Zeugenstand gerufen werden durfen. Dann erteilte er wieder Cicero das Wort, doch Hortensius intervenierte mit einem weiteren Kommentar zur Verfahrensordnung. Das Publikum reagierte mit hohnischen Zwischenrufen, doch Hortensius lie? sich nicht beirren und wartete jedes Mal, wenn Cicero endlich mit seiner Rede beginnen wollte, mit einer neuen Verfahrensfrage auf. Und so gingen die ersten Stunden an argerliche juristische Spiegelfechtereien verloren.

Es war schon weit nach Mittag, als Cicero zum neunten oder zehnten Mal uberdrussig aufstand und Hortensius endlich sitzen blieb. Cicero schaute ihn an, wartete und breitete dann in gespielter Verbluffung die Arme aus. Gelachter brandete im Forum auf. Hortensius reagierte mit einer gonnerhaften Handbewegung in Richtung Cicero, als wolle er sagen: »Bitte, bitte, keine Ursache!« Cicero verbeugte sich hoflich, trat vor und rausperte sich.

Der Zeitpunkt, um eine derart gewaltige Aufgabe in Angriff zu nehmen, hatte kaum ungunstiger sein konnen. Die Hitze war unertraglich, die Zuschauer waren inzwischen gelangweilt und unruhig, Hortensius blickte ihn mit affektiertem Grinsen an, und es blieben hochstens noch zwei Stunden, bevor das Gericht die Sitzung fur heute schloss. Und doch sollten diese Minuten zu den entscheidendsten in der Geschichte der romischen Justiz gehoren - ja, es sollte mich nicht wundern, wenn sie sich als ma?geblich erwiesen fur die Geschichte der Justiz ganz allgemein.

»Ehrenwerte Richter«, sagte Cicero, worauf ich mich uber meine Wachstafel beugte und seine Worte in Kurzschrift festhielt. Ich wartete darauf, dass er weitersprach. Bei seinen gro?en Reden war es fast noch nie vorgekommen, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, was er sagen wurde. Ich wartete auf seine nachsten Worte, spurte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, schaute schlie?lich nervos auf und sah, wie er sich von mir entfernte. Ich glaubte, er wurde sich vor Verres aufbauen und ihn direkt ansprechen wollen, aber stattdessen ging er an ihm vorbei und blieb vor den Senatoren auf der Geschworenenbank stehen.

»Ehrwurdige Richter«, wiederholte er und schaute ihnen offen ins Gesicht. »In dieser schweren politischen Krise eroffnet sich euch die Gelegenheit -nicht durch menschliches Planen, sondern fast als gottliche Fugung -, genau das zu tun, was ihr jetzt am notigsten habt; etwas, das euch mehr als alles andere dabei helfen wird, die Unbeliebtheit eures Standes und das Misstrauen gegenuber euren Gerichten zu mildern. Es hat sich namlich eine Uberzeugung eingenistet, die so schadlich fur die Republik wie fur euch selbst ist: Eure Gerichte, Senatoren, mit euch auf den Geschworenenbanken, werden niemals einen Mann verurteilen, und sei seine Schuld noch so offensichtlich, wenn er nur eins im Uberfluss hat - Geld.«

Das letzte Wort betonte er auf eine wundervoll verachtliche Weise. »Ein wahres Wort!«, rief jemand aus der Zuschauermenge.

