt des Adils von Rom bewerbe. Das tue ich nicht, weil ich nach personlichem Ruhm strebe, sondern weil der Zustand unserer Republik es erfordert, dass sich ehrenhafte Manner fur die Gerechtigkeit einsetzen.

Ihr alle kennt mich. Ihr wisst, woran ich glaube. Ihr wisst, dass ich schon seit Langerem ein wachsames Auge auf das Treiben gewisser aristokratischer Herren im Senat habe!« Zustimmendes Gemurmel war zu horen. »Hier in meinen Handen halte ich einen Antrag auf Strafverfolgung, ein postutatus, wie wir Juristen das nennen. Hiermit verkunde ich meine Absicht, Gaius Verres fur die schweren Verbrechen und Amtsvergehen, die er als Statthalter von Sizilien begangen hat, zur Rechenschaft zu ziehen.« Er streckte den Arm in die Luft und schwenkte das Schriftstuck hin und her, was schlie?lich einige wenige zu einem gedampften Bravo veranlasste. »Sollte er verurteilt werden, dann wird er nicht nur alles, was er gestohlen hat, ersetzen mussen, er wird auch alle seine Rechte als Burger Roms verlieren. Exil oder Tod, zwischen nichts anderem wird er wahlen mussen. Er wird kampfen wie ein in die Enge getriebenes Tier. Macht euch keine falschen Hoffnungen, es wird ein langer, harter Kampf werden, und auf das Ergebnis setze ich alles, was ich habe - das Amt, um das ich mich bewerbe, die Hoffnungen auf meine Zukunft, meinen Ruf, den ich mir schon in jungen Jahren mit harter Arbeit erworben habe. Aber all das setze ich ein in der festen Uberzeugung, dass das Recht sich durchsetzen wird.«

Dann drehte er sich um, ging die letzten Stufen zu dem hochst verwirrt dreinblickenden Glabrio hinauf und ubergab ihm den Antrag auf Strafverfolgung. Der Prator warf einen kurzen Blick auf das Papier und reichte es dann einem seiner Sekretare. Er schuttelte Cicero die Hand, und damit war die Angelegenheit zu Ende. Die Menge zerstreute sich, und uns blieb nichts weiter zu tun, als wieder nach Hause zu gehen. Ich furchte, dass der ganze Auftritt ein ziemlich peinlicher Reinfall gewesen ist. Das Problem bestand namlich darin, dass in Rom immer irgendwer seine Absicht kundtat, fur das eine oder andere Amt zu kandidieren - mindestens funfzig gab es jedes Jahr neu zu besetzen -, und dass niemand Ciceros Ankundigung den historischen Stellenwert beima?, den er ihr selbst beima?. Was die Anklage betraf, so lag der erste Wirbel, den er wegen Verres veranstaltet hatte, schon uber ein Jahr zuruck. Und die Leute, wie er selbst immer wieder sagte, haben ein kurzes Gedachtnis: Was da mit diesem kriminellen Statthalter von Sizilien gewesen war, das hatten sie alle schon wieder vergessen. Ich sah Cicero an, dass er in ein tiefes Loch gefallen war, dass er schrecklich litt. Selbst Lucius, der es sonst eigentlich immer schaffte, ihn zum Lachen zu bringen, konnte ihn nicht aufmuntern.

Zu Hause versuchten Quintus und Lucius, Cicero auf andere Gedanken zu bringen, indem sie ihm Verres' und Hortensius' Reaktion auf die Klageerhebung vorspielten: Der Sklave kommt abgehetzt aus dem Forum angelaufen, erzahlt die Neuigkeit, Verres wird leichenblass, beruft sofort eine Krisensitzung ein. Es half alles nichts.

Vermutlich musste Cicero immer an Servilias Warnung und an Hortensius' und Verres' Gelachter am Tag der Amtseinfuhrung denken. »Sie wussten, was geschehen wurde«, sagte er. »Sie haben schon einen Plan. Die Frage ist: Was fur einen? Vielleicht wissen sie, dass unsere Beweise ziemlich durftig sind. Vielleicht haben sie Glabrio bestochen. Was ist es?«

Noch vor Mittag hatte er die Antwort. Sie kam, zugestellt durch einen von Glabrios Liktoren, in Form einer Vorladung vom Gerichtshof fur Erpressungen. Stirnrunzelnd nahm Cicero das Schreiben entgegen, brach das Siegel auf, uberflog es und sagte dann leise: »Ah ...«

»Was ist?«, fragte Lucius.

»Das Gericht hat einen zweiten Antrag auf Strafverfolgung von Verres erhalten.«

»Das ist unmoglich«, sagte Quintus. »Wer sollte denn sonst noch Interesse daran haben?«

»Ein Senator«, antwortete Cicero, wahrend er das Schreiben genauer studierte. »Caecilius Niger.«

»Den kenne ich«, sagte Sthenius mit piepsender Stimme. »In dem Jahr, bevor ich fliehen musste, war das Verres' Quastor. Es gingen Geruchte um, dass er und Verres sich wegen Geld gestritten hatten.«

»Hortensius hat das Gericht davon unterrichtet, dass Verres keine Einwande habe gegen eine von Caecilius vertretene Anklage. Begrundung: Caecilius wolle >Wiedergutmachung< erreichen, wahrend ich anscheinend nur >das Licht der Offentlichkeit suche.<«

Entsetzt schauten wir uns an. Die Arbeit von Monaten schien sich in Luft aufzulosen.

