hundertfunfzigtausend Sesterzen gekauft hatte; die mit Juwelen behangten Aale in seinem Fischteich; die Baume, die er mit Wein besprengen lie?; er war der Erste, der seinen Gasten Pfau servieren lie? -alle Welt kannte die Geschichten. Diese Extravaganz hatte ihn in die Verbindung mit Verres getrieben, der ihn seitdem mit gestohlenen Geschenken uberschuttete - das bekannteste war eine unschatzbar wertvolle, aus einem einzigen Stuck Elfenbein geschnitzte Sphinx - und der au?erdem seinen Wahlkampf fur das Konsulat finanzierte.
Die Konsulatswahl war fur den siebenundzwanzigsten Juli festgesetzt worden. Am dreiundzwanzigsten sprachen die Geschworenen des Gerichtshofes fur Erpressungen den ehemaligen Statthalter von Achaea von allen Anklagepunkten frei. Cicero, der sich von der Arbeit an seiner Eroffnungsrede losgerissen hatte und in den Senat geeilt war, um das Urteil der Geschworenen zu horen, registrierte teilnahmslos, dass Glabrio den Beginn der Anhorungen im Fall Verres auf den funften August festsetzte. »Ich gehe davon aus, dass deine Ausruhrungen dann etwas knapper ausfallen werden«, sagte er zu Hortensius, der diese Bemerkung mit einem blasierten Grinsen quittierte. Jetzt mussten nur noch die Geschworenen ausgewahlt werden, was am folgenden Tag erledigt wurde. Das Gesetz sah vor, dass zweiunddrei?ig durch das Los zu bestimmende Senatoren als Geschworene fungierten. Jede Seite war berechtigt, sechs davon abzulehnen. Doch selbst als Cicero sein Kontingent aufgebraucht hatte, sah er sich immer noch einer beangstigenden Anzahl feindseliger Geschworener gegenuber, zu denen einmal mehr Catulus und dessen Schutzling Catilina gehorten wie auch der andere gro?e alte Mann des Senats, Servilius Vatia Isauricus, und zu allem Uberfluss Marcus Metellus. Au?er diesen verknocherten Aristokraten konnten wir auch Zyniker wie Aemilius Alba, Marcus Lucretius und Antonius Hybrida von vornherein abschreiben, da die ihre Stimme unweigerlich an den hochsten Bieter verscherbeln wurden - und Verres war nach wie vor sehr freigebig. Ich glaube, erst an jenem Tag, als ich nach der Vereidigung der Geschworenen Hortensius' Gesicht gesehen habe, ist mir die wahre Bedeutung der alten Redensart »grinsen wie ein Honigkuchenpferd« aufgegangen. Ihm wurde alles in den Scho? fallen: das Konsulat und obendrein - dessen war er sich nun auch sicher -der Freispruch fur Verres.
Die folgenden Tage waren die nervenaufreibendsten, die Cicero als Person des offentlichen Lebens je durchgemacht hatte. Am Morgen der Konsulatswahlen war er so mutlos, dass er sich kaum aufraffen konnte, zur Stimmabgabe aufs Marsfeld zu gehen. Aber naturlich musste er sich den Menschen als aktiver Burger zeigen. Schon beim ersten Trompetensto? und dem Hissen der rote Flagge uber dem Janiculum-Hugel war es keine Frage, wer die Wahl gewinnen wurde. Hortensius und Quintus Metellus wurden von Verres und seinem Gold, von den Aristokraten und von Pompeius' und Crassus' Anhangern unterstutzt. Dennoch herrschte zu solchen Anlassen immer eine Art Renntagsatmosphare. Im morgendlichen Sonnenschein stromten die Kandidaten und ihre Anhanger aus der Stadt zu den Wahlurnen, und die umtriebigen Ladenbesitzer bestuckten ihre Verkaufsstande mit Wein und Wursten, Wurfelspielen und Sonnenschirmen und was man sonst noch alles zu einem kurzweiligen Wahltag benotigte. Wie es uralter Brauch vorschrieb, stand der scheidende erste Konsul Pompeius mit einem Auguren an seiner Seite am Eingang des Zeltes fur den Wahlleiter. Als alle Kandidaten fur die Konsuln-und Pratorenamter, vielleicht zwanzig Senatoren, in ihren wei?en Togen Aufstellung genommen hatten, stieg Pompeius auf das Podium und sprach das traditionelle Gebet. Danach begann die Abstimmung, und die Wahler hatten nun nichts mehr zu tun, als schwatzend herumzustehen, bis sie an die Reihe kamen.