»Die Eigenschaften des von mir angeklagten Mannes«, fuhr Cicero fort, »erfullen alle Voraussetzungen, dass ihr durch ihn euren eigenen guten Namen wiederherstellen konnt. Gaius Verres hat die Staatskasse geplundert und in seiner Provinz Sizilien gewutet wie ein Seerauber und eine morderische Pest. Ihr braucht diesen Mann nur schuldig zu sprechen, und mit vollem Recht werdet ihr euer Ansehen wieder zuruckgewinnen. Solltet ihr das nicht tun, sollte sein ungeheurer Reichtum eure Ehre zerstoren, dann werde ich zumindest eines erreicht haben. Die Nation wird zwar nicht glauben, dass Verres im Recht war und ich im Unrecht, aber sie wird dann ein fur alle Mal wissen, was sie von einer mit romischen Senatoren besetzten Geschworenenbank zu halten hat.«

Das war kein schlechter Hieb fur den Anfang. Wie eine Windbo, die rauschend in einen Wald fuhr, erhob sich zustimmendes Gemurmel in der Zuschauermenge. Auf eine merkwurdige Weise hatte sich der Brennpunkt des Prozesses schlagartig um zwanzig Schritte nach links verlagert. Plotzlich hatte es den Anschein, als waren die in der prallen Sonne schwitzenden, auf ihren Holzbanken nervos umherblickenden Senatoren die Angeklagten und die Masse der aus jedem Winkel des Mittelmeerraumes herbeigerufenen Zeugen die Geschworenen. Nie zuvor hatte Cicero sein Wort an eine so gro?e Menschenmenge gerichtet. Molons Ubungen am Strand kamen ihm nun, da er sich an das Forum wandte, zustatten. Seine Stimme war klar und deutlich.

»Hort euch an, welch unverschamter und wahnsinniger Plan in Verres' Kopf herumspukt. Uber eines ist er sich vollkommen im Klaren: Ich werde so gut vorbereitet in diesen Prozess gehen, dass er, Verres, nicht nur vor diesem Gericht, sondern auch vor den Augen aller Welt als Rauber und Verbrecher entlarvt sein wird. Und trotzdem ist seine Meinung uber die Aristokratie so gering, halt er die Senatorengerichte fur so durch und durch verdorben und korrupt, dass er offen damit prahlt, nicht nur den sichersten Termin fur seinen Prozess, sondern auch die Geschworenen selbst gekauft zu haben. Und um ganz sicherzugehen, hat er auch noch die Konsulatswahlen fur seine beiden angesehenen Freunde gekauft, die zuvor versucht hatten, meine Zeugen einzuschuchtern.«

Das wollten die Leute horen, deshalb waren sie gekommen. Aus gemurmelter Zustimmung wurde sturmische Begeisterung. Metellus und Hortensius sprangen auf - ja, sogar Hortensius, dem sonst eine spottische Bemerkung aus der Arena hochstens die Muhsal einer gelupften Augenbraue wert war. Wutend gestikulierten sie in Richtung Cicero.

»Was ist?«, sagte er und wandte sich den beiden zu. »Habt ihr etwa erwartet, dass ich mich zu einer derart ernsten Angelegenheit nicht au?ern wurde, dass ich mich, wenn das Land und mein eigener guter Ruf sich in so gro?er Gefahr befinden, von etwas anderem wurde leiten lassen als von meiner Pflicht und meiner Ehre? Ich muss mich uber dich wundern, Metellus. Du hast versucht Zeugen einzuschuchtern, und zwar die ohnehin schon verangstigten und vom Elend verfolgten Sizilier. Du hast an ihre Ehrfurcht vor dir als designiertem Konsul appelliert und an die Macht deiner beiden Bruder - wenn das keine Manipulation eines Prozesses ist, was dann! Was wurdest du erst alles fur einen unschuldigen Blutsverwandten tun, wenn du schon alles Pflicht- und Ehrgefuhl fahren lasst fur einen Lumpen, der nicht mit dir verwandt ist? Wei?t du eigentlich, dass Verres uberall herumerzahlt, dass du nur wegen seiner Bemuhungen Konsul geworden bist und dass ihm ab Januar beide Konsuln und der Vorsitzende dieses Gerichtshofes zu Diensten sein werden?«

