Seerauber ist der romischen Rechtsprechung zu uberantworten. Jeder regionale Herrscher, der die Zusammenarbeit verweigert, wird als Feind Roms betrachtet. Wer nicht fur uns ist, ist gegen uns. Alle funfzehn Legaten sind einem einzigen Oberkommandierenden unterstellt, der von jeder Kuste bis funfzig Meilen ins Landesinnere uber die absolute Befehlsgewalt verfugt. Und dieser Kommandierende werde ich sein.«
Lange herrschte Schweigen. Es war Cicero, der als Erster das Wort ergriff. »Das ist ohne Zweifel ein mutiger Plan, Pompeius, doch konnte ihn mancher -angesichts des Verlusts von neunzehn Triremen -fur eine ubertriebene Reaktion halten. Dir ist sicher bewusst, dass eine derartige Konzentration von Macht in den Handen eines einzigen Mannes ohne Beispiel in der gesamten Geschichte der Republik ist.«
»In der Tat, dessen bin ich mir durchaus bewusst«, erwiderte Pompeius. Er versuchte, Cicero mit regungslosem Gesicht anzuschauen, konnte dann aber doch nicht an sich halten und verfiel in ein breites Grinsen, worauf sofort alle anderen in Gelachter ausbrachen - bis auf Cicero, der aussah, als ware seine Welt in die Bruche gegangen. Was in gewisser Weise auch zutraf, denn Pompeius' Plan, so erklarte mir Cicero spater, bedeute nichts weniger als die Herrschaft eines Mannes uber die Welt, und da habe er doch einige Bedenken anzumelden, wohin das fuhren konne. »Vielleicht hatte ich auf der Stelle aufstehen und gehen sollen«, sagte er auf der Heimreise nachdenklich zu mir. »Das hatte sicher der arme rechtschaffene Lucius von mir verlangt. Aber Pompeius hatte sich ohnehin nicht beirren lassen, ob ich nun fur oder gegen ihn gewesen ware, ich hatte mir nur seine Feindschaft eingehandelt und meine Chancen auf die Pratur ruiniert. Alles, was ich derzeit tue, muss sich auf diese Wahl ausrichten.«
Und so war er naturlich sitzen geblieben. In stundenlangem Palaver gelangte die Diskussion schlie?lich von der pomposen Strategie zur knallharten Politik. Der Plan sah vor, dass Gabinius nach seiner Amtseinfuhrung ins Volkstribunat, was etwa in einer Woche sein wurde, dem romischen Volk unverzuglich ein neues Gesetz zur Schaffung des Oberkommandos und dessen Ubertragung auf Pompeius vorlegen sollte. Dann wurden er und Cornelius versuchen, die anderen Volkstribunen einzuschuchtern, damit keiner ein Veto einlegte. (Man darf nicht vergessen, dass in den Tagen der Republik nur die Volksversammlung die Macht hatte, Gesetze zu erlassen. Die Stimme des Senats hatte Einfluss, war aber nicht die entscheidende. Der Senat hatte den Willen des Volkes auszufuhren.)
»Was sagst du dazu, Cicero?«, fragte Pompeius. »Du hast die ganze Zeit uber geschwiegen.«
»Rom kann sich wahrhaft glucklich schatzen, in der Stunde gro?ter Gefahr einen Mann von deiner Erfahrung und Weitsicht zu Hilfe rufen zu konnen«, antwortete Cicero vorsichtig. »Aber wir mussen realistisch sein. Es wird gro?en Widerstand im Senat geben. Vor allem die Aristokraten werden behaupten, dass das Gesetz lediglich ein Vorwand sei, um unter dem Deckmantel der patriotischen Notlage nach der nackten Macht zu greifen.«
»Das ist eine bosartige Verleumdung«, sagte Pompeius.
»Nun ja, das kannst du behaupten, sooft du willst, aber du musst erst einmal das Gegenteil beweisen«, erwiderte Cicero. Er wusste, dass merkwurdigerweise der sicherste Weg, das Vertrauen eines bedeutenden Mannes zu gewinnen, harscher Widerspruch ist: Er vermittelt den Anschein uneigennutziger Aufrichtigkeit. »Sie werden au?erdem behaupten, dass die Vollmacht zur Bekampfung der Seerauber nur ein Sprungbrett fur dein wahres Ziel sei, namlich Lucullus als Befehlshaber der Legionen im Osten abzulosen.« Darauf war vom bedeutenden General nur ein Brummen zu horen - was hatte er auch sagen sollen, das war ja tatsachlich sein wahres Ziel. »Und schlie?lich werden sie versuchen, den einen oder anderen Volkstribunen aufzutreiben, der gegen Gabinius' Gesetzesvorlage sein Veto einlegt.«
»Das klingt ganz so, Cicero, als warst du hier fehl am Platz«, sagte Gabinius hohnisch. Er hatte etwas von einem Gecken. Das dichte, gewellte Haar hatte er wie sein Chef zu einer glatten Tolle aufgekammt. »Um unser Ziel zu erreichen, werden wir Kuhnheit, moglicherweise harte Fauste benotigen, aber sicher nicht die Haarspaltereien gerissener Anwalte.«
»Du wirst Kuhnheit, Fauste
»Lasst uns fortfahren«, sagte Pompeius. »Die Probleme liegen also auf der Hand. Hast du uns auch Losungen anzubieten?«
»Als Erstes«, antwortete Cicero, »empfehle ich dringend, dass in dem Gesetz fur das neue Oberkommando nirgendwo dein Name auftaucht.«
»Aber das Ganze war meine Idee!«, protestierte Pompeius.
