dass ich dem besseren Mann unterlegen bin. Auch die Burger Roms konnten glauben, dass ihr einen rechtschaffenen, strengen und energischen Anklager wie mich gar nicht wollt, dass Senatoren einen solchen Anklager uberhaupt nie wollen.« Er machte eine Pause, und sein ruheloses Auge blieb schlie?lich an Catulus hangen, der seinen Blick standhaft erwiderte. Dann sagte Cicero leise: »Sorgt dafur, ehrwurdige Richter, dass es nicht dazu kommt.« Lauter Beifall brandete auf.

Nun war Caecilius an der Reihe. Er war aus bescheidensten Verhaltnissen aufgestiegen, weitaus bescheideneren als denjenigen Ciceros, und hatte sich einige Verdienste erworben. Man konnte sogar sagen, dass einige Punkte fur ihn als Anklager sprachen. Besonders als er auszufuhren begann, dass sein Vater ein Freigelassener aus Sizilien sei, er selbst in Sizilien geboren sei und dass er keinen Ort auf der Welt mehr liebe als diese Insel. Aber seine Rede quoll uber vor Statistiken uber die sinkende Agrarproduktion und Verres' System der Buchfuhrung. Er klang gereizt, es fehlte die Leidenschaft. Schlimmer noch, er las alles vom Blatt ab, und das auch noch mit so monotoner Stimme, dass Cicero, als Caecilius sich nach einer Stunde schlie?lich dem Fazit naherte, seinen Oberkorper auf die Seite kippen lie? und so tat, als sei er eingeschlafen. Da Caecilius, der sich den Geschworenen zugewandt hatte, nicht sehen konnte, woruber alle lachten, verlor er vollig den Faden. Er verhaspelte sich mehrmals, ehe er zum Ende seiner Rede kam, und setzte sich dann mit vor Verlegenheit und Zorn hochrotem Kopf wieder auf seinen Platz.

Rhetorisch hatte Cicero einen Sieg von erdrutschartigen Ausma?en errungen. Aber als die Abstimmungstafelchen an die Geschworenen ausgegeben waren und der Gerichtsdiener mit seiner Urne darauf wartete, sie wieder einzusammeln, da war er davon uberzeugt, erzahlte mir Cicero spater, dass er verloren hatte. Von den zweiunddrei?ig Senatoren zahlte er mindestens ein Dutzend zu seinen entschiedenen Gegnern und nur halb so viele zu seinen Freunden. Die Unentschiedenen wurden wie ublich den Ausschlag geben. Cicero sah, dass viele dieser Unentschlossenen zu Catulus schielten und auf ein Zeichen von ihm warteten, um sich seiner Entscheidung anzuschlie?en. Catulus markierte sein Tafelchen, zeigte es den links und rechts neben ihm sitzenden Mannern und warf es dann in die Urne. Als jeder abgestimmt hatte, ging der Gerichtsdiener mit der Urne zum Richterstuhl, kippte sie vor ihm aus und begann vor aller Augen, die Tafeln auszuzahlen. Hortensius lie? die Maske der Gelassenheit fallen und stand ebenso wie Verres auf, um besser sehen zu konnen. Cicero sa? starr da wie eine Statue. Caecilius kauerte auf seinem Stuhl. Zuschauer, die regelma?ig zu den Verhandlungen kamen und das Prozedere so gut kannten wie jeder Pachter, horte ich flustern, dass es knapp sei, dass sie noch mal nachzahlten. Schlie?lich reichte der Gerichtsdiener Glabrio das Abstimmungsergebnis. Er stand auf und bat um Ruhe. Das Ergebnis laute, sagte er, vierzehn fur Cicero - mir stockte der Atem, er hatte verloren! -, dreizehn fur Caecilius, funf Enthaltungen. Somit werde Marcus Tullius Cicero zum Sonderermittler (nominis delator) fur den Fall Gaius Verres ernannt. Wahrend die Zuschauer applaudierten und Hortensius und Verres sich wie betaubt wieder setzten, lie? Glabrio Cicero aufstehen, die rechte Hand heben und den traditionellen Schwur leisten, die Anklage nach bestem Wissen und Gewissen durchzufuhren.

