unterwegs genau wusste, wo wir gerade waren. Wir erreichten Rom in den Iden des Marz, exakt zwei Monate nachdem wir
Hortensius war in der Zwischenzeit nicht untatig gewesen und hatte eine komplizierte Scheinanklage auf den Weg gebracht. Wie von Cicero vermutet, war das Unternehmen zum Teil als Versuch gedacht gewesen, Cicero so fruh wie moglich aus Sizilien wegzulocken. Dasianus hatte sich nicht die Muhe gemacht, wegen irgendwelcher Beweissicherung nach Griechenland zu reisen. Er hatte Rom nie verlassen. Allerdings hatte ihn das nicht daran gehindert am Gerichtshof fur Erpressungen Klage gegen den fruheren Statthalter von Achaea einzureichen, und der Prator Glabrio, der vor Ciceros Ruckkehr nichts unternehmen konnte, hatte kaum eine andere Wahl gehabt, als Dasianus gewahren zu lassen. Und so schwadronierte der von Hortensius aus der Bedeutungslosigkeit hervorgeholte Nichtskonner Dasianus Tag fur Tag vor gelangweilten Geschworenen vor sich hin. Und
Quintus, schon immer ein findiger Stabsoffizier, hatte fur Ciceros Wahlkampf fur jeden Tag einen Terminplan entworfen. Als Cicero nach zwei Monaten Abwesenheit wieder sein Haus betrat, steuerte er als Erstes sein Arbeitszimmer an, um sich den Plan anzusehen, und erkannte mit einem Blick, was Hortensius beabsichtigte. Festtage, an denen das Gericht nicht zusammentrat, waren mit roten Punkten markiert. Zog man diese ab, blieben nur noch zwanzig volle Arbeitstage bis zum Beginn der sitzungsfreien Zeit des Senats. Die dauerte weitere zwanzig Tage, worauf direkt im Anschluss das funftagige Fest der Flora folgte. Dann kamen der Tag des Apollo, die Tarentinischen Spiele, das Fest des Mars und so weiter. Grob geschatzt kamen auf vier Tage ein Feiertag. »Einfach ausgedruckt«, sagte Quintus, »bedeutet das Folgendes: So wie das bis jetzt lauft, schafft es Hortensius problemlos, das Gericht bis kurz vor den Konsulatswahlen Ende Juli zu beschaftigen. Danach ist deine eigene Wahl zum Adil Anfang August. Das fruheste wahrscheinliche Datum, an dem wir vor Gericht ziehen konnen, ist der funfte. Und dann fangen Mitte August Pompeius' Spiele an - und die sind auf volle funfzehn Tage angesetzt. Und dann sind da naturlich noch die Romischen Spiele und die Plebejischen Spiele ...«
»Verdammt«, rief Cicero aus und schaute sich
Es blieb ihm also nichts anderes als eine weitere peinvolle Sitzung mit Terentia. Am Abend seiner Ruckkehr aus Syrakus a?en sie zusammen. Im Lauf des Abends lie? Cicero mich ins Speisezimmer rufen und sagte, ich solle ihm den Entwurf seiner Eroffnungsrede bringen. Terentia lag steif auf ihrer Liege und stocherte gereizt in ihrem Essen herum, wahrend Cicero seinen Teller nicht mal angeruhrt hatte. Ich gab ihm die Aktentasche und war froh, dass ich gleich wieder verschwinden konnte. Schon jetzt war die Rede so ausgeufert, dass er mindestens zwei Tage gebraucht hatte, um sie vorzutragen. Spater horte ich, wie er auf und ab ging und ihr daraus vorlas. Mir wurde plotzlich klar, dass sie ihm eine Art Generalprobe des Prozesses abverlangte, bevor sie ihm noch mehr Geld vorschoss. Anscheinend hatte ihr Ciceros Vorstellung gefallen, denn am nachsten Morgen sorgte Philotimus dafur, dass uns ein Kredit von weiteren funfzigtausend Sesterzen eingeraumt wurde. Cicero empfand den Vorgang als Demutigung, jedenfalls beschaftigte er sich nach meiner Erinnerung seit jener Zeit zunehmend mit dem Thema Geld, einem Thema, das ihn davor nie auch nur im Geringsten interessiert hatte.
