dreinblickenden Trio die Hand geschuttelt hatte. »Das muss jetzt ein Ende haben.«

Aber Sthenius lebte schon in jenem fremdartigen, weit entfernten Konigreich des obsessiv Prozessfuhrenden, in das Gerausche von au?en nur noch selten eindringen. »Vielen Dank, dass du mich empfangst, Senator. Ich bin jetzt im Besitz der Gerichtsakten aus Syrakus, sodass du dich selbst davon uberzeugen kannst, was dieses Monster mir angetan hat.« Er zog ein Stuck Papier aus seiner Ledertasche und druckte es Cicero in die Hand. »Das ist das Schriftstuck, das vor dem Urteil der Volkstribunen ausgefertigt wurde. Und das hier«, sagte er und zog ein zweites Papier aus der Tasche, »ist das Schriftstuck, das danach verfasst wurde.«

Seufzend hielt Cicero die beiden Dokumente nebeneinander und uberflog sie mit zusammengekniffenen Augen. »Und, was soll das? Das ist das offizielle Urteil aus deinem Verratsprozess. Hier steht, dass du wahrend der Verhandlung anwesend warst. Wir wissen beide, dass das Unsinn ist. Und das hier ...« Er sprach jetzt langsamer, weil ihm allmahlich dammerte, was das, was er da las, eigentlich bedeutete. »Und das hier stellt fest, dass du nicht anwesend warst.« Er hob den Kopf, und seine verhangenen Augen begannen sich aufzuklaren. »Verres hat also seine eigenen Prozessakten gefalscht, und dann hat er seine eigene Falschung noch mal gefalscht.«

»Genau!«, schrie Sthenius. »Nachdem du mich dem Volkstribunat prasentiert hattest, da hat ganz Rom gewusst, dass ich nicht am ersten Dezember in Syrakus gewesen sein konnte. Also musste Verres den Beweis fur seine Luge vernichten. Aber das erste Schriftstuck war schon auf dem Weg zu mir.«

»Gut, gut«, sagte Cicero. »Vielleicht macht er sich doch gro?ere Sorgen, als wir annahmen. Und hier lese ich noch, dass du an jenem Tag von einem Verteidiger vertreten wurdest: >Gaius Claudius, Sohn des Gaius Claudius aus dem Wahlbezirk Palatina.< Du Glucklicher, du hattest da unten deinen eigenen romischen Rechtsanwalt. Wer ist dieser Gaius Claudius?«

»Er fuhrt die Geschafte von Verres.«

Cicero musterte Sthenius. »Was hast du da noch in deiner Tasche?«, fragte er.

Und dann ergoss sich an jenem hei?en Sommermorgen der gesamte Inhalt von Sthenius' Tasche uber den Boden von Ciceros Arbeitszimmer: Briefe, Namen, Ausschnitte aus offiziellen Akten, hingekritzelte Notizen uber Geruchte, Klatsch und Tratsch. Sieben Monate Arbeit von drei wutenden, verzweifelten Mannern, denn es stellte sich heraus, dass Verres auch Heraclius und Epicrates um ihr Vermogen gebracht hatte - im Wert von sechzigtausend Sesterzen den einen, von drei?igtausend den anderen. In beiden Fallen hatte Verres sein Amt dazu missbraucht, mit falschen Vorwurfen unrechtma?ige Schuldspruche zu erwirken. Heraclius und Epicrates waren ungefahr zur gleichen Zeit ausgeplundert worden wie Sthenius. Beide waren bis zu jener Zeit die fuhrenden Personlichkeiten in ihren Gemeinden und mussten vollig mittellos von der Insel fliehen und Zuflucht in Rom suchen. Sie hatten von Sthenius' Auftritt vor den Volkstribunen erfahren, hatten ihn ausfindig gemacht und ihm vorgeschlagen, gemeinsam gegen Verres vorzugehen.

»Als Einzelopfer waren sie schwach«, sagte Cicero Jahre spater, wenn er von dem Fall erzahlte. »Aber nachdem sie sich zusammengetan hatten, merkten sie schnell, dass sie plotzlich uber ein Netzwerk aus Kontakten verfugten, das sich uber die gesamte Insel erstreckte: Thermae im Norden, Bidis im Suden, Syrakus im Osten. Diese Manner waren von Natur aus scharfsinnig, durch Erfahrung schlau und durch Bildung kultiviert. Ihre Landsleute offenbarten ihnen die Geheimnisse ihrer Leiden, was sie gegenuber einem romischen Senator nie getan hatten.«

Nach au?en machte Cicero immer noch den Eindruck des gelassenen Advokaten. Als die Sonne schlie?lich aufgegangen war und ich die Lampen ausgeblasen hatte, schaute er sich die einzelnen Dokumente noch einmal an. Ich spurte seine wachsende Erregung. Hier hatte er die beeidigte Erklarung von Dio aus Halaesa, dem Verres fur einen Freispruch zehntausend Sesterzen abgepresst, alle Pferde und Wandteppiche sowie alles Gold- und Silberzeug geraubt hatte. Dann die schriftlichen Aussagen von Priestern mit einer Liste der Objekte, die man aus ihren Tempeln gestohlen hatte: eine Bronzestatue von Apollo mit silberner Signatur des Bildhauers Myron, ein Geschenk von Scipio vor einhundertfunfzig Jahren, geraubt aus dem Tempel des Aeskulap in Agrigent; eine Statue der Ceres aus Catina, eine der Victoria aus Henna; der gesamte Inhalt des altertumlichen JunoTempels auf Malta. Hier die Aussagen von Bauern aus Herbita und Agyrium, die Verres' Agenten Schutzgeld gezahlt hatten, nachdem diese ihnen gedroht hatten, sie auszupeitschen. Dann die Geschichte des erbarmungswurdigen Sopater aus Tyndaris, den Verres' Liktoren mitten im Winter vor aller Augen nackt an eine Ritterstatue gefesselt hatten, bis er und seine Mitburger sich bereit erklarten, Verres die wertvolle Bronzestatue des Merkur auszuhandigen, die der Gemeinde gehorte und im ortlichen gymnasium stand. »Das ist keine Provinz, die Verres da leitet«, murmelte Cicero, »das ist ein durchorganisierter Verbrecherstaat.«