»Sicher, aber ich halte es dennoch fur kluger, am Anfang keinen bestimmten Namen fur den Oberkommandierenden zu nennen. Der Senat wurde kochen vor Neid und Zorn. Selbst die Vernunftigen, auf deren Unterstutzung wir normalerweise zahlen konnen, wurden davor zuruckschrecken. Die Bekampfung der Seerauber muss das zentrale Thema sein, nicht die Zukunft von Pompeius Magnus. Jeder wei? doch, dass der Posten wie ma?geschneidert ist fur dich, warum dann gro? daruber reden?«
»Aber was soll ich dem Volk sagen, wenn ich das Gesetz einbringe?«, fragte Gabinius. »Dass jeder Idiot von der Stra?e fur das Amt taugt?«
»Naturlich nicht«, erwiderte Cicero und gab sich alle Muhe, seine Ungeduld zu zugeln. »Streich den Namen >Pompeius< aus und setz stattdessen die Worte >Senator im Range eines Konsuls< ein. Das grenzt den Kreis der Anwarter auf funfzehn oder zwanzig noch lebende Exkonsuln ein.«
»Wer sind dann die potenziellen Rivalen?«, fragte Afranius.
»Crassus«, antwortete Pompeius sofort. »Vielleicht Catulus. Dann Metellus Pius - der ist zwar alt, aber immer noch eine einflussreiche Gro?e. Hortensius hat auch noch viele Anhanger. Isauricus. Gellius. Cotta. Curio. Vielleicht noch die Lucullus-Bruder.«
»Nun ja«, sagte Cicero. »Wenn du dir so gro?e Sorgen machst, dann konnten wir den Kreis noch weiter einschranken, auf einen Exkonsul, dessen Namen mit einem >P< beginnt.« Keiner reagierte darauf, und einen Augenblick lang glaubte ich, dass Cicero zu weit gegangen sei. Doch dann warf Caesar den Kopf in den Nacken und fing an zu lachen, worauf auch die anderen - als sie sahen, dass Pompeius gequalt lachelte - in das Gelachter einstimmten. »Im Ernst, Pompeius«, fuhr Cicero fort. »Die meisten sind viel zu alt und trage, um dir noch gefahrlich werden zu konnen. Der Gefahrlichste ist Crassus, er ist reich, und er ist eifersuchtig auf dich. Aber wenn es zur Abstimmung kommt, wirst du ihn sicher haushoch schlagen, glaub mir.«
»Cicero hat recht«, stimmte Caesar zu. »Eins nach dem andern: Erst das Oberkommando im Allgemeinen, dann die Person.« Ich war beeindruckt von der Autoritat, mit der er sich zu Wort meldete. Schlie?lich war er der Jungste in der Runde.
»Einverstanden«, sagte Pompeius und nickte bedachtig. »So machen wir es. Das zentrale Thema ist die Bekampfung der Seerauber, nicht die Zukunft von Pompeius Magnus.« Und damit zog sich die Runde zum Essen zuruck.
*
Kurz darauf wurde ich Zeuge eines erbarmlichen Vorfalls, der mir noch in der Erinnerung peinlich ist, den ich mich im Interesse der Geschichtsschreibung aber dennoch verpflichtet fuhle wiederzugeben. Wahrend die Senatoren zu Mittag a?en und sich danach im Garten die Beine vertraten, arbeitete ich mehrere Stunden lang an der Ubertragung meiner Kurzschriftnotizen in ein korrektes Protokoll fur Pompeius. Als ich damit fertig war, kam mir der Gedanke, Cicero noch einen Blick darauf werfen zu lassen. Vielleicht hatte er irgendwelche Einwande. Der Raum, in dem die Konferenz stattgefunden hatte, war leer, ebenso das Atrium. Aber ich horte die unverwechselbare Stimme des Senators und ging in die Richtung, aus der sie kam. Ich durchquerte einen von Kolonnaden gesaumten Innenhof mit einem sprudelnden Springbrunnen und gelangte durch einen Saulengang in einen weiteren Innengarten. Die Stimme war inzwischen verstummt. Ich blieb stehen und lauschte angestrengt. Vogelgezwitscher und Wassergeplatscher waren die einzigen Gerausche. Plotzlich horte ich ganz nah und so laut, dass ich zusammenfuhr, eine wie unter Schmerzen stohnende Frau. Idiotischerweise drehte ich mich um, ging auf eine offene, nur ein paar Schritte entfernte Tur zu und blieb dann wie angewurzelt stehen, als ich Caesar und Pompeius' Frau Mucia erblickte. Mucia konnte mich nicht sehen. Sie stand vornubergebeugt vor einem Tisch, mit dem Gesicht nach unten, das Kleid bis zur Hlufte hochgeschoben und umklammerte mit den Handen so fest die Tischkante, dass die Knochel wei? hervortraten. Caesar allerdings sah mich sehr wohl. Er stand mit dem Gesicht zur Tur und stie? von hinten in sie hinein. Seine echte Hand umfasste ihren geschwollenen Bauch, die linke Hand lag lassig auf der Hufte. Ich wei? nicht genau, wie lange wir uns anschauten, aber er blickte mir direkt in die Augen, amusiert, unerschrocken, herausfordernd, mit jenen unergrundlichen dunklen Augen, die in den folgenden Jahren noch so viel Rauch und