Chaos sehen sollten. Ich machte mich davon.

Inzwischen hatten sich die Senatoren schon wieder im Konferenzraum versammelt. Cicero fuhrte philosophische Gesprache mit Varro, dem renommiertesten Gelehrten Roms, dessen Werke uber Philologie und Altertumskunde mir die gro?te Ehrfurcht einflo?ten. Bei jeder anderen Gelegenheit hatte ich mich geehrt gefuhlt, ihm vorgestellt zu werden, doch mit meinen Gedanken war ich immer noch bei der Szene, deren Zeuge ich gerade geworden war, sodass ich mich an kein Wort aus Varros Mund erinnern kann. Ich ubergab Cicero das Protokoll. Er uberflog es kurz, griff nach dem Griffel in meiner Hand und nahm eine kleine Korrektur vor, ohne deshalb seine Unterhaltung mit Varro auch nur fur eine Sekunde zu unterbrechen. Pompeius musste ihn dabei beobachtet haben, denn er gesellte sich breit grinsend zu uns, nahm Cicero das Protokoll aus der Hand und sagte, dass er da doch sicher gerade ein paar Zusagen in den Text eingeschmuggelt habe, die er nie und nimmer gemacht habe. »Naja, meine Stimme fur die Pratur kriegst du trotzdem«, fuhr er lachend fort und klopfte ihm auf den Rucken. Noch vor wenigen Minuten hatte ich Pompeius als eine Art Gott unter Menschen betrachtet, einen vor Selbstbewusstsein strotzenden Kriegshelden, aber nun, mit meinem frischen Wissen, betrachtete ich ihn auch mit einem traurigen Auge. »Das ist wirklich beachtlich«, sagte er zu mir und fuhr mit seinem riesigen Daumen uber die Wortkolonnen. »Du hast meinen Ton exakt getroffen. Wie viel willst du fur ihn, Cicero?«

»Ich habe schon eine Riesensumme von Crassus ausgeschlagen«, antwortete Cicero.

»Wenn es aber doch einmal zur Versteigerung kommt, denkt an mich, ich bin dabei«, sagte Caesar mit seiner krachzenden Stimme und trat von hinten auf uns zu. »Ich wurde Tiro liebend gern unter meine Fittiche nehmen.« Er brachte das auf so freundliche Art vor und schickte obendrein noch ein Zwinkern hinterher, dass niemandem der drohende Unterton auffiel - au?er mir, der ich fast in Ohnmacht gefallen ware vor Angst.

»Der Tag, an dem ich mich von Tiro trenne, ist der Tag, an dem ich mich aus dem Offentlichen Leben zuruckziehe«, sagte Cicero und sollte damit, wie sich herausstellte, recht behalten.

»Jetzt will ich ihn erst recht haben«, entgegnete Caesar, und Cicero fiel in das allgemeine Gelachter ein.

Nachdem man Stillschweigen und ein weiteres Treffen in wenigen Tagen in Rom vereinbart hatte, ging die Runde auseinander. Sobald wir das Tor passiert hatten und auf die Stra?e nach Tusculum eingebogen waren, lie? Cicero seiner aufgestauten Enttauschung und Wut freien Lauf, stie? einen lauten Schrei aus und schlug mit der Faust gegen die Seitenwand der Kutsche. »Eine kriminelle Verschworung!«, sagte er und schuttelte verzweifelt den Kopf. »Schlimmer: eine kriminelle und eine dumme Verschworung! Das ist das Problem, Tiro, wenn Soldaten meinen, sie mussten in die Politik gehen. Sie bilden sich ein, sie brauchten nur einen Befehl zu erteilen, und schon springen alle. Sie werden nie begreifen, dass genau das, was sie popular macht - ihre Reputation als angeblich hehre Patrioten, die uber den schmutzigen Niederungen der Politik schweben -, dass ihnen genau das letztlich zum Verhangnis wird: Weil sie entweder wirklich uber den Niederungen der Politik schweben, dann erreichen sie gar nichts, oder sie gehen in die Politik und erweisen sich als genauso kauflich wie alle anderen.« Er schaute hinaus auf den See, der im matten Winterlicht dunkel schimmerte. »Was haltst du von Caesar?«, fragte er plotzlich, worauf ich mit ein paar unverbindlichen Floskeln uber dessen anscheinend gro?en Ehrgeiz antwortete. »Naturlich ist er ehrgeizig. Ein paar Mal ist mir sogar der Gedanke durch den Kopf geschossen, dass sich nicht Pompeius diesen fantastischen Plan ausgedacht hat, sondern er. Das wurde zumindest erklaren, warum Caesar uberhaupt anwesend war.«

