lex Gabinia doch ein gefahrlicher, ganz und gar unromischer Prazedenzfall geschaffen. Man konne nicht einfach uralte Freiheitsrechte vom Tisch fegen, nur weil irgendwelche Seerauber vorubergehend Panik verbreiteten. Cicero rutschte nervos auf seinem Platz herum, und unwillkurlich ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass er, hatte er die Moglichkeit gehabt, seine Meinung frei zu au?ern, exakt die gleiche Ansprache gehalten hatte.

Hortensius kam gerade zum Schluss seiner Rede, als sich im hinteren Teil des Saales - in der Nahe der Tur, wo einst auch Cicero unter all den anderen unbedeutenden Senatoren gesessen hatte - Caesar von seinem Platz erhob und Hortensius bat, das Wort ergreifen zu durfen. Mit der respektvollen Stille, in der man dem gro?en Advokaten zugehort hatte, war es schlagartig vorbei. Man muss Caesar zugutehalten, dass Mut dazugehorte, es in dieser Atmosphare mit Hortensius aufzunehmen. Caesar blieb eisern stehen, bis wieder Ruhe eingekehrt war, und begann dann auf seine klare, unwiderstehliche und rigorose Art zu sprechen. Seerauber, den Abschaum der Meere, zuruckschlagen zu wollen, sagte er, sei ganz und gar nicht unromisch. Unromisch sei, eine Sache beenden zu wollen, aber nicht die dafur notigen Mittel bereitzustellen. »Wenn die Republik so perfekt funktioniert, wie Hortensius sagt, warum hat sie dann zugelassen, dass die Bedrohung so gro? werden konnte? Und nun, da sie zu so monstroser Gro?e angewachsen ist, wie soll man ihrer jetzt Herr werden?« Er selbst sei vor einigen Jahren auf dem Weg nach Kreta Seeraubern in die Hande gefallen und erst nach einer Losegeldzahlung freigekommen. Bis zum letzten Mann habe er diesen Abschaum gejagt und zur Strecke gebracht, wie er es ihnen noch als ihr Gefangener prophezeit habe. Jeder Einzelne habe am Kreuz sein Ende gefunden! »Das, Hortensius, ist die romische Art, mit Seeraubern umzugehen. Und deshalb brauchen wir die lex Gabinia.«

Er beendete unter Buhrufen und Pfiffen seine Rede und setzte sich gerade mit einem unnachahmlichen Ausdruck von Verachtung im Gesicht wieder auf seinen Platz, als es am anderen Ende der Kammer zu Handgreiflichkeiten kam. Ich glaube, ein Senator verpasste Gabinius von hinten einen Faustschlag, worauf dieser herumfuhr, zuruckschlug und sich daraufhin binnen Sekunden in hochsten Schwierigkeiten befand, weil sich nun auch andere Senatoren auf ihn sturzten. Krachend, untermalt von einigen Schreien, kippte eine der Banke um. Ich verlor Cicero aus den Augen. Eine Stimme hinter mir kreischte, dass man Gabinius ermorde. Sofort wurde von hinten gedrangt und gesto?en, das Absperrseil schnalzte aus seinen Halterungen, und wir fielen vornuber in den Saal. Glucklicherweise konnte ich noch rechtzeitig auf die Seite robben, bevor mehrere Hundert von Pompeius' plebejischen Anhangern (ein zugegebenerma?en ziemlich grobschlachtiger Haufen) in den Gang sturzten, zum Podium der Konsuln liefen und Piso von seinem kurulischen Stuhl zerrten. Einer der Kerle packte den Konsul am Hals, und einen Augenblick lang sah es so, als wurde tatsachlich noch ein Mord geschehen. Doch dann schaffte es Gabinius, sich zu befreien, und er kletterte auf eine Bank, sodass alle sehen konnten, dass er - wenn auch etwas angeschlagen - noch am Leben war. Er appellierte an die Demonstranten, Piso loszulassen, und nach einem kurzen Wortgefecht lie?en diese widerwillig von ihm ab. Piso rieb sich den Hals und erklarte mit krachzender Stimme, dass die Sitzung ohne Abstimmung vertagt sei. Und so war das romische Gemeinwesen um Haaresbreite - zumindest fur den Augenblick - der Anarchie entgangen.

