beim Warten darauf, dass die halbherzig gegebenen Versprechen, die man ihnen gemacht hat, erfullt werden. Ohne dass sie es uberhaupt gemerkt haben, war ihre Chance irgendwann dahin, und sie hatten nichts mehr in der Hand. Eher wurde ich mich auf der Stelle aus der Politik zuruckziehen, als das zuzulassen. Wenn du Macht willst, dann musst du sie dir nehmen, wenn die Zeit dafur reif ist. Und fur mich ist sie jetzt reif.«

»Aber wie willst du das schaffen?«

»Ich werde Gaius Verres wegen Erpressung vor Gericht bringen.«

Er hatte die Katze aus dem Sack gelassen. Seit dem fruhen Morgen hatte ich gewusst, dass er es wagen wurde - und er auch, da bin ich mir sicher. Aber er wollte sich noch etwas Zeit zum Nachdenken geben, wollte prufen, ob seine Entscheidung die richtige war. Und er hatte befunden, dass sie absolut richtig war. Ich hatte ihn noch nie entschlossener gesehen. Er sah aus wie ein Mann, der davon uberzeugt war, dass die Kraft der Geschichte in ihm wirkte. Keiner sagte ein Wort.

»Was ist los mit euch?«, fragte Cicero lachelnd. »Zieht nicht solche Gesichter. Noch habe ich nicht verloren. Und ich glaube auch nicht, dass ich verlieren werde. Heute Morgen waren die Sizilier da. Die haben erdruckendes Beweismaterial gegen Verres zusammengetragen. Fragt Tiro. Liegt alles unter Verschluss in meinem Arbeitszimmer. Stellt euch blo? vor, ich gewinne! Hortensius in offener Gerichtsschlacht geschlagen, der ganze Schwachsinn vom >zweitbesten Advokaten< ein fur alle Mal erledigt. Angesichts der traditionellen Rechte, die dem siegreichen Anklager zustehen, fallt mir der Rang des Verurteilten zu. Mit Verres' Schuldspruch genie?e ich im Senat praktisch uber Nacht den Rang eines Prators - Schluss mit dem ewigen Aufspringen von der Senatsbank, Schluss mit dem Zittern, ob man auch das Wort bekommt. Ich werde mich den romischen Burgern als so unnachgiebig prasentieren, dass meine Wahl zum Adil au?er Frage steht. Das Beste daran ist allerdings, dass ich, Cicero, das alles schaffen werde, ohne irgendwem etwas schuldig zu sein, am wenigsten Pompeius Magnus.«

»Und wenn wir verlieren?«, fragte Quintus, der schlie?lich die Sprache wiedergefunden hatte. »Wir sind Verteidiger, keine Anklager. Du selbst hast das hundertmal gesagt: Freunde macht man sich als Verteidiger, als Anklager macht man sich nur Feinde. Wenn du Verres nicht zu Fall bringst, dann hat er gute Chancen, schlie?lich sogar Konsul zu werden. Und dann wird er keine Ruhe mehr geben, bis er dich vernichtet hat.«

»Das ist wahr«, gab Cicero zu. »Wenn du einen gefahrlichen wilden Eber toten willst, dann musst du es mit dem ersten Hieb schaffen. Aber wenn du es schaffst ... begreift ihr denn nicht? Auf diese Weise kann ich alles auf einmal erreichen. Stellung, Ruhm, Amt, Wurde, Autoritat, Unabhangigkeit, einen Grundstock an Klienten in Rom und in Sizilien. Dieser eine Hieb kann mir den direkten Weg zum Konsulat ebnen.«