Das war die alte Republik in Aktion. Alle Manner stimmten im Verbund ihrer Zenturien ab, wie in fruheren Zeiten, als sie als Soldaten ihren Heerfuhrer gewahlt hatten. Jetzt, da das Ritual bedeutungslos geworden ist, kann man kaum noch vermitteln, wie bewegend dieses Schauspiel war, selbst fur einen Sklaven wie mich, der kein Wahlrecht hatte. Es verkorperte etwas Wunderbares - einen plotzlichen Impuls des menschlichen Geistes, der vor einem halben Jahrtausend in den unbeugsamen Menschen aufflackerte, die inmitten der harten Felsen und dem weichen Marschland der Sieben Hugel gelebt hatten: ein Impuls, der zum Licht der Wurde und Freiheit drangte, weg von der Dunkelheit viehischer Abhangigkeit. Und diesen Impuls haben wir verloren. Nicht dass es sich dabei um eine reine Demokratie gehandelt hatte, wie sie uns Aristoteles beschrieben hatte, ganz und gar nicht. Die Rangfolge unter den Zenturien, von denen es einhundertdreiundneunzig gab, wurde durch den Reichtum ihrer Mitglieder bestimmt. Die wohlhabendsten Schichten wahlten stets zuerst und verkundeten immer das Ergebnis: ein entscheidender Vorteil. Diese Zenturien profitierten auch davon, dass sie nur wenige Mitglieder hatten, wahrend es in den Zenturien der riesigen Elendsviertel wie zum Beispiel Subura vor Menschen wimmelte. Folglich zahlte die Stimme eines Reichen mehr als die eines Armen. Trotzdem, es war die Freiheit, wie sie seit Hunderten von Jahren praktiziert wurde, und an jenem Tag auf dem Marsfeld ware niemandem im Traum eingefallen, dass er es erleben wurde, sie zu verlieren.
Zwei Stunden vor Vormittag, es begann langsam hei? zu werden, wurde Ciceros Zenturie aufgerufen. Sie war eine von zwolf Zenturien, deren Mitglieder ausschlie?lich dem Ritterstand angehorten. Er schlenderte mit seinen Kollegen in die mit Seilen abgesperrte Zone, bearbeitete aber die Menschen jenseits der Absperrung auf die ihm eigene Art und Weise weiter - mit einem Wort hier, einer Beruhrung des Ellbogens dort. Dann bildeten sie eine Schlange und gingen im Gansemarsch an einem Tisch vorbei, wo Schreiber die Namen uberpruften und die Abstimmungstafeln aushandigten. Wenn es zu Annaherungsversuchen kam, dann in der Regel hier, weil die Parteiganger der Kandidaten an dieser Stelle ganz nah an die Wahler herankamen und ihnen Versprechungen oder Drohungen zuflustern konnten. Diesmal blieb jedoch alles ruhig. Ich sah, wie Cicero uber die schmale Holzbrucke ging und hinter der Bretterwand verschwand, um seine Stimme abzugeben. Als er auf der anderen Seite wieder auftauchte, ging er an den unter einem Baldachin wartenden Kandidaten und deren Freunden vorbei, blieb kurz stehen, um mit Palicanus zu plaudern -der Exvolkstribun mit der etwas derberen Ausdrucksweise kandidierte fur eines der Pratorenamter -, und verlie? den abgesperrten Bereich, ohne Hortensius oder Metellus eines weiteren Blickes zu wurdigen.