*

Derartige Gewalttatigkeiten hatte man im Herzen von Roms Regierungsviertel seit mehr als vierzehn Jahren nicht mehr erlebt. Sie hinterlie?en tiefe Spuren bei Cicero, auch wenn er dem Gewuhl fast ohne Knitterfalte auf seiner makellosen Toga hatte entkommen konnen. Gabinius tropfte das Blut von Nase und Lippe, sodass Cicero ihn aus der Kammer geleiten musste. Ein gutes Stuck vor ihnen ging Pompeius, der starr geradeaus blickte und mit dem gemessenen Schritt eines Trauergastes den Saal verlie?. Woran ich mich am besten erinnere, ist die Stille, als sich der bunte Haufen aus Senatoren und Plebejern teilte, um ihn durchzulassen. Es war, als ob die beiden Parteien erkannt hatten, dass sie sich am Rand des Abgrunds bekampften und, im allerletzten Augenblick zur Besinnung gekommen, innehielten. Wir traten hinaus aufs Forum. Als Pompeius ohne ein weiteres Wort in die Argiletum-Stra?e einbog und sich auf den Heimweg machte, folgten ihm alle seine Anhanger - die meisten wohl einfach deshalb, weil sie nicht wussten, was sie sonst hatten tun sollen. Afranius, der neben Pompeius ging, gab die Order weiter, dass der General ein Treffen in seinem Haus wunsche. Ich fragte Cicero, ob er etwas brauche, und er antwortete mit einem bitteren Lacheln: »Ja, die Ruhe von Arpinum.«

Quintus stie? zu uns und sagte mit eindringlicher Stimme: »Pompeius muss zuruckrudern, sonst wird er offentlich gedemutigt!«

»Das hat er schon hinter sich«, erwiderte Cicero. »Und wir auch. Soldaten!«, sagte er angewidert zu mir. »Was habe ich dir gesagt? Im Traum wurde es mir nicht einfallen, denen auf dem Schlachtfeld Ratschlage zu erteilen. Aber die glauben, dass sie sich in der Politik besser auskennen als ich.«

Wir gingen den Hugel hinauf zu Pompeius' Haus, traten ein und lie?en die verstummte Anhangerschar drau?en auf der Stra?e stehen. Seit der ersten Konferenz war ich als Protokollfuhrer der Gruppe akzeptiert, sodass ich mich ganz selbstverstandlich auf meinem gewohnten Platz in der Ecke niederlie?. Die Senatoren setzten sich um einen gro?en Tisch, an dessen Kopfseite Pompeius Platz nahm. Aus der massigen Gestalt war jeder Stolz gewichen. Wie er da so zusammengesunken auf seinem Stuhl sa?, erinnerte er mich eher an ein gro?es wildes Tier in der Arena - von kleineren Kreaturen gefangen und gefesselt, genarrt und verhohnt. Er war pessimistisch und wiederholte ein ums andere Mal, dass alles vorbei sei - der Senat wurde seine Berufung niemals befurworten, nur der Abschaum der Stra?e unterstutze ihn noch, die Crassus willfahrigen Volkstribunen wurden in jedem Fall ihr Veto gegen das Gesetz einlegen, der einzige Ausweg sei das Exil. Caesar widersprach vehement -Pompeius sei immer noch der popularste Mann der Republik, er solle sich aufmachen und in den landlichen Gebieten Italiens die benotigten Legionen rekrutieren, mit seinen alten Kampfgefahrten verfuge er uber das Ruckgrat fur eine neue Armee, der Senat werde schon einlenken, wenn er erst mal die notigen Truppen um sich geschart habe. »Wenn man beim ersten Wurf verliert, kann es nur eine Reaktion geben: den Einsatz verdoppeln und noch einmal wurfeln. Kummere dich nicht um die Aristokraten, wenn notig, regierst du mithilfe des Volkes und der Armee.«