Das war das erste Mal, dass ich ihn dieses gro?e ehrgeizige Ziel habe aussprechen horen. Und dass er sich stark genug glaubte, dieses Wort auszusprechen, war fur mich Ma?stab seines wiedererwachten Selbstbewusstseins. Das Konsulat. Fur jeden Mann, der im offentlichen Leben stand, war das die Apotheose. Die Jahre selbst wurden mit den Namen der jeweils amtierenden Konsuln bezeichnet, sie standen auf allen offiziellen Dokumenten und allen Grundsteinen. Es war auf Erden das, was der Unsterblichkeit am nachsten kam. An wie vielen Tagen und in wie vielen Nachten seit seiner baurischen Jugend musste er daran gedacht, davon getraumt, sich daran geklammert haben? Manchmal ist es toricht, ein ehrgeiziges Ziel zu fruh zu au?ern - es vor der Zeit dem Gelachter und dem Zweifel der Welt auszusetzen, kann es zerstoren, noch bevor es richtig geboren ist. Doch manchmal geschieht auch das Gegenteil, und die blo?e Erwahnung kann es plotzlich moglich, ja sogar glaubhaft erscheinen lassen. So war es an jenem Abend. Als Cicero das Wort »Konsulat« aussprach, rammte er es in den Boden wie ein Banner, das wir fortan alle anbeteten. Einen Augenblick lang sahen wir die Zukunft so hell erstrahlen wie er und erkannten, dass er recht hatte: Brachte er Verres zu Fall, dann hatte er eine Chance, dann konnte er es mit etwas Gluck tatsachlich bis zum Gipfel schaffen.

*

In den folgenden Monaten gab es viel zu tun, und wie ublich blieb ein Gro?teil davon an mir hangen. Als Erstes zeichnete ich ein gro?es Schaubild der Wahlerschaft fur das Adilat. Zu jener Zeit waren alle Burger der Romischen Republik, die in funfunddrei?ig Wahlbezirke aufgeteilt war, stimmberechtigt. Cicero gehorte zum Beispiel zum Bezirk Cornelia, Servius zu Lemonia, Pompeius zu Clustumina und Verres zu Romilia. Die Burger stimmten auf dem Marsfeld als Mitglieder ihres Bezirks ab, und das Ergebnis jedes Bezirks wurde von den Magistraten verlesen. Die vier Kandidaten, fur die die meisten Bezirke gestimmt hatten, wurden als Sieger ausgerufen.

In der Zusammensetzung der Wahlerschaft fur diese spezielle Wahl lagen fur Cicero einige Vorteile. Zum einen zahlte - anders als beim System fur die Wahl der Pratoren und Konsuln -unabhangig vom Vermogen des Wahlers jede Stimme gleich viel. Da Ciceros Anhangerschaft vor allem aus Geschaftsleuten und der gro?en Masse der armen Bevolkerung bestand, wurde es den Aristokraten schwerer fallen, seine Wahl zu verhindern. Zum anderen war es relativ einfach, bei dieser Wahlerschaft auf Stimmenfang zu gehen. Jeder Bezirk hatte innerhalb Roms ein eigenes Hauptquartier, ein Gebaude, das gro? genug war, um darin eine Veranstaltung oder ein Abendessen zu organisieren. Ich durchforstete unsere Unterlagen und erstellte eine nach den jeweiligen Bezirken gegliederte Liste mit allen Mannern, die Cicero in den letzten sechs Jahren vor Gericht verteidigt oder denen er sonst wie unter die Arme gegriffen hatte. Mit diesen Mannern nahmen wir Kontakt auf und baten sie, dafur zu sorgen, dass man den Senator einlud, bei anstehenden Bezirksveranstaltungen eine Rede zu halten. Es ist erstaunlich, wie viele Gefalligkeiten man nach sechs Jahren unermudlicher Anwalts- und Beratertatigkeit einfordern kann. Ciceros Wahlkampfkalender war bald mit Terminen uberfullt, und sein ohnehin langer Arbeitstag wurde noch langer. Nach getaner Arbeit bei Gericht oder im Senat eilte er nach Hause, nahm ein schnelles Bad, zog sich um und machte sich wieder davon, um eine seiner mitrei?enden Reden zu halten. Ciceros Wahlspruch lautete: »Gerechtigkeit und Reformen«.

