losbrechenden Hollenlarms im Gericht horte ich Ciceros Stimme, der Glabrio aufforderte, seine Liktoren zu Verres' Haus zu schicken und den beruhmten Piraten »im Interesse der offentlichen Sicherheit« sofort festnehmen zu lassen. Nachdem das in die Wege geleitet worden war, rief Cicero seinen zweiten Zeugen des Tages auf, Gaius Numitorius. Ich personlich hielt das damals fur etwas voreilig: Meiner Meinung nach hatte sich aus dem Gestandnis uber Heracleo noch mehr herausholen lassen. Aber der gro?e Rechtsgelehrte hatte gespurt, dass der Augenblick fur den Todessto? gekommen war. Seit Monaten schon, seit wir auf Sizilien gelandet waren, hatte er gewusst, welche Waffe er dafur verwenden wurde. Numitorius schwor, dass er die Wahrheit sagen wurde, trat in den Zeugenstand und wurde von Cicero ziemlich schnell durch seine Aussage geleitet, die uns mit den wesentlichen Fakten uber Publius Gavius vertraut machte: dass der Kaufmann per Schiff von Spanien nach Sizilien gereist war; dass man das Schiff beschlagnahmt und samtliche Menschen an Bord in die Steinbruche geworfen hatte, von wo Publius Gavius irgendwie hatte fliehen konnen; dass er sich nach Messana durchgeschlagen hatte, um von dort mit einem Schiff aufs Festland zu gelangen, beim Betreten des Schiffes aber festgenommen und Verres bei dessen nachstem Besuch in der Stadt ubergeben worden war. Atemlose Stille lag uber dem Forum.
»Schildert dem Gericht, was dann passiert ist.«
»Verres lie? auf dem Forum von Messana ein Tribunal zusammentreten«, sagte Numitorius. »Gavius wurde vor das Gericht gezerrt, und Verres verkundete, dass er ein Spion sei, fur den es nur eine einzige gerechte Strafe gebe. Er befahl, ein Kreuz aufzurichten mit Blick uber die Meeresenge nach Regium. Der Gefangene sollte im Moment des Todes auf Italien blicken. Dann lie? er ihm die Kleider vom Leib rei?en, vor aller Augen auspeitschen, mit hei?en Eisen foltern und schlie?lich ans Kreuz schlagen.«
»Hat Gavius etwas gesagt?«
»Nur am Anfang. Er schwor, dass er zu Unrecht beschuldigt werde. Er sei kein auslandischer Spion, sondern Burger Roms. Er sei Stadtrat von Consa und habe fruher unter dem Kommando von Lucius Raecius in der romischen Reitertruppe gedient.«
»Was hat Verres dazu gesagt?«
»Er hat ihn als Lugner beschimpft und befohlen, mit der Exekution zu beginnen.«
»Kannst du uns schildern, wie Gavius seinem schrecklichen Tod gegenubergetreten ist?«
»Au?erst tapfer, Senator.«
»Wie ein Romer?«
»Ja, wie ein Romer.«
»Hat er noch irgendetwas gesagt?« (Ich wusste, worauf Cicero hinauswollte.)