Sofort nach Ablegung des Eids stellte Cicero den Antrag auf Vertagung. Hortensius fuhr von seinem Stuhl auf und erhob Einspruch. Warum das notig sei, wollte er wissen. Cicero sagte, er wolle nach Sizilien reisen, um Beweismittel sicherzustellen und Zeugen zu laden. Hortensius fiel ihm ins Wort, es sei eine Ungeheuerlichkeit, fur sich das Recht auf Anklage einzufordern, um dann mit dem ersten Satz zu enthullen, dass er dem Gericht gar keinen Fall prasentieren konne. Das war ein berechtigter Einwand. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie gro? Ciceros Zweifel an der Starke seiner eigenen Position gewesen sein mussten. Glabrio schien Hortensius zustimmen zu wollen, als Cicero ins Feld fuhrte, dass sich erst jetzt, nachdem Verres seine Provinz verlassen habe, die Opfer sicher genug fuhlten, um frei zu sprechen. Glabrio dachte daruber nach, schaute auf den Kalender und verkundete dann widerstrebend, dass der Prozessbeginn um hundertzehn Tage verschoben werde. »Aber stell sicher, dass du sofort am ersten Tag nach der Sitzungspause im Fruhling zur Klageerhebung bereit bist«, sagte er mit warnendem Unterton zu Cicero. Damit war das Gericht entlassen.

*

Spater stellte Cicero uberrascht fest, dass er den Sieg Catulus verdankte. Der harte und hochmutige alte Senator war trotz allem ein Patriot bis ins Mark, weshalb seine Ansichten hohes Ansehen genossen. Er war der Meinung, dass das Volk gema? der altehrwurdigen Gesetze das Recht auf die hartestmogliche Strafverfolgung von Verres habe, auch wenn dieser ein Freund von ihm war.

Die familiaren Bindungen zu seinem Schwager Hortensius lie?en es naturlich nicht zu, dass er direkt fur Cicero stimmte; stattdessen enthielt er sich der Stimme, worauf vier Unentschlossene sich ebenfalls enthielten.

Dankbar, dass er bei der Jagd auf den Eber, wie er es nannte, noch dabei war, und entzuckt daruber, dass er Hortensius ausmanovriert hatte, sturzte sich Cicero in die Vorbereitungen fur die Sizilienreise. Aufgrund einer Gerichtsverfugung nach den Bestimmungen des obsignandi gratia wurden Verres' Amtsunterlagen versiegelt. Cicero stellte im Senat den Antrag auf Herausgabe aller amtlichen Finanzdokumente der letzten drei Jahre durch den fruheren Statthalter Siziliens, was dieser jedoch nie tat. An jede gro?ere Stadt der Insel gingen Briefe mit der Bitte um Beweismaterial. Da wir in allen Orten der Provinz Unterkunfte benotigten, ging ich unsere Akten durch und notierte die Namen aller bedeutenden Burger Siziliens, die Cicero wahrend seiner Zeit als Quastor ihre Gastfreundschaft angeboten hatten. Cicero schrieb auch einen Hoflichkeitsbrief an den amtierenden Statthalter Lucius Metellus, in dem er seinen Besuch ankundigte und um Kooperation von amtlicher Seite bat - ihm war zwar bewusst, dass er lediglich auf amtliche Schikane rechnen konnte, aber er dachte sich, dass ein schriftlicher Beleg daruber, es wenigstens versucht zu haben, nicht schaden konnte. Er beschloss, seinen nun schon seit sechs Monaten mit dem Fall vertrauten Vetter mit auf die Reise zu nehmen und seinen Bruder, der sich um die Organisation seines Wahlkampfes zu kummern hatte, in Rom zuruckzulassen. Ich wurde ihn ebenfalls begleiten - zusammen mit meinen beiden Gehilfen Sositheus und Laurea, da es sicher jede Menge ab- und mitzuschreiben gabe. Der fruhere Prator Calpurnius Piso Frugi bot Cicero die Dienste seines achtzehnjahrigen Sohnes Gaius an, mit dem wir uns schnell anfreundeten, da er sich als au?erst intelligenter und liebenswurdiger Bursche erwies. Auf Quintus' dringenden Wunsch kauften wir noch vier kraftige und zuverlassige Sklaven, die uns zwar auch als Trager und Kutscher, aber vornehmlich als Leibwachter dienen sollten. Die Landstriche des Sudens waren gesetzlos zu jener Zeit. Viele von Spartacus' Anhangern hielten sich noch immer in den Bergen versteckt, au?erdem gab es Piraten, und wer konnte schon wissen, zu welchen Mitteln Verres greifen wurde?