Quintus fungierte wie ublich als Ciceros Wahlkampfleiter, und Lucius wurde mit der Aufgabe betraut, die Klage gegen Verres zu koordinieren. Der Statthalter wurde Ende des Jahres aus Sizilien zuruckerwartet, worauf er - im Augenblick, da er stadtischen Boden betrat - sein imperium und damit auch seine Immunitat vor Strafverfolgung verlieren wurde. Cicero war entschlossen, bei erster Gelegenheit zuzuschlagen und ihm moglichst keine Zeit zu lassen, Beweismittel zu beseitigen oder Zeugen einzuschuchtern. Um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen, besuchten die Sizilier ihn nicht mehr in seinem Haus, sondern trafen sich heimlich an wechselnden Orten in der Stadt mit Lucius, der ab sofort als Kontaktmann zwischen Cicero und den Siziliern agierte. Das war die Zeit, in der ich Lucius besser kennenlernte, und je ofter wir uns trafen, desto mehr mochte ich ihn. In vielerlei Hinsicht war er Cicero sehr ahnlich. Er war fast genauso alt, er war intelligent und geistreich und ein begnadeter Philosoph. In Arpinum waren sie zusammen aufgewachsen, hatten in Rom gemeinsam ihre Ausbildung durchlaufen und waren zusammen in den Osten gereist. Doch in einem Punkt unterschieden sie sich betrachtlich: Lucius hatte keinerlei weltliche Ambitionen. Er lebte allein, in einem kleinen, mit Buchern vollgestopften Haus und tat den ganzen Tag nichts anderes als lesen und denken - eine fur einen Mann hochst gefahrliche Beschaftigung, denn sie fuhrt nach meiner Erfahrung unweigerlich zu Verdauungsstorungen und Schwermut.

Merkwurdigerweise fand er, trotz seiner Neigung zum Einzelgangertum, schnell Gefallen daran, sein Arbeitszimmer jeden Tag zu verlassen. Er steigerte sich in eine so gro?e Wut auf Verres' Niedertracht, dass sein Eifer, ihn vor Gericht zu bringen, den von Cicero sogar noch ubertraf. »Am Ende machen wir doch noch einen Anwalt aus dir«, sagte Cicero voller Bewunderung, als Lucius wieder einmal eine ganze Serie von beeidigten Erklarungen mit erdruckender Beweiskraft besorgt hatte.

Gegen Ende Dezember ereignete sich etwas, das auf dramatische Weise all die verschiedenen Strange in Ciceros Leben zu einem einzigen zusammenfuhren sollte. Als ich eines noch dunklen Morgens die Tur offnete, stand an der Spitze der Warteschlange der Mann, den wir erst kurzlich in der Basilika der Volkstribunen als Verteidiger der Saule seines Urgro?vaters erlebt hatten - Marcus Porcius Cato. Er war allein gekommen, ohne einen dienstbaren Sklaven, und er sah aus, als hatte er die Nacht auf der Stra?e verbracht. (Wenn ich jetzt daruber nachdenke, vielleicht hatte er wirklich drau?en geschlafen. Allerdings sah Cato immer ziemlich abgerissen aus, wie ein Wanderprediger oder ein Mystiker, sodass man sich wirklich nicht sicher sein konnte.) Naturlich war Cicero neugierig, warum ein Mann von derart vornehmer Abstammung an seine Tur klopfte. Immerhin gehorte Cato, so bizarr er auch war, zum Kern der alten republikanischen Aristokratie, war durch Blut und Heirat eng verwoben mit den Servilii, Lepidi und Aemilii. Tatsachlich war Cicero so erfreut uber seinen hochgeborenen Besucher, dass er hochstpersonlich ins Tablinum hinausging, um ihn zu begru?en und ins Arbeitszimmer zu bitten. Er hatte schon lange davon getraumt, dass eines Morgens einmal ein Klient diesen Ranges in seinem Netz zappelte.

Ich setzte mich in eine Ecke, um Notizen zu machen, und der junge Cato, der nie ein Freund von seichtem Geplauder gewesen war, kam sofort zur Sache. Er brauche einen guten Anwalt, sagte er, und Ciceros Auftritt vor den Volkstribunen habe ihm gefallen, denn auch er halte es fur eine Ungeheuerlichkeit, wenn sich ein Mann wie Verres uber die altehrwurdigen Gesetze stelle. Um es kurz zu machen: Er war mit seiner Cousine Aemilia Lepida

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