Kurz vor dem Tod ihres ersten Ehemannes Marcus Brutus hatte sie als Funfzehnjahrige einen Jungen zur Welt gebracht; von ihrem zweiten Mann, dem schwachlichen Junius Silanus, hatte sie die drei Tochter bekommen. Cicero begru?te sie, als beschwerte ihn nicht die geringste Sorge, ging in die Hocke und plauderte mit ihnen, wahrend Servilia sie zufrieden betrachtete. Sie setzte fur die Zukunft gro?e Hoffnung in ihre Tochter und bestand darauf, dass sie jeden Besucher kennenlernten, damit sie sich an die kultivierten Umgangsformen der Erwachsenen gewohnten.

Dann kam ein Kindermadchen und verlie? mit den Kleinen das Atrium, wahrend Servilia uns ins Tablinum fuhrte, wo Cato schon auf uns wartete. Bei ihm war der Philosoph Athenodoros Kordylion aus Tarsos, ein Stoiker, der fast nie von Catos Seite wich. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte Cato auf die Nachricht von Lepidas Vermahlung ubellaunig. Fluchend lief er im Raum umher, was mich an eine andere von Ciceros witzigen Bosheiten erinnerte - dass namlich Cato nur so lange der vollendete Stoiker sei, wie ihm nichts gegen den Strich ginge.

»Beruhige dich, Cato«, sagte Servilia nach einer Weile. »Es ist doch offensichtlich, dass die Sache erledigt ist. Besser, du findest dich damit ab. Du hast sie nicht geliebt, du wei?t doch gar nicht, was Liebe ist. Ihr Geld brauchst du auch nicht, du hast selbst jede Menge. Sie ist ein ruhrseliges kleines Ding, du findest hundert bessere.«

»Sie bat mich, dir die besten Wunsche auszurichten«, sagte Cicero, worauf Cato mit weiteren wusten Beschimpfungen reagierte.

»Ich lasse das nicht auf mir sitzen!«, brullte er.

»O doch, das wirst du«, sagte Servilia. Sie wandte sich an Athenodoros, der sie nur hasenherzig anschaute. »Sag es ihm, du bist der Philosoph. Mein Bruder glaubt, dass sein Intellekt all diese hehren Prinzipien ausgebrutet hat. Dabei sind sie nichts weiter als kindische Gefuhlsduselei, die falsche Philosophen zur Mannesehre auftakeln.« Und dann, wieder an Cicero gewandt: »Wenn er mehr Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht hatte, dann wurde er merken, wie idiotisch er sich auffuhrt. Du hast doch in deinem ganzen Leben noch keine Frau gehabt, stimmt's, Cato?«

Cicero war peinlich beruhrt. Was das Sexuelle anging, so war ihm immer die leichte Pruderie des Ritterstandes zu eigen gewesen. Die freizugige Art der Aristokraten war er nicht gewohnt.

»Geschlechtsverkehr schwacht die Essenz des Mannes, er trubt die Kraft des Gedankens«, sagte Cato trotzig, worauf seine Schwester in kreischendes Gelachter ausbrach und Cato so rot anlief, dass sein Gesicht aussah wie das Zinnoberrot von Pompeius gestern. Cato stampfte aus dem Raum, sein Stoiker folgte ihm auf dem Fu?.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Servilia zu Cicero. »Manchmal glaube ich fast, dass er etwas schwer von Begriff ist. Andererseits: Wenn er sich in etwas verbissen hat, dann gibt er einfach nicht nach. Das ist ja auch eine Qualitat, oder? Deine Verres-Rede vor den Volkstribunen hat er in hochsten Tonen gelobt. Nach dem, was er mir erzahlt hat, musst du ein ganz gefahrlicher Bursche sein. Ich mag gefahrliche Burschen. Wir sollten uns wiedersehen.« Sie streckte Cicero zum Abschied die Hand hin. Er nahm sie, und es kam mir so vor, als druckte Servilia sie langer, als es die Hoflichkeit erfordert hatte. »Wurdest du von einer Frau einen Rat annehmen?«

»Von dir«, sagte Cicero, der seine Hand schlie?lich aus der ihren hatte losen konnen, »von dir immer.«

»Mein anderer Bruder Caepio ... mein leiblicher Bruder ... der ist mit Hortensius' Tochter verlobt. Er hat mir berichtet, dass Hortensius gestern von dir gesprochen und dabei den Verdacht geau?ert hatte, dass du planst, Verres vor Gericht zu zerren. Und er hat mir erzahlt, dass Hortensius irgendetwas gegen dich im Schilde fuhre. Das ist alles, was ich wei?.«

»Und fur den unwahrscheinlichen Fall, dass ich Verres vor Gericht zerren wollte«, fragte Cicero lachelnd, »was wurdest du mir da raten?«

»Ganz einfach«, antwortete Servilia und schaute ihn vollkommen ausdruckslos an. »Lass die Finger davon.«

