Oberkommando. Ich spreche hier, das sollte ich vielleicht erklaren, von der alten Rostra der Republik, die sich sehr von dem erbarmlichen verzierten Fu?schemel unterschied, der heute in Gebrauch ist. Diese uralte, inzwischen zerstorte Plattform war das Herz der romischen Demokratie: eine lange, geschwungene Rednerbuhne, etwa zwolf Fu? hoch, voller Statuen von Helden aus dem Altertum. Von dieser Rostra sprachen die Volkstribunen und Konsuln zum Volk. Die Ruckseite war dem Senatsgebaude zugewandt, die Vorderseite blickte kuhn uber die gro?te freie Flache des Forums hinweg. Aus dem wuchtigen Mauerwerk ragten die Rammsporne oder »Schnabel« von sechs Schiffen - jene rostra, die der Buhne ihren Namen gegeben hatten (die Schnabel waren Beutestucke aus einer Seeschlacht gegen die Karthager vor dreihundert Jahren). Die gesamte Ruckseite bildete eine Treppe. Wenn also ein Magistrat das Senatsgebaude oder das Hauptquartier der Volkstribunen verlie?, ging er etwa funfzig Schritte, stieg die Stufen hinauf und stand dann auf der Rostra vor Tausenden von Menschen, die links und rechts von den zwei gro?en Basiliken und dahinter vom Tempel des Castor eingerahmt wurden. An dieser Stelle stand an jenem Januarmorgen Gabinius und erklarte auf seine ruhige und selbstsichere Art, dass Rom einen starken Mann benotige, der das Kommando im Krieg gegen die Seerauber ubernehmen konne.

Trotz seiner Zweifel hatte Cicero mithilfe von Quintus sein Moglichstes getan, um fur Gabinius eine stattliche Menschenmenge auf die Beine zu bringen. Auf Pompeius' Anhanger aus Picenum konnte man sich ebenfalls immer verlassen, wenn es galt, ein paar Hundert Veteranen zusammenzutrommeln. Wenn ich jetzt noch die ubliche Anzahl Menschen hinzuzahle, die immer im Dunstkreis der Basilica Porcia zu finden sind, und die Burger, die ihren normalen Geschaften in der Stadt nachgingen, dann konnte man sagen, dass fast tausend Menschen anwesend waren, die sich anhorten, was nach Gabinius' Auffassung notig sei, um der Seerauber Herr zu werden - namlich ein Oberbefehlshaber im Konsulrang mit einem auf drei Jahre festgesetzten Imperium uber ein Territorium, das von der Kuste funfzig Meilen ins Inland reichte, funfzehn dem Oberbefehlshaber zuarbeitende Legaten im Rang eines Prators, freier Zugriff auf Roms Staatskasse, funfhundert Kriegsschiffe und das Recht, bis zu einhundertzwanzigtausend Fu?soldaten und funftausend Reitersoldaten auszuheben. Die schwindelerregenden Zahlen und die ganze Erklarung sorgten fur gro?es Aufsehen. Als Gabinius die erste Verlesung seines Gesetzesantrags beendet und das Dokument einem Sekretar ubergeben hatte, damit dieser es au?en an der Basilika der Volkstribunen anschlagen konnte, hatten Catulus und Hortensius schon von der Sache gehort, und sie eilten aufs Forum, um selbst herauszufinden, was da vorging. Pompeius war naturlich nirgendwo zu sehen. Die anderen Mitglieder der Gruppe der Sieben, wie sich die Senatoren um Pompeius selbst nannten, hatten sich wohlweislich uber das ganze Forum verteilt, um erst gar keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass da eine abgekartete Sache im Gang war. Aber die Aristokraten lie?en sich nicht fur dumm verkaufen. »Wenn das dein Werk ist, Cicero«, sagte Catulus wutschnaubend, »dann kannst du deinem Herrn sagen, dass er sich gerade gro?en Arger eingehandelt hat.«

