nie auf mit diesen Praktiken, mit denen du die anderen nach deiner Pfeife tanzen lasst? Da bist du genau wie alle anderen, Marcus: Deine gro?e Starke ist auch deine Schwache. Du tust mir leid, wirklich, es dauert namlich nicht mehr lange, dann kannst du zwischen deinen Winkelzugen und der Wahrheit nicht mehr unterscheiden. Und dann bist du verloren.«

»>Die Wahrheit<«, sagte Cicero lachend. »Ziemlich schwammiger Begriff fur einen Philosophen!« Aber seine Spitze ging ins Leere, denn Lucius hatte den Raum bereits verlassen.

»Er kommt schon zuruck«, sagte Quintus.

Aber er kam nicht zuruck, und in den folgenden Tagen erledigte Cicero die Vorbereitungen fur seinen Prozess mit dem entschlossenen Gesichtsausdruck eines Mannes, der sich ergeben in eine unappetitliche, aber unumgangliche Arbeit vertieft. Und was seinen Mandanten betrifft: Fonteius hatte schon seit drei Jahren mit dieser Anklage gerechnet und die Zeit gut genutzt, indem er fur seine Verteidigung Unmengen an Beweismaterial zusammengetragen hatte. Er hatte Zeugen aus Spanien und Gallien, darunter Offiziere aus Pompeius' Lager sowie gerissene und gierige Steuerpachter und Kaufleute - allesamt Mitglieder der romischen Gemeinde in Gallien, die geschworen hatten, dass Nacht Tag sei und Land Meer, Hauptsache der Preis stimmte. Es gab nur ein Problem, das Cicero klar vor Augen stand, als sein fertiger Schriftsatz vor ihm auf dem Schreibpult lag: Fonteius war hundertprozentig schuldig. Cicero sa? lange in seinem Arbeitszimmer und starrte an die Wand, wahrend ich mich auf Zehenspitzen um ihn herumschlich. Ich erzahle das, weil es notwendig ist zum Verstandnis seines Charakters. Cicero versuchte namlich nicht nur, wie das vielleicht ein zynischer oder zweitklassiger Anwalt getan hatte, sich irgendeine kluge Taktik auszudenken, mit der er den Anklager aufs Kreuz legen konnte. Er versuchte etwas zu finden, an das er glauben konnte. Das war der Kern seiner Genialitat, sowohl als Rechtsanwalt wie als Staatsmann. »Wenn man selbst uberzeugt ist, uberzeugt man auch andere«, pflegte er zu sagen. »Du musst an das Argument glauben, das du vorbringst, sonst bist du verloren. Mit keiner Beweisfuhrung, und sei sie noch so logisch oder geschliffen oder brillant, gewinnst du den Prozess, wenn deine Zuhorer spuren, dass dir der Glaube fehlt.« Er brauchte nur einen einzigen Punkt, an den er glauben konnte. An ihm konnte er sich festklammern, konnte darauf aufbauen, konnte ihn ausschmucken und fur den Zeitraum von ein oder zwei Stunden in das wichtigste Thema der Welt verwandeln und dieses mit einer Leidenschaft darbieten, die die fadenscheinige Rationalitat seiner Widersacher zertrummerte. Oft verschwand dieser Punkt nach der Rede vollkommen aus seinem Kopf. Und woran glaubte er nun im Fall von Marcus Fonteius? Stundenlang starrte er an die Wand und verfiel schlie?lich nur darauf: dass sein Mandant in seiner eigenen Stadt von Roms traditionellem Erzfeind, den Galliern, attackiert worden sei und dass dieser Umstand, ungeachtet aller Fragen von Recht oder Unrecht, eine Art Verrat sei.

