Ende September feierte Pompeius seinen Geburtstag, und zum dritten Mal hintereinander erhielt Cicero die Einladung, an einer Abendgesellschaft zu dessen Ehren teilzunehmen. Seufzend offnete Cicero die Botschaft, denn er wusste inzwischen, dass es nur wenige Segnungen im Leben gibt, die lastiger sind als die Freundschaft eines gro?en Mannes. Anfangs hatte er sich geschmeichelt gefuhlt, in Pompeius' inneren Kreis aufgenommen zu werden. Doch schon bald waren ihm die immer gleichen militarischen Anekdoten auf die Nerven gegangen, zu deren Illustrierung bei Tisch gewohnlich Bildtafeln und bemalte Karaffen herumgereicht wurden. Sie handelten davon, wie der junge General bei Auximum drei Armeen des Marius uberlistet, im Alter von vierundzwanzig Jahren an einem einzigen Nachmittag siebzehntausend Numidier getotet oder bei Valencia die spanischen Rebellen endgultig besiegt hatte. Seit seinem siebzehnten Lebensjahr gab Pompeius Befehle, und vielleicht war das der Grund dafur, dass sich bei ihm nichts hatte ausbilden konnen, was Ciceros geschliffenem Intellekt vergleichbar war. Spontaner Witz, Klatschgeschichten, scharfe Beobachtungen, die sich sowohl in tiefgrundige wie spintisierende Betrachtungen uber das Wesen des menschlichen Zusammenlebens verlieren konnten -Konversation also, wie Cicero sie schatzte - waren Pompeius vollkommen fremd. Der General liebte es, sich vor respektvoll schweigenden Zuhorern in Plattheiten zu ergehen, um sich dann zuruckzulehnen und an den Schmeicheleien seiner Gaste zu ergotzen. Cicero sagte des Ofteren, dass er sich lieber von einem volltrunkenen Barbier auf dem Forum Boarium alle Zahne ziehen lassen wolle, als sich noch ein weiteres Mal diese Tischmonologe anhoren zu mussen.
Der Kern des Problems war der, dass Pompeius sich langweilte. Nach seinem Konsulat hatte er sich wie angekundigt mit seiner Frau, seinem kleinen Sohn und seiner Tochter, die noch ein Saugling war, ins Privatleben zuruckgezogen. Aber was nun? Da er uber keinerlei Redetalent verfugte, kamen die Gerichtshofe fur ihn nicht infrage. Literarische Arbeit interessierte ihn nicht. Er konnte nichts tun, als vor Neid kochend Lucullus' fortschreitenden Feldzug gegen Mithridates zu verfolgen. Mit den Worten eines alten Sprichworts: Mit vierzig hatte er seine Zukunft schon hinter sich. Gelegentlich verlie? er seinen Landsitz zu einem Ausflug in den Senat, wo er jedoch nicht das Wort ergriff, sondern den Debatten nur zuhorte. Allerdings legte er Wert darauf, dass ihn bei diesen Ausflugen immer ein riesiger Tross aus Freunden und Klienten begleitete. Cicero fuhlte sich verpflichtet, zumindest einen Teil des Weges mitzugehen. Pompeius kam ihm vor wie ein Elefant, der versuchte, in einem Ameisenhaufen heimisch zu werden.
Und trotzdem war er immer noch einer der einflussreichsten Manner der Welt. Er verfugte uber eine gewaltige Anhangerschaft unter den Wahlern, und es war nicht ratsam, ihm in die Quere zu kommen, zumal binnen Jahresfrist wieder Wahlen anstanden. Erst in diesem Sommer hatte er seinem Gunstling Gabinius zu einem der Volkstribunenamter verholfen. Kurz: Er mischte in der Politik immer noch mit. Also ging Cicero wie ublich am drei?igsten September zu Pompeius' Geburtstagsfest und berichtete nach seiner Ruckkehr Quintus, Lucius und mir von den Ereignissen. Uber Geschenke freute sich Pompeius wie ein Kind. Cicero hatte ihm einen zweihundert Jahre alten und au?erst wertvollen Originalbrief von Zeno, dem Begrunder des Stoizismus, mitgebracht, den ihm Atticus in Athen gesorgt hatte. Liebend gern hatte Cicero den Brief fur seine eigene Bibliothek in Tusculum behalten, aber er hatte gehofft, mit seiner Gabe des Generals Interesse an Philosophie wecken zu konnen. Pompeius hatte jedoch nur einen fluchtigen Blick daraufgeworfen, ihn gleich beiseitegelegt und sich stattdessen mehr fur Gabinius' Geschenk interessiert: ein versilbertes Rhinozeroshorn, das mit einem agyptischen, aus Pavianexkrementen hergestellten Aphrodisiakum gefullt war. »Wie gern hatte ich den Brief zuruck!«, sagte Cicero seufzend, lie? sich auf das Sofa fallen und legte seine Hand auf die Stirn. »Wahrscheinlich zundet das Kuchenmadchen gerade ihr Herdfeuer damit an.«
»Wer war sonst noch da?«, fragte Quintus neugierig. Er war erst vor ein paar Tagen aus Umbrien zuruckgekehrt, wo er das Quastorenamt innegehabt hatte, und lechzte nach dem neuesten Klatsch.
