kein Wort herausbrachte. »Du hattest den Aufschrei im Saal horen sollen«, sagte er flusternd zu Quintus. »Crassus muss die Ziehung manipuliert haben. Jeder glaubt das, aber keiner wei?, wie. Dieser Kerl gibt keine Ruhe, bis er mich als gebrochenen und zahlungsunfahigen Mann ins Exil gejagt hat.« Er schleppte sich ins Arbeitszimmer und lie? sich auf seinen Stuhl fallen. Es war der dritte August, ein druckend hei?er Tag. Man wusste kaum, wo man den Fu? hinsetzen sollte, uberall auf dem staubigen Boden lagen Aktenstapel aus dem Verres-Fall herum: Steuerunterlagen, eidesstattliche Erklarungen, Zeugenaussagen. (Und das war nur ein Teil des Materials: Das meiste lagerte in verschlossenen Kisten im Keller.) Die Entwurfe fur seine weitschweifige Eroffnungsrede, die immer wahnwitzigere Ausma?e annahm, bedeckte in wankenden Papyrusstapeln sein ganzes Schreibpult. Sie niederzuschreiben, hatte ich schon lange aufgegeben. Nur Cicero wusste, wie man sie noch zu einem logischen Ganzen zusammenfugen konnte, wenn uberhaupt. Er sa? da und massierte mit den Fingerspitzen seine Schlafen. Mit krachzender Stimme bat er mich um einen Schluck Wasser. Ich wollte das Zimmer gerade verlassen, als ich ein Stohnen und dann einen dumpfen Schlag horte. Ich drehte mich um und sah, wie er vornubergekippt auf seinem Stuhl sa?, er hatte sich an der Pultkante den Kopf angeschlagen. Im nachsten Augenblick waren Quintus und ich bei ihm. Seine Backen waren leichenblass, leuchtend rotes Blut tropfte von seiner Nase, der schlaffe Mund stand offen.

Quintus geriet in Panik. »Los, hol Terentia«, rief er. »Schnell!«

Ich lief nach oben zu ihrem Zimmer, klopfte und sagte, dass es Cicero nicht gut gehe. Sie kam sofort heraus, lief nach unten und ubernahm auf bewundernswerte Weise sogleich das Kommando. Inzwischen war Cicero wieder halbwegs bei Bewusstsein und sa? mit dem Kopf zwischen den Knien auf dem Stuhl. Terentia kniete sich neben ihn auf den Boden, verlangte nach Wasser, zog dann einen Facher aus dem Armel und fing an, ihm heftig Luft zuzufacheln. Quintus hatte inzwischen meine beiden Gehilfen losgeschickt, um irgendwo in der Nachbarschaft einen Arzt aufzutreiben. Kurze Zeit spater tauchten beide mit je einem griechischen Arzt im Schlepptau wieder auf. Die elenden Quacksalber bekamen sich augenblicklich uber die Frage in die Haare, was zu tun sei: Abfuhrmittel oder Aderlass? Terentia warf beide aus dem Haus -nicht ohne sie vorher scharf zu ermahnen, kein Wort uber das Gesehene verlauten zu lassen. Sie verwarf auch Quintus' Vorschlag, Cicero sofort ins Bett zu stecken. Sollte das bekannt werden, dann wurde aus der schon jetzt weitverbreiteten Annahme, ihr Mann sei am Ende, schnell eine gesicherte Tatsache. Sie fasste ihn unter, half ihm aufzustehen und fuhrte ihren unsicher einen Fu? vor den anderen setzenden Ehemann hinaus ins Atrium, wo die Luft nicht ganz so stickig war. Quintus und ich folgten ihnen. »Du bist nicht am Ende!«, horte ich sie mit fester Stimme sagen. »Du hast einen Prozess zu fuhren, rei? dich zusammen!« Cicero brummte irgendeine Antwort.