Darauf konzentrierte er sich, als er einmal mehr in der vertrauten Umgebung des Gerichtshofes fur Erpressungen vor dem Tempel des Castor auftrat. Der Prozess dauerte von Ende Oktober bis Mitte November. Es wurde hart gekampft, bei jedem einzelnen Zeugen, bis zum allerletzten Tag, an dem Cicero seine abschlie?ende Rede fur die Verteidigung hielt. Von meinem Platz im Rucken des Senators hatte ich vom ersten Tag an Ausschau nach Lucius gehalten. Aber erst an diesem letzten Morgen bildete ich mir ein, ihn in der Zuschauermenge gesehen zu haben, einen blass aussehenden Mann, der ganz hinten an einem Pfeiler lehnte. Ich habe mich oft gefragt - falls er es tatsachlich gewesen ist, wessen ich mir nicht sicher bin -, was Lucius wohl von seinem Vetter gehalten haben mochte, als dieser die Beweise der Gallier zerfetzte und dabei mit dem Finger auf Indutiomarus zeigte. »Wei? er wirklich, was es bedeutet, eine Zeugenaussage vor diesem Gericht zu machen? Verdient es selbst der gro?te Anfuhrer der Gallier, auf die gleiche Stufe gestellt zu werden wie der geringste Burger Roms?« Ob er wirklich annehme, dass ein romisches Geschworenengericht dem Wort eines Mannes glaube, dessen Gotter Menschenopfer forderten? »Schlie?lich wei? doch jeder, dass die Gallier bis zum heutigen Tag an dem ungeheuerlichen und barbarischen Brauch festhalten, Menschen zu opfern.« Was hatte Lucius zu Ciceros Darstellung der gallischen Zeugen gesagt, die »mit hochmutigem und unerschutterlichem Gesichtsausdruck auf dem Forum herumstolzieren und barbarische Drohungen aussto?en«? Und was hatte er von Ciceros brillantem und uberraschendem Kunstgriff gehalten, als er dem Gericht am Ende seiner Rede Fonteius' Schwester prasentierte, eine VestaPriester in, die von Kopf bis Fu? in ein flie?endes wei?es Gewand gehullt und um deren Schultern ein wei?er Leinenschal geschlungen war? Was hatte er davon gehalten, als diese ihren wei?en Gesichtsschleier luftete und den Geschworenen ihre Tranen zeigte, bei deren Anblick ihr Bruder ebenfalls in Tranen ausbrach, worauf Cicero seinem Mandanten besanftigend die Hand auf die Schulter legte?

»Ehrwurdige Richter, gewahrt einem ritterlichen und untadeligen Burger unserer Stadt euren Schutz. Zeigt der Welt, dass ihr dem Zeugnis eines Landsmannes mehr Vertrauen entgegenbringt als dem von Auslandern, dass ihr dem Wohlergehen unserer Burger gro?ere Beachtung schenkt als den Winkelzugen unserer Feinde, dass ihr dem Flehen derer, die uber eure Opferstatten wachen, mehr Gewicht beimesst als den Unverschamtheiten derer, die uberall auf der Welt Krieg fuhren gegen Opferstatten und Heiligtumer. Und abschlie?end, meine Herren, ein Punkt, der die Ehre des romischen Volkes in besonderer Weise beruhrt: Stellt unmissverstandlich klar, dass die Bitten einer vestalischen Jungfrau schwerer wiegen als die Drohungen von Galliern.«

Diese Rede gab zweifellos den Ausschlag: sowohl fur Fonteius, der freigesprochen wurde, als auch fur Cicero, in dem man fortan nichts weniger als den gluhendsten Patrioten Roms sah. Nachdem ich meine Aufzeichnungen abgeschlossen hatte, hob ich den Kopf. Es war unmoglich, noch einzelne Individuen auszumachen. Die Menge hatte sich in ein einziges, aufgeputschtes Wesen verwandelt, das sich ekstatisch jubelnd dem Rausch der nationalen Selbstglorifizierung hingab. Jedenfalls hoffe ich aufrichtig, dass Lucius nicht anwesend war. Eine begrundete Hoffnung, denn nur wenige Stunden spater wurde er tot in seinem Haus aufgefunden.

