ehemaligen Prator und begeisterten Tanzer Afranius, Palicanus und Gabinius, Palicanus' Schwiegersohn, dem man ebenfalls eine Vorliebe fur Weib und Gesang nachsagte. Es hatte den Anschein, als sei Cicero da in ein wahrhaftiges Veteranentreffen geraten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er sich in dieser Gesellschaft sonderlich wohlgefuhlt hatte. Nur der ernste und gebildete Varro - der Mann, wie Cicero einmal scharf angemerkt hatte, ohne den Pompeius nicht mal den Weg zum Senatsgebaude gefunden hatte -konnte als einigerma?en geistesverwandter Gesprachspartner fur Cicero in Betracht kommen, zumal er nuchtern das Haus verlie?. Cicero erschien als Letzter. Er machte sich sofort auf den Heimweg, und ich heftete mich an seine Fersen. Er hielt sich wieder die Hand vor die Nase, da weder die Hitze noch der Geruch ertraglicher geworden waren. Als Pompeius' Haus in sicherer Entfernung hinter uns lag, lehnte er sich in einer Gasse an eine Hauswand und ubergab sich.

Ich fragte ihn, ob ich ihm irgendwie behilflich sein konne, doch er schuttelte nur den Kopf und antwortete: »Alles in Ordnung.« Das war alles, was er sagte, und das war auch alles, was er zu Quintus sagte, der uns schon ungeduldig erwartet hatte. »Alles in Ordnung.«

*

Im Morgengrauen des folgenden Tages gingen wir wieder zum zwei Meilen entfernten Marsfeld. Die zweite Wahlrunde stand an. Obwohl diese weniger prestigetrachtig war als die fur das Konsulat und die Pratur, war sie ungleich spannender. Vierunddrei?ig Manner waren zu wahlen (zwanzig Senatoren, zehn Volkstribunen und vier Adile), was hie?, es gab einfach zu viele Kandidaten, als dass man die Abstimmung ohne Schwierigkeiten hatte manipulieren konnen. Au?erdem zahlte die Stimme eines Aristokraten ebenso viel wie die eines Bewohners der Elendsviertel, und somit war alles moglich. Die Leitung dieser zusatzlichen Wahlgange oblag Crassus, dem zweiten Konsul. »So eine Wahl zu falschen, das schafft wahrscheinlich nicht mal Crassus«, sagte Cicero duster, als er seine roten Lederschuhe anzog.

