Schwelle gleiteten. Selbst Diodotus, der blinde Philosoph, gab ein eltenes Gastspiel. Wir waren stolz darauf, einer solch bedeutenden Person zu gehoren; sein Ruhm strahlte auf jedes Mitglied seines Haushalts ab; unser Wert und unsere Selbstachtung wuchsen mit seiner Stellung. Mit einem kreischenden »Papa!« schoss Tullia aus dem Atrium auf ihn zu und schlang ihre Arme um seine Beine; sogar Terentia ging ihm lachelnd entgegen und umarmte ihn. Das Bild der drei wird mir fur immer im Gedachtnis bleiben - der brillante junge Redner, mit der Linken den Kopf seiner Tochter streichelnd, mit der Rechten die Schulter seiner glucklichen Frau umfassend. Wenigstens dieses Geschenk halt die Natur fur diejenigen bereit, die nur selten lacheln: Wenn sie es doch einmal tun, dann verandert sich ihr Gesichtsausdruck vollig. Trotz allen Klagen, die Terentia uber ihren Mann fuhrte, genoss sie in diesem Augenblick seinen Erfolg und sonnte sich in seinem Glanz.

Zogernd loste sich Cicero aus ihrer Umarmung. »Ich danke euch allen«, verkundete er und blickte reihum in die Gesichter, die ihn voller Bewunderung anschauten. »Aber noch ist die Zeit zum Feiern nicht gekommen. Dazu haben wir erst Grund, wenn Verres besiegt ist. Nach langem Warten werde ich morgen auf dem Forum die Anklage erheben. Mogen die Gotter uns beistehen, damit dieses Haus sich schon bald an frischem und noch gro?erem Lorbeer erfreuen kann. Worauf wartet ihr noch?« Er lachelte und klatschte in die Hande. »An die Arbeit!«

Cicero machte sich mit Quintus auf den Weg ins Arbeitszimmer und bedeutete mir mit dem Zeigefinger, auch mitzukommen. Mit einem Sto?seufzer der Erleichterung lie? er sich auf seinen Stuhl fallen und schleuderte die Schuhe in die Ecke. Zum ersten Mal seit einer Woche schien etwas von der Anspannung von ihm abzufallen. Ich nahm an, dass er sich nun sofort der dringlichen Aufgabe widmen wollte, seiner Rede den letzten Schliff zu geben. Doch er hatte eine andere Aufgabe fur mich. Ich sollte mit Sositheus und Laurea zuruck in die Stadt gehen. Wir sollten uns aufteilen und allen unseren sizilischen Zeugen von seiner Wahl berichten, kontrollieren, ob auch jeder bei seiner Aussage blieb, und fur morgen fruh alle ins Gericht bestellen.

»Alle?«, fragte ich verwundert. »Alle hundert?«

»Genau«, antwortete er. Seine Stimme hatte wieder die alte Entschlossenheit. »Und sag Eros, er soll ein Dutzend Trager anheuern, zuverlassige Manner, die samtliche Kisten mit unseren Beweismitteln zum Gericht tragen - und zwar morgen fruh, zur gleichen Zeit, wenn auch ich gehe.«

»Alle Zeugen ... ein Dutzend Trager ... samtliche Kisten ...« Ich notierte mir alles. »Dafur brauche ich mindestens bis Mitternacht.« Ich war au?erstande, meine Verwirrung zu verbergen.

»Armer Tiro, mach dir keine Sorgen. Schlafen konnen wir, wenn wir tot sind.«

»Ich mache mir keine Sorgen um meinen Schlaf, Senator«, sagte ich steif. »Ich frage mich nur, wann ich dann noch die Zeit finde, Euch bei Eurer Rede zu helfen.«

»Das wird nicht mehr notig sein«, sagte er mit einem feinen Lacheln und legte einen Finger auf die Lippen, um mir zu sagen, dass das niemand wissen durfe. Da ich nicht die geringste Ahnung hatte, was er uberhaupt meinte, war die Gefahr eines Geheimnisverrats allerdings kaum gegeben. Nicht zum ersten Mal verlie? ich ihn einigerma?en verwirrt.

KAPITEL IX

Und so geschah es, dass am funften Tag im August, wahrend des Konsulats des Gnaeus Pompeius Magnus und des Marcus Licinius Crassus, ein Jahr und neun Monate nach Sthenius' erstem Besuch bei Cicero, der Prozess gegen Gaius Verres begann.

Das sommerlich hei?e Rom wimmelte wegen der Volkszahlung, der Wahlen und der bevorstehenden Spiele des Pompeius ohnehin bereits von Menschen. Dazu kamen noch die vielen Opfer von Verres, die angereist waren, um zu erleben, wie ihr Peiniger vor seine Richter tritt. Und wenn man sich dann vorstellt, dass sich an diesem Tag die beiden gro?ten Redner ihrer Zeit ein Duell Mann gegen Mann liefern wurden (»Wahrhaftig ein Zweikampf von allererster Gute«, wie Cicero spater anmerkte), dann kann man vielleicht erahnen, welche Atmosphare an jenem Morgen im Gerichtshof fur Erpressungen geherrscht hatte. Um sich einen guten Platz zu sichern, hatten Hunderte Zuschauer schon auf dem Forum ubernachtet. Als die Sonne aufging, gab es bereits keinen Stehplatz im Schatten mehr, und eine Stunde spater gab es uberhaupt keinen Stehplatz mehr. In der Saulenhalle und auf den Stufen des Castor-Tempels, auf dem Forum selbst und ringsum in den Saulengangen, auf den Dachern und Balkonen der Hauser und an den Flanken der Hugel drangten sich die Burger Roms - jede freie Lucke, in die man sich noch quetschen, jedes freie Platzchen, auf das man sich noch setzen konnte, war besetzt.