»Wirklich schlau«, sagte Cicero trubsinnig. »Das muss man Hortensius lassen. Ein wirklich schlauer Kerl, dieser Hortensius. Ich hatte eher damit gerechnet, dass er den ganzen Fall ohne Anhorung niederschlagt. Nie hatte ich gedacht, dass er stattdessen versuchen wurde, au?er der Verteidigung auch gleich noch die Anklage fur sich zu beanspruchen.«

»Aber das kann er nicht!«, platzte es aus Quintus heraus. »Das romische Rechtssystem ist das gerechteste der Welt.«

»Quintus, mein Guter«, erwiderte darauf Cicero mit derart gonnerhaftem Sarkasmus, dass es mir fast wehtat. »Wo schnappst du blo? solche Spruche auf? In Kinderbuchern? Glaubst du etwa, Hortensius beherrscht seit fast zwanzig Jahren Roms Gerichtssale, weil er gerecht ist? Das hier ist eine Vorladung. Ich werde fur morgen fruh vor den Gerichtshof fur Erpressungen zitiert, um meine Grunde darzulegen, warum man mir und nicht Caecilius die Anklagevertretung ubertragen soll. Ich muss vor Glabrio und einer kompletten Geschworenenbank meine Eignung unter Beweis stellen. Dabei durft ihr eins nicht vergessen: Von den zweiunddrei?ig Senatoren, die da als Geschworene fungieren, haben sicherlich nicht wenige erst kurzlich ein nettes Neujahrsgeschenk aus Bronze oder Marmor erhalten.«

»Aber die Opfer sind doch wir Sizilier!«, sagte Sthenius. »Wir entscheiden, wer uns als Anwalt vertritt.«

»Ganz und gar nicht. Der Anklager wird vom Gericht offiziell ernannt und ist als solcher Reprasentant des romischen Volkes. Eure Meinung wird gehort, Sthenius, ist aber nicht ausschlaggebend.«

»Hei?t das, dass wir erledigt sind?«, fragte Quintus mit klaglicher Stimme.

»Nein«, antwortete Cicero. »Wir sind nicht erledigt.« Ich merkte sofort, dass ein Teil vom alten Kampfgeist in ihm wieder erwacht war. Nichts bewirkte einen gro?eren Energieschub bei Cicero als der Gedanke, von Hortensius ausgetrickst zu werden. »Und selbst wenn wir erledigt sind, lasst uns wenigstens nicht kampflos untergehen. Ich kummere mich jetzt sofort um meine Ansprache fur morgen, und du, Quintus, du sorgst dafur, dass ich jede Menge Publikum habe. Fordere jede noch ausstehende Gefalligkeit ein. Und wie war's, wenn du mit deinem Spruch vom gerechtesten Rechtssystem der Welt ein paar angesehene Senatoren dazu uberredest, mich auf dem Weg zum Forum zu begleiten? Moglich, dass dir einige von ihnen diesen Spruch sogar abnehmen. Wenn ich morgen vor den Gerichtshof trete, will ich, dass Glabrio das Gefuhl hat, ganz Rom schaut ihm auf die Finger.«

*

Niemand kann behaupten, etwas von Politik zu verstehen, wenn er sich nicht einmal eine ganze Nacht um die Ohren geschlagen hat, um eine Rede fur den folgenden Tag zu schreiben. Wahrend die Welt schlaft, geht der Redner bei Kerzenlicht rastlos auf und ab und fragt sich, welcher Wahnsinn ihn nur in diesen Beruf getrieben hat. Argumente werden entwickelt und wieder verworfen. Entwurfe fur Eroffnungspassagen, Mittelteile und Schlussbemerkungen liegen verstreut auf dem Boden herum. Der erschopfte Geist verweigert schlie?lich jeden weiteren klaren Gedanken, sodass -gewohnlich ein oder zwei Stunden nach Mitternacht -der Zeitpunkt gekommen ist, an dem nur noch eine einzige realistische Option infrage zu kommen scheint: die Sache abzusagen und sich unter Vortauschung von Krankheit ins Bett zu verkriechen. Und plotzlich - getrieben von Panik, das Schreckbild der Demutigung schon vor Augen -fugen sich die Teile irgendwie zusammen, alles passt, und die Rede liegt fertig vor einem. Ein zweitrangiger Redner geht jetzt dankbar schlafen. Ein Cicero bleibt auf und fangt an, die Rede auswendig zu lernen.

So in etwa muss man sich den Arbeitsprozess an jenem Abend vorstellen. Nachdem Cicero -zwischendurch starkte er sich immer wieder mit einem Bissen Obst oder Kase und mit einem mit Wasser verdunnten Schluck Wein - die einzelnen Teile der Rede festgelegt hatte, schickte er mich zu Bett. Allerdings glaube ich, dass er selbst noch mindestens eine Stunde aufblieb, bevor er sich auch schlafen legte. Im Morgengrauen wusch er sich zum Wachwerden mit eiskaltem Wasser und kleidete sich dann sorgfaltig an. Kurz bevor wir uns auf den Weg zum Gericht machten, ging ich in sein Zimmer, und da war er so nervos wie ein Preisboxer vor dem Kampf. Er machte

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