»Das ist alles gut und schon, Terentia«, platzte es aus Quintus heraus. »Aber das Neueste wei?t du ja noch gar nicht.« Und dann erzahlte er ihr von Marcus Metellus' Ernennung zum Vorsitzenden des Gerichtshofes fur Erpressungen und welche Konsequenzen das hatte. Mit Metellus als Pachter hatten sie nicht die geringste Chance auf einen Schuldspruch, was bedeutete, dass ihre einzige Hoffnung jetzt sei, die Anhorung bis Ende Dezember abzuschlie?en. Das aber sei angesichts von Hortensius' Geschick, jedes Verfahren endlos in die Lange zu ziehen, so gut wie unmoglich. Fur die Menge an Beweisen reiche einfach die Zeit nicht. Sie hatten bis zum Beginn von Pompeius' Spielen gerade mal zehn Gerichtstage, und die wurde schon fast Ciceros Eroffnungsrede beanspruchen. Er hatte also gerade mal seinen Fall skizziert, dann wurde das Gericht fur den gro?ten Teil des Monats die Verhandlung aussetzen, und danach hatten die

Geschworenen Ciceros brillante Argumente schon wieder vergessen. »Nicht dass das eine gro?e Rolle spielte«, setzte Quintus duster hinzu. »Die meisten stehen jetzt schon auf Verres' Lohnliste.«

»Er hat recht«, sagte Cicero. Als sei er in dieser Sekunde erst wieder zu sich gekommen und wurde gerade feststellen, wo er sich uberhaupt befand, schaute er sich verwirrt um. »Ich muss meine Kandidatur zuruckziehen«, murmelte er. »Eine Niederlage ware schon demutigend genug, aber zu gewinnen und dann nicht die Mittel zu haben, um seinen Amtspflichten nachzukommen, das ware noch demutigender.«

»Jammerlappen«, sagte Terentia wutend und lie? ruckartig Ciceros Arm los. »Wenn du schon beim ersten Ruckschlag klein beigibst, ohne dich auch nur zu wehren, dann hast du nicht verdient, gewahlt zu werden.«

»Meine Liebe«, sagte Cicero in flehendem Tonfall und druckte die Hand gegen die Stirn. »Wenn du mir erklarst, wie ich die Zeit besiegen soll, dann werde ich mich auf der Stelle wehren. Was soll ich tun, wenn ich nur zehn Tage habe, um meine Anklage vorzutragen, und die Verhandlung dann wochenlang unterbrochen ist?«

Terentia beugte sich so weit zu ihm vor, dass ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. »Dann streich sie zusammen, deine Rede!«, zischte sie.

*

Nachdem sich seine Frau wieder in ihre Raume zuruckgezogen hatte, ging der von seinem Nervenzusammenbruch immer noch geschwachte Cicero in sein Arbeitszimmer, setzte sich auf seinen Stuhl und starrte lange Zeit die Wand an. Wir lie?en ihn allein. Kurz vor Sonnenuntergang kam Sthenius zu Besuch und erzahlte, dass Quintus Metellus alle Zeugen aus Sizilien zu sich bestellt habe und dass ein paar von den Angstlichen dumm genug gewesen seien zu gehorchen. Einer hatte Sthenius ausfuhrlich berichtet, dass Metellus versucht habe, sie unter Druck zu setzen, damit sie ihre Aussagen zuruckzogen. »Ich bin der designierte Konsul«, hatte er gewettert. »Einer meiner Bruder ist Statthalter von Sizilien, der andere wird den Vorsitz im Gerichtshof fur Erpressungen ubernehmen. Es sind schon zahlreiche Vorkehrungen getroffen worden, die verhindern werden, dass Verres zu Schaden kommt. Wir werden nicht vergessen, wer sich gegen uns gestellt hat.« Ich notierte mir den genauen Wortlaut auf einem Tafelchen und betrat vorsichtig Ciceros Arbeitszimmer. Er sa? genau so da, wie ich ihn vor Stunden verlassen hatte. Ich las ihm vor, was Metellus gesagt hatte, doch er reagierte nicht.