*

Cicero und Terentia sa?en allein beim Abendessen, als die Meldung eintraf. Der Bote war einer von Lucius' Sklaven, noch ein halbes Kind, das vollig in Tranen aufgelost war. Es fiel mir zu, dem Senator die Nachricht zu uberbringen. Er schaute von seinem Teller auf, starrte mich ausdruckslos an und sagte: »Nein« - als hatte ich ihm bei Gericht ein falsches Schriftstuck gereicht. Eine Zeit lang konnte er nichts anderes sagen als immer wieder: »Nein, nein, nein.« Er bewegte sich nicht, er blinzelte nicht mal mit den Augen. Es hatte den Anschein, als hatte sein Gehirn aufgehort zu arbeiten. Es war schlie?lich Terentia, die als Erste etwas sagte. Sie schlug in sanftem Ton vor, dass er zu Lucius' Haus gehen und herausfinden solle, was passiert sei, worauf er aufstand und wie in Trance nach seinen Schuhen suchte. »Pass auf ihn auf, Tiro«, flusterte Terentia mir zu.

Trauer totet jedes Zeitgefuhl. Was mir von jenem Abend und den folgenden Tagen in Erinnerung geblieben ist, sind bruchstuckhafte Szenen, die gespenstisch glei?enden Halluzinationen aus einem Fiebertraum gleichen. Ich erinnere mich an Lucius' durre und ausgezehrte Gestalt, als wir ihn fanden; daran, dass er auf der rechten Seite lag, in seinen eigenen Exkrementen, die Knie hochgezogen, die linke Hand auf die Augen gedruckt. Ich sehe noch vor mir, wie Cicero sich uber ihn beugte, ihm mit einer Kerze ins Gesicht leuchtete und immer wieder seinen Namen rief, als ob er ihn so ins Leben zuruckholen konnte. »Was hat er gesehen?« Das sagte Cicero immer wieder. »Was hat er gesehen?« Wie ich schon berichtet habe, war Cicero kein aberglaubischer Mensch, aber er konnte sich einfach den Gedanken nicht aus dem Kopf schlagen, dass Lucius vor seinem Ende eine beispiellos schauerliche Vision gehabt haben musse, die ihn zu Tode erschreckt habe. Was die Ursache seines Todes betrifft, so muss ich gestehen, dass ich all die Jahre ein Geheimnis mit mir herumgetragen habe, von dessen Burde ich mich hiermit nur zu gern befreie. In einer Ecke des kleinen Raumes lagen ein Morser, ein Sto?el und etwas, das Cicero - und zunachst auch ich - fur einen Bund Fenchel hielt. Eine logische Annahme, da zu Lucius' zahlreichen chronischen Leiden auch Verdauungsbeschwerden gehorten, die er mit einer Fencheltinktur zu lindern suchte. Erst spater, als ich das Zimmer ausraumte und ein paar der gefiederten Blatter mit dem Daumen auf meiner Handflache zerrieb, stieg mir ein grasslicher Geruch nach Moder und toten Mausen in die Nase: Schierling. Da wusste ich, dass Lucius aus welchen Grunden auch immer - Verzweiflung uber die Ungerechtigkeit der Welt oder die Schmerzen, die ihm seine Krankheiten bereiteten - vom Leben genug gehabt und den gleichen Tod gewahlt hatte wie sein Idol Sokrates. Obwohl ich vorgehabt hatte, Cicero und Quintus von meiner Entdeckung zu erzahlen, brachte ich es in diesen Tagen der Trauer nicht uber mich, und schlie?lich schien mir der passende Moment verstrichen zu sein, und ich hielt es fur besser, die beiden im Glauben zu lassen, Lucius sei nicht freiwillig aus dem Leben geschieden. Ich entsinne mich auch noch daran, dass Cicero viel Geld fur Blumen und Weihrauch ausgegeben hatte. Lucius lag in seiner besten Toga, gewaschen und gesalbt, die schmalen Fu?e Richtung Tur, auf der Totenbahre, und obwohl es ein grauer Novembertag war, duftete es wie in einem elysischen Waldchen. Ich erinnere mich an die fur einen Mann, der so zuruckgezogen gelebt hatte, gro?e Zahl an Freunden und Nachbarn, die ihm die letzte Ehre erwiesen und sich dem Leichenzug hinaus zum Campus Esquilinus anschlossen. Ich sehe noch den jungen Frugi vor mir, der nicht aufhoren konnte zu weinen. Ich erinnere mich an die Klagelieder und die Musik, an die respektvollen Blicke der Burger am

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