Mit Einverstandnis der drei Sizilier packte ich die Unterlagen zusammen und schloss sie in die Geldtruhe des Senators. »Es ist von entscheidender Bedeutung, dass kein Wort von all dem nach au?en dringt«, scharfte Cicero ihnen ein. »Tragt auf jeden Fall weiter Aussagen und Beweise zusammen, aber geht bitte diskret vor. Verres hat schon oft zu Gewalt und Einschuchterung gegriffen, und wenn er sich schutzen muss, wird er es sicher wieder tun. Wir mussen den Schurken uberrumpeln.«

»Bedeutet das, dass du uns hilfst?«, fragte Sthenius, der das kaum zu hoffen gewagt hatte.

Cicero schaute ihn an, gab ihm aber keine Antwort.

*

Als der Senator am Nachmittag von seinen Gerichtsterminen wieder nach Hause kam, machte er sich daran, den Streit mit seiner Frau aus der Welt zu schaffen. Er schickte den jungen Sositheus zu dem alten Blumenmarkt, der sich vor dem Portunus-Tempel auf dem Forum Boarium befand, um einen su? duftenden Strau? Sommerblumen zu kaufen. Diesen gab er der kleinen Tullia und sagte ihr mit feierlicher Stimme, dass er einen wichtigen Auftrag fur sie habe. Sie solle ihrer Mutter diesen Strau? bringen und sagen, dass er von einem ungehobelten Bewunderer aus der Provinz stamme. (»Hast du das verstanden, Tulliola? >Von einem ungehobelten Bewunderer aus der Provinz.<«) Stolz nahm sie den Strau? und verschwand in Terentias Zimmer. Die Blumen mussten wohl ihren Zweck erfullt haben, denn an jenem Abend, als die Liegen -Cicero hatte darauf bestanden - aufs Dach getragen wurden und die Familie unter dem sternenklaren Sommerhimmel zu Abend a?, hatte der Strau? einen Ehrenplatz in der Mitte des Tisches.

Ich wei? das deshalb, weil Cicero mich nach dem Essen uberraschend nach oben rufen lie?. Es war eine windstille Nacht, kein Lufthauch verwehte die Flammen der Kerzen, und der Duft der Blumen in der warmen Juniluft vermengte sich mit den Gerauschen des nachtlichen Roms unten im Tal -mit Musikfetzen und Stimmen, dem Rufen der Nachtwachter auf dem Argiletum, dem entfernten Bellen der Wachhunde auf dem Gelande des Tempels der Kapitolinischen Trias. Lucius und Quintus lachten gerade uber einen Witz von Cicero, und sogar Terentia konnte nicht ganz verbergen, dass sie sich amusierte, warf mit einer Serviette nach Cicero und ermahnte ihn scherzhaft, dass es jetzt aber genug sei. (Pomponia war glucklicherweise nicht anwesend, sie besuchte ihren Bruder in Athen.)

»Ah, da ist er ja«, sagte Cicero und drehte sich zu mir um. »Tiro, der gewiefteste Politiker von uns allen. Dann kann ich ja nun zur Verkundigung schreiten. Es ist nur recht und billig, wenn er das auch hort. Also: Ich habe mich entschieden, fur das Amt des Adils zu kandidieren.«

»Kostlich!«, rief Quintus lachend, der glaubte, das gehore noch zu Ciceros Witz. Dann horte er plotzlich auf zu lachen und sagte verwirrt: »Aber ... was soll daran lustig sein?«

»Gar nichts. Lustig wird's erst, wenn ich gewinne.«

»Aber du kannst nicht gewinnen. Du hast doch gehort, was Pompeius gesagt hat. Er will nicht, dass du kandidierst.«

»Wer kandidiert, hat Pompeius nicht zu bestimmen. Wir sind freie Burger Roms, ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Und ich habe entschieden, mich um das Amt des Adils zu bewerben.«

»Es hat aber keinen Sinn, anzutreten, Marcus, wenn man sicher verliert. Das ist doch blo? eine von diesen sinnlosen heroischen Gesten, die unser Lucius hier so mag.«

»Ein Hoch auf sinnlosen Heroismus«, sagte Lucius und hob seinen Becher.

»Aber gegen Pompeius' Widerstand sind wir chancenlos«, wiederholte Quintus. »Welchen Sinn hat es, sich Pompeius zum Feind zu machen?«

Worauf Terentia erwiderte: »Nach gestern ware die richtigere Frage, welchen Sinn es hat, Pompeius zum Freund zu haben.«

»Terentia hat recht«, sagte Cicero. »Der Vorfall von gestern war mir eine Lehre. Angenommen, ich hange die nachsten ein, zwei Jahre an Pompeius' Lippen und mache den Laufburschen fur ihn, immer in der Hoffnung, dass er mir irgendwann mal seine Gunst erweist. Der Senat ist voll von solchen Mannern - ohne Hoffnung, alt geworden

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