An dieser Stelle musste ich meine Aufzeichnungen unterbrechen, weil der Larm so laut geworden war, dass ich kein Wort mehr verstand. Metellus und Hortensius hielten die Hande wie Trichter vor ihre Munder und brullten auf Cicero ein. Verres gestikulierte wutend, um Glabrio dazu zu bewegen, endlich einzuschreiten. Die Senatoren auf der Geschworenenbank sa?en wie erstarrt da - die meisten, da bin ich mir sicher, wunschten sich, sonst wo zu sein, nur nicht hier. Einzelne Zuschauer mussten von den Liktoren daran gehindert werden, das Podium des Gerichts zu sturmen. Schlie?lich gelang es Glabrio, die Ordnung wiederherzustellen, und Cicero setzte seine Rede in deutlich gelassenerem Tonfall fort.

»Folgenden Plan haben sie sich zurechtgelegt. Heute sind wir erst spat am Nachmittag in die Verhandlung eingetreten - den Tag konnen sie also schon als erledigt abschreiben. Bis zu den Spielen von Pompeius Magnus bleiben noch zehn Tage. Diese dauern funfzehn Tage, sofort darauf folgen die Romischen Spiele. Sie rechnen also mit einer Unterbrechung von fast vierzig Tagen, bevor sie auf meine Rede werden antworten mussen. Mithilfe langer Reden und verfahrenstechnischer Manover hoffen sie dann, in der Lage zu sein, die Verhandlung bis zum Beginn der Spiele der Victoria zu verschleppen. Direkt im Anschluss folgen die Plebejischen Spiele, nach denen entweder nur noch sehr wenige oder gar keine Sitzungstage mehr bleiben. Auf diese Weise, so ihr Kalkul, wird die Anklage um ihre Kraft und Wirkung gebracht, und die Sache kommt praktisch als neuer Fall zur Verhandlung, wenn Marcus Metellus, der jetzt noch zu den Geschworenen gehort, diesem Gericht Vorsitzen wird.

Was also soll ich tun? Wenn ich die Zeit in Anspruch nehme, die mir fur meine Anklagerede nach dem Gesetz zusteht, dann laufe ich hochste Gefahr, dass mir der Angeklagte entwischt. >Streich deine Rede zusammen!<, lautete der naheliegende Rat, den man mir erst vor wenigen Tagen gegeben hat. Ein guter Rat. Ich habe daruber nachgedacht, und dabei ist mir etwas noch Besseres eingefallen. Meine Herren, ich werde auf die Anklagerede ganz verzichten!«

Verblufft hob ich den Kopf. Cicero schaute Hortensius an, und sein Rivale erwiderte den Blick mit herrlich versteinertem Gesichtsausdruck. Er sah aus wie ein Mann, der gerade noch frohlich und unbeschwert durch den Wald spaziert ist, dann plotzlich das Knacken eines Zweiges hort und starr vor Angst stehen bleibt.

»Du hast richtig gehort, Hortensius«, sagte Cicero. »Ich spiele dein Spiel nicht mit. Ich werde die nachsten zehn Tage nicht mit der ublichen langen Anklagerede vergeuden und zulassen, dass sich der Fall bis in den Januar hineinzieht und du und Metellus als Konsuln eure Liktoren losschicken konnt, um sich meine Zeugen zu holen und ihnen so viel Angst einzujagen, dass sie den Mund nicht mehr aufmachen. Ich werde euch, ehrenwerte Pachter, nicht den Luxus von vierzig Ruhetagen gonnen, in denen ihr all meine Anklagepunkte wieder vergessen und euch dann samt eures Gewissens im Labyrinth von Hortensius' Rhetorik verlieren konnt. Ich werde es nicht zulassen, dass der Fall erst dann entschieden wird, wenn die Menschenmassen, die wegen der Volkszahlung und der Spiele nach Rom gekommen sind, sich wieder in ihre Heimatorte in alle Winkel Italiens verabschiedet haben. Ich werde meine Zeugen jetzt sofort aufrufen und dabei folgenderma?en vorgehen: Ich verlese den jeweiligen Anklagepunkt,

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