Ich machte Cicero darauf aufmerksam, dass Pompeius den Plan als seinen eigenen bezeichnet hatte.

»Woran er sicher auch fest glaubt. Aber so ist der Mann nun mal. Erzahl ihm irgendwas, und es dauert nicht lange, dann kommt das eben Gesagte zu dir zuruck, und zwar so, als hatte er es sich ausgedacht. >Das zentrale Thema ist die Bekampfung der Seerauber, nicht die Zukunft von Pompeius Magnus.< Manchmal habe ich, nur zu meinem Spa?, gegen meine eigene ursprungliche Behauptung argumentiert, nur um zu sehen, wann mir auch noch mein eigenes Gegenargument um die Ohren fliegt.« Er runzelte die Stirn und nickte. »Ich bin sicher, dass ich richtigliege. Caesar ist schlau genug, um die Saat auszubringen und dann einfach abzuwarten, bis sie aufgeht. Ich frage mich, wie viel Zeit er mit Pompeius verbringt. Er scheint da schon ziemlich gut eingebunden zu sein.«

Es lag mir auf der Zunge, die Gartenszene, doch schlie?lich hielt ich den Mund: aus Angst vor Caesar, aus Schuchternheit und aus dem Gefuhl heraus, dass es Cicero missfallen hatte, wenn ich mich als Spitzel entlarvt hatte, ich mich durch die Schilderung der schmutzigen Geschichte quasi selbst beschmutzt hatte. Erst viele Jahre spater -nach Caesars Tod, als er mir nicht mehr schaden konnte und ich auch selbstbewusster war - erzahlte ich ihm die Geschichte. Cicero, damals schon ein alter Mann, schwieg lange. »Ich verstehe deine Zuruckhaltung«, sagte er schlie?lich. »Und in vielerlei Hinsicht stimme ich deiner Scheu ausdrucklich zu. Aber ich muss auch sagen, mein lieber Freund, dass ich wunschte, du hattest mich damals informiert. Vielleicht hatten sich die Dinge dann anders entwickelt. Zumindest ware mir dann fruher klar geworden, mit welch atemberaubend skrupellosem Menschen wir es zu tun hatten. Denn als ich es schlie?lich erkannt hatte, war es schon zu spat.«