Ich sah Cicero an, dass er nur auf den passenden Augenblick wartete, um seine eigene Beurteilung vorzutragen, und in der, da war ich mir sicher, wurde er weder dem einen noch dem anderen Extrem das Wort reden. Eine Konferenz mit zehn Leuten zu steuern, erfordert ebenso viel Geschick wie die Manipulation einer Versammlung mit hundert Leuten. Und so wartete Cicero, bis der Letzte am Tisch seine Meinung geau?ert und die Diskussion sich erschopft hatte, bevor er voller Kampfeslust das Wort ergriff. »Wie du wei?t, Pompeius, hatte ich von Anbeginn einige Befurchtungen, was diese Operation betrifft. Nachdem ich jedoch Zeuge der heutigen Debatte im Senat gewesen bin, muss ich zugeben, dass diese verflogen sind. Es bleibt uns jetzt nichts anderes mehr ubrig, als diesen Kampf zu gewinnen -zu deinem Besten, zu Roms Besten und fur die Wurde und Autoritat von uns allen, die wir dich unterstutzen. Es darf jetzt nicht den geringsten Gedanken an Kapitulation geben. Auf dem Schlachtfeld bist du beruhmt fur deinen lowenhaften Kampfesmut; du kannst jetzt nicht in Rom auftreten wie ein Mauschen.«

»Achte auf deine Worte, advocatus«, sagte Afranius, doch Cicero beachtete ihn gar nicht.

»Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn du jetzt aufgibst? Die Gesetzesvorlage ist veroffentlicht. Falls du den Posten nicht annimmst, dann wird es jemand anderer tun, und ich kann dir schon jetzt sagen, wer das sein wird: Crassus. Du sagst selbst, dass er zwei willfahrige Volkstribunen hat. Er wird dafur sorgen, dass das Gesetz angenommen wird, nur dass anstatt deines Namens seiner in der Vorlage stehen wird. Wie, Gabinius, willst du ihn daran hindern? Indem du ein Veto gegen deine eigene Vorlage einlegst? Unmoglich! Versteht ihr? Wir mussen uns dem Kampf jetzt stellen.«

Ein hervorragendes Argument, denn wenn es etwas gab, das Pompeius garantiert zum Kampf anstacheln wurde, dann die Aussicht, Crassus den Ruhm streitig zu machen. Pompeius richtete sich auf, streckte das Kinn vor und starrte wutend in die Runde. Ich sah, wie Afranius und Palicanus ihm aufmunternd zunickten. »Wir haben in unseren Legionen Kundschafter, Cicero, die finden ihren Weg in schwierigstem Gelande«, sagte Pompeius. »Prachtvolle Burschen, die in Sumpfgebiete, Gebirge und Walder vordringen, die seit Beginn der Zeit kein menschliches Wesen betreten hat. Die Politik jedoch stellt jedes Hindernis in den Schatten, das mir bis jetzt untergekommen ist. Wenn du mir einen Weg aus dem Chaos weisen kannst, Cicero, wirst du keinen treueren Freund mehr finden als mich.«

»Und du vertraust dich voll und ganz meiner Fuhrung an?«

»Du bist der Kundschafter.«

»Also gut«, fuhr Cicero fort. »Morgen, Gabinius, wirst du Pompeius auf die Rostra rufen und ihn fragen, ob er gewillt ist, als Oberbefehlshaber zu dienen.«

»Gut«, sagte Pompeius angriffslustig und ballte eine seiner klobigen Fauste. »Und ich werde >Ja<

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