Wie zwei Hirtenhunde hechelten Frugi und ich herum und trieben unsere Zeugen vor Gericht. Und was fur ein exotisches, farbenprachtiges Bild sie abgaben, in heiligen Roben und traditionellen Gewandern ihrer Heimat, Opfer aus allen Phasen von Verres' Laufbahn, nach Rom gelockt von der Hoffnung auf Vergeltung - Priester der Juno und Ceres, die Mystagogen der syrakusischen Minerva und der heiligen Jungfrauen der Diana; griechische Edelleute, deren Abstammung auf Cecrops oder Eurysthenes oder die gro?en ionischen and minoischen Hauser zuruckging; Phonizier, deren Vorfahren Priester des Melkart von Tyros gewesen waren oder die behaupteten, mit dem Messias aus Sidon verwandt zu sein; Scharen ungeduldiger, verarmter Erben in Begleitung ihrer Vormunder; bankrotte Bauern, Getreidehandler und Bootsbesitzer; wehklagende Vater, deren Kinder man in die Sklaverei verschleppt hatte; trauernde Kinder, deren Eltern in den Verliesen des Statthalters den Tod fanden; Abordnungen vom Fu? des Taurusgebirges, von den Ufern des Schwarzen Meeres, aus vielen Stadten des griechischen Festlandes, von den Inseln der Agais und naturlich aus jeder Stadt und jedem Marktflecken Siziliens.

Ich war so damit beschaftigt, dafur zu sorgen, dass jeder Zeuge eingelassen und jede einzelne Kiste mit Beweismaterial an seinen Platz gelangte und gut bewacht wurde, dass ich erst nach und nach registrierte, welches Schauspiel Cicero hier inszenierte. Besagte Kisten, zum Beispiel, enthielten die in praktisch allen sizilischen Stadten von den Gemeindealtesten zusammengetragenen Aussagen. Erst als die Geschworenen sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnten und auf ihren Banken Platz nahmen, wurde mir klar, warum Cicero - begnadeter Selbstdarsteller, der er war -darauf bestanden hatte, alles auf einmal an Ort und Stelle zu schaffen. Das Gericht war uberwaltigt. Selbst den beinharten Alten wie Catulus und Isauricus war die Uberraschung anzusehen. Glabrio, der im Schlepptau seiner Liktoren aus dem Tempel kam, blieb auf der obersten Stufe der Treppe abrupt stehen und wich schwankend sogar einen halben Schritt zuruck, als er auf die Wand aus Gesichtern blickte.

Cicero, der sich bis zum letzten Augenblick am Rand des Forums aufgehalten hatte, drangte sich nun durch die Menge und stieg die Stufen zu der Bank fur die Anklagevertretung hinauf. Plotzlich herrschte Ruhe, ein stummes erwartungsvolles Zittern lag in der reglosen Luft. Ohne auf die ermunternden Zurufe seiner Anhanger zu reagieren, drehte er sich um, hielt gegen die Sonne die Hand uber die Augen, lie? den Blick langsam uber die Menge schweifen und blinzelte rechts und links nach oben in den Himmel - so stelle ich mir einen General vor, der vor der Schlacht die allgemeine Lage und den Stand der Wolken uberpruft. Dann setzte er sich, und ich postierte mich in seinem Rucken, sodass ich ihm auf Verlangen jedes gewunschte Dokument reichen konnte. Die Gerichtsdiener stellten Glabrios kurulischen Stuhl auf - das war das Zeichen, dass die Sitzung eroffnet war. Alles war bereit, nur Verres und Hortensius fehlten noch. Cicero war so gelassen, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Er lehnte sich zuruck und flusterte mir zu: »Der hat das hier gesehen und ist gleich wieder abgehauen, was meinst du?« Naturlich kam Verres dann doch noch - Glabrio schickte einen seiner Liktoren, um ihn zu holen. Aber Hortensius gab uns damit bereits einen Vorgeschmack auf seine Taktik, die da lautete, so viel Zeit wie moglich zu verschwenden. Schlie?lich, vielleicht eine Stunde zu spat, zwangte sich die makellos gekleidete Gestalt des designierten Konsuls unter ironischem Beifall durch die Zuschauermenge. Ihm folgten sein junger Anwaltskollege Scipio Nasica, Catos Nebenbuhler, dann Quintus Metellus und schlie?lich Verres selbst, dessen Gesicht wegen der Hitze roter als sonst aussah. Fur jeden Mann mit einem letzten Rest an Anstand ware der Anblick des gegen ihn aufmarschierten Opfer- und Klagerheers ein Albtraum aus der Holle gewesen. Das Monster Verres beugte jedoch lediglich freundlich den Kopf, als begru?e er gute alte Bekannte.

Glabrio rief die Anwesenden zur Ordnung. Bevor Cicero mit seiner Rede beginnen konnte, stand Hortensius auf und kam ihm mit einer Stellungnahme zur Verfahrensordnung zuvor: Nach Cornelischem Recht, erklarte er, sei es einem Klagevertreter erlaubt, bis zu achtundvierzig Zeugen zu benennen. Der Anklager in diesem Prozess aber habe, zum ausschlie?lichen Zweck der Einschuchterung, mehr als doppelt so viele mitgebracht. Und dann hob er zu einer einstudierten und geschliffenen Rede uber die Wurzeln des Gerichtshofes fur Erpressungen an, die eine gefuhlte Stunde lang andauerte, bis Glabrio ihm schlie?lich das Wort entzog und erklarte, das Gesetz beschranke nicht die Zahl der vor Gericht anwesenden Zeugen, es lege lediglich eine Hochstzahl fest, wie viele in den

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