»Nur wahrend er ausgepeitscht wurde, als er sehen konnte, wie schon die Eisen erhitzt wurden.« »Was hat er gesagt?«
»Bei jedem Schlag hat er gerufen: >Ich bin ein Burger Roms.<«
»Wurdest du das wiederholen, etwas lauter, bitte, damit jeder dich horen kann.« »Er hat gerufen: >Ich bin ein Burger Roms.<« »Das war alles?«, fragte Cicero. »Damit ich dich auch richtig verstehe ... Ein Peitschenhieb trifft also auf seinen Korper ...« Cicero legte die Handgelenke aneinander, streckte sie hoch uber seinen Kopf und stie? seine Korpermitte ruckartig nach vorn, so als ob ihn ein Hieb mit der Peitsche auf dem Rucken getroffen hatte. »Und dann sagt er mit zusammengebissenen Zahnen: >Ich bin ein Burger Roms.< Der nachste Hieb .. .« Wieder stie? sein Korper nach vorn. »>Ich bin ein Burger Roms.< Der nachste Hieb. >Ich bin ein Burger Roms ... <«
Meine durren Worte konnen nicht annahernd wiedergeben, wie Ciceros Vorstellung auf diejenigen wirkte, die sie mit eigenen Augen sahen. Die Stille im Gericht und unter den Zuschauern verstarkte die Wirkung seiner Worte. Es war, als wurden wir alle zu Zeugen dieses monstrosen Justizverbrechens. Einige Manner und Frauen, ich glaube, es waren Freunde von Gavius, fingen an zu schreien, und aus allen Winkeln des Forums waren wutentbrannte Zwischenrufe zu horen. Wieder befreite sich Verres aus Hortensius' Griff und sprang auf. »Er war ein mieser Spion!«, brullte er. »Das hat er nur gerufen, weil er seiner gerechten Strafe entgehen wollte!«
»Aber er hat es gerufen!«, rief Cicero triumphierend, wandte sich um und deutete mit dem Finger auf Verres. »Du gibst also zu, dass er es gerufen hat! Deine eigenen Worte klagen dich an: Der Mann behauptet, ein Burger Roms zu sein, und du hast keinen Finger geruhrt! Er beruft sich auf sein Burgerrecht, und trotzdem zogerst du keine Sekunde oder verschiebst auch nur fur kurze Zeit die Vollstreckung der grausamen und abscheulichen Todesstrafe. Wenn man dich, Verres, in Persien oder im hintersten Winkel Indiens auf den Hinrichtungsplatz zerrte, was wurdest du denn rufen, au?er dass du ein Burger Roms seist? Und Gavius, den du gar nicht schnell genug zum Tode befordern konntest? Hat ihm die Berufung auf sein Burgerrecht auch nur eine Stunde oder einen Tag Aufschub beschert, damit man die Wahrheit seiner Behauptung uberprufe? Nein, nicht mit dir auf der Richterbank. Noch der armste Mann von niederster Abstammung, egal, in welch ruckstandigem Land er sich auch aufhielt, hatte bis zum heutigen Tag immer die Gewissheit, dass ihm der Satz >Ich bin ein Burger Roms« als letzte Verteidigung, als letzte Zuflucht dienen wurde. Es war nicht Gavius, nicht irgendein unbedeutender Mann, den du an dieses Kreuz der Qualen genagelt hast: Es war das allgemeingultige Prinzip, dass ein Romer ein freier Mensch ist.«
Der donnernde Beifallssturm, der nach den letzten Worten von Ciceros flammender Rede aufbrandete, war furchterregend. Und er ebbte nach wenigen Augenblicken nicht etwa ab, sondern er schaukelte sich immer weiter auf, wurde immer lauter und schriller. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, dass die Menschenmenge an den Randern des Forums in Bewegung geriet, dass sie sich auf uns zubewegte. Ich horte ein krachendes Gerausch und sah, wie die Baldachine, unter denen viele Zuschauer Schutz vor der Sonne gesucht hatten, zusammenbrachen. Ein Mann fiel von einem Balkon und verschwand zwischen den Menschen, die darunter standen. Schreie waren zu horen. Ein wutender Mob sturmte die Stufen zum Podium des Gerichts hinauf. Hortensius und Verres sprangen in ihrer Panik so schnell auf, dass ihre Bank nach hinten umkippte. Ich horte Glabrios kreischende Stimme. Er erklarte die Sitzung fur geschlossen und eilte dann zusammen mit seinen Liktoren die restlichen Stufen zum Tempel hinauf. Dicht dahinter gaben der im Laufschritt folgende Angeklagte und sein vornehmer Anwalt ein wenig wurdevolles Bild ab. Auch einige der Geschworenen suchten Schutz in den Mauern des heiligen Gebaudes. Nicht so Catulus: Ich erinnere mich noch genau an seine wie ein scharfkantiger Felsen aufragende Gestalt. Mit starrem Blick schaute er geradeaus, wahrend sich der Menschenstrom vor ihm teilte und um ihn herumschwappte. Die schweren Bronzeturen des Tempels wurden verriegelt. Cicero unternahm einen Versuch, die Ordnung wiederherzustellen. Er stieg auf seinen Stuhl und gestikulierte beruhigend mit den Armen, wurde aber von vier oder funf ziemlich verwegen aussehenden Burschen an den Beinen gepackt und hochgehoben. Ich furchtete um meine wie um seine Sicherheit, doch er breitete nur die Arme aus, als wollte er die ganze Welt umarmen. Die Burschen drehten sich mit Cicero auf den Schultern um und prasentierten ihn der Menge. Der Jubelsturm blies uns ins Gesicht, als hatte man die Tur eines Ofens geoffnet. »Ci-ce-ro! Cice-ro! Ci-ce-ro!« Die Sprechchore erfullten den Himmel uber Rom.
*
Das war das Ende von Gaius Verres. Wir erfuhren nie, was genau sich im Innern des Tempels abgespielte, nachdem Glabrio die Sitzung unterbrochen hatte. Cicero glaubte, dass Hortensius und Metellus ihrem Klienten klarmachten, dass eine Fortsetzung der Verteidigung sinnlos sei. Ihr eigenes Ansehen, ihre eigene Autoritat hatten schwer gelitten: Sie mussten Verres loswerden, bevor er dem Ruf des Senats noch weiteren Schaden zufugen konnte. Es spielte keine Rolle mehr, mit welch irrwitzigen Summen er die Geschworenen bestochen hatte -keiner von ihnen wurde es nach den gerade erlebten Szenen noch wagen, fur einen Freispruch zu stimmen. Wie auch immer. Nachdem sich der Mob zerstreut hatte, stahl sich Verres aus dem Tempel und floh - manche sagen, als Frau verkleidet - bei Einbruch der Nacht aus der Stadt. Sein Ziel war Massilia im Suden Galliens, ein traditioneller Fluchtpunkt fur die Exilanten aus Rom. Dort tauschten sie dann zu gegrillter Seebarbe ihre weinerlichen Geschichten aus und konnten sich vormachen, sie sa?en in der Bucht von Neapel.
Jetzt blieb nur noch zu klaren, wie hoch die Geldstrafe sein sollte, die man von Verres zu fordern gedachte. Als Cicero an diesem Tag nach Hause zuruckkehrte, berief er eine Besprechung ein, um uber die angemessene Summe zu diskutieren. Den genauen Wert dessen, was sich Verres wahrend seiner Sizilien-Jahre ergaunert hat, wird man nie erfahren. Mir waren Schatzungen zu Ohren gekommen, die von vierzig Millionen Sesterzen sprachen. Lucius favorisierte wie immer den radikalsten Kurs: die Beschlagnahme von Verres' gesamtem Vermogen. Quintus hielt eine Summe von zehn Millionen fur angebracht. Cicero war merkwurdig still fur einen Mann, der gerade einen derart fulminanten Sieg errungen hatte. Er sa? ubellaunig vor seinem Schreibpult und spielte mit einem metallenen Griffel herum. Am fruhen Nachmittag erhielten wir einen Brief von Hortensius, in dem er uns Verres' Angebot ubermittelte, als Schadenersatz eine Million
Sesterzen an das Gericht zu zahlen. Vor allem Lucius war emport - »eine Beleidigung«, lautete sein einziger Kommentar. Cicero schickte den Boten auf der Stelle zuruck: Er solle es nicht wagen, noch einmal mit so einem