vorgesto?en, hatte die Stadt Nisibis erobert und den Konig des Bruders als Geisel genommen.
»Wundert mich, dass es Crassus nicht ubel wird dabei«, flusterte Cicero mir frohlich zu. »Sein einziger Trost durfte sein, dass Pompeius noch mehr von Neid zerfressen wird.« Tatsachlich starrte Pompeius, der mit verschrankten Armen neben Crassus sa?, duster und geistesabwesend vor sich hin.
Als Crassus fertig war, nutzte Cicero die plotzliche Stille und betrat den Saal. Alle Augen wandten sich zu ihm um. Es war ein hei?er Tag, und die Lichtstreifen, die durch die schmalen Fenster unter dem Dach ins Innere fielen, verwandelten die winzigen Mucken in wirbelnde, glitzernde Punkte. Mit entschlossenem Schritt und erhobenem Kopf ging er an seinem alten, unauffalligen Platz neben der Tur vorbei und weiter durch den Mittelgang und blieb vor dem Podium der Konsuln stehen. Die Bank der Pratoren war voll besetzt, doch Cicero wartete geduldig auf seinen ihm nun rechtma?ig zustehenden Platz. Er wusste, und alle Mitglieder des Hauses wussten es auch, dass ihm als siegreichem Anklager nach alter Uberlieferung der Rang des von ihm besiegten Mannes zufiel. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange die Stille andauerte, aber sie kam mir ewig vor, und ich wei? noch, dass ich das Gurren der Tauben unter dem Dach horte. Es war Afranius, der sich schlie?lich erhob und Cicero mit dem Finger bedeutete, sich neben ihn zu setzen. Grob stie? Afranius seinen Nebenmann zur Seite und schaffte auf der Holzbank Platz. Cicero stieg uber ein halbes Dutzend ausgestreckter Beinpaare und quetschte sich dreist in die schmale Lucke. Er schaute nach links und nach rechts, sah jedem seiner Rivalen in die Augen und hielt jedem ihrer Blicke stand. Keiner sagte ein Wort. Schlie?lich stand jemand auf und sprach Lucullus und den siegreichen Legionen mit murrischer Stimme seinen Dank aus. Wenn ich jetzt daruber nachdenke, konnte das Pompeius gewesen sein. Allmahlich machte sich im Saal wieder das ubliche Gemurmel breit.
Ich schlie?e die Augen, sehe die Gesichter im goldenen Licht der Spatnachmittagssonne vor mir -Cicero, Crassus, Pompeius, Hortensius, Catulus, Catilina, die Metellus-Bruder - und kann es kaum glauben, dass sie alle, ihre ehrgeizigen Ziele und selbst das Gebaude, in dem sie damals sa?en, heute nur noch Staub sind.
TEIL ZWEI.
PRATOR
68 v.Chr.-64 v.Chr.
NAM ELOQUENTIAM QUAE ADMIRATIONEM NON HABET NULLAM IUDICO.
»Redekunst, die nicht aufruttelt, ist fur mich keine Redekunst.«
KAPITEL X
Ich schlage vor, dass ich meinen Bericht zwei Jahre nach den Ereignissen am Ende der letzten Schriftrolle wieder aufnehme. Ich furchte, dass diese Auslassung viel uber die Natur des Menschen aussagt. Wurde man mich namlich fragen: »Warum, Tiro, uberspringst du eine solch lange Periode in Ciceros Leben?«, dann kame ich nicht umhin zu antworten: »Weil das gluckliche Jahre waren, mein Freund, und was ist langweiliger, als von glucklichen Zeiten zu erzahlen?«
Sein Jahr als Adil war fur den Senator eine au?erst erfolgreiche Zeit. Seine Hauptverantwortung bestand darin, die Stadt mit billigem Getreide zu versorgen, und hierbei konnte Cicero die reiche Ernte seiner Anklage gegen Verres einfahren. Die Bauern und Getreidehandler Siziliens zeigten ihre Dankbarkeit fur seinen Rechtsbeistand nicht nur, indem sie ihm mit gunstigen Preisen entgegenkamen: Einmal uberlie?en sie ihm eine gesamte Schiffsladung sogar ohne Bezahlung. Cicero war schlau genug, an der offentlichen Anerkennung dafur auch andere teilhaben zu lassen. Vom Hauptquartier der Adile, dem Tempel der Ceres, lie? er die gro?zugige Spende zur Weiterverteilung an diejenigen liefern, die eigentlich fur das reibungslose Funktionieren der Stadt sorgten: die etwa hundert Vorsteher der Stadtbezirke. Aus Dankbarkeit wurden viele von ihnen zu seinen Klienten. Mit ihrer Hilfe baute sich Cicero in den folgenden Monaten eine Wahlkampfmaschine auf, die ihresgleichen suchte (Quintus pflegte zu tonen, dass er jederzeit binnen einer Stunde eine zweihundertkopfige Menschenmenge auf die Stra?e brachte). Fortan geschah kaum noch etwas in der Stadt, uber das die Cicero-Bruder nicht Bescheid wussten. Wenn zum Beispiel ein Bauunternehmer oder ein Ladenbesitzer eine bestimmte Genehmigung oder einen Wasseranschluss benotigte oder besorgt war uber den baulichen Zustand eines Tempels in der Nachbarschaft, dann erfuhren die beiden Bruder fruher oder spater davon. Neben seinem au?ergewohnlichen Redetalent war es diese unermudliche Konzentration auf die eintonige Kleinarbeit, die Cicero zu einem derart eindrucksvollen Politiker machte. Er veranstaltete sogar gute Spiele - oder vielmehr Quintus veranstaltete sie in seinem Namen. Als auf dem Hohepunkt des Festes der Ceres traditionsgema? Fuchse mit brennenden Fackeln auf dem Rucken in den Circus Maximus getrieben wurden, erhoben sich alle zweihunderttausend Zuschauer von ihren Sitzen, um Cicero in seiner offiziellen Loge zuzujubeln.