»Nur die ubliche Klientel. Unser frischgebackener Volkstribun naturlich, der ehrenwerte Gabinius; sein Schwiegervater Palicanus, die Koryphae auf dem Gebiet der schonen Kunste; Roms anmutigster Tanzer, Afranius; dann Baibus, dieses spanische Geschopf von Pompeius' Gnaden; und Varro, das Universalgenie des pompeianischen Haushalts. Tja ... und Marcus Fonteius«, fugte Cicero beilaufig hinzu - allerdings nicht so beilaufig, dass Lucius nicht sofort bemerkt hatte, dass da etwas vorgefallen sein musste.
»Und woruber hast du mit Marcus Fonteius gesprochen?«, fragte Lucius. Sein eigener Versuch, beilaufig zu klingen, war nicht weniger durchsichtig.
»Uber alles Mogliche.«
»Seinen Prozess?«
»Sicher, auch.«
»Und wer verteidigt den Schurken?«
Cicero machte eine Pause und sagte dann ruhig: »Ich.«
Fur diejenigen, die mit dem Fall nicht vertraut sind, sollte ich hinzufugen, dass Fonteius funf Jahre zuvor Statthalter der Provinz Narbonensis im sudlichen Gallia Transalpina gewesen war. Er hatte Pompeius, als dieser in einem Winter beim Kampf gegen die Rebellen in Spanien besonders unter Druck stand, frischen Nachschub und Soldaten geschickt, wodurch der General bis in den Fruhling hatte durchhalten konnen. Seit jener Zeit waren sie Freunde. Fonteius hatte es in den folgenden Jahren zu au?erordentlichem Reichtum gebracht - und zwar nach Art des Verres, indem er die einheimische Bevolkerung mittels verschiedenster illegaler Steuern ausgepresst hatte. Die Gallier hatten zunachst klein beigegeben und sich damit getrostet, dass Raub und Ausbeutung seit jeher Begleiterscheinungen der Zivilisation seien. Nach Ciceros triumphaler Klage gegen den Statthalter von Sizilien war Indutiomarus, der Anfuhrer der in der Provinz Narbonensis ansassigen Gallier, nach Rom gereist und hatte den Senator gebeten, sie im Gerichtshof fur Erpressungen zu vertreten. Lucius hatte das Anliegen nach Kraften unterstutzt, tatsachlich war er es gewesen, der Indutioniarus an Cicero verwiesen hatte. Der Gallier hatte abenteuerlich ausgesehen, als er an jenem Morgen in seinem barbarischen Aufzug aus Jacke und Hose vor unserer Tur stand. Ich war richtiggehend schockiert gewesen. Cicero hat sein Anliegen aber hoflich abgelehnt. Seitdem war ein Jahr vergangen, und die Gallier hatten in dem designierten Prator Plaetorius und seinem jungen Mitarbeiter Marcus Fabius seriosen Rechtsbeistand gefunden. Der Fall wurde in Kurze vor Gericht kommen.
»Das ist ja ungeheuerlich«, sagte Lucius emport. »Wie kannst du so einen Kerl verteidigen? Der ist genauso schuldig wie Verres.«
»Unsinn. Er hat niemanden getotet, und er hat niemanden unter falschen Anschuldigungen eingesperrt. Das Schlimmste, was man uber ihn sagen kann, ist, dass er ein einziges Mal den Weinhandlern von Narbonne uberhohte Steuern und ein paar Einheimischen uberhohte Gebuhren fur die Reparatur ihrer Stra?en abgeknopft hat. Au?erdem«, fugte Cicero schnell hinzu, bevor Lucius ihn auf seine etwas wohlwollende Interpretation von Fonteius' Aktivitaten festnageln konnte, »wer sind wir, dass wir ihn jetzt schon schuldig sprechen durften? Das ist Sache des Gerichts, nicht unsere. Oder willst du etwa der Tyrannei das Wort reden und ihm den Rechtsbeistand verweigern?«
»Ich wurde ihm
»Das hat mit Pompeius nichts zu tun.«
»Womit dann?«
»Mit Politik«, antwortete Cicero, setzte sich ruckartig auf, schwang den Oberkorper herum und stellte die Fu?e auf den Boden. Er schaute Lucius fest in die Augen und sagte ernst: »Wei?t du, was das Schlimmste ist, was einem Staatsmann passieren kann? Dass seine Landsleute ihn verdachtigen, und sei es auch nur fur einen Augenblick, er konnte die Interessen von Auslandern uber die seines eigenen Volkes stellen. Genau diese Luge verbreiten namlich meine Gegner, seit ich die Sizilier gegen Verres vertreten habe. Und diese Verleumdung kann ich im Keim ersticken, wenn ich jetzt Fonteius' Verteidigung ubernehme.«
»Und die Gallier?«
»Die werden von Plaetorius bestens vertreten.«
»Nicht so gut wie von dir.«
»Aber du sagst doch selbst, dass Fonteius' Fall auf schwachen Beinen steht. Der mit dem schwachsten Fall soll den starksten Anwalt bekommen. Was konnte gerechter sein?«
Cicero strahlte ihn mit seinem bezauberndsten Lacheln an, doch Lucius lie? sich diesmal nicht einwickeln. Ihm war wohl klar, dass er einer Niederlage in einem Streitgesprach gegen Cicero nur dadurch entgehen konnte, dass er das Gesprach einfach abbrach. Also stand er auf und humpelte wutend in Pachtung der Tur zum Atrium. Erst jetzt fiel mir auf, wie krank er noch aussah, wie dunn er war, wie gebuckt er ging. Er hatte sich von den Strapazen seiner Arbeit in Sizilien nie richtig erholt. »Worte, nichts als Worte«, brummte er bitter. »Hort das denn