Die Reaktion der Aristokraten sollte sich als noch heftiger herausstellen, als Cicero prophezeit hatte. Nach der ersten Verlesung eines Gesetzesantrags mussten drei der einmal wochendich stattfindenden Markttage vergehen, bevor das Volk uber ihn abstimmen konnte (die Frist sollte Landbewohnern die Zeit geben, in die Stadt zu kommen und sich uber die Vorlage zu informieren). Die Aristokraten hatten also fur die Organisation ihres Widerstands bis Anfang Februar Zeit, und sie verloren keine Sekunde. Schon zwei Tage spater wurde der Senat einberufen, um uber die lex Gabinia, wie das Gesetz inzwischen genannt wurde, zu beraten. Obwohl Cicero ihn davon abzubringen versucht hatte, hielt Pompeius es fur seine Ehrenpflicht, zu der Sitzung zu erscheinen und seinen Anspruch auf den Posten anzumelden. Er bestand auf einer ansehnlichen Eskorte, die ihn zum Senat begleitete, und da die sieben Senatoren weitere Geheimniskramerei fur uberflussig hielten, bildeten sie die Ehrengarde. Quintus schloss sich ihnen in seiner brandneuen Senatorentoga an: Es war erst das dritte oder vierte Mal, dass er die Kammer aufsuchte. Wie ublich hielt ich mich dicht hinter Cicero. »Wir Dummkopfe«, lamentierte er nach der Sitzung. »Wir hatten wissen mussen, dass es Arger gibt, da sich kein einziger der anderen Senatoren unserer Eskorte angeschlossen hat.«

Der Marsch den Esquilin hinunter zum Forum verlief nach Wunsch. Die Vorsteher der Stadtteile hatten ganze Arbeit geleistet und auf den Stra?en fur jede Menge Begeisterung gesorgt. Die Menschen forderten Pompeius lautstark auf, ihnen die Bedrohung durch die Seerauber vom Hals zu schaffen. Er winkte ihnen zu wie ein Hausbesitzer seinen Mietern. Doch in dem Augenblick, als wir den Senat betraten, hagelte es von allen Seiten Hohn und Spott. Quer durch den Saal flog sogar eine faule Frucht, die auf Pompeius' Schulter zerplatzte und einen leuchtend braunen Fleck hinterlie?. So etwas war dem gro?en General noch nie widerfahren. Er blieb abrupt stehen und schaute sich verblufft und besturzt um. Sofort schlossen Afranius, Palicanus und Gabinius die Reihen und stellten sich, so als seien sie wieder auf dem Schlachtfeld, schutzend vor ihn. Ich sah, wie Cicero mit den Armen wedelte und alle vier zu ihren Platzen scheuchte. Sicher dachte er, je schneller sie alle auf ihren Platzen sa?en, desto schneller ware die Demonstration vorbei. Ich stand zusammen mit den anderen Schaulustigen hinter dem vertrauten Absperrseil, das am Saaleingang zwischen den beiden Turpfosten gespannt war. Naturlich waren wir alle Anhanger von Pompeius, und je mehr die Senatoren ihn verhohnten, desto lauter bejubelten wir ihn. Es dauerte eine Zeit lang, bis der prasidierende Konsul fur Ruhe gesorgt hatte.

Die neuen Konsuln in jenem Jahr waren Pompeius' alter Freund Glabrio und der Aristokrat Calpurnius Piso (nicht zu verwechseln mit dem anderen Senator gleichen Namens, der erst spater eine tragende Rolle in unserer Geschichte spielen wird -falls mir die Gotter die Kraft schenken, sie zu vollenden). Wie verzweifelt Pompeius' Lage war, konnte man daran erkennen, dass Glabrio es vorgezogen hatte, der Sitzung fernzubleiben, als sich in offenen Widerspruch zu dem Mann zu begeben, von dem er seinen Sohn zuruckerhalten hatte. Also fuhrte Piso den Vorsitz. Ich sah ihren Gesichtern an, dass Hortensius, Catulus, Isauricus, Marcus Lucullus - der Bruder des Befehlshabers uber die Legionen im Osten - und alle anderen Mitglieder der patrizischen Fraktion angriffsbereit waren. Die Einzigen, die keinen Widerstand mehr leisten konnten, waren die drei Metellus-Bruder: Quintus diente als Statthalter auf Kreta, und seine beiden jungeren Bruder waren - als wollte das Schicksal seine Gleichgultigkeit gegenuber dem kleinlichen Ehrgeiz des Menschen demonstrieren -kurz nach dem Verres-Prozess am Fieber gestorben.