Er war schon geistesabwesend und gereizt aufgestanden. Was auch immer er am Vorabend mit Pompeius vereinbart hatte, es hatte seine Nachtruhe gestort. Seinen Diener blaffte er an, er hatte seine Schuhe nicht ordentlich geputzt. Cicero zog die gleiche blutenwei?e Toga an, die er an jenem Tag vor sechs Jahren getragen hatte, als er zum ersten Mal in den Senat gewahlt worden war, und bevor er das Haus verlie?, holte er tief Luft, als machte er sich darauf gefasst, eine schwere Burde zu schultern. Quintus hatte einmal mehr gro?artige Arbeit geleistet, denn vor dem Haus wartete eine ansehnliche Menschenmenge, die uns zu den Wahlurnen begleiten wurde. Da an diesem Tag auch die Burgerlisten auf den neuesten Stand gebracht wurden, waren Zehntausende in die Stadt gestromt, um sich registrieren zu lassen, sodass es auf dem Marsfeld bis hinunter zum Fluss vor Menschen wimmelte, als wir eintrafen. Es mussten Hunderte von Kandidaten sein, die sich fur die vierunddrei?ig Posten bewarben, und diese zogen jetzt zusammen mit ihren Freunden und Anhangern kreuz und quer uber das riesige Gelande, um vor Wahlbeginn auch noch die letzte Stimme fur sich zu gewinnen. Auch Verres war schon da, sein Rotschopf war nicht zu ubersehen. Begleitet von seinem Vater, seinem Sohn sowie dem Freigelassenen Timarchides - der Rohling, der in unser Haus eingedrungen war -, hetzte er zwischen den Wahlern hin und her und machte jedem, der nicht fur Cicero stimmen wurde, die fantastischsten Versprechungen. Als Cicero das sah, schien seine uble Laune wie weggeblasen. Sofort mischte er sich unters Volk und ging auf Stimmenfang. Obwohl ich einige Male befurchtete, dass sich die Wege unserer beiden Gruppen kreuzen wurden, kam es doch nie so weit. Die Menschenmenge war einfach zu gro?. Nachdem der Augur sein Einverstandnis erteilt hatte, trat Crassus aus dem geweihten Zelt, und die Kandidaten versammelten sich vor seinem Podium. Ich sollte vielleicht erwahnen, dass einer von ihnen Julius Caesar war, der sich zum ersten Mal um einen Sitz im Senat bewarb und in diesem Moment mit Cicero plauderte. Beide Manner kannten sich schon lange, und Caesar, der sechs Jahre junger als Cicero war, hatte auf dessen Empfehlung hin bei Apollonius Molon auf Rhodos Rhetorik studiert. Inzwischen verklaren Caesars fruhe Jahre ja alle moglichen Legenden. Das geht so weit, dass man glauben konnte, seine Zeitgenossen hatten schon im Saugling in der Wiege das Genie erkannt. Was aber nicht der Wahrheit entspricht. Wer ihn an jenem Morgen in seiner wei?en Toga sah, wie er nervos an seinem schutteren Haar zupfte, der hatte sich schwergetan, in ihm etwas anderes zu sehen als in jedem anderen der gebildeten, jungen Kandidaten. Einen gro?en Unterscheid gab es allerdings: Wahrscheinlich waren nur wenige so arm wie er. Um zur Wahl antreten zu konnen, hatte er sich bestimmt hoch verschulden mussen, denn er lebte in sehr bescheidenen Verhaltnissen in Subura, in einem Frauenhaushalt, zusammen mit Mutter, Frau und Tochter. Den Caesar von damals stelle ich mir nicht als strahlenden Helden vor, der nur darauf wartet, Rom zu erobern. Eher als einen drei?igjahrigen Mann, der vor lauter Stra?enlarm in seinem Armenviertel nachts keinen Schlaf findet und bitteren Gedanken daruber nachhangt, warum er, Spross der altesten Familie Roms, in solchen Verhaltnissen dahinvegetieren muss. Deshalb war seine Abneigung gegen die Aristokraten fur diese weit gefahrlicher, als es die von Cicero jemals war. Cicero war ein Mann, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, deshalb argerte er sich uber die Aristokraten und beneidete sie gleichzeitig. Caesar jedoch, der sich als direkten Nachfahren der Venus sah, betrachtete sie mit Abscheu, er hielt sie fur Eindringlinge.

Aber ich greife vor, au?erdem begehe ich den gleichen Fehler wie die Hagiografen, die mit dem verzerrenden Licht der Zukunft in das Dunkel der Vergangenheit leuchten. Ich will an dieser Stelle einfach festhalten, dass diese beiden herausragenden Manner, die zwar sechs Lebensjahre trennten, aber hinsichtlich Verstand und Weltanschauung viel gemein hatten, freundlich miteinander plaudernd in der Sonne standen, wahrend Crassus das Podium bestieg und das vertraute Gebet sprach: »Moge diese Angelegenheit fur mich, fur meine hochsten Ziele, fur mein Amt und fur die Menschen Roms zu einem guten und zufriedenstellenden Ende gelangen!« Damit war die Wahl eroffnet.