Sein Zustand beunruhigte mich jetzt ernsthaft, und ich hatte wohl wieder seinen Bruder oder seine Frau geholt, ware sein Geist aus den Spharen, in denen er geschwebt hatte, nicht plotzlich wieder zu uns zuruckgekehrt. Ohne den starren Blick von der Wand zu wenden, sagte er in grimmigem Tonfall: »Geh zu Pompeius und melde mich fur heute Abend bei ihm an.« Als ich nicht sofort reagierte, weil mir der Gedanke kam, dass dies nur ein neues Symptom seiner Unpasslichkeit sei, herrschte er mich an: »Na los!«

Es war nicht weit bis zu Pompeius, sein Haus lag im gleichen Viertel am Esquilin wie das von Cicero. Die Sonne war gerade untergegangen, aber es war immer noch hell und schwulhei?, und von Osten blies eine bleiern sanfte Brise - die im Hochsommer schlimmstmogliche Kombination, weil so der Gestank der verwesenden Leichen vom offentlichen Friedhof von jenseits der Stadtmauer bis in unser Viertel drang. Ich glaube, das Problem ist heute nicht mehr so akut, aber damals war die Porta Esquilina der Ort, wo man alles ablud, was tot und keiner Beerdigung wert war - Katzen, Hunde, Pferde, Esel, Sklaven, arme Leute, Totgeburten. Alles lag durcheinander und verrottete zusammen mit dem Hausmull. Der Gestank lockte immer gro?e Schwarme kreischender Mowen an, und ich wei? noch, dass er an diesem Abend besonders stechend war, ein ranziger, alles durchdringender Geruch, den man nicht nur roch, sondern auch auf der Zunge schmeckte.

Pompeius' Haus war viel pomposer als das von Cicero. Vor der Eingangstur waren zwei Liktoren postiert, von der anderen Stra?enseite gafften ein paar Schaulustige heruber. An der Hauswand stand ein halbes Dutzend uberdachter Sanften, deren Trager auf dem Boden hockten und wurfelten -Hinweis darauf, dass eine gro?e Abendgesellschaft im Gang war. Ich ubergab meine Nachricht dem Turwachter, der im Haus verschwand und kurze Zeit spater mit Palicanus zuruckkam. Der designierte Prator wischte sich mit einer Serviette das fettige Kinn ab. Er erkannte mich, fragte, worum es ginge, und ich ubermittelte ihm Ciceros Wunsch. »Na endlich«, sagte Palicanus auf seine direkte Art. »Sag ihm, dass der Konsul ihn sofort empfangen wird.«

Cicero muss gewusst haben, dass Pompeius ihn empfangen wurde, denn als ich zuruckkam, hatte er sich schon umgezogen und war startbereit. Er war immer noch sehr blass. Er wechselte einen letzten Blick mit Quintus, dann gingen wir. Wir sprachen unterwegs kein Wort, da Cicero, der es hasste, an den Tod erinnert zu werden, die ganze Zeit den Armel auf Mund und Nase presste, um nicht den Gestank vom Campus Esquilinus riechen zu mussen. »Warte hier«, sagte er, als wir Pompeius' Haus erreichten. Es sollte einige Stunden dauern, bis ich ihn wiedersah. Das Tageslicht verblasste, das kraftvolle Purpur des Zwielichts verwandelte sich in schwarze Nacht, und die Sterne erschienen uber der Stadt. Hin und wieder ging die Tur auf, und ich horte gedampfte Stimmen und Gelachter, und der Duft von gebratenem Fleisch und Fisch stieg mir in die Nase. Allerdings hatte ich in jener widerlichen Nacht das Gefuhl, dass alles nach Tod roch. Ich wunderte mich, dass Ciceros Magen das mitmachte, denn inzwischen war klar, dass Pompeius ihn zum Essen eingeladen haben musste.

Ich vertrat mir die Beine oder lehnte einfach an der Wand, versuchte mir neue Zeichen fur mein hervorragendes Kurzschriftsystem auszudenken oder meinen Geist irgendwie anders zu beschaftigen, um mir die Wartezeit zu vertreiben. Schlie?lich machten sich die Gaste schwankend auf den Heimweg. Viele konnten kaum noch gerade stehen, so betrunken waren sie. Es handelte sich um die ubliche picenische Landsmannschaft: den

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