*

Als wir einige Tage spater nach Rom zuruckkehrten, kamen wir in eine nervose, von Geruchten brodelnde Stadt. Das Feuer von Ostia war in ganz Rom als rotes Leuchten am wesdichen Nachthimmel deutlich sichtbar gewesen. Eine derartige Attacke auf die Hauptstadt war ohne Beispiel, und als Gabinius und Cornelius am zehnten Dezember ihr Volkstribunat antraten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als die Nervositat zur Panik aufzustacheln. Sie veranlassten, dass an den Stadttoren zusatzliche Posten aufgestellt wurden. Wahllos wurden Fuhrwerke und Fu?ganger, die in die Stadt wollten, auf Waffen durchsucht. An den Kaianlagen und Lagerhausern am Fluss gingen Wachen Tag und Nacht Streife. Wer Getreide hamsterte, wurde mit harten Strafen bedroht, was unausweichlich dazu fuhrte, dass auf den drei gro?en Lebensmittelmarkten, dem Emporium, Macellum ind Forum Boarium, sofort das Angebot knapp wurde. Die energischen neuen Volkstribunen zerrten den aus dem Amt scheidenden, glucklosen Konsul Marcius Rex vor die Volksversammlung und unterzogen ihn einem gnadenlosen Kreuzverhor uber die Sicherheitsmangel, die zum Fiasco von Ostia gefuhrt hatten. Man trieb weitere Zeugen auf, die die Bedrohung durch die Seerauber schilderten, eine Bedrohung, die mit jeder weiteren Schilderung an Starke zunahm. Sie hatten tausend Schiffe! Es handelte sich nicht um vereinzelte Plunderer, sondern um eine konspirative Organisation! Sie operierten in Flottenverbanden, hatten Admirale und verfugten uber furchterregende Waffen wie vergiftete Pfeile und Griechisches Feuer! Aus Angst, als unzuverlassig verschrien zu werden, wagte niemand im Senat zu widersprechen - auch dann nicht, als entlang der Stra?e zum Meer eine Serie von Leuchtturmen gebaut wurde, deren Signalfeuer angezundet werden sollten, falls auf die Mundung des Tiber zuhaltende Piratenschiffe gesichtet wurden. »Das ist absurd«, sagte Cicero an jenem Morgen zu mir, als wir hinausfuhren, um uns diese sichtbarsten Symbole der nationalen Bedrohung anzuschauen. »Als ob ein Seerauber mit Verstand auch nur im Traum daran dachte, zwanzig Meilen einen offenen Fluss hochzusegeln, um eine befestigte Stadt anzugreifen!« Besturzt schuttelte er den Kopf daruber, wie muhelos skrupellose Politiker eine verangstigte Bevolkerung steuern konnten. Aber was konnte er tun? Seine Nahe zu Pompeius verurteilte ihn zum Schweigen.

Am siebzehnten Dezember begannen die Saturnalien, das Fest des Saturn, das eine Woche dauerte. Es war aus naheliegenden Grunden nicht der frohlichste Feiertag, und obwohl die CiceroFamilie an den ublichen Ritualen festhielt, Geschenke verteilte, uns Sklaven sogar einen Tag freigab und ein gemeinsames Mahl mit uns einnahm, war doch keiner mit dem Herzen bei der Sache. Lucius war immer die Seele solcher Festtage gewesen, und er war jetzt nicht mehr unter uns. Ich glaube, Terentia hatte die Hoffnung gehegt, schwanger zu sein, was sich aber nicht bewahrheitet hatte, und sie machte sich ernstlich Sorgen daruber, dass sie keinen Sohn mehr bekommen wurde. Pomponia norgelte wie ublich an Quintus herum und lie? keinen Zweifel daran, dass sie ihn als Ehemann fur einen hoffnungslosen Fall hielt. Sogar die kleine Tullia konnte die Stimmung nicht heben.

Cicero selbst verbrachte fast die ganzen Saturnalien in seinem Arbeitszimmer und brutete uber Pompeius' ungeheurem Ehrgeiz und dessen Folgen fur das Land und seine eigene politische Karriere. Bis zu den Wahlen fur die Pratur waren es kaum noch acht Monate, und er hatte zusammen mit Quintus schon eine Liste mit den wahrscheinlichen Kandidaten zusammengestellt. Wer von diesen Mannern auch immer gewahlt werden wurde, mit den gleichen Rivalen musste Cicero im Kampf ums Konsulat rechnen. Die beiden Bruder diskutierten stundenlang alle moglichen Varianten, und dabei gewann ich den Eindruck, den ich allerdings nicht zum Ausdruck brachte, dass sie die Weisheit ihres Vetters doch sehr vermissten. Cicero hatte zwar oft gewitzelt, er bate Lucius schon deshalb gern um einen politisch klugen Ratschlag, um dann das genaue Gegenteil zu tun, aber Lucius war doch auch eine Art Fixstern gewesen, an dem sich Cicero hatte orientieren konnen. Jetzt hatten die beiden Bruder nur sich selbst, und trotz ihrer gegenseitigen Wertschatzung trafen sie zusammen nicht immer die klugsten Entscheidungen.

In dieser Atmosphare - es war der achte oder neunte Januar, das Fest der Latiner war voruber, und der ernsthafte Politikbetrieb kam wieder in Gang - stieg Gabinius schlie?lich auf die Rostra und forderte ein neues

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