Meinung anderte, befahl er mir, die Beweise der Sizilier aus dem Tresor zu holen. Er ging mit ihr alles durch, Stuck fur Stuck. Als sie fertig waren, schaute sie ihn aufrichtig besturzt an. »Das reicht nie und nimmer, Marcus! Das da ist alles, worauf du setzt? Glaubst du im Ernst, senatorische Geschworene werden einen der ihren schuldig sprechen, nur weil er ein paar bedeutende Statuen aus irgendwelchen obskuren Provinznestern zuruck nach Rom geschafft hat - wo sie ja wohl auch hingehoren?«

»Gut moglich, dass du recht hast, mein Schatz«, gab Cicero zu. »Gerade deshalb muss ich ja nach Sizilien.«

Terentia betrachtete ihren Ehemann - der im Rom jener Tage unstrittig der gro?te Redner und klugste Senator war - mit einem Gesichtsausdruck, den eine ehrbare Dame ihrem Kind zeigt, wenn es auf dem Boden im Tablinum eine Pfutze gemacht hat. Ich bin sicher, dass sie etwas hinzugefugt hatte, wenn ihr nicht gerade noch rechtzeitig aufgefallen ware, dass ich auch anwesend war. Wortlos erhob sie sich und verlie? das Arbeitszimmer.

Am nachsten Tag ubergab mir Philotimus eine kleine Geldschatulle mit zehntausend Sesterzen in bar und eine Vollmacht, bei Bedarf weitere vierzigtausend abzuheben.

»Genau die Halfte von dem, was ich wollte«, sagte Cicero, als ich ihm die Schatulle brachte. »So, Tiro, taxiert also eine gewiefte Geschaftsfrau meine Chancen - nun ja, wer konnte es ihr verubeln?«

KAPITEL VII

Wir verlie?en Rom in den Iden des Januars, am letzten Tag des Festes der Nymphen. Cicero sa? in einem uberdachten Wagen, sodass er wahrend der Fahrt arbeiten konnte. Ich selbst empfand bei dem Rattern, Quietschen und Schwanken der carruca schon den Versuch zu lesen, geschweige denn zu schreiben, als Qual. Die Reise war erbarmlich. Es war eiskalt, und in hoheren Lagen gerieten wir sogar hin und wieder in kurze Schneeschauer. Die meisten Kreuze mit den hingerichteten Rebellensklaven an der Via Appia waren inzwischen entfernt worden. Manche hatte man jedoch zur Abschreckung stehen lassen. Die verwesten, stocksteifen Uberreste der Leichen zeichneten sich gegen die wei?e Landschaft ab. Bei ihrem Anblick stellte ich mir vor, wie Crassus' langer Arm von Rom aus nach mir griff und mir wieder in die Backe kniff.

Wegen der uberhasteten Abreise war es uns unmoglich gewesen, schon im Voraus fur jeden Abend eine Unterkunft zu besorgen, sodass wir an drei oder vier Tagen am Stra?enrand ubernachten mussten, weil wir keinen Gasthof fanden. Ich legte mich zusammen mit den anderen Sklaven rund ums Lagerfeuer, wahrend Cicero, Lucius und der junge Frugi im Wagen schliefen. Wenn uns dieses Missgeschick in den Bergen traf, dann wachte ich im Morgengrauen mit steif gefrorener Kleidung auf. Als wir schlie?lich in Velia die Kuste erreichten, entschied Cicero, dass wir schneller vorankamen, wenn wir ein Boot mieteten und an der Kuste entlangsegelten - trotz des Risikos von Wintersturmen und Piraten und seiner ausgepragten Abneigung gegen Seereisen, seit ihm eine Sibylle prophezeit hatte, dass sein Tod irgendwie in Zusammenhang mit dem Meer stehen wurde.

Velia war ein Kurort mit einem bekannten Tempel zu Ehren von Apollo Oulius, einem damals sehr verehrten Gott der Heilkunst. Es war keine Saison, der gesamte Ort schien ausgestorben zu sein. Wahrend wir hinunter zum Hafen fuhren, wo die Wellen der grauen See gegen die Kaimauer klatschten, bemerkte Cicero, dass er selten einen weniger verlockenden Urlaubsort als diesen besucht habe. Abgesehen von den ublichen Fischerbooten lag eine riesige Galeere im Hafen, ein Lastschiff von der Gro?e einer Trireme. Wahrend wir mit den einheimischen Fischern uber den Preis fur unsere Reise verhandelten, fragte Cicero, wem das Schiff gehore. Es sei, sagte man uns, ein Geschenk der Burger der sizilischen Hafenstadt Messana an ihren fruheren Statthalter Gaius Verres und lage hier seit etwa einem Monat vor Anker.

Die Aura der Bedrohung, die das gro?e, tief im Wasser liegende Schiff umgab, war mit Handen zu greifen. Es war voll bemannt und konnte jederzeit in See stechen. Unser Auftauchen in dem verlassenen Hafen hatte an Bord unubersehbar gro?e Unruhe ausgelost. Als wir vorsichtig auf die Galeere zugingen, ertonten drei kurze Trompetensignale, die Ruder senkten sich ins Wasser, und langsam wie ein riesiger Wasserkafer loste sich das Schiff von der Kaimauer. Es glitt ein kurzes Stuck auf See hinaus und setzte den Anker. Als sich das Schiff in den Wind drehte, hupften die grellen gelben Lampen an Bug und Heck im dunstigen Licht des Nachmittags auf und ab. Gestalten verteilten sich uber das schwankende Deck. Cicero beriet sich mit Lucius und Frugi, was sie unternehmen sollten. Theoretisch gab ihnen die Vollmacht des Gerichtshofes fur Erpressungen das Recht jedes Schiff zu durchsuchen, das moglicherweise mit dem Fall in Verbindung stand.