KAPITEL VI

Der Besuch bei Scipio und das Gesprach mit Servilia schreckten Cicero nicht ab, sie brachten ihn vielmehr zu der Uberzeugung, dass er noch schneller als geplant vorgehen musse. Am ersten Tag des Januars im sechshundert-vierundachtzigsten Jahr seit der Grundung Roms traten Pompeius und Crassus ihre Amter als Konsuln an. Ich begleitete Cicero zu den Amtseinfuhrungszeremonien auf dem Kapitol und mischte mich dann im Saulengang unter die Zuschauermenge. Zu jener Zeit stand der Wiederaufbau des Jupiter-Tempels unter Federfuhrung von Catulus kurz vor der Vollendung. Der Marmor fur die neuen Saulen stammte vom Berg Olymp, das Dach aus vergoldeter Bronze schimmerte im kalten Sonnenlicht. Traditionsgema? wurde mit den Opferfeuern Safran verbrannt. Die knisternden gelben Flammen, der Gewurzduft, die leuchtend klare Winterluft, die goldenen Altare, die mit scharrenden Hufen auf ihre Opferung wartenden cremefarbenen Stiere, die wei?en und purpurnen Roben der zuschauenden Senatoren - all das machte einen unvergesslichen Eindruck auf mich. Ich habe ihn zwar nicht gesehen, aber Cicero erzahlte mir spater, dass Verres auch da gewesen sei. Er habe neben Hortensius gestanden, und die beiden hatten gelegentlich zu ihm hinubergeschaut und dabei gelacht.

Es folgten mehrere Tage, an denen Cicero nichts unternehmen konnte. Der Senat trat zusammen und horte eine holperige Rede von Pompeius, der nie zuvor einen Fu? in die Kammer gesetzt hatte und nur mithilfe eines Leitfadens fur Protokollfragen dem folgen konnte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Den Leitfaden hatte der beruhmte Gelehrte Varro zusammengestellt, der in Spanien unter Pompeius gedient hatte. Wie immer erhielt Catulus als Erster das Wort, was er zu einer bemerkenswert staatstragenden Rede nutzte. Er raumte ein (obwohl er selbst dagegen sei), dass man sich der Forderung nach Wiederherstellung der Rechte des Volkstribunats nicht widersetzen konne und dass die alleinige Schuld an ihrer Unbeliebtheit die Aristokraten selbst trugen. (»Als er das gesagt hat, da hattest du die Gesichter von Hortensius und Verres sehen sollen«, berichtete mir Cicero spater.) Danach zogen nach uraltem Brauch die neuen Konsuln in die Albaner Berge, um den vier Tage dauernden Feierlichkeiten des Festes der Latiner vorzusitzen. Darauf folgten zwei Tage mit religiosen Feiern, wahrend derer die Gerichte geschlossen waren. Cicero war also gezwungen, bis zur zweiten Januarwoche zu warten, bevor er seinen Angriff endlich starten konnte.

Am Morgen, als Cicero sein Vorhaben bekannt machen wollte, waren die drei Sizilier Sthenius, Heraclius und Epicrates zum ersten Mal seit einem halben Jahr nicht heimlich zu Ciceros Haus gekommen. Zusammen mit Quintus und Lucius eskortierten sie Cicero den Hugel hinunter aufs Forum. In ihrem Gefolge befanden sich auch einige Funktionare aus Wahlbezirken, vor allem aus den Bezirken Cornelia und Esquilina, die Cicero besonders stark unterstutzten. Einige Passanten riefen, wo er denn mit diesen drei merkwurdigen Gestalten hin wolle, und er antwortete ihnen bestens gelaunt, sie sollten doch mitkommen, dann wurden sie es sehen, sicher wurden sie nicht enttauscht werden. Je gro?er die Menge war, desto besser, das war schon immer Ciceros Devise gewesen, und auf diese Weise stellte er sicher, dass er bei Erreichen des Gerichtshofes fur Erpressungen ein stattliches Gefolge hinter sich wusste.

Damals tagte das Gericht vor dem Tempel des Castor, der sich vom Senatsgebaude aus gesehen genau am gegenuberliegenden Ende des Forums befand. Der fur dieses Gericht zustandige neue Prator war Acilius Glabrio, von dem man nicht viel wusste, au?er dass er Pompeius erstaunlich nahestand. Erstaunlich sage ich deshalb, weil der junge Glabrio von Diktator Sulla gezwungen worden war, sich von seiner damals schwangeren Frau scheiden zu lassen, damit Pompeius sie heiraten konnte. Als kurz darauf die ungluckliche Frau, ihr Name war Aemilia, in Pompeius' Haus im Kindbett starb, schickte Pompeius das Neugeborene - einen Sohn - zu seinem leiblichen Vater zuruck. Der Junge war inzwischen zwolf Jahre alt und Glabrios ganzer Stolz. Durch diese bizarre Begebenheit, so erzahlte man sich, seien die beiden Manner nicht etwa Feinde, sondern Freunde geworden, und Cicero zerbrach sich den Kopf daruber, ob das seiner Sache nun zutraglich sei oder nicht, ohne allerdings zu einem Ergebnis zu kommen.

Glabrios Stuhl war gerade auf der Plattform aufgestellt worden, die etwa auf halb er Treppenhohe entlang der Tempelvorderseite verlief, was bedeutete, dass das Gericht bereit war, die Arbeit aufzunehmen. Es muss sehr kalt gewesen sein, denn ich erinnere mich noch genau daran, dass Glabrio Fausthandschuhe trug und sich neben seinem Stuhl eine Holzkohlenpfanne befand. Seine Liktoren standen mit geschulterten Rutenbundeln und Beilen Seite an Seite ein paar Stufen weiter unten und stampften mit den Fu?en auf. Es waren viele Menschen unterwegs, denn der Tempel des Castor beherbergte nicht nur den Gerichtshof fur Erpressungen, sondern auch das Eichamt,

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