»Dass so viele Menschen so viel Vergnugen an einem derart absto?enden Schauspiel haben konnen«, sagte Cicero zu mir, als wir an jenem Abend nach Hause zuruckkehrten, »lasst einen fast an den grundlegenden Voraussetzungen der Demokratie zweifeln.« Trotzdem war er hocherfreut, dass ihn die Massen nun nicht mehr nur als »Gelehrten« und »Griechen«, sondern auch als Mann aus ihrer Mitte betrachteten.
Die Geschafte seiner Anwaltspraxis entwickelten sich ebenso gut. Nach einem ereignislosen Jahr als Konsul verbrachte Hortensius zunehmend mehr Zeit in der Bucht von Neapel, wo er mit seinen juwelenbehangten Fischen und weinbesprengten Baumen kommunizierte und die Hoheit uber die Gerichtssale Roms vollkommen Cicero uberlie?. Dieser wurde derma?en von Geschenken und Vermachtnissen dankbarer Klienten uberhauft, dass er seinem Bruder sogar die obligatorische Million Sesterzen fur den Einzug in den Senat vorstrecken konnte. Quintus hatte, obwohl er nur ein ma?iger Redner war, schlie?lich doch noch seine Begeisterung fur eine politische Karriere entdeckt. Cicero selbst war allerdings der Meinung, dass das Soldatische dem Wesen seines Bruders mehr entsprach. Trotz wachsenden Wohlstands und Ansehens lehnte Cicero es ab, aus dem vaterlichen Haus auszuziehen. Er furchtete, es konnte seinem Ansehen als Fursprecher des Volkes schaden, wenn er sich auf dem protzigen Palatin niederlie?e. Stattdessen nahm er ohne Rucksprache mit Terentia in Erwartung zukunftiger Einnahmen einen hohen Kredit auf und kaufte in den Albaner Bergen in der Nahe vonTusculum - dreizehn Meilen entfernt von den neugierigen Augen seiner stadtischen Wahler - eine prachtvolle Villa. Als er Terentia den Landsitz zeigte, spielte sie die Verargerte und behauptete, das Klima in den Bergen sei schlecht fur ihr Rheuma. Aber ich sah ihr an, dass sie sich insgeheim freute uber diesen noblen Zufluchtsort nur eine halbe Tagesreise von Rom entfernt. Das Nachbaranwesen gehorte Catulus, und auch Hortensius besa? ganz in der Nahe ein Haus. Und obwohl Cicero lange Sommertage lesend und schreibend in den kuhlen Lichtungen der Pappelhaine seines Landsitzes verbrachte, sa? die Feindschaft zwischen ihm und den Aristokraten doch so tief, dass sie ihn nicht ein einziges Mal zu sich zum Essen einluden. Cicero storte das nicht. Im Gegenteil, es belustigte ihn, denn das Haus hatte einst Sulla gehort, dem gro?ten Helden der Aristokraten, und er wusste, wie sehr sie die Tatsache reizen musste, dass es sich jetzt im Besitz eines
Im Herbst seines neununddrei?igsten Lebensjahres war Cicero ein glucklicher Mann: wohlhabend, popular, nach einem Sommer auf dem Land bestens erholt und gespannt den Wahlen im kommenden Juli entgegenblickend, wenn er das Alter erreicht haben wurde, um sich der Wahl zum Prator zu stellen - dem letzten Schritt auf dem Weg zum hochsten Lorbeer, dem Konsulat.
An diesem entscheidenden Punkt seines Schicksals, kurz bevor das Gluck ihn im Stich lie? und sein Leben wieder spannend wurde, fahre ich mit meiner Erzahlung fort.
*