In der Praxis jedoch hatten sie nicht die Mittel, und bis Verstarkung eintreffen wurde, ware das Schiff langst auf und davon. Eins wusste Cicero jetzt zweifelsfrei: Die Dimensionen von Verres' Verbrechen sprengten alles, was er sich vorgestellt hatte. Er entschied, sofort aufzubrechen und mit doppelter Geschwindigkeit Richtung Suden zu reisen.

Ich schatze, von Velia bis Vibo, immer am Schienbein entlang bis zum Zeh Italiens, sind es etwa hundertzwanzig Meilen. Mit gunstigen Winden und kraftiger Ruderarbeit schafften wir es in gerade mal zwei Tagen. Wir hielten uns immer in Sichtweite des Ufers, gingen fur die eine Nacht an Land und schliefen am Strand. Aus Myrtestrauchern hackten wir Holz fur ein Lagerfeuer, aus unseren Rudern und dem Segel bauten wir ein Zelt. Von Vibo reisten wir auf der Kustenstra?e weiter bis Regium, und dort mieteten wir wieder ein Boot, um durch die schmale Meerenge nach Sizilien zu segeln. Es war neblig und nieselte stark, als wir fruhmorgens aufbrachen. Wie ein trubseliger schwarzer Buckel tauchte die Insel in der Ferne aus dem Meer auf. Unglucklicherweise konnte man im Winter nur einen einzigen Hafen ansteuern, und das war Verres' Hochburg Messana. Die Loyalitat ihrer Bewohner hatte sich Verres mit Steuerfreiheit fur seine gesamte dreijahrige Amtszeit als Statthalter erkauft. Messana war die einzige Stadt auf der Insel, die eine Zusammenarbeit mit Cicero abgelehnt hatte. Wahrend wir auf den Leuchtturm zuliefen, erkannten wir, dass das, was wir fur einen gro?en Masten am Hafeneingang gehalten hatten, kein Teil von einem Schiff, sondern ein Kreuz war, dessen Vorderseite der Meerenge und dem Festland zugewandt war.

»Das ist neu«, sagte Cicero mit gerunzelter Stirn und wischte sich das Regenwasser aus den Augen. »Zu meiner Zeit sind da nie Hinrichtungen durchgefuhrt worden.«

Wir hatten keine andere Wahl, als direkt daran vorbeizusegeln. Der Anblick legte sich wie ein Schatten auf unser vom Dauerregen beschwertes Gemut.

Trotz der allgemein feindseligen Stimmung der Bevolkerung von Messana gegenuber dem Sonderermittler hatten sich zwei tapfere Burger der Stadt - Basiliscus und Percennius - bereitgefunden, uns ihre Gastfreundschaft anzubieten. Sie erwarteten uns am Kai. Cicero war kaum an Land gegangen, da fragte er sie nach dem Kreuz. Sie wurden seine Frage spater gern beantworten, entschuldigten sie sich, aber zuerst mochten sie uns lieber von hier wegschaffen. Erst als wir uns alle innerhalb der Mauern von Basiliscus' Anwesen befanden, fuhlten sie sich sicher genug, uns die Geschichte zu erzahlen. Wahrend seiner letzten Tage als Statthalter hatte sich Verres nur noch in Messana aufgehalten, damit er die Verladung seiner Diebesbeute auf das »Goldschiff« uberwachen konnte, das ihm seine dankbare Stadt hatte bauen lassen. Vor etwa einem Monat sei zu seinen Ehren ein Fest veranstaltet worden, und quasi als Teil des Unterhaltungsprogramms habe man einen romischen Burger aus dem Gefangnis geholt, auf dem Forum nackt ausgezogen, offentlich ausgepeitscht, gefoltert und schlie?lich gekreuzigt.

»Einen romischen Burger?«, wiederholte Cicero unglaubig. Er machte mir ein Zeichen, dass ich mitschreiben solle. »Es versto?t gegen das Gesetz, einen Burger Roms ohne Prozess hinzurichten. Seid ihr sicher, dass es ein Romer war?«

»Er hat geschrien, dass er Publius Gavius hei?t, dass er Kaufmann in Spanien ist und dass er Militardienst in den Legionen geleistet hat. Wahrend sie ihn ausgepeitscht haben, hat er nach jedem Schlag geschrien: >Ich bin ein Burger Roms!< Nach jedem Schlag.«

»>lch bin ein Burger Roms<«, wiederholte Cicero und lie? sich die Worte auf der Zunge zergehen. »>Ich bin ein Burger Roms< ... Was hat man ihm vorgeworfen?«

»Spionage«, sagte unser Gastgeber. »Er wollte gerade auf ein Schiff Richtung Festland. Aber er hat einen Fehler gemacht: Er hat uberall herumerzahlt, dass er aus den Steinbruchen von Syrakus geflohen sei und dass er jetzt auf direktem Weg nach Rom fahre und Verres' Verbrechen an die Offentlichkeit bringen werde. Die Stadtvater von Messana haben ihn eingesperrt, bis Verres wieder in der Stadt war. Verres hat ihn auspeitschen, mit hei?en Eisen foltern und ans Kreuz schlagen lassen - mit Blick auf Regium, damit er im Todeskampf das Festland sehen konnte. Stellt euch das vor, funf Meilen vom sicheren Festland entfernt! Verres' Nachfolger haben das Kreuz stehen

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