Am beunruhigendsten war jedoch, dass sogar die pedarii - die anspruchslose, geduldige, schwerfallige Masse der Senatsmitglieder, auf deren Wohlwollen Cicero besondere Muhe verwendet hatte - auf Pompeius' Gro?enwahn feindselig oder im besten Fall mit tragem Desinteresse reagierten. Was Crassus anging, der lummelte mit verschrankten Armen und lassig ausgestreckten Beinen gegenuber auf der Konsulnbank in der ersten Reihe und betrachtete Pompeius mit bedrohlich gelassenem Gesichtsausdruck. Der Grund fur seine Kaltblutigkeit lag auf der Hand. Direkt hinter ihm sa?en - wie zwei Preisbullen, die er gerade auf einer Auktion ersteigert hatte - zwei der in diesem Jahr amtierenden Volkstribunen, Roscius und Trebellius. Das war Crassus' Art, aller Welt zu zeigen, dass er mit seinem Geld nicht nur eine, sondern gleich zwei Vetostimmen eingekauft hatte, und dass die lex Gabinia, egal, wie sehr Pompeius und Cicero sich auch bemuhen mochten, nie durchgehen wurde.

Piso nahm sein Privileg, als Erster reden zu durfen, in Anspruch. »Als Redner der behabige, gelassene Typ«, wie ihn Cicero viele Jahre spater gonnerhaft beschrieb. An jenem Tag klang er allerdings weder behabig noch gelassen. »Wir wissen genau, was du im Schilde fuhrst!«, sagte er gegen Ende seiner flammenden Rede mit donnernder Stimme zu Pompeius. »Du setzt dich uber deine Kollegen im Senat hinweg und inthronisierst dich als eine Art zweiter Romulus - du totest den Bruder, um allein herrschen zu konnen. Aber du tatest gut daran, dich an Romulus' Schicksal zu erinnern, der seinerseits von seinen eigenen Senatoren ermordet wurde, die seinen Korper zerstuckelten und die Leichenteile mit sich nach Hause trugen.« Die Aristokraten sprangen begeistert auf, und ich erwischte gerade noch einen Blick auf Pompeius' massiges Profil. Stocksteif schaute er geradeaus, offenbar unfahig zu begreifen, was da vor sich ging.

Als Nachster sprach Catulus, dann Isauricus. Der Ubelste war allerdings Hortensius. Nach dem Ende seiner Amtszeit als Konsul vor knapp einem Jahr hatte er sich kaum noch auf dem Forum blicken lassen. Sein innig geliebter Schwiegersohn Caepio, Catos alterer Bruder, war vor kurzem im Militardienst in Kleinasien verstorben und hatte Hortensius' Tochter als Witwe zuruckgelassen. Es hie?, dass den »Tanzmeister« und seine Beine allmahlich die Krafte verlie?en. Jetzt erweckte er allerdings den Eindruck, als ob ihn Pompeius' ubers Ziel hinausschie?ender Ehrgeiz wiederbelebt und in die Arena zuruckgetrieben habe. Seine Rede erinnerte mich daran, wie grandios er bei einem sorgfaltig geplanten Anlass wie diesem auftrumpfen konnte. Er drosch keine Phrasen und lie? sich auch nicht zu Pobeleien hinrei?en, sondern formulierte in wohlgesetzten Worten die alten Grundsatze der Republik: dass die Macht immer geteilt werden musse, dass ihr Grenzen zu setzen seien und dass sie jahrlich von Neuem durch Wahlen bestatigt werden musse. Und obwohl er personlich nichts gegen Pompeius habe, ihn im Gegenteil fur das Amt eines Oberbefehlshabers befahigt erachte wie keinen anderen Mann im Staat, so werde durch die

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