Wie alle Zenturien vor ihr stimmte auch Ciceros Zenturie fur die offizielle Kandidatenliste: Hortensius und Metellus als Konsuln, Marcus Metellus und Palicanus als Pratoren. Jetzt ging es nur noch darum, so lange zu wahlen, bis eine absolute Mehrheit erreicht war. Die Armeren wussten naturlich, dass ihre Stimme auf den Ausgang keinen Einfluss hatte. Aber die Wurde des Wahlprivilegs lie? sie geduldig den ganzen Tag in der Sonne ausharren, bis sie an der Reihe waren, um uber die Holzbrucke gehen und ihre Stimme abgeben zu konnen. Wir wanderten an den Schlangen entlang, wobei Cicero um Stimmen fur seine Wahl zum Adil warb. Es war beeindruckend, wie viele Menschen Cicero personlich kannte - nicht nur die Wahler selbst, er kannte auch die Namen ihrer Frauen und wie viele Kinder und welchen Beruf sie hatten: und das alles, ohne dass ich sie ihm einflustern musste. Gegen elf Uhr, als sich die Sonne gerade dem Janiculum-Hugel zuzuneigen begann, wurde die Wahl unterbrochen, und Pompeius verkundete die Sieger. Bei der Wahl zum Konsul hatte Hortensius vor Quintus Metellus gewonnen, fur das Pratorenamt hatte Marcus Metellus die meisten Stimmen erhalten. Wahrend die Sieger von ihren jubelnden Anhangern umringt wurden, konnten wir beobachten, wie zum ersten Mal an diesem Morgen der Rotschopf des Gaius Verres in der vordersten Reihe auftauchte. »Der Puppenspieler macht seine Aufwartung«, bemerkte Cicero. Die Aristokraten schuttelten ihm die Hand und klopften ihm auf die Schultern, man hatte meinen konnen, er ware gerade zum Konsul gewahlt worden. Scribonius Curio, ein ehemaliger Senator, umarmte Verres und sagte so laut, dass jeder es horen konnte: »Mit dem Ergebnis der Wahl steht wohl fest, dass dein Freispruch nur noch Formsache ist.«
Nur wenigen Kraften in der Politik kann man schwerer widerstehen als dem Gefuhl, dass etwas unvermeidlich ist. Die Menschen sind nun mal Herdentiere, wie Schafe zieht es sie immer in die sichere Nahe des Starksten, des Siegers. Wohin man auch horte, alle waren einer Meinung: Cicero war erledigt, am Ende, die Aristokraten waren wieder obenauf, kein senatorischer Geschworener wurde Gaius Verres je verurteilen. Aemilius Alba, der sich fur einen geistreichen Kopf hielt, erzahlte jedem, dem er uber den Weg lief, dass er ganz verzweifelt sei: Der Kurs fur Verres-Geschworene sei so tief gesunken, dass er fur seine Stimme hochstens noch dreitausend Sesterzen rausholen konne. Die Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die bevorstehenden Wahlen zum Adilat, und es dauerte nicht lange, bis Cicero merkte, dass Verres hinter den Kulissen auch da mitmischte. Ranunculus, ein berufsma?iger Wahlkampfleiter, der Cicero wohlgesinnt war und spater von ihm angeheuert wurde, berichtete diesem, dass Verres alle wichtigen Stimmenkaufer zu einem nachtlichen Treffen in sein Haus eingeladen und fur jeden, der seinen Wahlbezirk dazu bringe, Cicero nicht zu wahlen, funftausend Sesterzen ausgelobt hatte. Ich sah Cicero und seinem Bruder an, dass sie beunruhigt waren. Aber es kam noch schlimmer. Kurz darauf, am Vortag der Wahlen, trat der Senat unter Vorsitz von Crassus zusammen, um per Losentscheid zu bestimmen, welchen Gerichtshof jeder der designierten Pratoren nach seinem Amtsantritt im Januar ubernehmen wurde. Bei seiner Ruckkehr aus der Kammer - ich hatte ihn nicht begleitet - sah Cicero blass und mude aus.
Das Unglaubliche war geschehen: Marcus Metellus, den das Los schon zum Geschworenen im Verres- Prozess bestimmt: hatte, war auch noch der Vorsitz des Gerichtshofes fur Erpressungen zugelost worden.
Selbst in seinen schlimmsten Traumen hatte Cicero damit nicht gerechnet. Er war so schockiert, dass er fast