All das musste bezahlt werden, und obwohl Ciceros Anwaltspraxis inzwischen etwas einbrachte -nicht in Form direkter Zahlungen naturlich, die waren verboten, sondern in Form von Geschenken und Vermachtnissen dankbarer Klienten -, verfugte er nicht annahernd uber die Menge an Bargeld, die fur die Durchfuhrung einer angemessenen Ermittlung erforderlich war. Die meisten ehrgeizigen jungen Manner in seiner Lage hatten sich nun an Crassus gewandt, der an aufstrebende Politiker immer Darlehen zu gro?zugigen Konditionen ausgab. Doch so offen Crassus diejenigen belohnte, die ihn unterstutzten, so sehr legte er auch Wert darauf, die Menschen wissen zu lassen, dass Widerstand gegen ihn Bestrafung nach sich zog. Seit Cicero abgelehnt hatte, sich auf seine Seite zu schlagen, hatte Crassus jede Gelegenheit genutzt, ihm seine Feindschaft zu demonstrieren. Er ignorierte ihn in der Offentlichkeit vollig. Hinter seinem Rucken verleumdete er ihn.Wenn Cicero zu Kreuze gekrochen ware, vielleicht hatte er sich dann herabgelassen, seine Meinung zu andern: Was seine Prinzipien anging, kannte seine Geschmeidigkeit keine Grenzen. Aber, wie ich schon erwahnt habe, fiel es den beiden schwer, sich auch nur im selben Raum aufzuhalten.

Also blieb Cicero keine andere Wahl, als sich an Terentia zu wenden, was eine fur mich peinliche Szene zur Folge hatte. Ich wurde nur deshalb in diese Angelegenheit verwickelt, weil Cicero auf die ziemlich feige Idee verfiel, mich vorzuschicken, um bei Terentias Privatsekretar Philotimus in Erfahrung zu bringen, wie schwierig es wohl ware, aus ihrem Vermogen hunderttausend Sesterzen loszueisen. Missgunstig, wie Philotimus war, lief er gleich zu seiner Herrin und erstattete Bericht. Sie sturmte die Treppe hinunter in Ciceros Arbeitszimmer und stellte mich zur Rede, wie ich es wagen konne, meine Nase in ihre Angelegenheiten zu stecken. In diesem Augenblick betrat Cicero das Zimmer und war folglich genotigt, ihr zu erklaren, wofur er das Geld brauchte.

»Und wie bekomme ich mein Geld zuruck?«, wollte Terentia wissen.

»Von der Strafe, die Verres' nach seiner Verurteilung zahlen muss«, sagte Cicero.

»Und du bist sicher, dass er verurteilt wird?«

»Ganz sicher.«

»Wieso? Was hast du in der Hand? Lass horen.« Sie setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibpult und verschrankte die Arme. Cicero zogerte kurz. Da er seine Frau kannte und wusste, dass sie nicht so einfach ihre

Вы читаете Imperium
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×