Ich bin jetzt schon bei meiner achten Rolle Hieratica und habe das Gefuhl, dass ich Zeit vergeude. Ich muss meiner Geschichte etwas Beine machen, sonst werde ich entweder uber meiner Arbeit sterben oder langweile den Leser zu Tode. Man sehe mir also nach, wenn ich die nachsten vier Monate im Eiltempo abhandle. Cicero war genotigt, noch harter als sonst zu arbeiten. Morgens musste er sich als Erstes um seine Klienten kummern. (Naturlich waren durch die Sizilienreise eine Menge Falle aufgelaufen, die jetzt abgearbeitet sein wollten.) Dann musste er sowohl vor Gericht wie auch im Senat erschienen, die beide tagten. Im Senat hielt er sich bedeckt, vor allem, weil er nicht in ein Gesprach mit Pompeius Magnus verwickelt werden wollte, in dessen Verlauf dieser ihn vielleicht bitten konnte, die Anklage gegen Verres wie auch seine Kandidatur fur das Adilatsamt fallen zu lassen, oder - noch schlimmer - ihm seine Hilfe anbieten konnte, wodurch er dem machtigsten Mann Roms zu Dank verpflichtet ware. Und das war eine Verpflichtung, die er unbedingt vermeiden wollte. Nur wenn an offentlichen Feiertagen und wahrend Sitzungspausen Gerichte und Senat nicht zusammentraten, konnte er sich ganz auf den Verres-Fall konzentrieren. Dann sichtete und straffte er Beweismaterial und instruierte Zeugen. Wir schafften nach und nach uber einhundert Sizilier nach Rom, die fast alle zum ersten Mal in der Stadt waren und jemanden brauchten, der sie an die Hand nahm - was meine Aufgabe war. Ich wurde zu einer Art Einmannreiseunternehmer, der dauernd in der Stadt unterwegs war, damit seine Kunden nicht Verres' Spionen in die Fange gerieten oder sich betranken oder in Schlagereien verwickelt wurden - ein heimwehkranker Sizilier, das darf man mir glauben, ist kein einfacher Kunde. Ich war erleichtert, als Frugi aus Syrakus eintraf und mir zur Hand gehen konnte. (Vetter Lucius blieb in Sizilien, damit der Nachschub an Beweisen und Zeugen nicht ins Stocken geriet.) Und schlie?lich nahm Cicero auch seine Besuche in den Hauptquartieren der Wahlbezirke wieder auf, um fur seine Wahl zum Adil zu trommeln, was er meist am fruhen Abend in Begleitung von Quintus erledigte.
Hortensius war ebenfalls aktiv. Mittels seines Sprachrohrs Dasianus hielt er den Gerichtshof fur Erpressungen mit seiner oden Anklage auf Trab. Sein Vorrat an Gerissenheit war wirklich unerschopflich. Zum Beispiel kannte seine Freundlichkeit gegenuber Cicero keine Grenzen. Wann immer sie im Senaculum des Senats auf die Eroffnung der Sitzung warteten, begru?te er ihn und nahm ihn fur ein paar vertrauliche Worte uber die allgemeine politische Lage beiseite. Anfangs fuhlte Cicero sich geschmeichelt, doch dann erfuhr er, dass Hortensius und seine Anhanger das Gerucht streuten, die Geschworenen und Cicero hatten sich mit einer riesigen Summe dafur bestechen lassen, die Anklage absichtlich scheitern zu lassen - deshalb auch die Vertraulichkeiten in aller Offentlichkeit. Als unseren uberall in der Stadt in Mietskasernen eingepferchten Zeugen die Geruchte zu Ohren kamen, gerieten sie in Panik wie Huhner, wenn der Fuchs um den Stall streicht. Cicero musste jeden einzelnen besuchen und beruhigen. Als Hortensius das nachste Mal mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging, drehte er sich einfach um. Hortensius lachelte und zuckte mit den Achseln - was soll's, fur ihn lief ohnehin alles nach Wunsch.
Ich sollte an dieser Stelle vielleicht noch etwas mehr uber jenen bemerkenswerten Mann erzahlen, den »Konig der Gerichtshofe«, wie ihn seine Anhanger nannten, dessen Rivalitat mit Cicero die romische Anwaltschaft eine Generation lang in Atem hielt. Die Grundlage seines Erfolgs war sein Gedachtnis. In seinen mehr als zwanzig Jahren als Anwalt hatte man nie erlebt, dass er Notizen notig gehabt hatte. Es bereitete ihm keine Muhe, eine vierstundige Rede auswendig zu lernen und perfekt vorzutragen, ob im Senat oder auf dem Forum. Und dieses phanomenale Erinnerungsvermogen war nicht das Ergebnis nachtelangen, stumpfsinnigen Paukens, er konnte es jederzeit aus dem Stand demonstrieren. Er besa? die beangstigende Fahigkeit, sich an alles, was seine Gegner gesagt hatten - sei es bei einer Zeugenaussage oder einem Kreuzverhor -, erinnern zu konnen, und er konnte es ihnen, wann immer es ihm notig erschien, wieder an den Kopf schleudern. Er glich einem doppelt bewaffneten Gladiator, dessen Arena der Gerichtssaal war. Er attackierte mit Schwert und Dreizack, er schutzte sich mit Wurfnetz und Schild. In jenem Sommer war er vierundvierzig Jahre alt und lebte mit seiner Frau und seinen beiden halbwuchsigen Kindern, einem Sohn und einer Tochter, auf dem Palatin in einem exquisit eingerichteten Haus direkt neben seinem Schwager Catulus.