verweigern konnte. Und das ist der Mann, der ihm nach dem Tod seiner geschiedenen Frau seinen Sohn zuruckgegeben hat - Pompeius.«

»Das war keine winzige Gefalligkeit«, sagte Lucius. »Das war ein schwerwiegender Eingriff, fur den ein hoher Preis bezahlt werden muss - aber nicht von dir, sondern von den Bewohnern Siziliens.«

»Von den Bewohnern Siziliens?«, wiederholte Cicero, der langsam die Geduld verlor. »Die Bewohner Siziliens haben nie einen aufrichtigeren

Freund als mich gehabt. Ohne mich hatte es gar keinen Prozess gegeben. Ohne mich kein Angebot von anderthalb Millionen. Um Himmels willen, Lucius, ohne mich ware Gaius Verres in spatestens zwei Jahren Konsul geworden. Du kannst mir nicht ernsthaft vorwerfen, dass ich die Bewohner Siziliens im Stich gelassen hatte.«

»Dann weigere dich, die Miete zu zahlen«, sagte Lucius und packte Ciceros Hand. »Zieh morgen vor Gericht und hol das Maximum an Entschadigung raus. Zur Holle mit Pompeius. Ganz Rom steht auf deiner Seite. Die Geschworenen werden es nicht wagen, sich gegen dich zu stellen. Wer schert sich noch um Pompeius? Er hat es selbst gesagt, in funf Monaten gibt es keinen Konsul Pompeius mehr. Los, versprich mir, dass du kampfst.«

Cicero umfasste Lucius' Hand mit beiden Handen und schaute ihm tief in die Augen - die alte Doppelgriff- Masche, deren Zeuge ich in diesem Raum schon so oft geworden war. »Ich verspreche dir ...«, sagte er, »ich verspreche dir, dass ich daruber nachdenken werde.«

*

Vielleicht hat er daruber nachgedacht. Wer bin ich, dass ich mir ein Urteil erlauben durfte? Aber ich mochte doch bezweifeln, dass ihn die Frage langer als eine Sekunde beschaftigte. Cicero war nie daran gelegen, sich an die Spitze eines Mobs zu setzen, der diesen Staat beseitigen wollte: Und nur das hatte ihm den Hals gerettet, hatten sich Pompeius und die Aristokraten gegen ihn gewandt. »Das Problem mit Lucius ist«, sagte er und legte, nachdem sein Vetter gegangen war, die Fu?e auf das Schreibpult, »dass er glaubt, Politik sei ein Kampf fur Gerechtigkeit. Aber Politik ist ein Beruf.«

»Denkst du, dass Verres Pompeius bestochen hat, um die Summe im Rahmen zu halten?«, fragte Quintus und sprach damit exakt den Gedanken aus, der auch mir schon durch den Kopf gegangen war.

»Durchaus moglich. Aber ich glaube eher, dass er einfach vermeiden will, in einen Burgerkrieg zwischen Volk und Senat zu geraten. Wenn es nach mir ginge, ich wurde nichts Lieber tun, als Verres' gesamtes Vermogen einzuziehen. Von mir aus konnte der Lump fur den Rest seines Lebens gallisches Gras fressen. Aber dazu wird es nicht kommen«, sagte er seufzend. »Also los, lasst uns mal uberschlagen, wie weit wir mit den anderthalb Millionen Sesterzen kommen.«

Cicero, Quintus und ich verbrachten den Rest des Abends damit, eine Liste der Personen mit den hochsten Wiedergutmachungsanspruchen zusammenzustellen. Nachdem Cicero seine eigenen Kosten von knapp hunderttausend Sesterzen abgezogen hatte, kamen wir zu dem Ergebnis, dass er seinen Verpflichtungen so eben nachkommen konnte, zumindest gegenuber Sthenius und seinesgleichen sowie den Zeugen, die eigens die lange Reise nach Rom gemacht hatten. Aber was sollte man den Priestern sagen? Wie sollte man den Wert einer Tempelstatue schatzen, deren Edelsteine und wertvolle Metalle Verres' Goldschmiede schon vor langer Zeit herausgebrochen beziehungsweise eingeschmolzen hatten? Und mit welcher Summe konnte man die Familien und Freunde von Gavius, Herennius und all den anderen Ermordeten entschadigen? Diese Fragen gaben Cicero zum ersten Mal einen Geschmack davon, wie es war, wenn man Macht besa? - eine Macht, die einem, wenn es hart auf hart ging, gewohnlich nur die Wahl lie? zwischen zwei gleicherma?en widerwartigen Optionen.

Am nachsten Morgen war fast alles wie an allen anderen Prozesstagen zuvor: das ubliche Gefolge, die ubliche Menschenmenge, die uns an den ublichen Stellen erwartete. Nur zwei Dinge waren anderes. Verres war nicht da, und zwanzig oder drei?ig Wachposten schirmten das Podium des Gerichts ab. Glabrio eroffnete die Sitzung und wies in einer kurzen Rede daraufhin, dass er Storungen wie die von gestern nicht noch einmal dulden werde. Dann erteilte er Hortensius das Wort.

»Aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung ...«, begann Hortensius, wurde aber schon nach diesen ersten Worten von schallendem Gelachter unterbrochen. Es dauerte eine Zeit lang, bis er fortfahren konnte. »Aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung«, wiederholte er, »hervorgerufen durch die Belastung der letzten Tage, und weil ihm daran gelegen ist, die Geschafte des Staates nicht weiter zu beeintrachtigen, verzichtet mein Klient Gaius Verres auf die weitere Verteidigung gegen die durch den Sonderermittler vorgebrachten Beschuldigungen.«

Er setzte sich wieder. Im Gegensatz zu den Siziliern, die den Ruckzug mit Beifall aufnahmen, zeigten die Zuschauer kaum eine Reaktion. Sie warteten darauf, dass Cicero wieder die Initiative ergriff. Er stand auf und bedankte sich bei Hortensius fur dessen Erklarung - »ein klein bisschen kurzer, als wir sie in dieser Umgebung von dir gewohnt sind« - und forderte die Hochststrafe nach Cornelischem Recht: die dauerhafte Aberkennung aller Burgerrechte, »auf dass Gaius Verres weder fur seine fruheren Opfer noch fur eine korrekte Verwaltung der romischen Republik je wieder zur Gefahr werden kann«. Zum ersten Mal an diesem Morgen brandete Jubel auf.

»Ich wunschte«, fuhr Cicero fort, »dass ich seine Verbrehen ungeschehen machen und Menschen wie Gottern all das ersetzen konnte, was er ihnen gestohlen hat. Ich wunschte, ich konnte den Schreinen der Juno auf Malta und Samos ihre Opfergaben und Schmuckstucke zuruckgeben. Ich wunschte, Minerva konnte die Verzierungen ihres Tempels in Syrakus wiedersehen. Ich wunschte, ich konnte der Stadt Segesta ihre Statue der Diana und den Menschen von Tyndaris die ihre des Merkur zuruckgeben. Ich wunschte, ich konnte das der Ceres zugefugte doppelte Unrecht ungeschehen machen, als man ihre Statuen sowohl aus Henna wie aus Catina geraubt hat. Aber der Schurke ist uber alle Berge, zuruckgelassen hat er nur die leeren Wande und nackten Boden seiner Hauser hier in Rom und auf dem Land. Nichts weiter kann beschlagnahmt und verkauft werden. Sein Anwalt taxiert den Wert auf anderthalb Millionen Sesterzen, und so kann ich als Wiedergutmachung fur Verres' Verbrechen auch nur diese Summe fordern.«

Einige Zuschauer buhten, einer anderer rief: »Viel zu wenig!«

»Das ist zu wenig, ganz meine Meinung. Vielleicht sollen einige von denen, die heute hier zu Gericht sitzen und Verres fruher, als er noch ein aufgehender Stern war, verteidigt haben, und einige von denen, die ihm fur den Fall, dass sie zu den Geschworenen gehoren sollten, ihre Unterstutung zugesagt haben, vielleicht sollten die einmal ihr Gewissen prufen ... oder auch den Inhalt ihrer Villen!«

Hortensius sprang auf und legte Einspruch ein: Der Vertreter der Anklage spreche in Ratseln.

»Seltsam«, erwiderte Cicero schlagfertig. »Verres hat ihm doch eine Elfenbeinsphinx verehrt, da musste unserem designierten Konsul das Losen von Ratseln doch leicht von der Hand gehen.«

Das war kein geplanter Scherz, da Cicero nicht im Voraus wissen konnte, wie Hortensius auf seine Worte reagieren wurde. Allerdings - nachdem ich den Satz niedergeschrieben habe und jetzt noch einmal daruber nachdenke - komme ich mir doch etwas blauaugig vor. Vielleicht gehorte die Antwort zu dem Fundus an geistreichen Spontanbemerkungen, die Cicero bei Kerzenlicht regelma?ig durchging, um sie bei passender Gelegenheit parat zu haben. Wie auch immer, die Episode beweist jedenfalls, wie wichtig Humor bei einem offentlichen Auftritt sein kann. Das Einzige von diesem letzten Verhandlungstag, woran sich die Menschen noch erinnern, ist Ciceros Bemerkung uber die Elfenbeinsphinx. Jetzt, im Nachhinein, wei? ich allerdings gar nicht mehr, was so besonders lustig daran war. Jedenfalls entfesselte der Satz Lachsturme und verwandelte eine unangenehme in eine weitere triumphale Rede. Setz dich schnell wieder hin! So hatte Molons Rat gelautet, wenn alles bestens lief, und genau das tat Cicero. Ich reichte ihm ein Handtuch, mit dem er sich unter dem Beifall der Menschen das Gesicht abtupfte und die Hande trocknete. Seine Arbeit im Fall Gaius Verres war damit beendet.

*

Bevor sich der Senat wegen der Spiele des Pompeius in eine funfzehn tagige Sitzungspause verabschiedete, trat er an jenem Nachmittag zu einer letzten Sitzung zusammen. Da er noch einige Dinge mit den Siziliern zu klaren hatte, eilten wir im Laufschritt vom Tempel des Castor uber das Forum zum Senat, kamen aber dennoch zu spat.

Crassus als der in diesem Monat prasidierende Konsul hatte das Haus schon zur Ordnung gerufen und verlas gerade Lucullus' neuesten Kriegsbericht uber die Fortschritte im Osten. Um nicht zu storen, blieb Cicero an der Schranke stehen, und von dort verfolgten wir Lucullus' Bericht. Der aristokratische General hatte nach eigener Aussage eine Serie triumphaler Siege errungen: Er war ins Konigreich des Tigranes einmarschiert, hatte den Konig im Kampf bezwungen und Zehntausende seiner Soldaten hingeschlachtet, war daraufhin tiefer ins Land des Feindes

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