Traditionell stimmten die Wahler aus dem Wahlbezirk Subura als Erste ab. Trotz seiner jahrelangen Bemuhungen um ihre Belange entschieden sie sich jedoch nicht fur Cicero. Das muss ein harter Schlag fur ihn gewesen sein, legte er doch nahe, dass Verres' Stimmenkaufer gute Arbeit fur ihr Geld geleistet hatten. Aber Cicero zuckte nur mit den Achseln: Er wusste, dass die Augen vieler einflussreicher Manner, die ihre Stimme noch abgeben mussten, auf ihn gerichtet waren und es deshalb wichtig war, den Anschein von Zuversicht zu wahren. Danach waren die drei anderen Stadtbezirke an der Reihe: Esquilina, Collina und Palatina. Cicero erhielt die Mehrheit der beiden ersten, der dritte stimmte nicht fur ihn. Was kaum verwunderte, da Palatina das Viertel Roms mit den meisten aristokratisch gesinnten Wahlern war. Es stand also zwei zu zwei, ein weniger spannender Auftakt ware ihm lieber gewesen. Dann folgten nacheinander die einunddrei?ig landlichen Bezirke: zuerst Aemilia, Camilia, Fabia und Galeria ... Aus unseren Akten wusste ich bestens uber sie Bescheid, ich kannte die Schlusselpersonen, wusste, wer Cicero noch eine Gefalligkeit schuldete und wem er noch eine schuldig war. Drei der vier stimmten fur Cicero. Quintus flusterte Cicero etwas ins Ohr. Zum ersten Mal durfte sich Cicero etwas entspannen, da Verres' Geld fur die Wahler vom Land offenbar keine so gro?e Versuchung gewesen war wie fur die stadtischen. Horatia, Lemonia, Papiria und Menenia ... ein Bezirk nach dem anderen. Die Sonne brannte, die Luft war staubtrocken. Cicero sa? auf einem Hocker, erhob sich aber jedes Mal, wenn die Wahler an ihm vorbeigingen, die gerade ihre Stimme abgegeben hatten, kramte aus seinem Gedachtnis ihre Namen hervor, bedankte sich bei ihnen und lie? ihren Familien die besten Gru?e ausrichten. Sergia, Voltina, Pupina, Romilia ... Wie zu erwarten unterlag Cicero in Verres' Heimatbezirk Romilia, hatte aber am Nachmittag schon sechzehn Bezirke gewonnen, sodass ihm zum Sieg nur noch zwei fehlten. Verres gab sich jedoch noch nicht geschlagen. Ich konnte sehen, wie er zusammen mit seinem Sohn und Timarchides nach wie vor Wahler bearbeitete, die noch nicht abgestimmt hatten. Eine schrecklich lange Stunde hatte es den Anschein, als konnte das Ergebnis noch kippen. Die Sabitini stimmten nicht fur Cicero, und auch Publilia ging verloren. Als Cicero in Scaptia die Mehrheit nur hauchdunn verfehlt hatte, war es schlie?lich der Bezirk Falerna aus dem nordlichen Kampanien, der ihm den entscheidenden Sieg brachte: Drei?ig Bezirke hatten bis jetzt abgestimmt, achtzehn fur Cicero, funf mussten noch an die Urnen. Unwichtig, er hatte es geschafft. Verres war nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich schon still und leise davongeschlichen und zahlte jetzt irgendwo seine Verluste zusammen. Caesar, dessen Sprung in den Senat gerade verkundet worden war, schuttelte Cicero als Erster die Hand. Ich sah, wie Quintus triumphierend die Fauste in die Luft reckte, wahrend Crassus wutend ins Leere starrte. Ich sah jubelnde Zuschauer, die ihre eigenen Strichlisten gefuhrt hatten und sich uber das Ergebnis augenscheinlich freuten. Sie gehorten zu jener fanatischen Spezies, die den Verlauf von Wahlen so leidenschaftlich verfolgten wie andere die Wagenrennen. Der Sieger selbst war wie betaubt von dem Erfolg, den ihm nun keiner mehr streitig machen konnte. Nicht mal Crassus, der in Kurze das Ergebnis verkunden musste, auch wenn er sich lieber die Zunge abgebissen hatte. Gegen alle Widerstande hatte es Marcus Cicero zum Adil von Rom gebracht.

*

Eine gro?e Menschenmenge - nach einem Sieg ist sie imner gro?er - begleitete Cicero den ganzen Weg vom Marsfeild bis vor seine Haustur, wo die Haussklaven Aufstellung genommen hatten und ihn mit Applaus uber die

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